Observatorien: 100 Jahre Sternwarte Sonneberg

Obwohl bei Weitem nicht seine erste Publikation, veröffentlichte Cuno Hoffmeister (1892 – 1968) im Mai 1920 einen Aufsatz über eine Mondfinsternis unter der Adresse »Privat-Sternwarte zu Sonneberg«. Wer diese Sternwarte allerdings hätte finden wollen, wäre lange beschäftigt gewesen, denn keine Kuppel, kein Institutsgebäude verriet die Einrichtung. Und so gibt es eigentlich gar kein Gründungsdatum der Sternwarte Sonneberg, sie war plötzlich da!
Hoffmeister, Gründer und erster Direktor
Der Sohn eines Sonneberger Puppenfabrikanten, geboren am 2. Februar 1892, fiel zeitig durch ein ausgeprägtes Interesse an der Astronomie auf. Besonders eindrücklich für ihn war die Sichtung des Zodiakallichts gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Wilhelm während einer Nachtwanderung mit dem Großvater. Mit knapp 14 Jahren bekam Cuno ein Fernrohr mit 52 Millimetern freier Öffnung und 780 Millimetern Brennweite geschenkt. Dies stärkte seinen Wunsch, sich ganz der Astronomie zu verschreiben und nach dem Schulbesuch ein entsprechendes Studium aufzunehmen. Doch die wirtschaftliche Lage des Familienbetriebs verschlechterte sich zusehends, und Cuno war gezwungen, die Schule mit Untersekundareife zu verlassen, um im Betrieb zu helfen. Im Alter von 19 Jahren schickte ihn der Vater zu einer befreundeten Firma nach Baltimore, in der Hoffnung, der junge Mann möge Gefallen am Handelsbetrieb finden. Doch die Würfel waren längst gefallen: Wann immer es ihm möglich war, beobachtete Cuno den Sternhimmel, registrierte Meteore und hielt ihre Bahnen auf selbstgezeichneten Sternkarten fest.
Als der Vater erkrankte, kehrte Cuno Hoffmeister nach Deutschland zurück, glücklich, wieder »die Freiheit des eigenen Handelns« erlangt zu haben. Neben der Arbeit beobachtete und publizierte er so viel wie möglich. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs brach das elterliche Geschäft komplett zusammen. Da er sich in der astronomischen Welt inzwischen einen Namen gemacht hatte, holte ihn Ernst Hartwig an die Dr.-Karl-Remeis-Sternwarte in Bamberg zu sich, um seinen Assistenten Ernst Zinner zu ersetzen, der im Kriegsdienst war. Dieser Aufenthalt dehnte sich auf Jahre aus und stellte sich als prägend heraus für die Hauptforschungsrichtung der späteren Sternwarte Sonneberg: die veränderlichen Sterne (siehe »Sonneberger Veränderliche«). Bereits im Jahr 1908 hatte Rudolf Lehnert aus Gotha erste Empfehlungen gegeben, und so machte sich Hoffmeister mit der Argelanderschen Stufenschätzmethode vertraut. Als Zinner nach Kriegsende zurückkehrte, musste Hoffmeister die Stelle räumen und reiste mit festen Vorsätzen nach Hause: Eine Sternwarte musste her! Zunächst baute er im Hof des Elternhauses einen Verschlag, der sein neues Hauptinstrument, einen Refraktor mit 135 Millimetern Öffnung, beherbergte, doch die Sicht war durch die umliegenden Häuser stark eingeschränkt. Als Nächstes baute er den Dachstuhl des elterlichen Hauses um und stattete den First mit Klappen aus, die den Blick nach Osten und Westen erlaubten. Erste Fotografien von Sternfeldern entstanden. Um auch den Süd- und Nordhimmel beobachten zu können, montierte er vor dem Objektiv schräg angebrachte Planspiegel – eine umständliche, wenn auch funktionierende Lösung.
Sonneberger Veränderliche
Unter den fast 11 000 Veränderlichen, die in Sonneberg auf Basis der fotografischen Aufnahmen entdeckt worden sind, befindet sich eine Reihe prominenter Vertreter, von denen hier drei stellvertretend genannt seien:
• BL Lacertae: Von Cuno Hoffmeister bereits am 4. Juli 1929 als veränderlich gemeldet, stufte er diesen »Stern« im Sternbild Eidechse (lateinisch: Lacerta, Kurzform Lac) als unregelmäßig ein. Heute kennen wir eine ganze Klasse von derartigen Objekten und wissen, dass es gar keine Sterne sind, sondern dass die Variabilität von der Umgebung extrem massereicher Schwarzer Löcher in den Zentren von Galaxien herrührt. BL Lac ist extragalaktisch und rund eine Milliarde Lichtjahre entfernt! BL-Lac-Objekte gehören zu den aktiven Galaxienkernen.
