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Wissenschaftleraustausch im Zeichen der Globalisierung

n der anhaltenden Diskussion um den Standort Deutschland wird meist nicht berücksichtigt, daß die internationalen Kontakte der Wissenschaft bereits seit langem die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik


Zehn Jahre Ruhepause für das Wort "Standort" wollte Wolfgang Frühwald, damals Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, verordnen, damit es sich wieder erholen kann. Doch es wird munter weiterstrapaziert.

Daß Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort korrelieren, leuchtet unmittelbar ein. Von unseren Partnern im Ausland wird die Diskussion um die internationale Attraktivität des Hochschul- und Wissenschaftsstandortes Deutschland, die seit gut drei Jahren die Medien beschäftigt, teils mit Be-, teils mit Verwunderung aufgenommen. Warum eigentlich? In anderen Ländern wie den USA, Australien, Großbritannien und Japan wurde der politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Stellenwert internationaler Kontakte der Eliten viel eher als zukunftsweisend erkannt und entsprechend gefördert.

Globalisierung, das bedeutet nicht nur schnellere Überwindung der Distanzen durch neue Kommunikationsmöglichkeiten, nicht nur eine bisher nicht gekannte Dynamik der weltwirtschaftlichen Verflechtung, sondern vor allem mehr Wettbewerb. Diesem müssen sich auch die deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen stellen.

Allen Unkenrufen zum Trotz erfreut sich Deutschland im Bereich der internationalen Wissenschaftskooperation immer noch großer Beliebtheit: Der Bewerberandrang bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) ist nach wie vor ungebrochen; 1998 stieg die Zahl der Bewerbungen im Humboldt-Forschungsstipendienprogramm sogar um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Von einem Rückgang des Interesses an Forschungsaufenthalten in Deutschland kann also nicht die Rede sein.

Für die diversifizierte Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandortes Deutschland spricht zum Beispiel die Hochschulstatistik der AvH. Konzentrierte sich 1975 die Hälfte aller Humboldt-Forschungsstipendiaten auf nur 13 Universitäten, so verteilte sie sich 1997 auf 21. Bis 1997 war die Gesamtzahl der Universitäten und Hochschulen als Gastgeber für unsere Forschungsstipendiaten auf 72 angewachsen. Der Umstand, daß in jenem Jahr 14 Universitäten in den neuen Bundesländern 77 Forschungsstipendiaten aufnahmen, kann als Indiz dafür gelten, daß auch das Gebiet der früheren DDR verstärkt in diese Entwicklung mit einbezogen ist. Inzwischen wählen rund 80 Prozent der von der AvH geförderten ausländischen Post-Doktoranden deutsche Universitäten, 10 Prozent Max-Planck-Institute und der Rest sonstige außeruniversitäre Forschungseinrichtungen als Standort für die Durchführung ihrer Forschungsvorhaben.

Die langfristigen AvH-Statistiken geben auch Auskunft darüber, welche Fächer an welchen Universitäten besonders gefragt sind, beispielsweise Chemie in München (Technische Universität) und Heidelberg, Biowissenschaften in Freiburg und München, Medizin in Heidelberg, München, Bonn und Freiburg, Physik in Bonn, Frankfurt und München, Mathematik in Bonn und so weiter. Das Interesse ausländischer Bewerber an Forschungsaufenthalten in Deutschland hat sich innerhalb des Humboldt-Programms nach Disziplinen immer wieder verschoben. Waren bis Ende der sechziger Jahre die Geisteswissenschaften und die Medizin besonders gefragt, so verlagerte sich das Schwergewicht in den siebziger Jahren in die Naturwissenschaften, vor allem in die Chemie und die Physik, später auch in die Biowissenschaften.

Von der Zusammenarbeit mit ausländischen Gastwissenschaftlern profitieren auch die deutschen Partner. Denn in jedem Falle werden gesicherte Erkenntnisse und interessante neue Fragestellungen importiert. Hinzu kommen die Neugier und der Elan, die diese Forscher auf Wanderschaft auszeichnen. Deshalb kann schon die bloße Anwesenheit eines Gastwissenschaftlers die Atmosphäre eines Instituts positiv beeinflussen und die Arbeit beflügeln. Es ist immer wieder zu hören, daß allein dadurch die Forschung neue Impulse, eine neue Qualität bekommen kann.

Der ideelle Gewinn ist also gar nicht hoch genug zu veranschlagen. Ohne diesen internationalen Dialog würde die deutsche Wissenschaft provinziell werden. Die Förderung der internationalen Dialogfähigkeit deutscher Wissenschaftler ist demnach unerläßlich. Auch die Bereitschaft dazu ist da: Mehr als 1800 deutsche Nachwuchsforscher nutzten seit 1979 das Feodor-Lynen-Programm der AvH, um an die Heimatinstitute ehemaliger Humboldtianer im Ausland zu gehen.


Wissenschaftleraustauschim Dienste der Völkerverständigung



Der Studenten- und Wissenschaftleraustausch darf freilich nicht nur unter rein ökonomischen Aspekten gesehen werden, wie dies die Debatte der vergangenen Jahre suggerierte. Es liegt auch aus historischen, kulturellen und wissenschaftlichen Gründen im Interesse der Bundesrepublik, den internationalen Austausch besonders zu pflegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die länderübergreifenden Beziehungen der Wissenschaft entscheidend mit dazu beigetragen, daß Deutschland wieder in die internationale Gemeinschaft aufgenommen und integriert wurde. Und Gastwissenschaftler hatten einen großen Anteil am hiesigen Wiederaufbau von Wissenschaft und Forschung. Sie haben mit langfristigen Aufenthalten und im Anschluß daran mit jahrelanger weiterer Zusammenarbeit von ihrem Heimatland aus neue Grundlagen für internationales Geben und Nehmen gelegt.

