Coding Technologies: Wissenschaft in Unternehmen: Zerhacken, Verpacken, Rekonstruieren
Musik per Handy? Die Betreiber mobiler Netze hoffen auf diesen Markt. Doch um gute Hörqualität zu liefern, müssten sie hohe Datenraten anbieten. Das aber treibt den Preis hoch, da der Nutzer künftig nicht die Dauer der Verbindung, sondern die übertragene Datenmenge bezahlt. Werden die Dateien jedoch komprimiert, sind einige Klimmzüge erforderlich, um echten Hörgenuss zu liefern. Dieses Problem wurde beim Herunterladen von Musikdateien aus dem Internet durch das Format MP3 schon gut gelöst, doch auch hier gibt es Raum für Verbesserungen.
Die in Nürnberg und Stockholm ansässigen Spezialisten des schwedisch-deutschen Unternehmens Coding Technologies haben deshalb die so genannte SBR(Spectral Band Replication)-Technik entwickelt, die mit beliebigen Komprimierungsverfahren verknüpft werden kann. In Kombination mit der auf digitalen Rundfunk zugeschnittenen Variante des MPEG-Standards (Motion Pictures Expert Group), MPEG AAC (Advanced Audio Coding), bietet SBR eine vom Original kaum unterscheidbare Qualität bei Datenraten von nur 24 Kilobit pro Sekunde je Stereokanal. "Ein CD-Spieler schickt 1,4 Megabit pro Sekunde in den Verstärker, selbst eine MP3-Datei braucht 128 Kilobit pro Sekunde – die doppelte ISDN-Geschwindigkeit", erklärt Martin Dietz, Chef des deutschen Unternehmens und einer der Väter von MP3.
Alle Techniken zur Kompression von Audiodateien beruhen auf der Psycho-akustik, der Wahrnehmung von Tönen im menschlichen Ohr. Vereinfacht gesagt: Wenn zartes Vogelgezwitscher von einem vorbeifahrenden Zug übertönt wird, dann wird der Vogelgesang in einer komprimierten Datei einfach weggelassen. Alle diese Verfahren teilen Audiosignale in Frequenzabschnitte ein. Eine Software identifiziert in jedem dieser Blöcke die schwächeren Signale unterhalb der so genannten Maskierungsschwelle und rechnet sie heraus. Damit wird Informationsdichte ohne hörbare Störungen eingespart. Die Signale werden digitalisiert und übertragen. Ein Decoder entziffert später das komprimierte Signal.
Was weg ist, ist ...?
Das funktioniert gut bei ausreichend hoher Übertragungsgeschwindigkeit. Sinkt diese unter eine für das Komprimierungsverfahren akzeptable Rate, entsteht Rauschen, das die Maskierungsschwelle überschreitet: Die Musik enthält deutliche Störgeräusche. Um auch bei geringen Datenraten noch ohne Störungen übertragen zu können, wird dann der hohe Frequenzbereich abgeschnitten. Das spart zwar viele Bits, die Musik klingt dann aber dumpf.
Nun kommt SBR ins Spiel. Die Technik setzt auf die gängigen Komprimierungsverfahren auf. So wird aus SBR und MP3 das neue Verfahren mp3PRO, das nur noch halb so viel Speicherplatz bzw. Download-Zeit wie eine MP3-Musikdatei benötigt. SBR übernimmt die Aufgabe, aus dem unteren Frequenzbereich die Töne der höheren Frequenzen wiederherzustellen. Das funktioniert, da es Korrelationen zwischen den tiefen und den hohen Tönen gibt. Beispiel Violine: Bei diesem Instrument sind die Grund- und Obertöne über Frequenzverhältnisse verknüpft; fehlende Obertöne können also rekonstruiert werden. Klingen mehrere Instrumente zusammen, ist das Verhältnis deutlich komplexer. Bei mp3PRO codiert MP3 nur die tiefen Töne bis zu einer Frequenz von rund sieben Kilohertz und benötigt daher bedeutend weniger Daten. Für die hohen Töne reichen einige Kilobit an zusätzlichen SBR-Informationen aus. Im Decoder berechnet ein Algorithmus daraus die abgeschnittenen Frequenzen bis etwa 15 Kilohertz, die dann noch exakt an das Teilspektrum der tiefen Frequenzen angepasst werden.
SBR-Technik ermöglicht auch digitalen Rundfunk auf Lang-, Kurz- und Mittelwelle, das so genannte Digital Radio Mondiale (DRM). Diese heute wenig genutzten Frequenzbereiche bieten gegenüber den gebräuchlichen Ultrakurzwellen Vorteile. Die verlieren nämlich schon nach wenigen hundert Kilometern zu stark an Intensität oder werden gestreut, während ein einziger DRM-Sender landesweit oder sogar überregional ausstrahlen kann. Andererseits lässt sich mit kostengünstigen Sendern geringer Leistung ein Lokalrundfunk realisieren. Dass sich der UKW-Bereich durchgesetzt hat, ist natürlich begründet: Lang-, Kurz- und Mittelwelle bieten nur schmale Frequenzbänder, Verzerrungen über größere Distanzen sind die Regel. Aus diesem Grund müssen die Signale stark komprimiert werden; hier kommt SBR ins Spiel. Außerdem sollte das Übertragungsverfahren Aussetzer kompensieren können.
Ein DRM-Konsortium will diese wenig genutzten Frequenzen attraktiv machen. Testsendungen strahlen die Telekom-Tochter T-Systems und das Deutsch-landRadio bereits aus. Die ersten DRM-Geräte werden auch den heute üblichen analogen Rundfunk empfangen können. Die digitale Signalverarbeitung erlaubt es Herstellern, ohne größere Mehrkosten auch andere Standards von Satellitensendern oder DAB in die Empfänger zu integrieren. Coding Technologies hat im September auf der Internationalen Rundfunk-Messe in Amsterdam mit Partnern ein solches Radio vorgestellt.
Das Unternehmen im Profil
Vater von Coding Technologies ist der Schwede Lars Liljeryd. Er ersann das Konzept von SBR (Spectral Band Replication) während einer Kooperation mit der Ölindustrie. Um die Lunge von Tiefseetauchern vor dem Wasserdruck zu schonen, wird ihrer Atemluft Helium beigemischt, was den Tauchern aber eine Fistelstimme verleiht. Liljeryd entwickelte einen Sprechfunk, der die Stimmen digital auf ihre normale Höhe zurechtrückte. Er gründete das Unternehmen Anfang 1997 in Stockholm, im Jahr 2000 die deutsche Coding Technologies GmbH. Im Zuge der Standardisierung für DRM (Digital Radio Mondiale) arbeitete das Unternehmen mit den Audio-Codier-Experten des Fraunhofer-Instituts für integrierte Schaltungen sowie namhaften Unternehmen der Radiobranche zusammen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2002, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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