• FG Sagittae: Der Stern wurde im Jahr 1943 von Cuno Hoffmeister als veränderlich vermerkt. Später stellte sich heraus, dass der Stern eine rasche thermische Entwicklung von der Spektralklasse O bis zu K und später wieder zu A durchläuft. Er wird als Vorstufe zum Stadium eines Zentralsterns eines Planetarischen Nebels auf dem Weg zum Dasein als Weißer Zwerg angesehen.
• HZ Herculis: Als 1971 durch den UHURU-Satelliten die Röntgenquelle Hercules X-1 entdeckt wurde, identifizierte man sie mit dem Stern HZ Her, den Hoffmeister bereits im Jahr 1936 entdeckt hatte. Das Objekt ist der Prototyp eines Röntgendoppelsterns, bestehend aus einem Neutronenstern mit sehr starkem Magnetfeld und einem Hauptreihenstern. Letzterer wird einseitig von den Fußpunkten der Akkretionssäulen auf der Oberfläche des schnell rotierenden Neutronensterns beleuchtet. Durch die Umlaufbewegung beider Sterne sehen wir die unterschiedlich heißen Seiten des Hauptreihensterns, dessen Spektralklasse dadurch zwischen B und F variiert.
Die Gründung der Sternwarte Neufang
Es wurde deutlich, dass er einen anderen Beobachtungsstandort brauchte, und so wandte sich Hoffmeister an das Volksbildungsministerium in Weimar mit der Bitte um finanzielle Unterstützung beim Bau einer »richtigen« Sternwarte mit Kuppel und Teleskop. Er konnte Minister Leutheußer und Oberregierungsrat Stier bei einem Besuch vor Ort überzeugen und verfasste eine »Denkschrift betreffend die Verlegung der Sternwarte zu Sonneberg«. Ebenso gewann er die Jenaer Zeiss-Stiftung, eine Kuppel unentgeltlich zur Verfügung zu stellen und zu montieren. Das Ministerium gab schließlich der Stadt das nötige Geld, Bürgermeister und Stadtrat stimmten zu, und der Bau der Sternwarte startete am 28. Juli 1925.
Den Platz der Sternwarte hatte Hoffmeister zuvor sehr sorgfältig ausgewählt, in Laufentfernung zur Stadt, aber hoch über ihr, um Nebel, Staub und Streulicht zu entgehen, und mit ringsum freiem Blick bis zum Horizont. Es gelang, den sich 300 Meter nördlich über die Stadt erhebenden Erbisbühl am Rande des Dorfes Neufang über Gebietstausch zu erlangen. Bei dieser Gelegenheit lernte er Adelheid Wenzel kennen, die er heiratete und die ihn als Assistentin bei den späteren Reisen nach Namibia begleitete.
Die Bauarbeiten gingen rasch voran, und so konnte am 28. Dezember 1925 die mit 638 Metern über Normalnull befindliche, damals höchstgelegene Sternwarte Deutschlands eröffnet werden. Hoffmeisters Beobachtungsschwerpunkte waren zunächst atmosphärische und planetare Phänomene wie Leuchtende Nachtwolken, Meteore, das Zodiakallicht und der Gegenschein, aber auch Kometen. Da er bereits in Bamberg an der »Geschichte und Literatur des Lichtwechsels der veränderlichen Sterne« mitgearbeitet hatte, war ihm die Problematik der Entdeckung, genauen Positionsvermessung und Klassifizierung der Veränderlichen bekannt. Die Fixierung auf die systematische Untersuchung dieser bis dahin eher als selten und exotisch angesehenen Gruppe von Sternen begründete später den Ruf Sonnebergs als »Forschungszentrum für Veränderliche«. Ähnlich wie für Max Wolf in Heidelberg in Bezug auf Kleinplaneten, erwies sich für Hoffmeister die wiederholte Fotografie gleicher Sternfelder als Mittel der Wahl, um Veränderliche zu entdecken. Fast 10 000 werden es am Ende seines Lebens sein – ein einsamer Rekord in der Vor-Computerära. Die Fotoplatte bietet den Vorteil, gleichzeitig Detektor und Langzeitspeicher zu sein. Der Blinkkomparator, ein Gerät, mit dem zwei Aufnahmen derselben Gegend von hinten durchleuchtet über eine optische Anordnung räumlich zur Deckung gebracht werden, wurde Hoffmeisters Arbeitspferd. Durch wechselnde Freigabe des Lichtwegs, das »Blinken«, oder – wie Hoffmeister es bevorzugte – mit stereoskopischem Blick lassen sich Unterschiede wie bewegte Objekte oder unterschiedlich hell leuchtende Sterne effizient auffinden.
