Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Psychiater im Fronteinsatz: "Der Wille zu überleben ­sollte gebrochen werden"

Der Medizinhistoriker Wolfgang Uwe Eckart über Kriegszitterer in den Schützengräben, Starkstromtherapien für traumatisierte Soldaten und den Sündenfall der deutschen Psychiater im Ersten Weltkrieg.
Wolfgang Uwe Eckart

Herr Professor Eckart, im Ersten Weltkrieg ­haben Psychiater Zehntausende von trauma­tisierten Soldaten mit Starkstrom behandelt. Müssen wir uns die Psychiater von damals als Sadisten vorstellen?

Nein, es waren hochengagierte Ärzte, an die ­gewaltige Erwartungen gestellt wurden. Und sie selbst wollten endlich so erfolgreich sein wie ihre Kollegen in anderen Disziplinen, in der Bakte­riologie, Chirurgie, der Augenheilkunde und der Neurophysiologie. Die Psychiater wussten, wie ungenau ihre Diagnosen und Therapien waren. Als der Krieg begann, registrierten sie zu alledem und zu ihrer Überraschung neue, unbekannte Krankheitsbilder. Man kannte bisher eher milde Formen von Hysterie und Nervosität. Doch jetzt sahen sie scharenweise Patienten, die völlig ­hys­terisch und skurril waren, die nicht mehr sprechen und laufen konnten. Die einnässten, zitterten und sich extrem fürchteten.

Der Erste Weltkrieg zeichnete sich vor allem an der Westfront durch Grabenkämpfe aus, an ­denen Millionen von Soldaten beteiligt waren. Inwiefern verursachte diese besondere Form des Kriegs die neuen psychischen Störungen?

Jeder Krieg bringt eigene Krankheitsbilder hervor. Im Ersten Weltkrieg kam es vor allem zu Kriegshysterie und Kriegszittern. Hier ist die ­Ursache oft ein einmaliges, heftiges Ereignis, eine Explosion beispielsweise. Die Frontsoldaten hockten in ihren Gräben. Dort war alles außer Kraft gesetzt, was der Mensch im Lauf der Evolution an Fluchthandlungen und Schutzreflexen erlernt hat: Die Soldaten können nicht verhandeln, flüchten oder angreifen. Nur abwarten. Und plötzlich schlägt zwei Meter entfernt eine Gra­nate ein. Der Soldat hört einen irre lauten Knall, realisiert möglicherweise, dass Erdbrocken emporfliegen. Er wird verschüttet, kann nicht mehr atmen, sich nicht freigraben. Irgendwann wird er von Kameraden ausgegraben. Er überlebt, trägt aber ein schweres Trauma davon ...

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Verbrechen: Die Psychologie des Bösen

Warum faszinieren wahre Verbrechen? True Crime ist ein Spiegel unserer psychologischen Neugier: Was macht Menschen zu Tätern – und wie gelingt es Ermittlern, die Wahrheit ans Licht zu bringen? In dieser Ausgabe geht es um die Kräfte, die Menschen in den Abgrund treiben oder zurückholen. Wir zeigen, warum Rache selten Frieden bringt, wie gefährliche Häftlinge in Sicherungsverwahrung leben, was das Stockholm-Syndrom über Überlebensstrategien verrät und mehr.

Spektrum - Die Woche – Mensch und Tier als Medizinfabriken

100.000 Tote jährlich – Schlangenbisse fordern weltweit viele Opfer. Ein Forscherteam aus New York entwickelt nun ein Breitband-Gegengift – auch mit Hilfe eines Menschen, der sich freiwillig beißen lässt. Mehr dazu in unserem aktuellen Titelbeitrag.

Spektrum - Die Woche – Der Wahnsinn der anderen

Die Psychiatrie schreibt in der Kolonialzeit ein dunkles Kapitel: Durch gefährliche Behandlungsmethoden und Therapien wurde die einheimische Bevölkerung kontrolliert und ihrer Selbst entfremdet. Was dort geschehen ist und mehr – etwa, ob Veganern Aminosäuren fehlen – erzählt »Spektrum - Die Woche«.

  • Literaturtipp

Eckart, W. U.: Medizin und Krieg. Deutschland 1914 -1924. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014
Umfassendes Werk zur Geschichte der Medizin im Ersten Weltkrieg

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.