Zukunftsenergien. Strategien einer neuen Energiepolitik
Birkhäuser, Berlin 1995.
284 Seiten, DM 29,80.
284 Seiten, DM 29,80.
Trotz der lange und intensiv geführten Energiediskussion sind Verschwendung und vermeidbare Umweltbelastung durch den Einsatz veralteter Techniken nach wie vor an der Tagesordnung. Das vorliegende Buch "ist nicht von Romantikern für Romantiker geschrieben", sondern wendet sich an "Pragmatiker mit Blick für die Zukunft". Wind- und Sonnenenergie näherten sich der Marktreife, schreibt in einem Geleitwort Ernst Ulrich von Weizsäcker, der Leiter des Wuppertal Instituts für Klima, Energie, Umwelt, dem auch die beiden Autoren angehören. Als Forschungseinrichtung für Umweltpolitik untersucht das Institut nicht nur Probleme der Energieversorgung, sondern berät auch Landesbehörden und Kommunen in Nordrhein-Westfalen.
Der erste Teil des Buches stellt die augenblickliche Versorgungssituation dar. Drastische Zahlen führen dem Leser die Endlichkeit unseres Überflusses vor Augen: In 43 Jahren werden die bekannten Ölvorräte erschöpft sein, in 65 Jahren die Gasreserven – und dafür müssen wir nur weitermachen wie bisher, absehbare Verbrauchssteigerungen nicht inbegriffen. Es folgt eine Übersicht der Techniken und ökonomischen Potentiale der regenerativen Energien, die in sieben Gruppen zusammengefaßt sind: Wasser, Wind, Biomasse, Solararchitektur, dezentrale Wärmenutzung, thermischer Solarstrom und Photovoltaik. Unter der Überschrift "Solararchitektur und passive Solarenergienutzung" verbirgt sich – etwas unkonventionell – auch das Thema Energieeinsparung.
Die Beschreibungen sind umfassend und durch gründlich zusammengestellte Daten untermauert. Jedes der sieben Kapitel endet mit einer Diskussion der Kosten und der Potentiale der jeweiligen regenerativen Energieform für die Versorgung in Deutschland und der Europäischen Union. Viele konkrete und verständliche Beschreibungen der Anlagentechnik verhindern, daß man sich in einem Zahlengestrüpp verliert.
Demnach können zum Beispiel Windfarmen in flachen Küstengewässern (Offshore-Anlagen) in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zur Stromversorgung leisten. Paradeanlagen der Solarenergie sind zur Zeit Kraftwerke, die aus von der Sonne eingestrahlter Wärme in einem konventionellen Turbine-Generator-System elektrischen Strom erzeugen; Systeme dieser Art arbeiten seit Jahren in Kalifornien. Solarthermische Kraftwerke gleicher Qualität in den europäischen Mittelmeerländern könnten nach der Kalkulation der Autoren drei Viertel des Strombedarfs der gesamten EU decken.
In der zweiten Hälfte des Buches diskutieren Harry Lehmann und Torsten Reetz Prognosen des Energieverbrauchs und Hemmnisse bei der Einführung der Zukunftsenergien. Den roten Faden bildet der "SES-Pfad", eine Strategie vernünftigen Wirtschaftens unter den Leitbegriffen Sonne, Effizienz und Suffizienz (Genügsamkeit, "eine bewußte Entscheidung über die Grenzen des Konsums").
Im Schlußteil "Was tun?" präsentieren die Autoren einen Katalog von Maßnahmen für Politiker, Energieversorger, Hausbauer und -besitzer, die den gebotenen Durchbruch bei der Nutzung der Zukunftsenergien bewirken können: Energiesteuer, kostendeckende Vergütung für Solarstrom, das Negawatt-Konzept (der Stromversorger bezahlt nicht ein neues Kraftwerk, sondern entschädigt erheblich preisgünstiger den Kunden für den Verzicht auf die Leistung der dann nicht gebauten Anlage) und andere.
Vermißt habe ich im Literaturverzeichnis Hinweise auf weiterführende Informationen, etwa den "Info-Service" der Bürger-Information neue Energietechniken (BINE) in Bonn, die Zeitschriften "Sonnenenergie", "Solarzeitalter", "Photon", "Windpower" und andere. Anschriften von Vereinigungen wie der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie, Eurosolar, dem Solarenergie-Förderverein und anderen mehr wären ebenfalls hilfreich gewesen. Das Buch wirkt so motivierend, daß man es am Ende nicht einfach zum Einstauben in den Schrank stellen möchte.
Der Inhalt ist ansprechend dargeboten; sorgfältig gestaltete Abbildungen und Tabellen lockern den Text auf. Sechs über das Buch verteilte "Reportagen aus der Zukunft" muten passagenweise wie Science-fiction an, machen aber die Vision einer effizienten und suffizienten Solarenergie-Versorgung begreifbar. Ein Glossar ist für wenig Vorinformierte hilfreich.
Die energiepolitische und wissenschaftliche Spezialliteratur ist ohnehin mit ihren Tausenden von Seiten kaum mehr überschaubar; dem, der sich mit erträglichem Aufwand über die regenerativen Energien aktuell informieren möchte, ist dieses Buch sehr zu empfehlen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1996, Seite 117
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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