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Zeitumkehr-Akustik

Ein System von Schallwandlern vermag akustische Signale zu ihrer Quelle zurückzusenden, als liefe die Zeit umgekehrt ab. Mit diesem Verfahren lassen sich Nierensteine zertrümmern, Materialdefekte aufspüren und Unterwasser-Signale bündeln.


Spricht ein Besucher des Wellen- und Akustiklabors der Universität Paris in eine spezielle Anordnung von Lautsprechern und Mikrophonen, so kommt jeder Laut in umgekehrter Reihenfolge zurück. Ein "Hello" wird – fast augenblicklich – als "Olleh" wiedergegeben. Oberflächlich betrachtet mutet das kaum ungewöhnlicher an als ein rückwärts abgespieltes Tonband, aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Das Schallsignal wird exakt zu seiner Quelle zurück projiziert. Statt sich von den Lautsprechern aus im ganzen Raum auszubreiten, konvergiert es im Mund des Sprechers – fast so, als wäre die Zeitrichtung umgekehrt worden. Der Prozeß heißt darum auch Zeitumkehr-Akustik und das System von Schallwandlern Zeitumkehrspiegel (Spektrum der Wissenschaft, 5/1998, S. 31).

Solche Geräte sind nicht nur ein neues kurioses Spielzeug. Sie lassen sich vielfältig anwenden: Schallwandler können Tumore und Nierensteine zerstören und Materialdefekte in Metallen aufspüren; sie können im Meer Signale über große Entfernungen übertragen oder Minen aufspüren. Sie eignen sich aber auch für elegante Experimente in der physikalischen Grundlagenforschung.

Die verblüffenden Effekte der Zeitumkehr-Akustik beruhen auf der Tatsache, daß Schall ein Wellenphänomen ist. Beim Sprechen entstehen Luftschwingungen, die sich ausbreiten wie die Wellen auf der Oberfläche eines Teiches, in den man einen Stein geworfen hat. Eine fundamentale Eigenschaft von Wellen ist ihre Fähigkeit zur Superposition oder Überlagerung: Passieren zwei Wellen denselben Ort, so verstärken sie einander, wenn ihre Wellenberge und -täler übereinstimmen; hingegen löschen sie einander aus, sofern die Berge der einen Welle mit den Tälern der anderen zusammenfallen. Dieser Vorgang findet überall statt, wo Schall sich ausbreitet. Wände und andere Hindernisse werfen Echos zurück, die mit anderen Abschnitten derselben Welle interferieren. Die Architekten von Konzerthallen müssen diesen Umstand einkalkulieren, damit der Orchesterklang möglichst unverfälscht das Auditorium erreicht.

Zeitumkehr-Akustik ist nur möglich, weil die zugrunde liegenden physikalischen Prozesse invariant unter Zeitumkehr sind: Sie ändern sich nicht, wenn die Zeit rückwärts läuft. Spielt man eine Filmaufnahme von Wellen rückwärts ab, so gehorchen sie weiterhin denselben Gleichungen. Das gilt theoretisch auch für die gewöhnliche Teilchenmechanik, die zum Beispiel das Verhalten von Billardkugeln beschreibt. Doch in der Praxis läßt sich die Teilchenmechanik – außer in besonders einfachen Fällen – nicht zeitlich umkehren. Der Grund ist das Phänomen des sogenannten Chaos: Eine winzige Veränderung in der Anfangsposition eines Teilchens kann zu einer enormen Veränderung seiner Endposition führen.

