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Wissenschaft fördert den nahöstlichen Friedensprozeß

Die Kooperation israelischer mit arabischen Forschern kann wesentlich zur Verständigung in ihrer politisch kritischen Zone beitragen. Europäische und insbesondere deutsche Wissenschaftler, deren Zusammenarbeit mit Israel sich in den letzten Jahrzehnten gut entwickelt hat, vermögen bei weiterer Entspannung und Normalisierung zu vermitteln und zu helfen.

Das Interuniversity Institute of Eilat im südlichsten Zipfel Israels war von Anfang an ein außergewöhnlich aktives Zentrum deutsch-israelischer wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Nun treibt es die Öffnung israelischer Forschungsstätten für die arabischen Nachbarn besonders konsequent voran.

Unter dem Namen Heinz-Steinitz-Labor für meeresbiologische Forschung war es 1968 als Einrichtung der Hebräischen Universität Jerusalem gegründet worden. Seit 1985 steht es Angehörigen aller israelischen Universitäten offen. Dort arbeiten nun 17 Forscher und 30 graduierte Studenten sowie ihre Gäste auf dem Gebiet der Meeresforschung in umfassendem Sinne, betreiben also Ozeanographie, Ökologie, Biochemie, Toxikologie, Ichthyologie, marine Mikrobiologie, Molekularbiologie und sogar Neurobiologie, denn das Magen-Ganglion des Hummers – eine Ansammlung von Nervenzellen – bietet ein hervorragendes Modell für Funktionen des Gehirns auch höherer Tiere und des Menschen.

Der Gründer, der Meereskundler Heinz Steinitz, war vor dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland nach Palästina emigriert und hatte sich nach 1945 früh um die Aussöhnung mit den Deutschen bemüht. Wolfgang Klausewitz vom Senckenberg-Institut in Frankfurt am Main zählte zu den Gründungsmitgliedern. Starthilfe gaben die Fritz-Thyssen-Stiftung und die Volkswagen-Stiftung. Projekte werden derzeit vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBWFT) im Rahmen der drei großen Israel-Programme Minerva (eine Tochtergesellschaft der Max-Planck-Gesellschaft), Zusammenarbeit des BMBWFT mit dem israelischen Ministerium für Wissenschaft und Künste (Ministry of Science and the Arts, MOSA) und Deutsch-Israelische Stiftung (German-Israeli Foundation for Scientific Re-search & Development, GIF) sowie mit besonderen Mitteln der Volkswagen-Stiftung gefördert, über die das Land Niedersachsen selbständig verfügen kann (Niedersächsisches Vorab).


Gemischte Forschergruppen in Eilat

Zwar sind in Eilat wie an den sechs israelischen Universitäten und am Weizmann-Institut in Rehovot schon einige wenige Ägypter tätig; zu Palästinensern, Syrern und Saudi-Arabern bestehen Kontakte. Wenn aber jetzt der Friedensprozeß vorankommt, worauf alle meine israelischen Gesprächspartner im Wissenschaftsbereich hoffen, sollen in dem Institut am Golf von Akaba acht Forschungsgruppen mit Israelis und Deutschen sowie Ägyptern, Palästinensern und Jordaniern arbeiten. Koordinator dieses Projekts ist der Meeresforscher Gotthilf Hempel vom Zentrum für Marine Tropenökologie in Bremen, Vorsitzender des wissenschaftlichen Planungsgremiums der Neurobiologe Erwin Neher vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Eilat könnte zu einem regionalen Forschungszentrum für das Rote Meer werden.

Der Leiter des Instituts, der Jerusalemer Neurobiologe Micha E. Spira, erwartet nicht nur wissenschaftliche, sondern auch finanzielle Hilfe aus Deutschland. Eventuell wird das BM-BWFT in Zusammenarbeit mit dem MOSA den beantragten Millionenbetrag für die ersten drei Jahre bewilligen.