Die Sternwarte wächst
Als bald nach der Gründung der Sternwarte die Stadt keine Möglichkeit mehr sah, sie finanziell zu unterhalten, gelang es Hoffmeister, sie an die Sternwarte Babelsberg anzugliedern; das Gelände wird an Preußen verpachtet und später verkauft. Zahlreiche kleinere Gebäude entstanden als Beobachtungshütten mit abfahrbarem Dach. Das Hauptgebäude wurde erweitert und wuchs durch Anbauten in alle Himmelsrichtungen – ein Umstand, der dem heute darin befindlichen Astronomiemuseum eine verwinkelte Struktur hinterlässt.
Mit Rudolf Brandt, der später mit dem Buch »Himmelswunder im Feldstecher« öffentlich bekannt wurde, stellte Hoffmeister im Jahr 1929 seinen ersten Assistenten ein. Im Jahr 1938 stieß Paul Ahnert dazu, der ab 1949 mit seinem »Kalender für Sternfreunde« über Jahrzehnte hinweg ein astronomisches Jahrbuch herausgab, das gleichermaßen in Ost und West bekannt und geschätzt wurde. Nikolaus Benjamin Richter, das erste Mal als Schüler 1928 in Sonneberg, begann an der Sternwarte seine astronomische Karriere. Er wurde zeitweise Hoffmeisters Stellvertreter und am 1. April 1960 Gründungsdirektor des Karl-Schwarzschild-Observatoriums in Tautenburg bei Jena.
Hoffmeisters Pläne zur möglichst umfassenden Suche und Untersuchung der Veränderlichen dehnte er auch auf die Südhalbkugel aus. 1937/38 unternahm er eine erste Reise nach Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. 15 Jahre später folgte eine zweite, anderthalb Jahre dauernde Reise und 1959 schließlich eine dritte Reise dorthin zusammen mit seiner Frau. Die Sonneberger Fotoplattensammlung verfügt daher auch über knapp 2000 Aufnahmen des Südhimmels aus diesen Jahren.
Hoffmeister wurde im Jahr 1941 zum Professor an der Universität Jena ernannt; er hielt dort regelmäßig Vorlesungen, aber sein Arbeitsmittelpunkt blieb Sonneberg. In Jena übernahm er 1951 überdies die Herausgabe der Zeitschrift »Die Sterne«.
Der Zweite Weltkrieg schränkte die Beobachtungsmöglichkeiten ein; es mangelte an Fotomaterial und Chemikalien. Gegen Ende des Krieges war Sonneberg zunächst amerikanisch besetzt, geriet dann aber im Zuge des Gebietstauschs der Siegermächte unter sowjetische Herrschaft. Hoffmeister musste mit ansehen, wie sein Lieblingsinstrument, ein 400/1600-Millimeter-Astrograf, und zwei Ernostare, die eigentlich aus Bamberg geliehen waren, als Reparationsleistung demontiert wurden. Rudolf Kippenhahn, der in jener Zeit zufällig als Ferienpraktikant in Sonneberg war, hatte diesen Vorgang miterlebt und ausführlich geschildert (siehe SuW 4/1985 und SuW 5/1985). Für Hoffmeister bedeutete dieser Verlust zunächst das Ende seiner Forschungsmöglichkeiten, was ihn seelisch fast bis zur Selbstaufgabe brachte. Der Astrograf hingegen gelangte auf die Krim und war dort noch viele Jahrzehnte im Einsatz.
Blütezeit und Restriktionen
Dank der Zeiss-Stiftung konnte Hoffmeister die Sternwarte in den unmittelbaren Nachkriegsjahren halten. Als einer der bekanntesten deutschen Astronomen gelang es ihm, die Sternwarte als ein Institut der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu etablieren. Damit verbunden waren etliche bauliche Erweiterungen und Neubauten, allesamt mit Teleskopen, Kuppeln, Labor- und Arbeitsräumen ausgestattet (siehe »Instrumente der Sternwarte Sonneberg«). Die Reparationsverluste konnten auf diese Weise mehr als kompensiert werden. Im Jahr 1958 wurde als größter Bau das Neue Hauptgebäude errichtet: mit einer 8-Meter-Kuppel für das Schmidt-Teleskop, einer 5-Meter-Kuppel für einen neuen Astrografen sowie einer Anlage zur Himmelsüberwachung. Auch die Plattensammlung fand in zwei geschützten Räumen Platz (siehe »Sammlung fotografischer Platten«).
