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Wissenschaft im Internet: Wann ist ein Mensch ein Mensch?

Was malten unsere Höhlen bewohnenden Vorfahren an die Wände? Wie wurde der Affe zum Mensch? Und wie entstehen wir selbst aus unseren Genen?


Wer seine Identität als Homo sapiens sapiens erforschen will, der ist auf anthro.palomar.edu/tutorials genau richtig. Die Anthropologen des kalifornischen Palomar College schöpfen in ihren Online-Vorlesungen aus dem Vollen und geben über alles, was den Menschen ausmacht, gründlich Auskunft: über seine Abstammung und sein Verhalten ebenso wie über seine Kulturgeschichte.

Dabei holen sie erfreulich weit aus: Die Geschichte der Evolutionstheorien etwa beginnt nicht mit Jean-Baptiste Lamarck oder Charles Darwin, sondern im 17. Jahrhundert mit dem irischen Erzbischof James Ussher, der noch dem jüdisch-christlichen Kreationismus anhing und nach intensivem Bibelstudium den Schöpfungstag auf den 23. Oktober 4004 ­v. Chr. festlegte (anthro.palomar.edu/evolve/evolve_1.htm). Über die Prinzipien der Genetik, menschliche Blutgruppen und die Klassifizierung von Lebewesen geht es weiter zur Evolution der frühen Homi­niden und schließlich der modernen Menschen.

Zahlreiche Linklisten verweisen zudem auf alles, was das Forscherherz an Online-Material begehrt. Besonders viele Megabyte sind unseren Vorfahren gewidmet. Da gibt es eine Bilderschau eiszeitlicher Kunst (www.humanities-interactive.org/ancient/iceage), einen langen Dokumentarfilm über die Evolution des Menschen (www.becominghuman.org) oder eine umfangreiche Präsentation hominider Fossilfunde (www.talkorigins.org/faqs/homs). Auf www.talkorigins.org kann sich zudem jeder an Wortgefechten mit Kreationisten beteiligen und deren Glauben an die Erschaffung aller Arten in einem einzigen Schöpfungsakt zu erschüttern versuchen.

Noch eine Adresse weiter reizt das Internet seine multimedialen Stärken aus. Auf der Seite des US-Medienunternehmens PBS führt der moderne Mensch bunt, bewegt und unterhaltend vor, was er über seine behaarten Vorgänger weiß (www.pbs.org/wgbh/evolution). Und belegt unter anderem, dass sich Exhibitionismus evolutionär auszahlt (www.pbs.org/wgbh/evolution/sex/guppy/), zumindest bei Guppy-Fischen.

In die Zukunft extrapoliert, erscheint die Darwin’sche Evolution allerdings eher bedrohlich: Nachdem es in der Geschichte der Erde bereits fünfmal zu einem Massensterben gekommen ist, glauben derz­eit angeblich sieben von zehn Biologen, dass wir uns inmitten der sechsten solchen ­Katastrophe befinden (www.pbs.org/wgbh/evolution/extinction/massext/). 99,9 Prozent aller Arten, die je auf der Erde existiert haben, seien ohnehin schon ausgestorben. In unserer Zeit stehen womöglich weitere 90 Prozent aller noch lebenden Spezies am evolutionären Abgrund.

Doch zurück zum Palomar College, dessen Angebot bei der Biologie nicht endet. Kulturanthropologen referieren hier über Sprache und Kultur, Ethnie und ­Rasse, Sex und Heirat (anthro.palomar.edu/tutorials/cultural.htm). Wie funktionieren Verwandtschaftssysteme anderswo? Im ghanaischen Königreich der Ashanti reicht der König seinen Titel an den Sohn seiner Schwester weiter, denn die Regentenwürde ­gebührt nur der mütterlichen Linie der herrschenden Familie (anthro.palomar.edu/kinship/kinship_2.htm).

Dunkle Episoden der jüngeren Kulturgeschichte lassen sich über die Linklisten ebenfalls aufspüren. So wird über die nahezu tausendjährige chinesische Tradi­tion berichtet, jungen Mädchen die Füße zu den als ästhetisch angesehenen "Lotusfüßen" zusammenzubinden und so zu verkrüppeln (www.sfmuseum.org/chin/foot. html), oder über das Massaker an den Sioux-Indianern im Dezember 1890 bei Wounded Knee in South Dakota (msnbc.com/Onair/msnbc/TimeAndAgain/archive/wknee/default.asp). Die Indianer hatten damals ihre schon fast verlorene Hoffnung in den "Geistertanz" gesetzt: Dieser sollte sie mit ihren Verwandten in der Geisterwelt vereinen und ihnen wieder zu ihrem von weißen Siedlern besetzten Land verhelfen. Erschreckt vom religiösen Eifer der Indianer, ermordeten Soldaten schließlich zu Hunderten Männer, Frauen und Kinder.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2003, Seite 109
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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