Schon im Oktober 1993 hatte die Wissenschaftsministerin Israels, Shulamit Aloni, in Bonn mit Bundesforschungsminister Paul Krüger darüber gesprochen, wie die seit 20 Jahren etablierte Kooperation des damaligen BMFT mit MOSA den nahöstlichen Friedensprozeß stärken könne. Regionale Probleme wie Wasserversorgung, Ökologie, Landwirtschaft in Trockengebieten und Sonnenenergie sollten im Mittelpunkt stehen. Deutschland könnte in der wichtigen Rolle eines potenten Dritten die Zusammenarbeit voranbringen.


Negev-Universität regional führend

Die Ben-Gurion-Universität des Negev in Beer-Sheva nimmt für sich in Anspruch, die regionalen Beziehungen zu den arabischen Ländern besonders intensiv zu pflegen. In dem zu ihr gehörenden Jacob-Blaustein-Institut für Wüstenforschung in Sede Boker, mitten in der Negev-Wüste, werden in interdisziplinären Vorhaben unter anderem Probleme der Wasserversorgung in ariden Gebieten erforscht. Zu amerikanischen und deutschen Förder- und Forschungseinrichtungen bestehen gute Kontakte. An einigen Kooperationsprogrammen nehmen israelische, amerikanische, deutsche und niederländische Forscher neben Ägyptern, Marokkanern und anderen Afrikanern teil.

Die UNESCO hat nun auch als erste Organisation der Vereinten Nationen eine israelische Einrichtung als Experten-Institution anerkannt: Im Herbst 1994 nahm an der Ben-Gurion-Universität ein Internationales Zentrum für Forschungen zu Trockengebietslandwirtschaft und Wüste (International Center for Arid Land Crops and Desert Re-search) seine Arbeit auf.

Ein anderes Zentrum der Hochschule ist direkt der jüdisch-arabischen Verständigung gewidmet. Es unterstützt Projekte der wissenschaftlichen, technologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kooperation zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten. Dazu gehört auch die Hilfe für Studenten aus den ethnischen Minderheiten. Zum vierten Male hat 1993 das Land Nordrhein-Westfalen Stipendien für siebzig beduinische, drusische und arabische Studenten bereitgestellt.

Die Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Negev-Universität wird von der Weltgesundheitsorganisation wegen ihrer sozialmedizinischen Prägung geschätzt. Sie pflegt eine Therapie, in die auch die Familien der Patienten mit einbezogen sind, und bietet ihren arabischen Nachbarn medizinische Forschung und Ausbildung an. Die Drittmittel, auf die alle israelischen Hochschulen in der Forschung angewiesen sind, stiegen an der Ben-Gurion-Universität infolge des Friedensprozesses deutlich an; sie kommen unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der GIF.


"Erinnerung und Identität"

Aus einem ganz anderen Blickwinkel geht Dan Bar-On, Psychologe und Verhaltensforscher an der Ben-Gurion-Universität, die Verbindung mit den arabischen Nachbarn an. Er hat sich zunächst mit den sozialpsychologischen Folgen des Nationalsozialismus und der Verbrechen an Juden bei Nachkommen der Täter befaßt. Sein Fazit zahlreicher Umfragen seit 1985: Die Familien sprechen das Problem nicht an; damit verschieben sie es aber jeweils auf die nächste Generation. Nordrhein-Westfalen unterstützte auch dieses Projekt. "Die Last des Schweigens" ist der Titel des mit Hilfe der Friedrich-Ebert-Stiftung ins Deutsche übersetzten Ergebnisses dieser ersten Umfragen (Campus, Frankfurt am Main 1993).

Ähnliche Probleme wie bei den Deutschen gibt es auch unter den Nachkommen der Opfer in Israel. An den Universitäten Beer-Sheva und Wuppertal befaßt sich damit eine Reihe von Forschern. Das auf beide Länder ausgedehnte Projekt wurde 1989 bis 1991 von der GIF gefördert. Studentengruppen befragten jeweils Mitglieder der ersten, zweiten und schließlich dritten Generation nach dem mörderischen Antisemitismus der Nazizeit.