Instrumente der Sternwarte Sonneberg
Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Teleskope der Sternwarte noch erhalten:
• Schmidt-Spiegelteleskop 500/700/1720 mm
• Cassegrain I, 600/1800 mm
• Cassegrain II, 600/7200 mm
• Astrograf GB, 400/1950 mm (abgebaut, Objektiv im Museum ausgestellt)
• Astrograf GC, 400/1600 mm
• Doppel-Schmidt, 200/300 mm
• Anlage der Himmelsüberwachung: 14 Kameras mit 55/250 mm
• historischer Hoffmeister-Refraktor, 135/2020 mm
• Astrograf A, 170/1200 mm (im Museum ausgestellt)
Sammlung fotografischer Platten
Insgesamt zählt das Sonneberger Archiv fast 300 000 Fotoplatten und ist damit nach der Sammlung des Harvard Observatory in den USA das weltweit zweitgrößte seiner Art. Der Hauptbestandteil besteht aus etwa 180 000 Glasplatten der Größe von bis zu 130 × 130 Quadratmillimetern der flächendeckenden, kurzbrennweitigen Himmelsüberwachung in zwei Farbbereichen mit den Grenzgrößen 15 mag im fotografischen Blaubereich (pg) und 13,5 mag im fotovisuellen gelb-roten Bereich (pv). Bis zu 17,5 mag tiefer gehen die zirka 30 000 Platten im Format 300 × 300 Quadratmillimeter der beiden Astrografen, die etwa 8000 Platten (Format 130 × 130 Quadratmillimeter, Direktaufnahmen und Objektiv-Prisma-Spektren) der Schmidt-Kamera reichen bis knapp 19 mag. Neben weiteren Platten von Instrumenten aus verschiedenen Epochen der Sternwarte haben die Sammlung des Lohrmann-Instituts, Dresden, sowie aktuell Platten vom Calar-Alto-Schmidt des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg Eingang gefunden. Überdies gibt es auch Spektrenaufnahmen aus La Paz, Bolivien.
Seit der Privatisierung der Sternwarte hat die 4pi Systeme etwa 85 Prozent der Platten digitalisiert und wird in den letzten Jahren dabei vom Astronomiemuseum e. V. unterstützt.
Als Akademie-Institut wuchs die Sternwarte auch personell. Schließlich waren es zirka 35 Personen, darunter zwölf Wissenschaftler, mehrere Techniker, wissenschaftliche Hilfskräfte, Nachtbeobachter, Nachtwächter, Hausmeister, Kraftfahrer, Köchinnen und Verwaltungspersonal.
Hoffmeister publizierte Bücher über Meteore und Meteorströme sowie über seine Reisen nach Afrika. Seine genauen Beobachtungen der Kometenschweife führten Ludwig Biermann in Potsdam-Babelsberg zur Entdeckung des Sonnenwinds.
Das Hauptforschungsgebiet aber blieben die veränderlichen Sterne. Das Institut gab jahrzehntelang einige Publikationsreihen heraus, die zumeist diesem Themenfeld gewidmet waren. Sie wurden im direkten Austausch an fast 300 Institute in alle Welt versandt.
Neben Hoffmeisters unermüdlicher Entdeckungs- und Klassifizierungstätigkeit rückten auch statistische Betrachtungen in den Vordergrund (Arbeitsgebiet von Gerold Richter). Da die fotometrischen Messungen mit Fotoplatten auf etwa zehn Prozent (+/–0,05 mag) Genauigkeit begrenzt sind, wurden elektronische Fotometer mit Filterrad entwickelt (zuständig: Walter Fürtig, Lothar Rose). Junge Sterne und wechselwirkende Doppelsterne mit ihren charakteristischen kataklysmischen Lichtausbrüchen wurden neue Forschungsthemen (Wolfgang Wenzel, Ludwig Meinunger, Siegfried Rößiger, Reiner Luthardt). Eine Zeitlang wurde versucht, die Fotometrie auf den Infrarotbereich auszudehnen (Wenzel, Rose), was aber an den materiellen und technischen Möglichkeiten der DDR scheiterte. Als in den 1980er Jahren die Detektion von Gamma-Ray Bursts Rätsel aufgaben, suchte Wenzel exzessiv nach möglichen optischen Pendants auf den Fotoplatten.
