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20 Jahre Dolly: Die Story eines Schafs, das es nicht geben dürfte

Sie war das Ergebnis harter Arbeit - und eines großen Glückstreffers. Die Menschen hinter Dolly erzählen, wie sie aus der Not heraus das berühmteste Schaf der Welt erschufen.
Das Klonschaf Dolly erlangte vor 20 Jahren Weltruf. Hier ist es mit Ian Wilmut zu sehen.

Am 5. Juli 1996 wurde Dolly geboren, das erste Säugetier, das aus einer adulten Zelle geklont wurde. Geschaffen wurde sie allerdings fünf Monate vorher, in einem kleinen Räumchen am Roslin Institute bei Edinburgh.

Karen Walker: Es war ein schrecklicher Tag, als wir Dolly machten.

Bill Ritchie: Es war der 8. Februar 1996. Ich hab es nachgeschaut. Aber es war wirklich ein schrecklicher Tag, wir hatten allerlei Probleme, unter anderem mit Infektionen.

Walker: Wirklich schade, dass das Gebäude abgerissen wurde, sonst könnten wir uns den Raum einmal anschauen, wo Dolly erzeugt wurde. Ich sage jetzt einfach mal "Raum", aber in Wirklichkeit war das eher ein großer Wandschrank. Wenn Bill und ich drin waren, bekam man nur noch den Inkubator rein und zwei Stühle.

Ritchie: Es war ja auch tatsächlich der Wandschrank. Der Lagerraum hinten im Labor. Als später die Filmteams kamen, konnten sie es gar nicht glauben. Es gab überhaupt keinen Platz zum Filmen.

Die handelnden Personen:

Karen Walker: Embryologin, PPL Therapeutics, Roslin, UK; heute Direktorin von KXRegulatory in Linlithgow, UK

Bill Ritchie: Embryologe, Roslin Institute; heute bei Roslin Embryology

Angela Scott: Zellkultur-Labortechnikerin, PPL; heute leitende Geschäftsführerin bei TC BioPharm, Motherwell, UK

Alan Colman: Forschungsleiter, PPL; heute an der Harvard University, Cambridge, Massachusetts

Ian Wilmut: Embryologe, Roslin; heute an der University of Edinburgh

John Bracken: Forschungsfarmassistent, Roslin; heute im Ruhestand

Angelika Schnieke: Molekularbiologin, PPL; heute an der TU München

Harry Griffin: Wissenschaftlicher Leiter, Roslin; heute im Ruhestand

Jim McWhir: Stammzellforscher, Roslin; heute im Ruhestand

Walker und Ritchie gehörten zu einer Arbeitsgruppe am Roslin Institute und dessen Spin-off PPL Therapeutics, das präzise Veränderungen im Erbgut von Nutztieren durchführen wollte. Am aussichtsreichsten erschien dem Forscherteam unter der Leitung von Ian Wilmut, die Veränderungen in Zellkulturen vorzunehmen und dann den Zellkern in eine neue Zelle zu transferieren.

Richie: Am einfachsten lässt sich der Kerntransfer so beschreiben: Man nimmt eine unbefruchtete Eizelle und entfernt die Chromosomen. Dann nimmt man eine Zelle, die sowohl männliche als auch weibliche Chromosomen enthält, also im Prinzip jede Zelle, abgesehen von den Keimzellen. Diese verschmilzt man mit der entkernten Eizelle, aktiviert sie, damit sie zu wachsen beginnt, und setzt sie dann einer Leihmutter ein. Jetzt heißt es hoffen und Daumen drücken, dass man geklonten Nachwuchs bekommt – eine Kopie des Tiers, von dem man die Zelle genommen hat.

Walker: Der Ausdruck "mühselig" trifft es am besten. Man sitzt und starrt durch sein Mikroskop, mit beiden Händen an den Mikromanipulatoren, die ein bisschen an die Joysticks erinnern, mit denen die Kids heute am Computer spielen. Einmal mit dem Ellbogen abrutschen und schon hat man die ganze Schale abgeräumt.

Aus der Not geboren

Ein Jahr früher hatte das Team zwei Schafe, die Zwillinge Megan und Morag, erzeugt, indem es Embryonalzellen in Zellkultur klonte. Die Leitung hatte seinerzeit der Entwicklungsbiologe Keith Campbell, der ebenfalls zum Roslin Institute gehörte. An jenem Tag im Februar 1996 gab es allerdings Probleme mit den fötalen Zelllinien, die für den Einsatz vorgesehen waren. Das Team musste auf einen anderen Zellkernspender umschwenken.