Bar-On sucht nun seine Forschungen auf das Generalthema "Erinnerung und Identität" auszuweiten. Einer Tagung der Islamischen Weltorganisation für Seelische Gesundheit (World Islamic Mental Health Organization) in Kairo zum Thema Toleranz hat er denn auch vorgeschlagen, ähnliche Studiengruppen wie die deutsch-israelischen aufzubauen. Die Soziologin Ursula Apitzsch von der Universität Frankfurt am Main will, angeregt von Bar-On, mit einer Wissenschaftlerin in Beer-Sheva ein neues GIF-Projekt angehen: Wie behandeln Jugendliche Fremdstämmige – deutsche die Türken und israelische die Araber?

Möglichkeiten des Abbaus von Feindschaft untersuchen auch die Psychologen an der Universität Tel Aviv. Ein Graduiertenseminar für jüdische und arabische Studenten erörterte etwa die Wurzeln der Konflikte zwischen Gruppen; und die Soziologen dieser Universität organisierten im Dezember 1993 ein Symposium darüber, wie die israelische Gesellschaft der Anerkennung der PLO und dem Friedensprozeß gegenübersteht.

Deeskalation in der Praxis

Die Bar-Ilan-Universität in Ramat-Gan bei Tel Aviv hat im Juni 1994 eine Dokumentation zu laufenden Projekten über die Deeskalation in der Region vorgelegt. Forscher an dieser der Tradition des Judentums verpflichteten Hochschule befassen sich zum Beispiel mit strategischer Planung, den politischen Fragen von Sicherheit und Frieden im Nahen Osten sowie den künftigen Handelsmöglichkeiten mit den Nachbarn. Untersucht wird aber auch, wie sich der soziopolitische Wandel im Sprachgebrauch der arabisch sprechenden Bevölkerung von Nazareth niederschlägt. Ein multinationales Projekt geht der Frage nach, wie sich die Sprachenpolitik in den Mittelmeerländern entwickelt. Wie Vorurteile beseitigt werden können, analysieren Wissenschaftler an Schulen in fünf jüdischen und fünf arabischen Gemeinden.

Mitunter sind direkt nützliche vertrauensbildende Maßnahmen sehr einfach zu bewerkstelligen. So bekommen Bar-Ilan-Forscher, die in Eilat Umweltgefahren für das unmittelbar vor dem Institut liegende Riff und die Wüstenentwicklung untersuchen, über ein Fernerkundungszentrum Daten zum Zustand von Meer und Atmosphäre von einem ukrainischen Satelliten; diese Informationen sollen künftig an arabische Nachbarn weitergegeben werden.

Yair Sharan, Leiter des Interdisciplinary Center for Technology Assessment and Forecasting an der Universität Tel Aviv, verfolgt die ökonomische Entwicklung in Israel, Palästina, Ägypten, Jordanien und Libanon und betont, die Probleme könnten nur in Kooperation mit Europa angegangen werden. Gerade für die Bundesrepublik Deutschland stelle sich die Frage, wie sie am Friedensprozeß teilnehmen kann.

Einiges ist schon in Gang. So analysieren deutsche industrielle Gruppen (Daimler-Benz in Stuttgart und Intertraffic in Berlin), von der baden-württembergischen Landesregierung angeregt und bezahlt, in Zusammenarbeit mit der Universität Tel Aviv Transportfragen im Nahen Osten. Die erste Studie galt der Entwicklung einer Stadt- und U-Bahn in Tel Aviv. Eine Intercity-Linie von Haifa über Tel Aviv nach Beer-Sheva, möglicherweise bis nach Gaza, wird zur Zeit gebaut. Und zur Diskussion steht außerdem eine Luftkissenfahrzeug-Verbindung durch die Wüste von West nach Ost – bis nach Mekka.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1995, Seite 97
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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