Obwohl Hoffmeister international anerkannt war und mit dem Nationalpreis (1951), dem Vaterländischen Verdienstorden (1954) und der Humboldt-Medaille (1959) geehrt wurde, nahm seine Direktorenschaft ein unwürdiges Ende. Die Akademie wurde umstrukturiert, vor allem zentralisiert, die Eigenständigkeit von Instituten aufgegeben. Die Sternwarte Babelsberg, das Astrophysikalische Observatorium Potsdam, das Karl-Schwarzschild-Observatorium Tautenburg und die Sternwarte Sonneberg wurden zum Zentral-Institut für Astrophysik (ZIAP) zusammengefasst. Hoffmeister sollte Leiter der Abteilung »Felderplan und Typologie der Veränderlichen« im neugegründeten Institut für Sternenphysik werden. Er appellierte, dass seine Forschung und die der Kollegen über Veränderliche unbedingt fortgeführt werden müssen, was in gewissem Rahmen auch gelang. Dennoch zehrte die Reform an seiner Gesundheit. Er besuchte im September 1967 noch die IAU-Tagung in Prag und vollendete das Manuskript der bekannten Monografie »Veränderliche Sterne«. Vor dem Erscheinen des Buches verstarb Hoffmeister jedoch am 2. Januar 1968. Wenzel wurde wissenschaftlicher Abteilungsleiter, während Gerhard Jackisch zum Abwesenheitsvertreter des Potsdamer Direktors ernannt wurde, zuständig für die in Sonneberg auftretenden »verwaltungstechnischen und wissenschaftsorganisatorischen Fragen«. Die Umstrukturierung der Akademie war verbunden mit dem erzwungenen Austritt aller ostdeutschen Astronomen aus der Astronomischen Gesellschaft, dem sich natürlich auch die Sonneberger unterordnen mussten.
Die Lage der Sternwarte nahe der Grenze zur Bundesrepublik brachte zusätzliche gravierende Nachteile mit sich: Zeitweise befand sich das Institut in der 5-Kilometer-Sperrzone, die nur mit Passierschein zu erreichen war. Selbst für ostdeutsche Gäste war ein umständliches Anmeldeprozedere erforderlich; Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem westlichen Ausland konnten die Sternwarte mit ganz wenigen Ausnahmen gar nicht besuchen. Umgekehrt mangelte es – Hoffmeister ausgenommen – an sogenannten Reisekadern, also an Personen, die dem Staatsapparat zuverlässig genug erscheinen, um direkte westliche Kontakte haben und reisen zu dürfen. Briefpost aus dem Westen, die in Sonneberg ankam, ging zunächst ungeöffnet in die Zentrale nach Potsdam, wurde dort inspiziert und – möglicherweise – wieder nach Sonneberg zurückgesandt. Die gleiche Prozedur galt für Ausgangspost zum Beispiel zu den Kollegen nach Bamberg – eine Rückkopplung, ob der Brief wirklich versandt wurde, fehlte.
Enttäuschte Hoffnungen
Nach dem Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung waren die Erwartungen und Hoffnungen groß: Zugang zu moderner Rechentechnik und leistungsfähigen Detektoren, Austausch mit den westlichen Kollegen, vielleicht sogar neue Teleskope für Sonneberg! Alle Akademie-Institute wurden durch den bundesdeutschen Wissenschaftsrat evaluiert und fielen in den Besitz der jeweiligen Länder. Die Sternwarte Sonneberg kam also nach Thüringen. Und obwohl die Evaluierungsschrift bezüglich Sonneberg etliche Widersprüche aufwies, diente sie als Steilvorlage für das Land, Fakten zu schaffen und die Thüringer Astronomie ausschließlich auf den Raum Jena zu konzentrieren – mit der Universität Jena und nicht weit davon entfernt mit dem Karl-Schwarzschild-Observatorium in Tautenburg. Den Sonnebergern hingegen drängte sich der Eindruck auf, dass für die (west)deutsche beobachtende Astronomie ausschließlich Teleskope ab zwei Metern Durchmesser zählten – wie etwa in Tautenburg – , während die Aufzeichnung variabler Objekte und generell transienter Erscheinungen am optischen Himmel gerade nicht en vogue waren.