Betrachten wir zum Beispiel einen Flipper-Automaten, bei dem ein Ball durch eine feststehende Anordnung von zufällig verteilten Hindernissen geschossen wird. Sogar in einer Computersimulation läßt sich der Ball nicht so zurückspielen, daß er die ursprüngliche Bahn durchläuft: Schon nach wenigen Kollisionen verfehlt der Ball ein Hindernis, das er hätte treffen sollen – oder umgekehrt –, und sein weiterer Weg verläuft völlig anders. In einer Simulation reichen die winzigen Rundungsfehler, die der Computer beim Berechnen und Abspeichern von Zahlen unweigerlich begeht, bereits aus, daß die Zeitumkehr mißlingt. Im realen Experiment ist es unmöglich, den Ball exakt auf der umgekehrten Bahn starten zu lassen, und wiederum kommt ein völlig anderes Endergebnis heraus.

Im Gegensatz dazu ist die Wellenausbreitung linear – das heißt, eine kleine Änderung der Anfangswelle bedingt nur eine kleine Änderung der Endwelle. Reproduziert man die Endwelle und läßt sie mit den unvermeidlichen kleinen Ungenauigkeiten rückwärts wandern, so entsteht eine Anfangswelle, die sich ebenfalls rückwärts fortpflanzt und nur recht geringfügige Abweichungen zeigt.

Ein Zauberspiegel für Geräusche


Auf diese Weise vermag der akustische Zeitumkehrspiegel im Pariser Labor ein "Olleh" in den Mund des Besuchers zurückzusenden. Die Endwelle, die bei den Mikrophonen ankommt, ist das "Hello" aus dem Mund des Besuchers. Jedes Mikrophon empfängt die an seinem Ort ankommende Schallwelle und überträgt sie als fortlaufendes Signal zu einem Computer, der diese Daten speichert. Wenn das "Hello" ganz verklungen ist, kehrt der Computer das Signal jedes Mikrophons um und spielt es durch den zugehörigen Lautsprecher zurück – und zwar exakt synchron mit den anderen zeitverkehrten Signalen. Somit dringt aus dem Lautsprechersystem eine fast perfekte Kopie der Endwelle, die sich nun in umgekehrter Richtung durch den Raum fortpflanzt und den Weg des ursprünglichen "Hello" zurück in den Mund des Sprechers nimmt.

Jedes Mikrophon-Lautsprecher-Paar läßt sich zu einem einzigen Gerät kombinieren: Ein piezoelektrischer Schallwandler – auch Transducer genannt – übersetzt einerseits Schallschwingungen in elektrische Spannung und vibriert andererseits wie ein Lautsprecher, wenn an ihn ein Spannungssignal angelegt wird (siehe die Zeichnung unten).

Damit die Zeitumkehr-Akustik funktioniert, darf die Schallwelle unterwegs nicht allzuviel Energie in Form von Wärme verlieren – das heißt, die gemeinsame Wellenbewegung der Luftmoleküle soll nur zu einem möglichst geringen Teil in bloße Zufallsbewegungen übergehen. Diese Forderung entspricht der nach möglichst geringer Reibung bei einem Experiment der Teilchenmechanik. Aber die Bahnen der Kugeln auf einem Billardtisch lassen sich schon deshalb nicht umkehren, weil es unmöglich ist, die Verlangsamung infolge Reibung und Luftwiderstand zeitverkehrt durch eine entsprechende Beschleunigung zu ersetzen.

Hingegen garantieren die Wellengleichungen bei genügend kleinen Energieverlusten, daß es zu jedem von einer Schallquelle ausgehenden Signal theoretisch auch eine Gruppe von Wellen gibt, die exakt denselben Weg zurück zur Quelle findet. Dies gilt sogar für ein inhomogenes Ausbreitungsmedium mit Hindernissen und Dichteschwankungen, die den Schall reflektieren, beugen und streuen. Die Umkehrwellen folgen all diesen komplizierten Pfaden und konvergieren synchron in der ursprünglichen Quelle – tatsächlich ganz so, als liefe die Zeit rückwärts. Im Jahre 1988 erprobte meine Forschungsgruppe einen solchen akustischen Zeitumkehrspiegel mit Ultraschallwellen in schwach heterogenen Medien, die biologischen Geweben ähnelten.