Walker: Ich erinnere mich, wie ich wie ein aufgeschrecktes Huhn herumgerannt bin. "Was sollen wir nur einsetzen?" Die geplanten Zellen waren ja nicht da. Und das Letzte, was man will, ist, die bereits vorhandenen Eizellen zu verschwenden. Wir wollten zumindest etwas ausprobieren.

Angela Scott: Von Karen erfuhr ich, dass die geplanten Zellen kontaminiert waren. Sie wollte wissen, ob ich Zellen hätte, die sie nutzen könnten. Wir arbeiteten an Epithelzellen aus dem Euter von Schafen. Unser Ziel war herauszufinden, ob sich die Proteinexpression in Milch steigern lässt. Das waren aber adulte Zellen.

Sir Ian Wilmut und die ausgestopfte Dolly | Der Leiter der Forschungsgruppe, in deren Labors Dolly geschaffen wurde, betrachtet sein inzwischen gestorbenes und ausgestopftes Klonschaf.

Alan Colman: In der Vergangenheit hatte ich mit John Gurdon [einem Entwicklungsbiologen von der University of Cambridge] am Zellkerntransfer geforscht. Es war ihm nie gelungen, aus adulten Froschzellen einen ausgewachsenen Frosch zu machen. Kaulquappen ja, aber keinen ausgewachsenen Frosch. Ich dachte darum, dass es mit adulten Zellen einfach nicht funktioniert. Aber wir hatten keine anderen Zelllinien, die wir benutzen konnten, also haben wir uns darauf geeinigt, dass wir die Euterzellen nehmen und einfach mal schauen, was dabei herauskommt. Nur, um Erfahrungen zu sammeln. Die Zellen kamen von einem Schaf mittleren Alters, es war sechs Jahre alt.

Ian Wilmut: Das wird bis heute immer wieder falsch verstanden. Es heißt, Dolly sei das erste Säugetier, das aus einer adulten Zelle geklont wurde. Aber eigentlich ist sie der erste Klon eines ausgewachsenen Tiers. Punkt. Man darf sie nicht unter Wert verkaufen.

"Schafe sind kleine, günstige Kühe"

Obwohl geklonte und genetisch veränderte Kühe wertvoller für die Industrie gewesen wären, arbeitete das Roslin-Team mit Schafen – aus praktischen Erwägungen.

Wilmut: Rinder sind unglaublich teuer und haben eine lange Generationsdauer. Schafe sind viel günstiger, und man kann leichter mit ihnen arbeiten. Und wir kannten ihre Reproduktionsbiologie. Was bei Schafen klappt, wird sehr wahrscheinlich auch bei Kühen klappen. Schafe sind kleine, günstige Kühe.

John Bracken: In der Fortpflanzungszeit hatten wir pro Woche 40 bis 60 Tiere auf dem Operationstisch [um die Eizellen zu entnehmen und die Embryonen einzupflanzen]. Bei so vielen Schafen im System mussten wir sehr genau aufpassen, dass immer das richtige Schaf am richtigen Ort war.

Walker: Wenn Bill die Embryos und Eizellen von der Farm hochbrachte, hatte er sie immer in der Brusttasche seines Hemds. Ich hatte keine Hemdtasche, also habe ich sie in meinen BH gesteckt. Einfach, um sie auf dem Rückweg warmzuhalten, bevor sie wieder in eine kontrollierte Umgebung kamen. Ich weiß zwar nicht, ob mein BH so sonderlich kontrolliert war, aber das war Bills Oberhemd ja auch nicht.

Ritchie: Bei Dolly übernahm ich die Entkernung der Eizelle und Karen die Verschmelzung. Das war unser übliches Prozedere.

Eine schwarzgesichtige Leihmutter für ein weißgesichtiges Lamm

Insgesamt transferierten sie 277 Kerne aus der Brustdrüsenzelllinie – die von einem Schaf der Rasse Finn Dorset stammte – in Eizellen von Schafen der widerstandsfähigen Rasse Scottish Blackface. Nur 29 der daraus entstandenen Embryonen wurden in Leihmutterschafe eingesetzt. Die Erwartungen waren gering: Es schien praktisch ausgeschlossen, dass ein adulter Zellkern so reprogrammiert werden könnte, dass daraus ein lebensfähiges Tier entsteht. Die meisten Klonembryos gingen ab, viele sogar, bevor per Ultraschall eine Trächtigkeit festgestellt werden konnte.

