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Zentimeter-Genauigkeit in der Geodäsie


Die Aufgaben der Geodäsie, der Wissenschaft vom Ausmessen und Abbilden der Erdoberfläche, reichen vom Erstellen von Karten und geograpischen Datenbanken über die Katastervermessung bis zu der Überwachung von Ingenieurbauwerken wie Staudämmen oder den langsamen gegenseitigen Bewegungen der Erdkrusten-Platten. Dem weiten Anwendungsspektrum gemäß reichen die Anforderungen an die Genauigkeit von einem Meter für geographische Informationssysteme über Zentimeter für die Karten der Liegenschaftskataster bis zu weniger als einem Millimeter pro Kilometer beim Verfolgen von Distanzänderungen. Mit GPS vermag man das mittels spezieller geodätischer Empfänger und mathematisch-statistischer Auswertungen zu erreichen.

Die Kennung eines GPS-Signals ist der Trägerwelle aufmoduliert und einige hundert Meter lang; dementsprechend lassen sich Entfernungen aus Laufzeitunterschieden nur mit einer Auflösung von einigen Metern bestimmen. Hingegen vermessen geodätische Empfänger auch die Trägerfrequenzen selbst, die Wellenlängen um 20 Zentimeter haben (das Signal für zivile Anwendungen ist nur einer, das für militärische hingegen zwei Trägerwellen unterschiedlicher Frequenz aufgeprägt). Der Abstand zum Satelliten ist dadurch auf weniger als einen Millimeter genau bestimmbar.

Dazu registrieren die Geräte die Zahl der Nulldurchgänge und den Phasenwinkel der sinusförmigen Welle (ihrer momentanen Amplitude) und korrigieren mittels Doppler-Effekt die sich unablässig ändernde Entfernung zum Satelliten. Wie das Geräusch eines vorbeifahrenden Fahrzeugs scheinbar seine Frequenz ändert, weil sich die Tonwellenberge bei Annäherung quasi zusammenschieben und bei Entfernung auseinanderziehen, mißt der Empfänger am GPS-Trägersignal pro Zeiteinheit mehr Nulldurchgänge, wenn sich der Satellit ihm nähert, als wenn er sich entfernt. Indem nun aus der Laufzeit des Signals mit dem Standardverfahren eine – im Vergleich grobe – Abschätzung der Entfernung gewonnen wird, läßt sich anhand der bekannten Wellenlänge ein Erwartungswert der Nulldurchgänge bilden, die sogenannte Additionskonstante. Die Differenz zwischen ihr und der registrierten Zahl der Nulldurchgänge plus dem Phasenwinkel entspricht den je nach Satellitenbewegung weniger oder zusätzlich empfangenen Wellen. Diese sehr genaue Meßgröße ist der sogenannte accumulated doppler range (ADR). Multiplikation ihrer regelmäßig ermittelten Werte mit der Trägerwellenlänge ergibt die Entfernungsunterschiede zu dem Satelliten zu verschiedenen Zeitpunkten; durch Addition der Strecke, die der Konstanten entspricht, erhält man die jeweiligen Abstände zwischen Satellit und Empfänger (Bild links).

Das Verfahren wendet man möglichst mit vielen Satelliten gleichzeitig und in einem über die GPS-Zeit synchronisierten Meßtakt an. Bessere Empfänger messen zudem auf beiden GPS-Frequenzen, die L1 und L2 genannt werden; sie verfügen dazu über acht bis zweimal zwölf parallele Empfangskanäle und können die Daten speichern oder an einen anderen Rechner weiterleiten.

Bei der Auswertung führt man die Meßwerte von mindestens zwei gleichzeitig arbeitenden Empfängern zusammen, um die auf alle Geräte gleichartig wirkenden Fehlereinflüsse zu eliminieren (es handelt sich also um eine interferometrische Methode). Dies ist auch das Grundprizip des differentiellen GPS (DGPS), das jedoch ausschließlich auf den viel gröberen Laufzeitmessungen basiert.


Mehrdeutigkeit und Fehler

Nun läßt sich bei der Trägerfrequenz eine Sinuswelle von der anderen nicht unterscheiden. Das Hauptproblem der Berechnungen ist mithin die Mehrdeutigkeit der Additionskonstanten: Da sie zum Zeitpunkt der ersten Messung anhand der Signal-Laufzeit nur näherungsweise bestimmt wird, kann ihr tatsächlicher Wert um etwa fünf bis zwanzig Wellenlängen abweichen. Die Kunst besteht also darin, mittels statistischer Auswertung einer möglichst großen Anzahl von Messungen die Mehrdeutligkeit aufzulösen. Eine Möglichkeit der Kompensation bietet längere Meßzeit auf einem Standort bei gleichzeitiger Auswertung mehrerer GPS-Signale: Man bestimmt quasi die Position des Empfängers mit verschiedenen Kombinationen von Satelliten und sucht Unterschiede der berechneten Werte durch Variation der jeweiligen Mehrdeutigkeiten auszugleichen (mathematisch gesprochen ergibt sich ein überbestimmtes Gleichungssystem). Deshalb haben die Empfänger die genannte hohe Anzahl von Kanälen, um alle verfügbaren Signale auszumessen. Allerdings bedarf es des kontinuierlichen Kontakts zu den Satelliten, weil jede Unterbrechung erneute Mehrdeutigkeit bedeutet.