Man könnte annehmen, die Anordnung der Schallwandler dürfe keine Lücken haben, damit auch die umgekehrte Welle lückenlos nachgebildet wird. Doch aufgrund der Wellenbeugung werden Lücken bis zu einer halben Wellenlänge während der Schallausbreitung aufgefüllt. Darum lassen sich die Schallwandler in Abständen bis zur Hälfte der kleinsten Wellenlänge aufstellen, ohne daß dadurch die Qualität des nachgebildeten Signals beeinträchtigt würde. Allerdings werden die rücklaufenden Wellen aus demselben Grund nur auf einen Fleck gebündelt, der größer ist als die halbe kleinste Wellenlänge: Jedes kleinere Detail der Quelle geht verloren.

Im Idealfall sollten die Schallwandler sämtliche Wände des Raums inklusive Decke und Fußboden bedecken, damit die komplette Endwelle erzeugt wird (siehe Zeichnung auf Seite 69). In der Praxis steht aber meist nur eine begrenzte Fläche für Schallwandler zur Verfügung, die auf diese Weise einen mehr oder weniger großen Zeitumkehrspiegel bilden. Natürlich geht dabei einiges an Information verloren, und je kleiner die Apertur des Spiegels, desto unschärfer wird die Fokussierung. Das entspricht exakt dem Parallelfall in der Optik: Ein großer Teleskopspiegel erreicht bessere Auflösung als ein kleiner.

Tatsächlich wird ein optisches Analogon zum Zeitumkehrspiegel schon seit über zwanzig Jahren erforscht: Phasenkonjugierende Spiegel reflektieren das Licht zur Quelle zurück – gleichgültig, wo die Lichtquelle sich relativ zum Spiegel befindet (siehe "Der photorefraktive Effekt" von David M. Pepper et al., Spektrum der Wissenschaft, 12/1990, S. 72). Phasenkonjugierende Spiegel kehren zwar den Lichtweg um und stellen zerstreute Bilder wieder her; sie erzeugen allerdings keine Zeitumkehr bei einem veränderlichen Lichtsignal.

Im Jahre 1994 haben meine Studenten Arnaud Derode und Philippe Roux und ich die Zeitumkehr von Ultraschall in einem Medium demonstriert, das dem bereits erwähnten chaotischen Flipper glich. Die Hindernisse bestanden aus 2000 zufällig verteilten parallelen Stahlstäben in einem Wassertank (siehe obige Abbildung).

Chaotische Wellen-Flipper


Ein kleiner Schallwandler erzeugte einen extrem kurzen Wellenpuls von nur einer Mikrosekunde (Millionstel Sekunde) Dauer, der sich durch den dichten Stäbchenwald hindurch bis zu einer Reihe von 96 piezoelektrischen Schallwandlern fortpflanzte. Zuerst kam dort ein Teil der ursprünglichen Wellenfront an, der direkt durch den Stäbchenwald gedrungen war, gefolgt von einer langen chaotischen Welle, die bis zu 200 Mikrosekunden anhielt. Dabei handelte es sich um die Teile des ursprünglichen Pulses, die an den Stäbchen vielfach gestreut worden waren.

In einem zweiten Schritt kehrten wir diese Signale zeitlich um und maßen mit einem Hydrophon die am Ort der Quelle ankommende Welle. Obwohl der Zeitumkehrspiegel ein 200 Mikrosekunden langes Signal durch den chaotisch streuenden Stäbchenwald zurückspielte, entstand am Ort der Quelle wieder ein Signal von lediglich einer Mikrosekunde Dauer.

Wir führten beide Stufen des Experiments auch ohne Stäbchen durch. Erstaunlicherweise wurde der zeitumgekehrte Strahl mit den Stäbchen auf eine sechsmal kleinere Fläche fokussiert als ohne Stäbchen. Der Grund für dieses paradoxe Ergebnis ist, daß die Vielfachreflexionen an den Hindernissen auch solche Teile der Anfangswelle zum Spiegel führen, die sonst die Schallwandler verfehlt hätten. Nach dem Umkehrprozeß wirkt das gesamte vielfachstreuende Medium ähnlich wie eine Sammellinse, welche die Apertur des Spiegels sechsfach vergrößert und somit auch seine Auflösung entsprechend erhöht.