Wilmut: Die Fortpflanzungszeit bei Schafen beginnt im Oktober und endet ungefähr Februar/März. Um Weihnachten herum hatten wir die Bestätigung, dass einige Schafe nach Transfer aus fötalen Zellen trächtig geworden waren. Es lief also alles gut. Wenn das nicht gewesen wäre, hätten wir wohl nie unser Glück mit den Brustdrüsenzellen versucht, aus denen dann Dolly wurde.

Angelika Schnieke: Ich erinnere mich, wie ich Ian Wilmut in der Kantine traf. Er war sehr skeptisch. Er meinte, "ich wäre überrascht, wenn es klappt, aber PPL zahlt für die Experimente, also machen wir sie auch."

Bracken: Wir machten bei allen Schafen, denen Embryos eingesetzt worden waren, Ultraschallscans. Uns war natürlich bewusst, dass das wichtige Tiere waren. Immer wenn wir die Untersuchungen machten, waren die Wissenschaftler ganz neugierig, ob eins der Tiere trächtig war.

Walker: Ich bin nicht zu jedem Scan hingelaufen. Aber bei Dolly wusste ich, dass dies Zellen waren, die Bill und ich eingesetzt hatten. Damals sind John und ich dann ausnahmsweise doch hingegangen.

Bracken: Ich habe mich einfach nur gefreut, dass eins der Tiere trächtig war. Die wahre Bedeutung war mir gar nicht bewusst, weil uns niemand richtig aufgeklärt hatte. Wir wussten nur, dass es eine wichtige Schwangerschaft war. Es hatte für uns nicht so viel Gewicht; wir dachten nicht: "Wow, wenn daraus ein Lamm wird, schreiben wir Weltgeschichte. Oder: Das stellt in der Wissenschaft alles auf den Kopf!"

Walker: Ich hatte eine Videokassette mitgenommen, damit ich den Kollegen nachher alles zeigen konnte. Das Video habe ich noch in meiner Wohnung, aber ich muss gestehen, dass ich es immer noch nicht auf DVD überspielt habe. Das sollte ich unbedingt mal tun.

Schnieke: Ich erinnere mich noch an den Tag, als der erste Ultraschall gemacht wurde. Wir wollten ja immer alles wissen. Und dann sahen wir die Bilder und den Scan. Jetzt konnte man nur noch hoffen, dass es bis zum Ende dabeiblieb.

Wilmut: In meiner Erinnerung war das ungefähr an Tag 30 oder 35. Das heißt, bis zur Geburt blieben noch 120 Tage, die wir mit Hoffen und Bangen verbrachten.

Eine unkomplizierte Geburt und ein merkwürdiges Fax

Nur wenige Teammitglieder waren Zeugen von Dollys Geburt.

Bracken: Es passierte gegen halb fünf Uhr nachmittags. Als die Wehen einsetzten, haben wir sofort bei Dick Vet angerufen [der Royal School of Veterinary Studies in Edinburgh]. Sie sollten uns einen ihrer Tierärzte schicken. Obwohl [Forschungsfarmassistent] Douglas McGavin und ich zusammen gut 50 Jahre Erfahrung aufbrachten – aber es wäre einfach nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn wir die Geburt auf eigene Faust durchgezogen hätten und etwas schiefgegangen wäre.

Ritchie: Wir wussten, Dolly steht kurz vor der Geburt, und es gab deutliche Zeichen, dass die Mutter bald ablammen würde. Ich also hin, und schau einer an, da kommen schon die ersten Teile von Dolly raus. Die Tierärztin war vor Ort. Als ihr klar war, dass es dem Lamm gut geht, zog sie es heraus.

Bracken: Es war eine komplett normale Geburt, keinerlei Komplikationen. Das Lamm war lebenstüchtig und sehr schnell auf den Beinen, wahrscheinlich schon in der ersten halben Stunde. Das ist immer ein gutes Zeichen, dass alles okay ist.

Ritchie: Ich glaube, ich habe Luftsprünge gemacht, als ich das weiße Gesicht gesehen habe.

Scott: Karen war unterwegs bei einer Hochzeit.