Es gibt noch eine Reihe weiterer Phänomene, welche die Genauigkeit der Messung beeinträchtigen. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Satellitensignale unterliegt auf dem langen Weg von etwa 20000 Kilometern nacheinander den Einflüssen der Ionosphäre mit ihrem zeitlich stark schwankenden Elektronengehalt und der Troposphäre mit einer wetter- und höhenabhängigen Dichte. Die physikalischen Zusammenhänge der Signalveränderung sind zwar bekannt, die Einflußgrößen aber nicht ohne weiteres genügend genau bestimmbar. Der ionospärische Einfluß läßt sich aber ermitteln, indem man auf beiden Trägerfrequenzen mißt. Weil diese in der Ionosphäre unterschiedlich stark beschleunigt werden, läßt sich die Störung aus der Differenz der empfangenen Signale ermitteln. Zur Korrektur troposphärischer Einflüsse haben sich Modellfunktionen für Luftdruck und Temperatur bewährt, die von der Höhe und der geographischen Breite abhängig sind.

Die Empfangseinheiten, bestehend aus Empfänger und Antenne, arbeiten ebenfalls nicht völlig fehlerfrei. Beispielsweise treten Synchronisationsfehler auf, und die Antenne empfängt nicht in allen Richtungen gleich. Indes wird die Technik immer präziser, so daß diese Effekte bald vernachlässigbar sein dürften. Allerdings verfälschen zudem Reflexionen der GPS-Signale in der Umgebung der Antenne die Messungen, wofür es bislang noch keine Korrekturmöglichkeiten gibt.


Praktische Anwendung

Der Geodät setzt zumeist ein statisches Verfahren ein, bei dem er je nach Qualitätsansprüchen Minuten oder gar Stunden auf einzelnen Punkten mißt. Dabei steht mindestens ein Empfänger auf einem Punkt mit bekannten Koordinaten und mindestens einer auf neu zu bestimmenden.

Beim sogenannten Stop & Go-Verfahren hingegen, das wesentlich effektiver ist, verweilt er nur wenige Sekunden auf jedem Meßpunkt und geht zügig zum nächsten. Dies setzt jedoch voraus, daß der Kontakt zu den Satelliten nicht abreißt, weil sonst die oben beschriebenen Mehrdeutigkeiten erhalten bleiben. Das Risiko ist hoch, denn die GPS-Signale sind so schwach, daß schon die Blätter eines Baumes den Empfang stören können. Für das freie Feld ist das Verfahren deshalb gut geeignet – ursprünglich nutzte man es sogar im Flugzeug, um Luftaufnahmen genau zu kartographieren –, für bewaldete Regionen weniger, und in Siedlungen ist die Eignung stark von der jeweiligen Umgebung abhängig.

Zur Zeit werden geodätische Messungen überwiegend im nachhinein ausgewertet. Sowohl die aufgenommenen Signalinformationen als auch in die Empfänger über Tastatur und Display eingegebene Zusatzinformationen wie die jeweilige Punktbezeichnung oder die Höhe der Antennen über dem Boden werden zunächst im Gerät in einer Speicherkarte ablegt. Diese ist nach dem PCMCIA-Standard genormt und läßt sich deshalb in entsprechenden Computern verwenden, der Datensatz mithin übertragen. Anschließend werden die Werte mit speziellen Programmen verarbeitet. Bald will man die Daten aber per Funk von einem Empfänger weiterreichen und in Echtzeit auswerten.

Weil das GPS-System in einem eigenen weltweiten Koordinatensystem arbeitet und die herkömmlichen oftmals vor mehr als hundert Jahren entstanden sind, treten bei der Übertragung in die jeweiligen Bezugssysteme großräumige wie auch lokale Verspannungen zutage (dieser Fachausdruck beschreibt die erforderliche Verzerrung eines Koordinatennetzes, wenn es mit einem abweichenden zur Deckung gebracht werden soll). Man bemüht sich, diesen Umstand durch entsprechende Verteilung der Spannungen so gut wie irgend möglich zu berücksichtigen. Es ist darum immer noch unerläßlich, trigonometrische oder andere Vermessungspunkte aufzusuchen, um die GPS-Koordinaten in das lokale System einzupassen. Im Laufe der Jahre sollten die Gebrauchs-Koordinatensysteme allerdings so weit korrigiert werden können, daß sie den gestiegenen Anforderungen der GPS-Nutzer entsprechen.

Bisher wurden in der Geodäsie hauptsächlich Winkel- und Streckenmessungen verwendet, um jeweils von bekannten Punkten aus Zug um Zug neue zu bestimmen. Die dazu erforderlichen Sichtverbindungen ermöglicht mitunter nur eine aufwendige Vorbereitung. Mit GPS ist das nicht mehr nötig. Die Methode ist auch sonst oftmals wirtschaftlicher, schneller und einfacher. Das Satellitensystem wird deshalb zunehmend von Vermessungsbüros und -behörden genutzt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1996, Seite 113
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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