Im zähen Ringen um den Fortbestand und mit Unterstützung durch Waltraut Seitter in Münster konnte die sofortige Schließung der Sonneberger Sternwarte verhindert werden. Tautenburg wurde Thüringer Landessternwarte und Sonneberg für immerhin noch drei Jahre (1992 bis 1994) zu deren Außenstelle; die Zahl der Mitarbeiter sank auf fünf. Etliche gingen in den Ruhestand, einige in die Industrie oder an andere Institute. Einige fanden später eine befristete Anstellung an der Sternwarte über die damals in Ostdeutschland weitverbreiteten Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen (ABM/SAM). Diese staatlich bezahlten, größtenteils nicht astronomisch geschulten Kräfte wurden beispielsweise dazu eingesetzt, die Plattensammlung systematisch zu kontrollieren, schadhafte Platten zu identifizieren und gegebenenfalls zu restaurieren.
Doch die drei Jahre vergingen rasch, und das Ende der Sternwarte schien unausweichlich. Bis Dezember 1994 sollten die berühmte Fotoplattensammlung, die Bibliothek und die Teleskope nach Tautenburg überführt werden. Unter anderem wurde dort genau zu diesem Zweck ein neues Institutsgebäude errichtet.
Rückkehr als kommunale Sternwarte
Not macht bekanntlich erfinderisch, und so gründeten Klaus Hoffmeister, ein Neffe Cunos, Hans-Jürgen Bräuer, zu jener Zeit Leiter der Sternwarte, und zahlreiche Unterstützer im Jahr 1992 den Verein Freunde der Sternwarte Sonneberg e. V. und überzeugten die Lokalpolitik, die Schließung der Sternwarte nicht zuzulassen. Bräuer ignorierte die Weisungen aus Tautenburg zur Vorbereitung des geplanten Ausblutens, wurde abgemahnt und riskierte seinen Job. Bürgermeisterin und Landrat wurden aktiv und verhandelten mit dem Land; Schützenhilfe kam aus Tübingen von dem Astronomen Hanns Ruder, der zu jener Zeit den Vorsitz der Astronomischen Gesellschaft innehatte. Schließlich wurde am 11. September 1995 der kommunale »Zweckverband Sternwarte Sonneberg« gegründet, dessen Mitglieder die Stadt und der Landkreis Sonneberg sind.
Zwar konnte zunächst eine mehrmonatige Schließung der Sternwarte Mitte 1995 nicht verhindert werden – die Himmelsüberwachung ruhte vorübergehend – , aber schließlich kam ein Übernahmevertrag mit Auflagen zwischen Land und Zweckverband zustande. Und so ging am 1. Oktober 1995 die Sternwarte erneut in Betrieb. Es gab überdies eine Anschubfinanzierung durch das Land Thüringen und sogar eine aus Bayern, was durch die eher fränkische als thüringische Natur der Sonneberger möglich wurde. Neben der Wiederaufnahme der wissenschaftlichen Tätigkeit sah das Betriebskonzept zusätzlich den Schwerpunkt Öffentlichkeitsarbeit mit der Einrichtung eines Astronomiemuseums vor (siehe »Astronomiemuseum der Sternwarte Sonneberg – Thüringens Tor zum Universum«).
Die Leitung wurde in die Hände von Constanze la Dous gelegt, einer renommierten Astronomin mit reichlich Erfahrung auf dem Gebiet der kataklysmischen Veränderlichen durch ihre jahrelange Tätigkeit bei NASA und ESA. Hochmotiviert traten sie und eine sechsköpfige Crew an; die fotografische Überwachung wurde fortgesetzt, und eine erste systematische Digitalisierung der Fotoplatten startete. Zusammen mit Nikolaus Vogt aus Santiago de Chile, Hanns Ruder aus Tübingen, mehreren Fachbereichen der Technischen Universität Ilmenau und Manfred Steinbach vom damaligen Optikzentrum Bochum wurde ein ambitioniertes Projekt konzipiert: der Aufbau einer weltumspannenden digitalen Himmelsüberwachung, genannt ASPA (All-Sky Patrol Astrophysics). Das Netzwerk sollte aus je drei Stationen auf der Nord- und Südhalbkugel bestehen, ähnlich den heutigen ASAS-SN-Stationen.
Um die Idee umzusetzen, wurde ein Paketantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft gestellt; auch das Bundesforschungsministerium wurde kontaktiert. Da jedoch die Unterstützung aus der Landeshauptstadt fehlte, liefen alle Bemühungen, die Sternwarte Sonneberg mit einem modernen Projekt nach vorn zu bringen, ins Leere. Eine letzte Anstrengung aus eigenen Kräften heraus gelang mit der Bewerbung zur Weltausstellung 2000 für den Wissenschaftspark, um ASPA über diese Schiene aus der Taufe zu heben. Doch nach anfänglichen hoffnungsvollen Signalen aus Erfurt zog sich das Land zurück.
