Direkt zum Inhalt

Nobelpreis für Physik: Winzlinge verändern die Welt

Der Physiknobelpreis ging an drei Wissenschaftler und Erfinder, deren Arbeiten die Basis für die moderne Kommunikations- und Informationstechnologie gelegt haben.


Eine Hälfte des Preises teilen sich Shores I. Alferow vom Physikalisch-Technischen Institut in St. Petersburg (Russland) und der aus Deutschland stammende Herbert Krömer von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. Sie werden "für die Entwicklung von Halbleiterheterostrukturen für Hochgeschwindigkeits- und Optoelektronik" ausgezeichnet. Die zweite Hälfte erhält der US-Amerikaner Jack S. Kilby von der Firma Texas Instruments in Dallas (Texas) "für seinen Anteil an der Entwicklung des integrierten Schaltkreises".

Damit wurden Arbeiten gewürdigt, die maßgeblich zu den rasanten Fortschritten der Mikroelektronik beigetragen haben. Wie kein anderes Gebiet der Technik hat die Miniaturisierung elektronischer Bauteile und Systeme eine Vielzahl neuer Geräte und Anwendungen hervorgebracht, die noch vor wenigen Jahrzehnten völlig undenkbar waren. Es gibt heute kaum einen technischen Apparat, der nicht mehrere aus Halbleitern aufgebaute elektronische Komponenten oder integrierte Schaltkreise – so genannte Mikrochips – enthält. Digitaluhren, Mobiltelefone, CD-Spieler, Strichcodeleser im Supermarkt und Personalcomputer sind nur einige Beispiele. Sie bilden gemeinsam mit Datenübertragungssystemen, Telekommunikationssatelliten und dem Internet den Motor für den äußerst rasanten Wandel unserer Gesellschaft von der Industrie- zur Informations- und Wissensgesellschaft.

Die stürmische Entwicklung der Mikroelektronik begann kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Erfindung des Transistors. John Bardeen, Walter H. Brattain und William B. Shockley hatten 1947 in der festkörperphysikalischen Forschungsgruppe der Bell-Laboratorien in Murray Hill (New Jersey) die ersten Prototypen dieses Halbleiterbauelements konstruiert. Transistoren ließen sich in elektronischen Schaltungen als Verstärker, Schalter und Sensoren einsetzen. Ihr Vorteil gegenüber den zuvor verwendeten Elektronenröhren: Sie waren viel kleiner und verbrauchten weniger Strom. Damit ermöglichten sie, den gerade aufkommenden Computer immer handlicher, leistungsfähiger, zuverlässiger und billiger zu machen. Der erste programmgesteuerte Elektronenrechner, 1946 unter dem Namen ENIAC in Betrieb genommen, bestand aus 17468 Elektronenröhren, wog 27 Tonnen und benötigte eine elektrische Leistung von 174 Kilowatt. Er konnte 5000 Additionen pro Sekunde durchführen. Heute erbringt ein batteriebetriebenes Notebook eine vieltausendfach höhere Rechenleistung.

Im Jahre 1956, als Bardeen, Brattain und Shockley den Nobelpreis für Physik erhielten, hatte sich der Transistor weitgehend durchgesetzt. Mehrere zehntausend dieser elektronischen Bauteile ließen sich auf engem Raum zusammenschalten. Zudem waren sie weitaus widerstandsfähiger als Elektronenröhren und benötigten im Gegensatz zu diesen auch keine Anwärmzeit. Doch noch immer mussten die Transistoren in einem aufwändigen und fehleranfälligen Prozess miteinander verlötet werden.

Damals war vor allem die Rüstungs- und Raumfahrtindustrie an einer weiteren Miniaturisierung von elektronischen Schaltungen interessiert und trieb die Halbleiterforschung voran. Die Forderung nach immer kleineren und zugleich komplexeren Schaltungen brachte verschiedene Forschungsansätze hervor. Das National Bureau of Standards der USA zum Beispiel förderte Bestrebungen, einzelne Transistoren nicht in der damals üblichen zylindrischen Gestalt, sondern als kleine Würfel herzustellen, damit sie dichter gepackt werden könnten. Andere Forschungsteams suchten nach gänzlich neuen Werkstoffen, die sogar noch vielfältigere elektronische Eigenschaften haben sollten als halbleitende Materialien.

Produktive Urlaubssperre


Letztlich aber erwies sich eine Idee als erfolgreich, die schon Anfang der fünfziger Jahre aufgekommen war: mehrere Transistoren aus einem einzigen Stück Halbleiterkristall zu fertigen. Dazu musste man ein Stück Germanium oder Silizium so bearbeiten, dass viele Zonen mit unterschiedlichen elektrischen Ei-genschaften entstehen.

