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Zivile Satellitennavigation mit GNSS


Seit seiner aufsehenerregenden Premiere während des Golfkriegs 1991 ist das amerikanische Global Positioning System (GPS) zur hochgenauen Navigation konsequent vervollständigt worden und findet, wahrscheinlich zur Überraschung des US-Verteidigungsministeriums, zunehmend Verbreitung bei diversen zivilen Nutzern. Mit immer preiswerteren Empfangs- und Auswertegeräten navigieren mittlerweile seetüchtige Segelboote wie auch Supertanker; in Verbindung mit elektronischen Autokarten geben erste Zielführungsgeräte Fahranweisungen, und die automatische Führung und Landung von Verkehrsflugzeugen selbst unter schwersten Bedingungen wird dank Satellitennavigation zur Routine werden.

All dies ist das Ergebnis langjähriger Entwicklungen und Erprobungen sowie umfangreicher Investitionen. Das amerikanische System ist seit 1993 mit 24 Satelliten komplett, das russische GLONASS (Global Navigation Satellite System) wird noch ausgebaut, soll aber in Kürze ebenfalls betriebsbereit sein. Aus den gleichzeitig emfangenen Signalen von mindestens vier der Satelliten kann jeder GPS- oder GLONASS-Empfänger seine geographische Position und Höhe berechnen. Weil das GPS-Signal aus militärischen Gründen künstlich verschlechtert ist, betragen die Genauigkeiten um die 100 Meter in horizontaler und 150 Meter in vertikaler Richtung. Mittels gleichzeitiger Positionsbestimmung von einer auf bekannten Koordinaten gelegenen Station läßt sich aber die Signalverschlechterung filtern und Meter-Genauigkeit erreichen (differentielles GPS, DGPS).

Ein weiterer Nachteil der militärischen Kontrolle ist die Unsicherheit für den zivilen Nutzer, inwieweit das System permanent verfügbar sein wird (die Satelliten senden zwei Signale, das für zivile und das für rein militärische Anwendungen). Das zivile Signal steht zwar kontinuierlich zur Verfügung, doch gilt das auch im Krisenfall? Zwar gibt es Zusagen der amerikanischen Militärs, dann nur lokale Bereiche auszuschalten. Aber wegen der Vielzahl unterschiedlichster Nutzer wird ein höchst zuverlässiges – und genaueres – ziviles System, vorzugsweise unter internationaler Kontrolle, benötigt.

European Geostationary Overlay System

Die geeignete Basis dazu liefert Inmarsat (International Maritime Satellite Organization), eine 1979 gegründete Einrichtung von derzeit 79 Staaten zum Betrieb eines weltumspannenden Satelliten-Kommunikationssystems für die Handelsschiffahrt und andere mobile Dienste. In einem ersten Schritt, um GPS und GLONASS zu ergänzen, mieten die europäischen Regierungen geostationäre Navigationstransponder von Inmarsat an (Transponder steht für transmitter und responder, ein solches Gerät arbeitet also sowohl als Sender wie als Empfänger; das empfangene Signal wird verstärkt zur Erde zurückgefunkt). Das Projekt trägt die Bezeichnung European Geostationary Overlay System (EGNOS).

Die Transponder senden ein Positionssignal zur Entfernungsbestimmung über die Laufzeitmessung aus (siehe Seite 104), genannt ranging. Sie berichten auch kontinuierlich über den Zustand von GPS und GLONASS, man nennt diesen Anteil integrity. Außerdem verbreitet EGNOS Korrekturen im Rahmen des DGPS, man spricht vom wide area differential (WAD). Somit vermag sich jeder Nutzer über den Status der militärischen Navigationssatelliten zu unterrichten und im Zweifelsfalle einzelne oder das ganze System zu ignorieren. Die WAD-Korrektursignale helfen, die Positionsbestimmung über große Bereiche unabhängig von lokalen Referenzstationen zu verbessern.

Das System wird ab 1996 mit der dritten Generation der Inmarsat-Satelliten in Betrieb genommen. Zunächst soll es aus vier Transpondern bestehen – zweien über dem Atlantischen und jeweils einem über dem Indischen und dem Pazifischen Ozean. Europa wird die Signale für den östlichen Satelliten über dem Atlantik und für den über dem Indischen Ozean erstellen; die beiden anderen Transponder betreut die zivile amerikanische Luftfahrtaufsichtsbehörde (Federal Aviation Administration, FAA). Die für die Navigationssignale erforderlichen europäischen Bodenanlagen schaffen mehrere europäische Staaten im Rahmen eines Förderprogramms der Europäischen Union, der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und der Europäischen Gesellschaft für die Sicherheit des Flugverkehrs (Eurocontrol) gemeinsam an. Die technische Leitung liegt bei der ESA, die mit den nationalen und europäischen Institutionen eng kooperiert.

Um Ungenauigkeiten des GPS-Systems zu erfassen und die Integrität der Daten zu überwachen, dienen mehrere über Europa verteilte Referenzbodenstationen, ein Rechen- und Kontrollzentrum sowie Erdfunkstellen zur Übermittlung der ermittelten Angaben zu den geostationären Transpondern, die sie den Nutzern weiterreichen (Bild 1). Der EGNOS-Dienst wird ab 1998 vorläufig verfügbar sein. Die drei Zusatzsignale ranging, integrity und WAD werden dabei schrittweise eingeführt und erprobt. Das System wird auch als Global Navigation Satellite System der ersten Generation (GNSS-1) bezeichnet, weil damit wichtige Voraussetzungen für ein ziviles Nachfolgesystem erfüllt sind, das nach der Jahrhundertwende zu erwarten steht.