Die Enttäuschung war so bitter, dass Constanze la Dous Anfang 2000 das Handtuch warf. Die Leitung der Sternwarte übernahm am 1. Februar 2000 Peter Kroll, der Autor dieses Artikels. Der Ratschlag guter Freunde lautete nun: »Versuche kein eigenes Projekt mehr, hänge dich an ein anderes dran!« Die Gelegenheit ergab sich rasch mit dem Projekt DIVA, einem Astrometrie- und Fotometriesatelliten, der Anfang der 2000er Jahre eine Brücke zwischen dem sehr erfolgreichen ESA-Satelliten Hipparcos und dem viel später gestarteten europäischen Projekt Gaia spannen sollte. Kroll setzte sich dafür ein, die Datenzentrale nach Sonneberg zu bekommen. Doch die Finanzierung des ganzen Projekts stand auf wackligen Füßen; schließlich wurde es ganz verworfen, und man konzentrierte die Kräfte auf Gaia.
Privatisierung
Im Jahr 2003 wies das Landesverwaltungsamt die Zweckverbandsmitglieder Stadt und Landkreis Sonneberg überraschend darauf hin, dass die Finanzierung von Wissenschaft Landes- und nicht Kommunalaufgabe sei. Für die Sternwarte bedeutete dies, dass erneut und rasch eine neue Finanzierung gefunden werden musste.
Die Lösung bot sich auf unerwartete Weise an: Mitte 2000 bat die Firma Zeiss in Jena um eine Studie mit fotografischem Material zur Aufnahme von Satellitenspuren. Um das dahinterstehende Projekt weiter betreuen zu können, wurde die 4pi Systeme – Gesellschaft für Astronomie und Informationstechnologie mbH gegründet, ein Spin-off der Sternwarte. Kroll übernahm auch hier die Geschäftsführung. Angesichts der neuerlichen Notlage der Sternwarte entschlossen sich die Gesellschafter der Firma, unter ihnen auch Hanns Ruder und Hans-Jürgen Bräuer, die Sternwarte zu übernehmen und zunächst primär privatwirtschaftlich zu betreiben, um Einnahmen zu erzielen. Doch auch wissenschaftliche Projekte sollten in bezahlbarem Rahmen fortgeführt und der Betrieb des Astronomiemuseums unterstützt werden. Die Firma wurde zum Rettungsanker: Am 1. Januar 2004 wurde ein Erbpachtvertrag über 99 Jahre zwischen dem Zweckverband als Eigentümer der Sternwarte und der 4pi Systeme GmbH als Besitzer abgeschlossen. Abgesehen vom Astronomiemuseum, das finanziell durch die Kommune unterstützt wird, fließt das Geld seitdem von der Sternwarte zum Staat.
Die Privatisierung der Sternwarte eröffnete zwar einerseits neue Freiräume, sofern genügend Umsatz erzielt werden konnte, andererseits aber drückten auch die permanente Last der Betriebskosten und die Unterhaltung der denkmalgeschützten Anlage (siehe »National bedeutsames Kulturdenkmal«).
National bedeutsames Kulturdenkmal
Seit 1992 steht die Sternwarte Sonneberg unter Denkmalschutz, sowohl das Gebäudeensemble mit der charakteristischen Aluminiumverkleidung der Fassaden und Kuppeln als auch die Plattensammlung. Dank Unterstützung durch das Thüringische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie konnten zahlreiche Gebäude und Kuppeln saniert werden. Im Jahr 2022 wurde die Sternwarte seitens des Bundes als »National bedeutsames Kulturdenkmal« eingestuft. Zusammen mit privaten Spendern über die Deutsche Stiftung Denkmalschutz flossen in den letzten Jahren rund 1,5 Millionen Euro aus Bundes-, Landes- und Kommunalmitteln in die Denkmalpflege. Das Programm soll fortgesetzt werden.
Inhaltlich orientiert sich die 4pi Systeme an astronomischen Themen, vornehmlich Software zur Fernrohrsteuerung, zum Beispiel der beiden Teleskope des Deutschen Museums München, zur Mondsicheldetektion (Oman) oder Satellitenbahnvermessung (Ägypten). Neben anderen Projekten liegt der Fokus in den letzten Jahren auf dem Bau und dem Vertrieb von Astro-Outdoor-Elementen für Sternwarten, Natur- und Sternenparks. Dazu gehören wetterfeste drehbare Sternkarten, Polarsternfinder und, gewissermaßen als Flaggschiff, der Bau von SkyPole-Anlagen. So wurden 2023 sowohl auf dem Gelände der Landessternwarte Heidelberg als auch auf der Hohen Geba in der Thüringer Rhön Anlagen errichtet (siehe SuW 1/2025, S. 76).