In diesen Experimenten erwies sich der Zeitumkehrprozeß als überraschend stabil. Die empfangenen Signale werden mit Analog-Digital-Konvertern verarbeitet, die gewisse Quantisierungsfehler erzeugen. Außerdem funktioniert der Umkehrprozeß sogar noch dann, wenn man Schallwandler und Stäbchen um den Bruchteil einer Wellenlänge (0,5 Millimeter) verschiebt, nachdem das Signal den Hinweg zurückgelegt hat – in krassem Gegensatz zu einem Teilchenexperiment. Jedes Teilchen folgt einer wohldefinierten Bahn, während eine Welle alle möglichen Wege nimmt und so alle streuenden Objekte in allen möglichen Kombinationen aufsucht. Schon kleinste Fehler in der Anfangsgeschwindigkeit oder -position des Teilchens führen dazu, daß es ein Hindernis verpaßt und danach einen völlig anderen Weg nimmt. Hingegen ist die Wellenamplitude viel stabiler, denn sie resultiert aus der Interferenz aller möglichen Wege. Darum ist die Wellenphysik in chaotischen Milieus viel robuster als die Teilchenmechanik, und die Fokussierungseigenschaften von Zeitumkehrspiegeln werden sogar verbessert.

Angesichts dieser Vorteile fragten wir uns, ob nicht am Ende sogar ein einziger Zeitumkehr-Schallwandler ausreicht. Wie läßt sich die Information über eine Quelle auf einen einzelnen Schallwandler umleiten? Wir versuchten, die Quelle und den Schallwandler mit perfekt reflektierenden Wänden zu umschließen und auf diese Weise einen sogenannten ergodischen Hohlraum zu erzeugen. Ein reibungsfreier Billard-tisch in Form eines Stadions – mit halbkreisförmigen Schmalseiten – wäre ergodisch: Eine in fast jede beliebige Richtung gestoßene Kugel würde mit der Zeit jeden Ort auf dem Tisch berühren. Ebenso erreichen in einem ergodischen Hohlraum alle von einer Quelle emittierten Schallstrahlen den Schallwandler – wenn man nur lange genug wartet.

Vor drei Jahren haben mein Student Carsten Draeger und ich mit elastischen Wellen auf der Oberfläche einer Siliciumscheibe die Zeitumkehr mit einem einzigen Schallwandler demonstriert (siehe untenstehende Skizze). Der Schallwandler am Ort A sandte eine kreisförmige Oberflächenwelle von einer Mikrosekunde Dauer aus. Der Zeitumkehr-Schallwandler am Punkt B empfing ein chaotisches Signal, das mehr als 50 Millisekunden (tausendstel Sekunden) andauerte – 50000mal länger als der ursprüngliche Puls; das bedeutet, der Anfangspuls war einige hundertmal am Scheibenrand reflektiert worden.

Zeitumkehr auf einem Silicium-Wafer


Dann wurde ein 2 Millisekunden langer Teil des Signals zeitlich umgekehrt und vom Schallwandler B erneut emittiert. Die elastischen Wellen erzeugten auf der Siliciumoberfläche winzige vertikale Auslenkungen, die wir am Ort A mit Hilfe eines optischen Interferometers beobachteten.