Bis zur Umsetzung dieser Idee in die Praxis bedurfte es zahlreicher materialwissenschaftlicher Entwicklungen. So galt es, Halbleitereinkristalle in einer bis dahin unvorstellbaren Reinheit als Grundträger herzustellen. Die Wissenschaftler mussten zudem lernen, gezielt Fremdatome in sie einzubringen, um die gewünschten elektrischen Eigenschaften zu erhalten. Des Weiteren waren lithographische Verfahren zu entwickeln, um die Oberfläche ausreichend fein zu strukturieren. Auch ideelle Hemmnisse galt es zu überwinden: Halbleiter waren teuer und sollten deshalb, so die gängige Firmenphilosophie, nur den aktiven Zonen der Transistoren vorbehalten bleiben – andere Komponenten einer Schaltung könnten kostengünstiger aus preiswerteren Materialien hergestellt werden.

Schließlich gelang es zwei Wissenschaftlern unabhängig voneinander zu zeigen, dass sich auf einem einzigen Stück Halbleiter tatsächlich alle für eine elektronische Schaltung erforderlichen Bauelemente integrieren lassen: Jack S. Kilby und Robert N. Noyce. Kilby, 1923 in Jefferson City (Missouri) geboren, war nach einem Elektrotechnik-Studium an den Universitäten von Illinois und Wisconsin 1947 zunächst zur Firma Globe Union in Milwaukee gegangen; im Mai 1958 wechselte er zu Texas Instruments in Dallas. Im dortigen Forschungslabor musste er einen Teil des Sommers fast allein zubringen. Als Neuling hatte er noch keinen Anspruch auf Urlaub, und während sich seine Kollegen erholten, zeigte er, dass man alle Komponenten eines Schwingkreises aus Silizium herstellen kann.

Hatte er die Bauteile zunächst noch von Hand zusammengelötet, so fertigte er bis zum September 1958 einen kompletten Schaltkreis auf einem einzigen Stück Germanium. Aktive und passive Komponenten waren mit Golddrähten verbunden. In seiner Patentschrift, die er im Februar 1959 einreichte, erwähnte er aber auch die Möglichkeit, Leiterbahnen aus Gold direkt auf einem Isolatormaterial auf dem Halbleiter aufzubringen.

Noyce, 1927 in Iowa geboren, ging 1956 an das Labor von Shockley, das der Miterfinder des Transistors in der Nähe der Stanford-Universität in Palo Alto gegründet hatte. Im Gegensatz zu Shockley setzten Noyce, Gordon E. Moore, der aus der Schweiz stammende Jean A. Hoerni sowie fünf weitere ihrer Kollegen auf Silizium als Werkstoff. Die "acht Verräter" überwarfen sich mit dem Laureaten und gründeten 1957 eine eigene Firma, Fairchild Semiconductors. Im Folgejahr entdeckte Hoerni, dass die Oxidschicht, die sich auf Silizium bildet, ein idealer Isolator ist. Diese Erkenntnis erlaubte es ihm, einen planaren Transistor herzustellen und einzelne Elemente mittels metallischer Leiterbahnen zu verbinden, die auf die Oxidschicht aufgebracht werden. Noyce wiederum fand heraus, dass sich hierzu Aluminium eignet, weil es sehr gut sowohl auf Silizium als auch auf Siliziumdioxid haftet. Im Juni 1959 reichte Noyce einen Patentantrag ein, in dem er detailliert beschrieb, wie ein integrierter Schaltkreis mit Silizium als Träger- und Aluminium als Leiterbahnmaterial hergestellt werden kann.

Die Patentanträge von Kilby und Noyce wurden beide genehmigt. Beide Wissenschaftler verdienen es deshalb, gemeinsam als Erfinder des integrierten Schaltkreises genannt zu werden. Doch die Würdigung dieser Leistung durch das Nobelpreiskomitee kommt für Noyce zu spät: Er starb schon vor zehn Jahren.

Auch nach ihrer Pioniertat blieben Kilby und Noyce innovativ. Kilby ist Miterfinder des Taschenrechners und des Thermodruckers. 1970 verließ er Texas Instruments, um als freier Erfinder und Berater zu arbeiten. Von 1978 bis 1984 lehrte er an der Texas A&M Universität in College Station. Noyce gründete 1968 gemeinsam mit Moore die Firma Intel, der er bis 1979 vorstand.

Das Sandwich als Vorbild


Eine weitere bahnbrechende Neuerung, die zur Miniaturisierung und zur Leistungssteigerung von elektronischen Schaltungen sowie zur Entwicklung von optoelektronischen Elementen beitrug, war der Einsatz von so genannten Heterostrukturen. Hierbei besteht der Mikrochip nicht mehr aus einem einzigen Halbleitermaterial, sondern aus mehreren monokristallin aufeinander gewachsenen Schichten von Halbleitern unterschiedlicher Zusammensetzung. Zur Herstellung solcher Sandwich-Strukturen werden die Schichten praktisch Atom für Atom aufgebaut – beispielsweise mit der Molekularstrahlepitaxie oder der chemischen Gasphasenabscheidung.

