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„Wir müssen mutig sein, sonst bewegt sich nichts.“

Spektrum-Interview mit Ministerpräsident Erwin Teufel

Mit neuen Strukturen will Baden-Württemberg die Spitzenposition seines Hochschulsystems weiter ausbauen. Noch in diesem Herbst soll der Landtag die dritte Stufe der 1995 begonnenen Hochschulreform beschließen. Damit soll mehr Leistungsdenken und Wettbewerbsfähigkeit in die Hochschulen einziehen – Vorbild für andere Bundesländer?



Spektrum der Wissenschaft: Herr Ministerpräsident Teufel, in der Bildungspolitik rumort es allenthalben, alle erwarten den Strukturwandel von der Industrie- zu einer Wissens- und Informationsgesellschaft, aber es geschieht zu wenig. Verpassen wir die Zukunft?


Ministerpräsident Teufel: Der Wandel ist überfällig. Aber in Baden-Württemberg stehen wir nicht mehr völlig am Anfang. Der Wissenschaftsrat empfahl schon vor Jahren, daß 40 Prozent der Studienanfänger an Fachhochschulen und Berufsakademien eingeschrieben sein sollten. Wir werden in Kürze als erstes Bundesland diese Vorgabe erreichen. Vor allem an den Fachhochschulen haben wir in dieser Legislaturperiode 7800 zusätzliche Studienplätze geschaffen. Die Fachhochschulen können bei vierjährigen, die Berufsakademien bei dreijährigen Ausbildungszeiten flexibler reagieren. Ihre Absolventen studieren praxisnäher und finden daher Stellen. Probleme sehe ich vor allem bei den Universitäten.


Spektrum: Auf dem Bonner Bildungskongreß im April beklagte Alt-Bundespräsident Roman Herzog unsere akademische "Planwirtschaft". Die Hochschulrektorenkonferenz forderte unlängst ein neues, flexibleres Besoldungssystem für Professoren. In einer "Hamburger Erklärung" bestehen Bildungspolitiker auf einer "Personalreform". Gerade bescheinigten uns ausländische Experten im Richard Brook-Gutachten, daß deutsche Forscher "sich selbst behinderten". Was ist Ihre Einschätzung?


Teufel: In der Forschung sind die Hochschulen in der Regel hervorragend. Auch in der Lehre, betrachtet man die Überlast der letzten 15 Jahre, wurde Beachtliches geleistet. Meine große Kritik richtet sich gegen die überlangen Studienzeiten. Ein Alter von 27,5 Jahren beim ersten Staatsexamen, 31 Jahren bei der Promotion, 40 Jahren bei der Habilitation – das geht zu Lasten unserer Wettbewerbsfähigkeit in Europa.


Spektrum: Dagegen und gegen viele andere Hemmnisse setzen Sie jetzt die 3. Stufe der Hochschulreform Baden-Württembergs.


Teufel: Ja, aber schon in der 2. Stufe von 1997 haben wir beispielsweise erstmals Studiengebühren für Langzeitstudierende eingeführt, tausend Mark pro Semester ab dem 13. Semester. Ich kann Ihnen sagen, die Wirkung ist durchschlagend. Die Gesamtzahl der Studierenden – etwa in Tübingen oder Heidelberg – sinkt, während die Zahl der Erstsemester wächst.


Spektrum: Jetzt gehen Sie ja noch weiter...


Teufel: Ja, Langzeitstudierende sollen nach 20 Semestern exmatrikuliert werden können. Für Aufbau- und Weiterbildungsstudiengänge können Gebühren erhoben werden.


Spektrum: Kommen Studiengebühren auch im Grundstudium?

Teufel: Vorläufig nicht. Wir sind froh, daß wir unsere bisherige Regelung durchsetzen konnten.


Spektrum: Sie wollen ja einige heilige Kühe schlachten. Fördermittel sollen leistungsbezogen vergeben, die Habilitation als Regelbedingung abgeschafft, Professoren anfangs nur auf Zeit eingestellt werden.


Teufel: Wir müssen mutig sein, sonst bewegt sich nichts. Ich will, daß früher berufen wird, daß man früher Professor werden kann – nicht nur mit einer Habilitation, sondern auch mit vergleichbaren Leistungen. Manche befürchten, daß wir nicht mehr die Besten bekommen, wenn wir die Erstberufung auf fünf Jahre befristen, während andere gleich mit Lebensstellungen winken. Wahr ist: In den nächsten 15 Jahren werden 40 Prozent aller Professoren emeritiert – da wird bald ein Kampf um diese Besten ausbrechen. Dennoch habe ich keine Angst. Gute junge Forscher, die Praxisnähe zeigen und sich auch in der Wirtschaft umsehen, bemerken, daß sie auch dort zuerst nur eine Fünfjahresstelle bekommen. Solche Leute haben doch soviel Selbstvertrauen und Risikobereitschaft, daß sie nach fünf Jahren wieder mit einem Ruf oder einer Verlängerung rechnen.


