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Wissenschaft im Internet: Merkwürdiges und Esoterisches



Nichts ist leichter im WWW zu finden als Unfug. Das gilt auch für – drücken wir es vorsichtig aus – Theorien mit mehr oder eher weniger gerechtfertigtem wissenschaftlichem Anspruch. Die deutsche Ausgabe der handredigierten Suchmaschine Yahoo bietet unter dem einfühlsam gewählten Rubrikennamen "Grenzwissenschaften" stolze 242 Einträge (http://de.dir.yahoo.com/Grenzwissenschaften/), nur geringfügig weniger als für die gesamte Physik. Von diesen Einträgen verweisen die meisten wieder auf lange Listen von Fundstellen: Horoskope aller Art, darunter eine von Yahoo selbst verantwortete Horoskop-Website, die Weissagungen des Nostradamus, der Bibel-Code, Äußerungen der Zeugen Jehovas zu vergangenen und zukünftigen Sintfluten (unter Vereinnahmung des wissenschaftlich besetzten Begriffs "Katastrophentheorie") – alle diese halbseidenen Geschichten aus weniger seriösen Presseerzeugnissen und Fernsehsendungen finden sich im Web wieder. Warum sollte es auch anders sein? Erschreckend viele Leute glauben an diese Dinge und nutzen, selbstverständlich, das Internet, um ihre Gedanken dazu untereinander auszutauschen.

Und was sagt die Wissenschaft im Internet dazu? Nicht allzuviel. Offensichtlich artet die Auseinandersetzung zwischen Anhängern und Gegnern esoterischer Überzeugungen regelmäßig in einen Grabenkampf aus, bei dem für letztere wenig Ruhm oder Spaß zu holen ist. Das durchzuhalten erfordert schon eine sehr standfeste aufklärerische Grundhaltung. Zudem befinden sich die Aufklärer in der Zwickmühle zwischen den Absichten, einerseits die Auffassungen der anderen Seite als verfehlt zu bekämpfen, sie andererseits zumindest vorläufig gelten zu lassen – man will ja nicht in Dogmatismus verfallen.

In der "Gesellschaft für die wissenschaftliche Untersuchung von Parawissenschaften" (GWUP), die sich solch aufklärerisches Tun auf die Fahnen geschrieben hat, fand vor drei Jahren ein Bruch statt, weil sich die wesentlichen Akteure nicht auf eine gemeinsame Position in diesem Spannungsfeld einigen konnten. Edgar Wunder, Gründungsmitglied der GWUP und zeitweise der aktivste Redakteur der Hauszeitschrift "Skeptiker", verließ den Verein und gründete das "Forum Parawissenschaften", auf dessen Website (www.forum-parawissenschaften.de/) er nicht nur wortreich seine Sicht der Dinge darlegt, sondern auch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zur Einsicht bereithält. Dagegen ist die GWUP selbst nur mit einer eher durchschnittlichen Site im Web vertreten (www.gwup.org); Inhaltliches findet sich im Wesentlichen in Online-Auszügen aus dem "Skeptiker".

Nicht jeder, der gegen Pseudowissenschaft (junk science) zu kämpfen vorgibt, tut dies auch. Ausgerechnet die einprägsame Adresse www.junkscience.com ist von einem Vielschreiber namens Steven J. Milloy besetzt, der auf dieser Website einen Privatkrieg unter anderem gegen health scares führt; damit meint er die Leute und Behörden, die in seinen Augen in Bezug auf die Gefahren durch Asbest, radioaktive Strahlung und Umweltchemikalien den Teufel an die Wand malen.

Als einsamer Stern am ansonsten relativ schwarzen Himmel erstrahlt das "Skeptic’s Dictionary" von Robert T. Carroll, Professor für Philosophie am Sacramento City College (Kalifornien). Carroll schreibt seit 1994 ein echtes Online-Buch (www.skepdic.com), voller Querverweise und Links auf andere Quellen, darunter auch die, deren Aussagen er kritisiert. Von ursprünglich etwa fünfzig Artikeln ist sein Werk auf über 400 Abhandlungen angewachsen – eine unerschöpfliche Fundgrube an Material, das über verschiedene Suchwege erschließbar ist. Stichproben zeigen, dass Carroll sich in die Gedankenwelt der zahlreichen Esoterik-Vertreter intensiv und mit großem Einfühlungsvermögen eingelesen hat. Die Beschriebenen dürften sich zumindest richtig dargestellt fühlen, wenngleich er aus seiner glasklar skeptischen Grundhaltung kein Hehl macht.

Beispielhaft ist Carrolls Auseinandersetzung mit dem kontroversen Thema "multiple Persönlichkeiten". Mit großer Sorgfalt legt er auseinander, dass viele Persönlichkeiten in ein und demselben Körper durchaus real sein mögen, aber eben trotzdem soziale Konstrukte sind. Sigmund Freud gesteht er immerhin eine Großtat zu: die Erweckung des Wunsches, konventionswidriges Verhalten zu verstehen anstatt es nur zu verdammen oder zu verlachen. Dagegen lässt er an der von Freud begründeten Psychoanalyse kein gutes Haar.

Ein Mensch, der den Besuchern seiner Website www.skeptischeecke.de nur seinen Vornamen Tobias verrät, hat einige von Carrolls Artikeln ins Deutsche übersetzt und mit eigenen und fremden Kommentaren sowie weiteren Links angereichert. Ein Hinweis auf diese Website steht bei Yahoo unter "Grenzwissenschaften" – als einziger Verweis auf Skeptisches. Immerhin.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2001, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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