Am Punkt A trat ein sehr eindrucksvoll wiederhergestelltes Ausgangssignal auf; es war auf einen Radius von etwa einer halben Wellenlänge fokussiert und dauerte nur rund eine Mikrosekunde. Durch Reflexion an den Rändern lief das zeitverkehrte Wellenfeld aus allen Richtungen im Ursprung zusammen und erzeugte dort einen kreisrunden Fleck. Die zwei Millisekunden lange zeitverkehrte Wellenform – sie entspricht fast 2000 komplizierten Oszillationen – ist der erforderliche Code, um von Punkt B aus eine exakte Fokussierung im Punkt A zu erreichen. Denkbar wäre eine auf diesem Prinzip beruhende Verschlüsselungsmethode, bei der Signale von Punkt B dazu dienen, Pulse an verschiedenen Punkten im Hohlraum zu erzeugen.

Zeitumkehrspiegel vermögen auch die vielfache Aufspaltung und Zerstreuung von Schallwellen im Meer zu kompensieren und dadurch die Signalübertragung unter Wasser zu verbessern. Das Problem tritt in seichten Gewässern auf, in denen der Schall sich wie in einem Wellenleiter fortpflanzt: Er wird immerfort zwischen Meeresboden und Oberfläche reflektiert, so daß ein einzelner Puls im Empfänger zahlreiche Kopien seiner selbst erzeugt – ganz ähnlich wie im ergodischen Hohlraum. Allerdings sind die Grenzen eines Meeresarms nicht ergodisch; darum muß ein Zeitumkehrspiegel zahlreiche Schallwandler enthalten.

Vor kurzem haben Forscher an der Scripps Institution of Oceanography in La Jolla (Kalifornien) und am Unterwasserforschungszentrum SACLANT in La Spezia (Italien) einen aus 20 Elementen bestehenden Zeitumkehrspiegel im Mittelmeer vor der italienischen Küste erprobt (siehe Abbildung auf dieser Seite oben). Unter Leitung von Tuncay Akal, William Hodgkiss und William A. Kuperman zeigten sie, daß ihr Spiegel Schallwellen in 120 Meter tiefem Wasser über 30 Kilometer hinweg zu bündeln vermochte. Ähnlich wie bei dem Experiment mit der sechsfachen Verstärkung durch die streuenden Stäbchen wurde der zeitverkehrte Strahl auf einen viel kleineren Fleck fokussiert als mit einem üblichen Sonargerät. Roux und ich haben ähnliche Versuche mit Ultraschall-Wellenleitern durchgeführt, in denen Mehrfachreflexionen auftreten. Durch Fokussierung und starke zeitliche Komprimierung der rücklaufenden Welle können wir einen Schallpuls sehr hoher Leistung schaffen, der sich zur Stoßwellenerzeugung nutzen läßt. Ein besonders ergiebiges Anwendungsgebiet für Zeitumkehrspiegel ist das Aufnehmen von Echos, die ein extrem kurzer Puls an einem oder mehreren Targets erzeugt. Die möglichen Anwendungen reichen von bildgebenden Verfahren für medizinische Zwecke über die zerstörungsfreie Materialprüfung bis zur Unterwasserakustik (Aufspüren von Minen, Unterseebooten oder im Meeresboden verborgenen Objekten). In jedem Fall ist ein scharfer akustischer Strahl Voraussetzung, und mittels Zeitumkehr-Akustik sucht man die Streuwirkung des zwischen Pulsquelle und Target liegenden Mediums möglichst auszuschalten. Am augenfälligsten ist das Problem in der medizinischen Anwendung: Bei bildgebenden Verfahren gilt es, den Ultraschall durch Fettgewebe, Knochen und Muskeln hindurch auf das Target zu lenken, etwa auf Tumore oder Nierensteine. Mittels Pulsecho-Zeitumkehr läßt sich dieses Problem lösen.

Zuerst sendet das Gerät einen kurzen Puls durch das verzerrende Medium, um das Zielgebiet quasi auszuleuchten. Dann wird die vom Target zum Gerät reflektierte Welle aufgenommen, zeitumgekehrt und wieder ausgesandt. Der Umkehrprozeß gewährleistet, daß die zeitverkehrte Welle trotz aller Verzerrungen durch das Medium am Zielort fokussiert wird.