Spektrum: Das Problem entfiele, wenn in ganz Deutschland erst einmal auf Zeit eingestellt würde. Sehen Sie in Ihrer Hochschulreform ein Vorbild für andere Bundesländer?


Teufel: Einige Dinge, die wir schon gemacht haben, könnten durchaus Vorbildfunktion haben. Ich meine etwa die Einrichtung von Studienkommissionen und Studiendekanen. Denken Sie etwa an die Fälle, wo Professoren ihren Lehrverpflichtungen nicht nachkommen. Das kann ein Rektor nicht im Blick haben, aber der Dekan muß es sehen und handeln können. Ein weiteres ist das Recht der Hochschulen, sich Studenten selbst auszuwählen.


Spektrum: ...wie in den USA...


Teufel: Richtig. Ein amerikanischer Student muß sich um einen Studienplatz an einer bestimmten Universität bewerben, und er tut das natürlich nach dem Ranking der Hochschulen. Warum soll das hier nicht möglich sein? Wenn jemandem die Ranglisten von "Spiegel" oder "Focus" nicht passen, dann soll er bessere liefern.


Spektrum: Sie wollen Leistungsanreize bei der Vergabe der Fördermittel einführen.


Teufel: Ja, weg vom Korsett der Kameralistik. Mit 14 Prozent leistungsorientiertem Anteil am Gesamtzuschuß ist dies ein erster Schritt, das sind im nächsten Jahr 266 Millionen Mark, die nach Leistung vergeben werden. Bis zum Jahr 2005 sollen es bereits knapp 30 Prozent sein. Eine Basisfinanzierung wird natürlich immer bleiben. Schließlich haben wir in Baden-Württemberg einen Solidarpakt, nach dem bei den Hochschulen keine Mittel gekürzt werden – eine bundesweit singuläre Sache. Das haben wir in drei Kürzungsrunden im Landeshaushalt so durchgehalten, und daher gibt es bei diesen Leistungsanreizen auch eine Kappungsgrenze.


Spektrum: Mittelvergabe nach Leistung setzt eine Bewertung voraus, heute Evaluation genannt. Wie werden die Hochschulen evaluiert?


Teufel: Es soll zunächst nach leicht meßbaren Parametern bewertet werden – etwa nach der Absolventenzahl, der Entwicklung des Frauenanteils oder der Drittmittel. Später, ab dem nächsten Jahr, sollen inhaltliche Evaluationen hinzutreten.


Spektrum: Kommen wir zum Eingemachten, dem Vorhaben, als neue Leitungsstruktur einen "Hochschulrat" einzurichten. Der soll wie der Aufsichtsrat einer Firma funktionieren. Damit tritt die Regierung ja konkrete Befugnisse an die Universität ab.


Teufel: Genauso ist es gewollt. Wir sind als Land bereit, Aufsichtsrechte aufzugeben. Der neue Hochschulrat ist als Entscheidungsgremium gedacht, auch mit externer Besetzung. Ich stelle immer wieder fest, wie sehr Führungskräfte in der Wirtschaft der Wissenschaft und den Hochschulen verbunden sind. Die Kompetenz von so jemandem zu nutzen, der es etwa zum Vorstandsvorsitzenden gebracht hat, das wäre doch ein enormer Gewinn.


Spektrum: Genau dagegen gibt es Kritik. Der Rektor der Universität Heidelberg monierte, der Hochschulrat verletze die Selbstverwaltung, wie sie in der Landesverfassung garantiert sei.


Teufel: Bis auf den Rektor der Universität Heidelberg steht die gesamte Hochschulrektorenkonferenz hinter dem Konzept. Der Hochschulrat ist schließlich ein Organ der Universität. Wir sind bereit, im Haushaltsrecht eine größtmögliche Autonomie zu gewähren. Wenn wir als Land auf Kontrolle verzichten, dann muß sie vor Ort geschehen – das eine ist nicht ohne das andere zu haben.


Spektrum: Der Hochschulrat mit sieben internen und sechs externen Mitgliedern wirkt aber auch bei der Wahl des Rektors mit, bisher eine strikt Uni-interne Angelegenheit. Und er beschließt mit dem Rektor über die Mittelvergabe. Hier würde also doch von außen in die Selbstverwaltung eingegriffen.


Teufel: Aber wir ernennen den Rektor nicht. Wir wollen nur beteiligt sein bei der Auswahl der drei Kandidaten – ein bewährtes Verfahren, etwa bei der Landratswahl in Baden-Württemberg. Und bei den Mitteln kommt der Einfluß von außen, nicht von der Regierung. Von sechs externen Mitglieder bestimmt die Universität selbst noch über drei, die übrigen ernennt der Wissenschaftsminister, jedoch sind diese nicht weisungsgebunden. Autonomie heißt Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze, nicht Autonomie wie bei einem Staat.


Spektrum: Wird dies die letzte Reform sein?


Teufel: Natürlich nicht. Ecclesia semper reformanda – die Kirche muß sich immer reformieren. Das gilt sicher auch für die Hochschulen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1999, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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