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Biologische Waffen: Zwischen Massenpanik und Massenmord

Manche Mikroorganismen sind effiziente Killer. Doch wie groß ist die Bedrohung durch Bio-Terrorismus wirklich?


Nach den Terroranschlägen vom 11. September auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington fürchtet sich die Welt vor Attacken mit biologischen Waffen. Der Tod von fünf Menschen infolge einer Milzbrandinfektion und die Erkrankung weiterer Personen in den USA haben diese Ängste weiter geschürt – zumal der Eindruck entstanden ist, das medizinische Versorgungssystem sei schlecht auf eine solche Katastrophe vorbereitet. Die hieraus entstandene Massenhysterie hat die US-Bürger dazu getrieben, alle Gasmasken- und Cipro-Bestände – das einzige in den Vereinigten Staaten zugelassene Milzbrand-Antibiotikum – aufzukaufen. Eines ist dadurch klar geworden: Mikroorganismen sind erstaunlich effiziente Mittel zur Terrorisierung breiter Massen. Ihr Potenzial als Massenvernichtungswaffe ist hingegen weniger eindeutig.

Für eine biologische beziehungsweise bakteriologische Kriegführung im modernen Sinn müssten die Erreger – Viren, Bakterien oder Rickettsien – als Aerosole verbreitet werden. Die dazu erforderlichen Techniken wie etwa Bomben oder Sprühdüsen wurden bereits 1923 erprobt. Damals ließen französische Wissenschaftler mit Erregern gefüllte Bomben über einer Tierherde auf einem Feld bei Sevran-Livry, 15 Kilometer nordwestlich von Paris, detonieren. Viele Versuchstiere wurden dabei getötet.

Ab 1943 arbeiteten die Vereinigten Staaten an einem eigenen Forschungsprogramm zur biologischen Kriegführung, das schließlich 1969 von US-Präsident Richard Nixon abgebrochen wurde (siehe "Die Anfänge des US-Programms für biologische Waffen", Spektrum der Wissenschaft 8/1987, S. 118). Im Rahmen dieses Programms machte die US-Armee mehrere Bakterien und Viren "waffenfähig", indem sie die Erreger in geeignete Form brachte und in spezielle Trägersysteme füllte. Dazu gehörten Bacillus anthracis und Francisella tularensis, die Milzbrand und Tularämie (Hasenpest) auslösen, sowie die Erreger von Brucellose, Q-Fieber und Venezuela-Enzephalitis. Während die beiden ersten dieser Krankheiten zumeist tödlich enden, fordern die anderen drei kaum Opfer, können aber ganze Divisionen für einige Zeit außer Gefecht setzen. Zusätzlich produzierten die USA militärisch einsetzbare Versionen des tödlichen Bo-tulinus-Toxins und des gefährlichen Staphylokokken-Enterotoxins Typ B. Außerdem stellten sie mehr als 2,5 Millionen Bombenhülsen her, die im Bedarfsfall mit einem biologischen Kampfstoff befüllt werden könnten. Auch andere Staaten, darunter die Sowjetunion, führten damals und in den nachfolgenden Jahren ähnliche Programme durch und häuften riesige Arsenale von einsatzbereiten Bio-Waffen an.

Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass keiner dieser Staaten solche Waffen in einem Krieg eingesetzt hat. Denn Mikroorganismen mögen zwar hervorragende Mordinstrumente sein, aber sie geben schlechte Waffen ab. Zum einen tritt die Wirkung wegen der teilweise recht langen Inkubationszeit verzögert ein. Zum anderen könnte die ausgelöste Epidemie irrtümlich für einen natürlichen Ausbruch der Krankheit gehalten werden und nicht für einen Militärschlag. Zudem ist die Wirkung biologischer Aerosole nicht genau zu kalkulieren, da sie von zufälligen Wind- und Wettereinflüssen abhängt. Deshalb fehlen biologischen Waffen einige der Eigenschaften, die Militärs an konventionellen Sprengbomben so schätzen: dramatische, eindrucksvolle Knalleffekte, sofort erkennbare Wirkung und hohe Zuverlässigkeit. Auch das Wissen, der Gegner könnte auf einen biologischen Angriff auf gleiche Weise zurückschlagen, hat bisher geholfen, einen Einsatz zu verhindern. Neben diesem Abschreckungseffekt kamen auch moralische Bedenken zum Tragen.

Diese Aussagen gelten jedoch nicht unbedingt für Terroristen, insbesondere nicht für solche Gruppierungen, die ohnehin außerhalb der traditionellen moralischen Normen agieren und die eine Gesellschaft zersetzen und destabilisieren wollen, indem sie Angst und Schrecken in der Bevölkerung verbreiten. Gerade weil sie unsichtbar sind und still und langsam wirken, können gezielt ausgebrachte Krankheitserreger kollektive Angstzustände bis hin zur Massenhysterie hervorrufen. Glücklicherweise sind in der Geschichte nicht viele erfolgreiche Anschläge mit biologischen (oder chemischen) Kampfstoffen zu verzeichnen. Vor dem Oktober 2001 gab es in den USA noch nie ein Todesopfer durch eine biologische Waffe. Der in Atlantis (Florida) an Lungenmilzbrand gestorbene Fotoredakteur war der erste derartige Fall. Und selbst die mehrfach aufgetauchten, mit Milzbranderregern verseuchten Briefe haben sich nicht zu einem groß angelegten Anschlag ausgeweitet.

Die bislang einzige biologische Attacke mittleren Umfangs gab es 1984, als die im US-Bundesstaat Oregon ansässige Rajneesh-Sekte in mehreren Restaurants die Salatbars mit Salmonellen verseuchte und es in der Folge 751 Fälle von Durchfallerkrankungen gab. (Im Vergleich hierzu sind in den USA jedes Jahr 76 Millionen durch Lebensmittel hervorgerufene Erkrankungen zu verzeichnen; 315000 dieser Patienten müssen stationär behandelt werden und 5000 von ihnen sterben.)

