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Öko Tox GmbH: Wissenschaft in Unternehmen: Empfindlicher Biosensor



Klares Wasser, reine Luft und saubere Erde sind in der modernen Welt alles andere als selbstverständlich: Aus Industrie, Müllverbrennungsanlagen und Krankenhäusern gelangen zahllose chemische Verbindungen ins Abwasser und in die Luft. Im Boden finden sich Rückstände aus der Landwirtschaft, von Deponien, aus Altlasten und dem Bergbau. Verschiedene biologische Tests mit Mikroorganismen, Tieren und Pflanzen helfen abzuschätzen, welche Substanzen in welcher Dosis die Gesundheit des Menschen gefährden. Die Stuttgarter ÖkoTox GmbH entwickelt solche Verfahren und bietet entsprechende Pflanzen wie Wasserlinse und Ackerschmalwand an. Als einziges europäisches Unternehmen hat sie für Genotoxizitätstests im Wasser, in der Luft und im Boden die Spinnwurz (Tradescantia) im Programm. Neuerdings versuchen Mobilfunkbetreiber damit sogar die Schädlichkeit elektromagnetischer Felder zu untersuchen.

Pflanzen als Alleskönner!

Schädigen giftige Substanzen oder Strahlung die Erbsubstanz der Pflanze, brechen in der ersten Teilungsphase der Pollenzellen der Spinnwurz kurze Stücke von der DNA ab. Diese sind unter dem Mikroskop als so genannte Kleinkerne zu sehen. Da der Vorgang der Zellteilung nicht artspezifisch ist, sondern in allen höheren Lebewesen stattfindet, lässt die Zahl dieser Kleinkerne Rückschlüsse auf die Wirkung im Menschen zu.

Ursprünglich wurde das Verfahren entwickelt, um die erbgutschädigende Wirkung radioaktiver Strahlung zu untersuchen; später nutzten es Forschungseinrichtungen für Genotoxizitätstests. Die Firmengründerinnen Heidrun Moser und Christina Pickl hoffen, dass es dank seiner Vorteile für potenzielle Auftraggeber immer interessanter wird: "Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) erwägt, den Tradescantia-Test zu standardisieren und für das Verfahren eine Richt­linie zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Luftverunreinigungen zu erstellen."

Der Kleinkern-Test mit Tradescantia steht in Konkurrenz zu etablierten Verfahren, die Mikroorganismen oder Zellkulturen einsetzen. Für die Arbeit mit Bakterien ist aber zumeist ein Sicherheitslabor nach dem Gentechnikgesetz erforderlich, denn die Testorganismen sind oftmals gentechnisch verändert und dürfen nicht ins Freie gelangen. Da sich Bakterien zudem in vielen Punkten stark vom Menschen unterscheiden, lassen sich Ergebnisse nur bedingt übertragen.

Gleiches gilt auch für Zellkulturen, selbst wenn mit menschlichen Zellen gearbeitet wird, da diese aus ihrer natürlichen Umgebung herausgerissen sind. Effekte, die erst durch Umwandlung im Körper entstehen, können sie nur unzureichend erfassen. Anders die Spinnwurz: Sie reagiert auch auf solche Substanzen, die ihre genotoxische Wirkung erst durch den Umbau im Stoffwechsel entfalten. Außerdem steht sie als höher entwickelter Organismus dem Menschen näher als Bakterien, das erhöht die Relevanz der Ergebnisse.

Für den leicht durchzuführenden Test werden am Tag vor der Untersuchung unter Standardbedingungen angezüchtete Pflanzen ausgewählt. Davon werden etwa 15 Zentimeter lange Blütenstände mit einem bestimmten Knospenstadium abgeschnitten und dann für sechs bis maximal dreißig Stunden der Testsubstanz oder dem elektromagnetischen Feld ausgesetzt.