Falls das Zielgebiet nur ein Target enthält, ist diese selbstfokussierende Technik äußerst effektiv. Bei mehreren Zielobjekten ist das Problem komplizierter, aber durch wiederholte Zeitumkehr läßt sich ein einzelnes Target auswählen. Betrachten wir den einfachsten Fall eines Mehrfach-Targets: Das Medium enthält nur zwei Zielobjekte, von denen das eine etwas stärker reflektiert als das andere. Die vom ursprünglichen Puls erzeugten Echos haben darum zwei Komponenten, eine etwas intensiver als die andere. Das erste zeitverkehrte Signal fokussiert somit jeweils eine Welle auf beide Zielobjekte, wobei das auf das reflexionsstärkere Target fokussierte Signal intensiver ausfällt. Die Echos dieser Wellen werden noch unterschiedlicher sein, und nach mehreren Durchläufen entsteht ein Signal, das hauptsächlich auf das stärker reflektierende Target fokussiert ist. Mit komplizierteren Verfahren läßt sich auch das schwächere Ziel auswählen.

Unter den medizinischen Anwendungen der Pulsecho-Zeitumkehr ist das Zertrümmern von Nieren- und Gallensteinen am weitesten ausgereift (siehe Abbildung auf Seite 73). Herkömmliche bildgebende Verfahren mit Ultraschall oder Röntgenstrahlen vermögen solche Steine zwar exakt zu lokalisieren, aber es ist schwierig, Ultraschallwellen durch das umliegende Gewebe hindurch so zu bündeln, daß sie die Steine zerstören. Außerdem bewegen sich die Steine, während der Patient atmet. Nur etwa 30 Prozent der Schallstöße treffen tatsächlich ihr Ziel, und man braucht mehrere tausend Pulse, um einen Stein zu zertrümmern.

Die Zeitumkehrtechnik erhöht hier die Treffsicherheit enorm: Nach mehrmaligem Durchlaufen der Pulsecho-Zeitumkehr konzentriert sich der Ultraschallstrahl auf die am besten reflektierende Stelle des Steins. Nun kann der Stein mit besonders intensiven Pulsen zertrümmert werden. Dieser Prozeß läßt sich wiederholen, um der Bewegung des Steins zu folgen. Jean-Louis Thomas, François Wu und ich haben für diesen Zweck einen Zeitumkehrspiegel mit 20 Zentimetern Durchmesser gebaut. Das Verfolgen und Zertrümmern von Steinen in vitro ist bereits in zwei französischen Kliniken demonstriert worden.

Ebenfalls medizinisch vielversprechend ist die Ultraschall-Hyperthermie, bei der Gewebe durch intensiven Ultraschall erhitzt werden. Temperaturen über 60 Grad Celsius können Gewebe binnen Sekunden zerstören. Geräte, die herkömmliche Methoden zur Ultraschallfokussierung benutzen, sind bereits auf dem Markt – aber nur für ruhendes Gewebe, zum Beispiel Prostata-Karzinome. Die Anwendung im Bauch- und Herzbereich ist durch Atembewegungen und Herzschlag eingeschränkt. An der Universität von Michigan entwickelt derzeit Emad Ebbini selbstfokussierende Geräte, um dieses Problem zu lösen.

Meine Gruppe arbeitet auf dem Gebiet der Gehirn-Hyperthermie. Das größte Hindernis dabei ist die Schädeldecke, weil sie den Ultraschallstrahl stark beugt und streut. Die porösen Schädelknochen absorbieren einen Großteil der Schallenergie und brechen dadurch die Zeitumkehrsymmetrie der Wellengleichung. Wir haben eine neue Fokussierungsmethode entwickelt, die diesen Energieverlust während der Zeitumkehr korrigiert. Damit können wir einen Ultraschallstrahl durch die Schädeldecke hindurch auf einen 1,5 Millimeter großen Fleck bündeln (siehe nebenstehende Abbildung).