Untersuchungen der Lufthansa

Fluggesellschaften bereiten sich auf die neue Technik vor, die bessere Leistungen aufgrund weltweiter Verfügbarkeit und Kosteneinsparungen – etwa durch dichtere Packung von Flugzeugen auf der Nordatlantik-Route – verspricht.

Allerdings muß für diesen sicherheitskritischen Bereich die Zuverlässigkeit der Satellitennavigation zuvor nachgewiesen werden. Zu diesem Zweck hat die Flugsicherungsorganisation Eurocontrol das Versuchsprogramm SAPPHIRE (Satellite and Aircraft Data Base Project for System Integrity Research) initiiert: Eine Datenbank soll die Meßdaten von GNSS und anderen Navigationssensoren zur ständigen Verfügung halten, die an Bord von Lufthansa-Maschinen des Typs Airbus A340/321 und von Crossair-Flugzeugen Saab 2000 während regulärer Flüge über längere Perioden aufgezeichnet werden.

Die Lufthansa hat ihre neuen Airbus-Maschinen bereits mit GPS-Empfängern als Teil der Elektronik ausgerüstet. Zur Zeit installieren Techniker des Unternehmens zusätzliche Anlagen zur Erfassung von Daten, die Vergleiche mit dem derzeit verwendeten Intertial-Referenzsystem aus Kreiselkompassen erlauben. Die an Bord gemessenen Daten sollen aber vor allem mit ortsfesten GPS-Empfängern auf den Flughäfen Frankfurt und Lugano verglichen werden – hauptsächlich unter den Aspekten Integrität, Verfügbarkeit des empfangenen und Kontinuität des gesendeten Signals. In einer weiteren Phase wird man auch Methoden der Fehlererkennung und der autonomen Integritätsüberwachung seitens der Empfänger testen. Die vorbereiteten Arbeiten sind nahezu abgeschlossen.

Eine zweite Untersuchung betrifft den automatischen Landeanflug. Die Satellitennavigation ermöglicht theoretisch vollautomatische Anflüge und Landungen selbst unter schlechtesten Sichtbedingungen. Dazu muß jedoch zur äußerst genauen Positions- und Höhenbestimmung am Flughafen ein Referenzempfänger installiert sein, der Korrektursignale für die Landebahn erfaßt und an das Flugzeug weiterleitet. Auf Initiative des bayerischen Wirtschaftsministeriums wurde der neue Münchener Flughafen im Erdinger Moos für eine praktische Erprobung ausgewählt (Bild 2).

In Zusammenarbeit mit der Deutschen Flugsicherung sowie den Unternehmen Alcatel und Daimler Benz Aerospace (DASA) werden das Mikrowellenlandesystem (MLS) und die Satellitennavigation einem Vergleich im Feldeinsatz unterzogen (MLS war bis zur Verbreitung von GPS als Alternative zum derzeitigen Instrumentenlandesystem gedacht; eine wesentliche Komponente – scharf gebündelte, orthogonal zueinander stehende Mikrowellenfächer – sollte auch gekrümmte Landeanflüge und die Auswertung der Leitstrahlen an Bord eine dichtere Landefrequenz ermöglichen). Die DASA stellt dafür die GPS-Referenzstation und die Bordempfänger zur Verfügung, mehrere Fluggesellschaften einschließlich der Lufthansa beteiligen sich mit regulären Flugzeugen. Am Ende der Tests, die in Kürze beginnen werden, vermag man die Prozeduren für den satellitengestützten Anflug zu definieren und international abzustimmen.


Vorschau auf GNSS-2

Ein ziviles Nachfolgesystem für GPS wäre von weltweiter Bedeutung und könnte wahrscheinlich auch nur von der internationalen Gemeinschaft getragen werden. Damit ließen sich sowohl die genannten Nachteile der militärischen Zueignung der momentan aufgebauten Satellitennavigation vermeiden, als auch die Wünsche einzelner Nutzergruppen besser berücksichtigen. Noch sind nicht alle Anforderungen bekannt, doch vielfältige Anwendungen denkbar.

Am interessantesten dürfte wohl der Einsatz im Straßenverkehr werden. Es gibt bereits elektronische Stadtpläne, auf denen Navigationsempfänger die jeweilige Position einblenden. Im nächsten Schritt ist eine Vervollständigung mit einer Kommunikationsverbindung denkbar, sei es über das mobile Telephonnetz oder über Satellitenstrecken. Damit können dem Fahrer Informationen auf Anfrage überspielt werden, wie zum Beispiel der Weg zu seinem Hotel oder zur nächsten Raststätte. Gleichzeitig kann man den Verkehrsfluß korrigieren.

Viele Anwendungen erfordern aber eine höhere Genauigkeit der Positionsbestimmung (Bild 3) und Zusatzinformationen. Außerdem sollten die Satellitensignale jederzeit, auch im Stadtbereich, zu empfangen sein. Dies ist in Zukunft sicherlich dank verbesserter Signalstrukturen und zusätzlicher Navigationssatelliten, also mehr Signalen unter allen möglichen Einfallswinkeln, erreichbar.

Es sind durchaus Lösungen denkbar, die besondere Belange der europäischen Benutzer berücksichtigen, etwa ein regionales als Teil eines globalen Satellitennavigationssystems. Sicherlich ist die Satellitenkommunikation in die Überlegungen einzubeziehen. Unter Federführung der Europäischen Kommission entsteht zur Zeit ein Aktionsplan, die zivile Nachfolgegeneration GNSS-2 vor Ablauf der nächsten zehn Jahre zu starten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1996, Seite 117
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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