Selbst wenn Terroristen entschlossen wären, biologische Kampfstoffe einzusetzen, so hätten sie doch nicht unbedingt die notwendigen technischen Mittel zur Verfügung. In der Presse finden sich zwar immer wieder Szenarien, wo Bioterroristen in der Küche, im Keller oder mit Hobbybaukästen tödliche Agenzien zusammenbrauen. Doch das Fachwissen, das man braucht, um einen virulenten Erreger in für eine Massenerkrankung ausreichenden Mengen zu kultivieren, zu transportieren und zu verteilen, ist immens.

Um erfolgreich zu sein, muss ein Bioterrorist zunächst einen virulenten Stamm des gewünschten Mikroorganismus auftreiben. (Viele natürliche Stämme infektiöser Agenzien sind nicht virulent genug für biologische Waffen.) Der Erreger muss in großen Mengen kultiviert, in geeigneter Weise bearbeitet und während des Transports zum Einsatzort am Leben und virulent gehalten werden. Er muss sodann die Hitze und den Druck bei der Explosion einer biologischen Bombe beziehungsweise die mechanischen Scherkräfte bei der Zerstäubung durch einen Sprüher aushalten können. Schließlich muss er am Ziel in geeigneter Partikelgröße und ausreichender Konzentration über ein großes Areal verteilt werden, um eine Masseninfektion hervorzurufen. Jeder einzelne Schritt birgt seine Probleme. In den USA hat eine Gruppe hoch qualifizierter Forscher mehr als zehn Jahre benötigt, um das erste zuverlässige Trägersystem für Bio-Waffen zu entwickeln.

Die Bedrohung der Vereinigten Staaten durch Bioterrorismus hat Milton Leitenberg vom Center for International and Security Studies an der Universität von Maryland untersucht. In seiner Mitte 2000 fertig gestellten Studie kam er zu dem Schluss, dass

- Fehlalarme und Erpressungsversuche wahrscheinlicher sind als der tatsächliche Einsatz von biologischen Kampfstoffen,

- begrenzte Sabotageakte oder Versuche, einzelne Personen zu ermorden, eher zu erwarten sind als groß angelegte Anschläge mit dem Ziel eines Massenmords, und

- eine tatsächliche Attacke wohl nur in einem begrenzten Areal und mit nicht optimaler Ausbreitung des Erregers zu erwarten wäre.

Im Nachhinein erscheinen diese Vorhersagen als geradezu prophetisch. Bei sämtlichen Milzbrandfällen im Oktober 2001 stellte sich heraus, dass die Verbreitungsmethode sehr ineffizient war. Alle verseuchten Briefe zusammen enthielten weniger als ein Gramm Milzbrand-Endosporen. Solche Mengen sind nur für Laborzwecke geeignet, und mit ihnen lässt sich kein Massenangriff starten. Auf dem Höhepunkt des amerikanischen Bio-Waffen-Programms beispielsweise befanden sich in einer Produktionsanlage der US-Armee in Vigo (Indiana) zwölf Fermentierungstanks mit einem Fassungsvermögen von je 75000 Litern, von denen jeder einzelne tonnenweise Milzbrand-Endosporen produzieren konnte. Doch immerhin würden auch Labormengen – auf geeignete Weise etwa in einer U-Bahn-Station freigesetzt – eine erhebliche Anzahl von Opfern fordern, auch wenn sich über deren Anzahl nur spekulieren lässt.

Selbst eine Verbreitung von so genannten militärischen oder waffenfähigen Milzbranderregern (hierbei handelt es sich um ein grob definiertes Maß für das Potenzial eines Erregers, eine Massenerkrankung zu verursachen) bietet für Terroristen noch keine Erfolgsgarantie. Im Jahr 1979 wurden bei einem Unglück in einer Bio-Waffen-Produktionsanlage im russischen Swerdlowsk rund zehn Kilogramm militärisch einsetzbare Milzbrand-Endosporen freigesetzt, die dann in einer Giftwolke über die 1,2 Millionen Einwohner der Stadt zogen. Insgesamt gab es 66 Todesfälle. Eine Massenverbreitung von Milzbranderregern muss also nicht unbedingt zu Tausenden oder Zehntausenden von Opfern führen.


Glossar


Bakterien sind einzellige Mikroorganismen und damit die kleinsten Lebewesen. Sie haben eine relativ einfache Zellstruktur und vermehren sich durch Zweiteilung.

Endosporen nennt man die Verbreitungs- oder Überdauerungszellen, die innerhalb eines Sporenbehälters gebildet und aus diesem freigesetzt werden. Sie zeichnen sich durch hohe Resistenz gegenüber UV-Strahlung, Chemikalien und Hitzebehandlung aus.

Rickettsien sind ebenfalls Bakterien, von denen sich die meisten jedoch nur in tierischen Zellen vermehren können, da ihnen einige essenzielle Zellstoffe fehlen, die sie von ihrer Wirtszelle aufnehmen müssen.

Toxine sind organische Substanzen oder Produkte von Organismen, die Zellen oder Lebewesen schädigen oder töten können.

Viren sind Erreger, denen praktisch die gesamten biosynthetischen Kapazitäten lebender Zellen fehlen. Sie sind deshalb nicht als Lebewesen einzustufen. Auch sie können sich nur in Wirtszellen vermehren.

Virulenz ist die Fähigkeit von Erregern, eine Erkrankung im befallenen Organismus hervorzurufen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2002, Seite 93
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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