Astronomiemuseum der Sternwarte Sonneberg –
Thüringens Tor zum Universum
Nach der Übernahme der Sternwarte durch den kommunalen Zweckverband wurde im Alten Hauptgebäude das Astronomiemuseum eingerichtet, das im Jahr 1998 seine Türen öffnete. Seit der Privatisierung der Sternwarte ist der Träger des Astronomiemuseums ein gemeinnütziger Verein – zunächst der Freunde der Sternwarte Sonneberg e. V. und seit 2016 der neugegründete Verein Astronomiemuseum e. V., der auch eine Neugestaltung der Ausstellung vornahm.
Zahlreiche Exponate – vom DDR-Fernsehteleskop über die lichtelektrische Fotometrie bis hin zu besonderen Fotoplatten – dokumentieren die Technikgeschichte und die wissenschaftliche Arbeit der Sonneberger Astronominnen und Astronomen. Eine Übersichtssammlung von Meteoriten, Tektiten und Impaktgesteinen bietet Einblicke in die Entstehung des Sonnensystems. Optikgeschichtliche Exponate, Amateurteleskope, die Mondlandung und bald auch die Ausstellung »Entstehung der chemischen Elemente« sind ebenso vertreten. Interaktive Stationen lassen die Astronomie ganz besonders erlebbar werden, wie etwa ein Teleskop, das auch bei schlechtem Wetter etwas zeigt, die Simulation eines Asteroideneinschlags oder die Möglichkeit, selbst veränderliche Sterne zu entdecken.
Das Museum engagiert sich zudem in der Nachwuchsförderung mit MINT-Projekten für Kinder und Jugendliche. Populärwissenschaftliche Vorträge zu aktuellen Themen aus Astronomie und Raumfahrt finden regelmäßig statt. An den Beobachtungsabenden können die Besucher die Teleskope der Sternwarte für eigene Beobachtungen nutzen.
Der Hörsaal des Museums ist überdies auch häufiger Drehort für Beiträge zu den YouTube-Kanälen »Urknall, Weltall und das Leben« sowie »videowissen«.
Kontakt:
Astronomiemuseum der Sternwarte Sonneberg, Tel. +49 3675 81218 geöffnet Dienstag bis Sonntag: 13 – 17 Uhr, https://astronomiemuseum.de
Visionen und Hoffnungen
Rückblickend erwies sich die Privatisierung recht bald als Notkonstruktion, um die Sternwarte überhaupt am Leben zu erhalten. Es ist aber absehbar, dass die 4pi Systeme die 99 Erbpachtjahre nicht wird durchstehen können. Zahlreiche Versuche, das Land Thüringen zu überzeugen, die Entscheidung von Anfang der 1990er Jahre zu korrigieren, schlugen bisher fehl, obwohl es über Jahre hinweg ein deutliches Interesse der Technischen Universität Ilmenau gibt. Da Stadt und Landkreis Sonneberg zur Europäischen Metropolregion Nürnberg gehören, gab es zwischenzeitlich auch Bemühungen einer engeren Kooperation mit der Hochschule Coburg. Leider verbietet jedoch der Förderalismus in Deutschland den Transfer einer Grundfinanzierung über Ländergrenzen hinweg.
Zur Zeit der Abfassung des Artikels gibt es neue, hoffnungsvolle Aktivitäten auf Landesebene mit freilich ungewissem Ausgang.
Die Denkschrift Cuno Hoffmeisters zum Bau der Sternwarte auf dem Erbisbühl schließt mit den Worten »Letzten Endes ist nicht die Größe der Hilfsmittel, sondern der treibende Geist entscheidend für den Erfolg«. Doch obwohl Hoffmeister diesen Wahlspruch in bewundernswerter Weise bis zu seinem Ende mit Leben erfüllt hat, greift er doch zu kurz: Ohne politisches Wohlwollen kann keine wissenschaftliche Einrichtung bestehen.
Der Autor dankt Denise Böhm-Schweizer, Mario Ennes, Walter Fürtig, Björn Höppner, Klaus Hoffmeister, Bernd Müller, Thomas Müller, Franziska Schubert, Eberhard Splittgerber, Markus Truckenbrodt sowie Bettina Vorwieger für zahlreiche Hinweise.
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