Eine historische Herausforderung für die deutschen Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und dem Zusammenbruch des Sozialismus ergeben: die Neustrukturierung des Hochschul- und Wissenschaftsbetriebes in den Ländern in Mittel- und Osteuropa. Denn Bildung und Wissenschaft haben bei der Schaffung demokratischer Strukturen in diesen Ländern eine überragende Bedeutung. Die Stipendien- und Personenaustauschprogramme des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der AvH erreichen hier vor allem Multiplikatoren und künftige Entscheidungsträger.

Schon zu Zeiten des Kalten Krieges hatte die Humboldt-Stiftung, die nur nach Qualitätskriterien auswählt und keine Länder- oder Fächerquoten kennt, Wissenschaftler aus Mittel- und Osteuropa unterstützt. Von 1954 bis 1990 kamen über die Programme der AvH bereits rund 3200 Wissenschaftler aus diesen Ländern zu einem langfristigen Forschungsaufenthalt nach Deutschland. Nach den politischen Umwälzungen des Jahres 1989 wurden viele der Humboldtianer in verantwortliche Positionen in Gesellschaft und Politik berufen und waren beziehungsweise sind am Transformationsprozeß maßgeblich beteiligt. Als ein Beispiel mag hier der Vorsitzende des ungarischen Verfassungsgerichts, Professor Solyom, gelten.


Mit den Augen der anderen


Mit dem Roman-Herzog-Stipendienprogramm, das 1998 angelaufen ist, will die Humboldt-Stiftung den Aufbau neuer wissenschaftlicher Strukturen in den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas unterstützen. Der Deutsche Hochschulverband hat dafür 47 Stipendien aus der deutschen Wirtschaft eingeworben, die jungen, hochqualifizierten Nachwuchswissenschaftlern kurz vor oder nach Abschluß der Promotion die Möglichkeit zu einem insgesamt zehnmonatigen Forschungsaufenthalt in Deutschland bieten.

Die Frage nach der Attraktivität des Wissenschaftsstandortes Deutschland wird auch künftig wesentlich mitbestimmt vom Deutschlandbild im Ausland. Über die AvH zum Beispiel wurde seit 1953 mehr als 19000 Wissenschaftlern aus über 125 Ländern mit einem Stipendium oder Preis ein langfristiger Forschungsaufenthalt in der Bundesrepublik ermöglicht. Dadurch konnten sie ein differenziertes Deutschlandbild erwerben, das in den meisten Fällen am Ende des Aufenthaltes eindeutig positiver war als zu Beginn. Hinzu kommt, daß auch die begleitenden Ehepartner und Kinder eine eigene Vorstellung von unserem Land gewinnen konnten.

"Fremdheit" und "Andersheit" besser verstehen zu lernen – hierin lag und liegt die große Chance, die der wissenschaftliche Austausch bietet. Nicht nur der Gastwissenschaftler lernt die deutsche Kultur und Mentalität kennen; sondern in der gemeinsamen Arbeit bietet sich auch den deutschen Kollegen die Gelegenheit, andere Kulturen, andere Denk- und Sichtweisen kennen- und verstehen zu lernen. Das ermöglicht es auch, sich aus der Tradition fortdauernder Belehrung zu lösen und mehr als bisher anderen zuzuhören und von anderen zu lernen. Deutschland insgesamt muß den Schritt von einer Lehrgemeinschaft zur Lerngemeinschaft vollziehen.

Tatsächlich bedürfen wir einer nach innen gerichteten Kulturpolitik mit dem Ziel, die Dialogfähigkeit gegenüber fremden Kulturen und Mentalitäten zu fördern. Die Humboldt-Gastwissenschaftler eröffnen uns diese Möglichkeit. Umgekehrt nehmen sie in der Regel auch intensiv am kulturellen Leben in Deutschland teil und lernen – mit ihren Angehörigen – während des Aufenthaltes auch die deutsche Sprache.

Auf diese Weise wurde und wird über mehrere Generationen hinweg ein realistisches Deutschlandbild ermöglicht. Die Bindungen an Deutschland halten oft ein Leben lang. Ein früherer Gastwissenschaftler ist in der Regel auch nach der Rückkehr in sein Heimatland an den aktuellen Entwicklungen in Gesellschaft, Kultur und Politik in Deutschland interessiert. Etwa 90 Prozent der Humboldtianer bleiben in der Wissenschaft und wirken damit in ihrer Eigenschaft als Hochschullehrer auch als Meinungsbildner. Andere nehmen führende Positionen in Wirtschaft und Politik in ihren Heimatländern ein und wirken so als Multiplikatoren, die für unsere gesamten Außenbeziehungen wichtige Partner bilden. Ohne diese vielfältigen Verbindungen in einem Netz, das immer enger geknüpft wird, wäre die deutsche Wissenschaft provinzieller; und das Ansehen der Bundesrepublik insgesamt wäre geringer ohne den Einfluß dieser "diplomatischen Vorhut".

Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen ist deshalb davor zu warnen, ausgerechnet im Bereich der internationalen Wissenschaftskooperation zu sparen. Es ist für die deutschen Zukunftsinteressen von vitaler Bedeutung, daß Nachwuchswissenschaftler neue Erfahrungen im Ausland gewinnen und unsere Wissenschafts- und Forschungsinstitute durch Studien- und Arbeitsaufenthalte ausländischer Gastwissenschaftler bereichert werden. Schon seit der Antike konnten auf diese Weise Grenzen und Sprachbarrieren überwunden und so das gegenseitige Verständnis der Völker gefördert werden. Diese friedensstiftende Wirkung erhält im Zeitalter der Globalisierung einen neuen Stellenwert.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 73
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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