Jede dieser Schichten hat unterschiedliche elektronische und optische Eigenschaften. An ihren Grenzflächen treten besondere Effekte auf, die sich ansonsten nicht realisieren lassen. Durch geschickte Wahl der Materialien und der Schichtdicken gelingt es so, die Eigenschaften von Bauelementen quasi maßzuschneidern. Erst das ermöglichte eine Vielzahl heutiger Geräte und Anwendungen – wie etwa die Mobilfunknetze.

Der Erste, der die überragende Bedeutung von Heterostrukturen erkannte, war Herbert Krömer. 1928 in Weimar geboren, studierte er an der Universität Göttingen Physik und promovierte dort 1952 mit einer Arbeit über die Effekte heißer Elektronen im Transistor. Damit waren die Weichen für eine Forschung in dem damals brandneuen Gebiet der Halbleiterbauelemente gestellt, und Krömer entschied sich dafür, seine Arbeiten in den USA fortzuführen. Bereits 1957 – damals bei der Radio Corporation of America – wies er darauf hin, dass sich die Leistungsfähigkeit des Transistors durch das Einführen von Heterostrukturen wesentlich erhöhen ließe. Die zur Herstellung solcher Schichtstrukturen benötigten Epitaxieverfahren waren allerdings noch nicht entwickelt.

Mit Heterostrukturen lassen sich außer den elektrischen auch die optischen Eigenschaften von Halbleitern stark verbessern. Schon 1962 wurde der erste Halbleiterlaser realisiert – gegenüber dem gewöhnlichen Laser ein Technologiesprung wie der eingangs erwähnte Ersatz der Elektronenröhre durch den Transistor. Ohne Halbleiterlaser gäbe es heute keine CD-Spieler, keine Laserdrucker und keine optische Datenübertragung mittels Glasfaserkabel.

Die ersten aus homogenen Halbleitern gebauten Laser hatten jedoch nur einen geringen Wirkungsgrad und benötigten eine sehr hohe Stromdichte. Ein Dauerbetrieb bei Raumtemperatur hätte sie sogleich zerstört. Wiederum war es Krömer, der 1963 – inzwischen bei der Firma Varian – auf die wesentlichen Verbesserungsmöglichkeiten durch Heterostrukturen hinwies. Etwa zeitgleich reichte Shores I. Alferow aus St. Petersburg ein Patent mit denselben Vorschlägen ein. Alferow, 1930 in dem weißrussischen Witebsk geboren, hatte in St. Petersburg Elektrotechnik studiert und forschte nun am dortigen Physikalisch-Technischen Institut, das nach seinem Gründer Abram F. Joffe benannt ist. 1962 hatte er mit Arbeiten zu Heterostrukturen aus so genannten III-V-Halbleitern begonnen.

Die Vorschläge von Krömer und Alferow zielten darauf ab, die Ladungsträger, die sich in einem für den Laserprozess nötigen Inversionszustand befinden, in einem schmalen Raumbereich zu konzentrieren. Zugleich werden die emittierten Photonen in dieser Zone wie in einem Lichtleiter geführt. Dadurch nimmt die Ausbeute erheblich zu, sodass der Halbleiterlaser mit wesentlich geringerer Stromdichte betrieben werden kann, was einen Dauereinsatz ohne zusätzliche Kühlung ermöglicht. Mehrere Forschungsgruppen machten sich daran, einen solchen Halbleiterlaser aus Heterostrukturen zu konstruieren. Die Gruppe von Alferow gewann dieses "Rennen": Im Mai 1970 reichte sie eine Veröffentlichung ein, in der sie über den Dauerbetrieb eines Halbleiterlasers bei Raumtemperatur berichtete. Einen Monat später konnte die Gruppe um Morton B. Panish von den Bell-Laboratorien in den USA den gleichen Erfolg vermelden. Damals als Sensation gefeiert, sind solche Halbleiterlaser aus Heterostrukturen heute eine Selbstverständlichkeit.

Aber auch für die Grundlagenforschung hatten Heterostrukturen immense Bedeutung. An der Berührungsfläche zweier Schichten sind die Ladungsträger durch Quanteneffekte in einer Ebene eingeschlossen; sie können sich also nur in zwei Raumrichtungen bewegen. Die Elektronen bilden dann ein zweidimensionales Elektronengas. Legt man senkrecht zur Ebene ein Magnetfeld an, so wird die Bewegung der Elektronen weiter quantisiert: Die Ladungsträger können nur bestimmte Energiewerte annehmen. Anschaulich beschreiben sie dann Kreisbahnen mit einem bestimmten Radius um die Magnetfeldlinien. Mit einer solchen Anordnung und hochreinen Proben gelang Klaus von Klitzing die Entdeckung des Quanten-Hall-Effektes, für die er 1985 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Daniel C. Tsui und Horst L. Störmer erweiterten den Versuch zu noch stärkeren Magnetfeldern, was zur Entdeckung des gebrochenen Quanten-Hall-Effektes führte und den beiden Physikern 1998 den Nobelpreis eintrug.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2000, Seite 10
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.