Eine weitere wichtige Anwendung ist das zerstörungsfreie Aufspüren von Materialfehlern in Festkörpern. Kleine Defekte sind schwer zu finden, wenn das Werkstück kompliziert geformt ist und aus heterogenen Substanzen oder anisotropem Material besteht. Normalerweise werden die Probe und die Ultraschallwandler in Wasser getaucht, aber die Brechung des Schalls an der Grenzfläche zwischen Wasser und Festkörper kann den Strahlengang ändern und das Auffinden kleiner Materialfehler zusätzlich erschweren. Außerdem erzeugt der Ultraschall im Festkörper eine Vielzahl von Polarisationen und Wellenformen. Wir haben demonstriert, daß sich durch Selbstfokussierung mittels Zeitumkehrspiegel die Probleme von selbst erledigen.

In einem gemeinsamen Programm mit der französischen Gesellschaft zur Erforschung und Konstruktion von Flugzeugtriebwerken haben wir einen 128-teiligen Zeitumkehrspiegel entwickelt, um in Titanlegierungen für Düsentriebwerke Materialfehler aufzuspüren. Titan hat eine höchst inhomogene Mikrostruktur, die durch Streuung des Ultraschalls so starkes Hintergrundrauschen erzeugt, daß das Echo eines Materialfehlers darin unterzugehen droht. Wir haben gezeigt, daß die mehrfach wiederholte Pulsecho-Methode bis zu 0,4 Millimeter kleine Materialdefekte in 250 Millimeter großen Titanblechstücken aufzuspüren vermag; damit ist sie den anderen Methoden durch das bessere Verhältnis von Signal zu Rauschen überlegen.

Das Verfahren der akustischen Zeitumkehr ist im Labor bereits ohne weiteres zu realisieren; nun gilt es, die Anwendung für Kliniken und Fabriken zu perfektionieren. Das Kunststück, ein "Hello" sozusagen im Mund umzudrehen, ist erst der Anfang: Nach denselben Prinzipien, die das "Olleh" auf den Mund des Sprechers fokussieren, lassen sich – mit ein wenig mehr Datenverarbeitung – akustische Hologramme im Raum erzeugen. Zum Beispiel können die Schallwandler so programmiert werden, daß sie den Laut "Hello" in der Nähe einer Person fokussieren – und gleichzeitig "Bonjour" bei einer anderen.

Die Zeitumkehrtechnik muß auch nicht auf Schall beschränkt bleiben. Einige Forscher erproben die Anwendung auf elektromagnetische Wellen im Mikrowellenbereich, insbesondere als gepulstes Radar. Eine ganz andere Art von Wellen beherrscht die Mikrophysik: quantenmechanische Wellenfunktionen. Tatsächlich kann eine Art Rückreflexion auftreten, wenn die Wellenfunktion, die ein Elektron beschreibt, auf die Grenzfläche zwischen einem normalen Leiter und einem Supraleiter trifft. Vorläufig läßt sich nur darüber spekulieren, was für Tricks möglich wären, wenn die Zeitumkehr auf quantenmechanische Wellen angewendet würde.

Literaturhinweise


Ultrasonic Focussing with Time-Reversal Mirrors. Von M. Fink und C. Prada in: Advances in Acoustic Microscopy Series. Von A. Briggs und W. Arnold (Hg.), Plenum Press, 1996.

Time-Reversed Acoustics. Von M. Fink in: Physics Today, Bd. 50, Heft 3, S. 34 – 40 (1997).

Phase Conjugation in the Ocean: Experimental Demonstration of an Acoustic Time-Reversal Mirror. Von W. A. Kuperman et al. in: Journal of the Acoustical Society of America, Bd. 102, Heft 6, S. 1 – 16 (1997).

Ultrasound Puts Materials to the Test. Von M. Fink in: Physics World, Bd. 11, Heft 2, S. 41 – 45 (1998).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 68
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