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Zum Singen geboren. Der Gesang der Vögel am Beispiel des Kanarienvogels.

Rainar Nitzsche, Kaiserslautern 1998. 104 Seiten, DM 20,–.

Der vorliegende kleine Paperback-Band bietet eine Fülle an Informationen über die neuronalen und physiologischen Grundlagen des Vogelgesangs. Harald Fuchs, Biologe aus Kaiserslautern, hat hier die Ergebnisse seiner Diplom- und Doktorarbeit aufbereitet. Im ersten Kapitel bietet der Autor ein unterhaltsames Potpourri von Systematik, Stammesgeschichte und Anatomie der Vögel, bis hin zur evolutionären Konvergenz von Kondor und Bartgeier oder zu den Uralt-Verhaltensweisen des erstaunlichen Vogels Hoatzin. Was dies alles mit dem Gesang des Kanarienvogels zu tun hat, wird klarer, wo es um die Anatomie und dabei auch um den Stimmapparat und das Hörsystem der Vögel geht. An dieser Stelle wird bereits einer der Hauptmängel des Buches deutlich: Die meisten der schwarz-weißen Abbildungen sind karge, wenig erhellende Skizzen wie die der Syrinx (des Stimmkopfs) einer Amsel auf S. 20, bis zur Unkenntlichkeit schlecht reproduziert wie ein Gehirnschnitt auf S. 42 oder beides zugleich. Kanarienvögel kommen wie alle Singvögel nicht als „Meistersänger“ zur Welt. Bei der Entwicklung des Vollgesangs spielt das Lernen von erwachsenen Vorbildern eine wichtige Rolle. Fuchs geht im 2. Kapitel zur „Software“ auf die verschiedenen Phasen der Gesangsontogenese mit Subsong (Vorgesang), plastischem Gesang und Vollgesang ebenso ein wie auf die jahreszeitlichen Änderungen in der Gesangsorganisation und -aktivität und die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tieren. Außerdem stellt er das wichtigste Hilfsmittel der Bioakustiker vor: das Spektrogramm, die Widergabe der Intensität eines akustischen Signals in Abhängigkeit von Zeit und Frequenz durch unterschiedliche Schwärzungsgrade. Erstaunlicherweise beschreibt Fuchs die inzwischen fast antiquierte elektro-thermische Gewinnung solcher Abbildungen, die heute mehr und mehr mittels der schnellen Fourier-Transformation vom Computer berechnet werden. Im letzten Abschnitt geht er kurz auf die Motivation zum Singen und damit auf die Funktion des Gesanges ein. Eines der zentralen Themen der aktuellen bioakustischen Forschung wird damit zumindest am Rande gestreift. Ein interessanter Ansatz in einer … Das Kapitel zu den anatomischen Grundlagen („Hardware“) stellt zunächst den Hirnaufbau der Vögel sowie die für die Gesangsproduktion wichtigsten Gehirnzentren vor. Eine wesentliche Entdeckung war der Nachweis der Plastizität neuronaler Verbindungen, lange vor entsprechenden Resultaten bei Primaten. Offen blieb bisher, wie im einzelnen die jahreszyklischen Schwankungen in Größe und Verschaltung der Gesangszentren zustande kommen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei Hormone. Das nächste Kapitel ist ihrer Funktionsweise und Rolle bei der Steuerung und Kontrolle des Gesangs gewidmet. Es folgt das Kernstück der vorliegenden Darstellung, der Zusammenhang zwischen Gehirn, Hormonen und Gesang. Zur Aufklärung dieses Zusammenhangs werden Vögel gezielt mit Hormonen behandelt. Fuchs beschreibt diese Experimente im Schlußkapitel als „Doping“, und der Leser kann sich des Eindruckes kaum erwehren, den Vögeln sollte zu möglichst hohen Gesangsaktivitäten verholfen werden. Ausgehend von dem drastischen Erfolg solcher Hormongaben weist Fuchs in einem anschließenden Kapitel auf allgemeine Gefahren der allzu leichtfertigen Verabreichung von Hormonen (zum Beispiel in der Tiermast) hin. Ein solch kritischer Blick erfreut zunächst, allerdings fragt man sich, warum er nicht auch auf die eigene Forschung gerichtet wird. An keiner Stelle des Buches geht Fuchs nämlich näher (geschweige denn kritisch) auf die Forschungsmethoden ein; und zu ihnen gehört auch die gezielte Tötung von Versuchstieren zur Untersuchung von Gehirnquerschnitten. … nicht überzeugenden Darstellung Das Bemühen um Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist ohne Zweifel lobenswert. Allerdings läßt sich an diesem Buch auch studieren, daß es dabei nicht damit getan ist, nur das berüchtigte Fachchinesisch zu vermeiden. Oft bedient sich der Autor eines allzu flapsigen Umgangstons. Gemeinplätze wie „In der Natur ist halt alles viel komplizierter, als man denkt, und das Vogelhirn ist mehr als ein primitiver PC“ (S. 75) tragen kaum dazu bei, daß der fachfremde Leser sich ernstgenommen fühlt. Jeder Abschnitt des Buches endet mit einem englischen Vers zum Thema; eine Übersetzung ins Deutsche liegt auf einem separaten Blatt bei. Für manchen mag dies eine willkommene Abwechslung sein, mir allerdings fiel das häufige Umschalten zwischen wissenschaftlicher Darstellung und lyrischer Form recht schwer.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1999, Seite 114
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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