Vom Industrieschlot zum Handymast

Besteht der Verdacht auf eine Kontamination des Bodens, pflanzt man die Spinnwurz direkt ein. Geht es um eine wasserlösliche Verbindung, werden die Schnittlinge in ein Becherglas mit der Lösung gestellt; die für andere Test­verfahren meist erforderliche Klärung der Flüssigkeit und Änderung des pH-Werts entfällt. Soll ein Aerosol überprüft werden, stellt man die Schnittlinge lediglich ins fragliche Gelände, beispielsweise nahe einem Schornstein oder in einen Arbeitsraum. Zur Quantifizierung der Wirkung dient Spinnwurz, die unter Gewächshausbedingungen gedeiht, als Maß für die spontane Kleinkernbildung. Zudem werden Pflanzen einer Referenz­substanz ausgesetzt, von der bekannt ist, dass sie eine erhöhte Kleinkernrate hervorruft.

Ob Handystrahlung Erbgut schädigen kann, soll die Spinnwurz ebenfalls beantworten. Derzeit entwickeln die beiden Firmengründerinnen in einem gemeinsamen Forschungsvorhaben zusammen mit der Forschungsabteilung des Schweizerischen Telekommunikationsanbieters Swisscom und einem Berner Umweltberatungsunternehmen das Testverfahren dahingehend weiter. Eine Apparatur simuliert den Antennenbereich und erzeugt die gängigen GSM-Frequenzen in verschiedenen Intensitäten, Modulationen und Polarisierungen.

Jeweils zwölf Schnittlinge der Spinnwurz werden mehrere Stunden lang einer Variante des elektromagnetischen Felds ausgesetzt, danach dürfen sie sich einen Tag lang unbelastet weiterentwickeln. In dieser Zeit teilen sich die Pollenzellen und die Kleinkerne müssten, sofern eine toxische Wirkung vorliegt, unter dem Mikroskop sichtbar werden. Als Kontrollgruppe dienen Pflanzen in einem vor der Strahlung abschirmenden Faraday-Käfig. Die Ergebnisse der Untersuchungen sollen in Kürze publiziert werden, das Projekt wird mit UMTS-Frequenzen fortgeführt.


Wie sauber ist die Umwelt?


Gefährliche chemische Verbindungen, die Wasser, Boden oder Luft belasten, lassen sich durch chemische Analysen selbst in ausgesprochen geringen Konzentrationen nachweisen – sofern sie bereits bekannt sind. Doch solche Verfahren finden keine unbekannten Substanzen und geben auch keinerlei Auskunft über deren toxische Wirkung.

Anders verhält es sich bei biologischen Testverfahren. Hier werden Organismen den verunreinigten Medien und damit dem Chemikaliencocktail ausgesetzt. Werden diese Lebewesen geschädigt, ist das ein Hinweis zumindest auf die Gegenwart toxischer Substanzen. Auf diese Weise lässt sich die direkte Wirkung einer Verbindung testen; es werden aber auch synergistische und antagonistische Effekte sichtbar, die durch das Zusammenspiel mehrerer Verbindungen entstehen.

Aus der beobachteten akuten, chronischen oder genotoxischen Wirkung lässt sich auf das Gefährdungspotenzial der Testsubstanz schließen. Einzelne Biotests erkennen jedoch immer nur ein bestimmtes Spektrum möglicher Wirkungen: So werden beispielsweise bestimmte Stoffwechselwege gestört, die Beweglichkeit der Testorganismen eingeschränkt, deren Erbgut zerstört oder der Organismus getötet. Je nach Fragestellung setzt man Zellkulturen, Mikroorganismen, Algen, Pflanzen, Krebstiere oder Fische ein. Bei der Auswahl werden in der Regel Tests bevorzugt, die standardisiert sind und mit denen bereits umfangreiche Erfahrungen vorliegen; nach Möglichkeit sollten sie normiert sein.

Wegen ihrer hohen Anpassungsfähigkeit eignen sich Pflanzen für die Untersuchung weitgehend unveränderter Proben: Sie sind unempfindlich gegen eine Färbung oder Trübung wässriger Lösungen und ertragen einen weiten pH-Bereich von 3,0 bis 9,0. Sie zeigen sowohl akute Effekte wie auch eine Langzeitwirkung an und können nicht nur im Labor, sondern auch für Freiland- und Arbeitsplatzuntersuchungen eingesetzt werden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2003, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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