Walker: Ich hatte ihr die Faxnummer des Hotels gegeben. So schade, dass ich das Fax nicht aufgehoben habe. Es stand drauf: "Sie hat ein weißes Gesicht und wollige Beine."

Scott: Was die wohl im Hotel gedacht haben? Wahrscheinlich: "Wow, das ist ja mal ein komisches Baby!"

"Ich glaube, Dolly regte die Fantasie an"Alan Coleman

Wilmut: Ich war auf meinem Gartengrundstück und bekam dort den Anruf, dass wir eine Lebendgeburt hatten. Ich habe Anweisungen erteilt, dass niemand da sein sollte, der nicht dort hingehörte. Viele waren ja schaulustig. An die Anweisung habe ich mich übrigens auch selbst gehalten, es gab nichts, bei dem ich dort gebraucht worden wäre.

Bracken: Ich stand neben Douglas MacGavin, wir sahen der Tierärztin zu, wie sie die Geburt durchführte, und ich sage so aus dem Nichts heraus zu Douglas: "Weißt du, wie wir das Lamm nennen sollten? 'Dolly'". Nach Dolly Parton, weil die Zellen ja aus Eutergewebe stammten.

Wilmut: Ich bin ja eher ein puritanischer Typ und war anfangs wohl nicht ganz so glücklich mit dem Namen. Aber rückblickend betrachtet, war das zweifellos eine großartige Idee.

Bracken: Ich weiß das nur vom Hörensagen, direkt zugegeben hat es mir gegenüber niemand. Aber angeblich hat damals jemand Dolly Parton erzählt: "Wir haben hier so ein geklontes Schaf, das hat man nach Ihnen benannt."

Wilmut: Ich weiß nicht, was wie bei ihr ankam. Aber später hieß es, ihr Agent hätte gesagt, es gebe keine "bääh-d publicity". Ob das stimmt, weiß ich aber nicht.

Zunächst keine Öffentlichkeit für "Dolly"

In den weiteren Monaten lieferte das Team um Wilmut den eindeutigen Nachweis, dass Dolly ein Klon aus der Brustdrüsenzelllinie war, und veröffentlichte die Ergebnisse. Die Geburt wurde strikt geheim gehalten, bis das "Nature"-Paper im Februar 1997 erschienen war (I. Wilmut et al.: Nature 385, S. 810-813, 1997).

Harry Griffin: Zwei oder drei Monate vor der Veröffentlichung des Papers wurde ich eingeweiht. Zur Vorbereitung war auch PPL mit im Boot. Sie sahen es als Chance, ein wenig Öffentlichkeitsarbeit für sich zu machen. Deshalb arbeiteten wir mit ihrer PR-Agentur De Facto zusammen. Wir haben zahlreiche Vorbereitungen getroffen.

Wilmut: Ron James, der Geschäftsführer von PPL Therapeutics, und ich wurden als Sprecher benannt. Es kamen Ex-BBC-Mitarbeiter zu einem Training vorbei. Die haben uns direkt ein Mikro unter die Nase gehalten und ziemlich angriffslustig Fragen gestellt. Danach haben sie einen sanfteren Ton angeschlagen. So aggressiv wie am Anfang ist uns später niemand angegangen. Das hatte uns ganz schön geschockt. Es war aber sicher eine lohnende Erfahrung.

Griffin: Alles hatten wir organisiert. Die Anrufe würden an De Facto umgeleitet, wo die Mitarbeiter die Anfragen nach Priorität sortieren und Ordnung ins Chaos bringen würden. Geplant war, dass die Bombe an dem Tag platzt, an dem das Paper erscheint. Wann war das? Am 27. Februar? Das hat dann wohl nicht ganz so gut hingehauen.

Wilmut: Robin McKie vom "Observer" hat es geleakt. Er wird Ihnen aber alles abstreiten.

Robin McKie, Redakteur für Wissenschaft und Technologie, "The Observer", London: Ich habe die "Nature"-Sache gar nicht gesehen. Ich verstehe, dass er sauer ist auf mich, aber ich habe mir viel Mühe gegeben, um genau solche Sachen zu vermeiden, die mir nun vorgeworfen werden. Ein Fernsehteam hatte mich für einen Film über Genetik um Hilfe gebeten. Am Ende sagte einer von ihnen: "Oh, übrigens, in Edinburgh haben sie ein Schaf geklont." Ich habe ihm nicht geglaubt, dann aber ein paar Leute aus der Szene angerufen. Jemand in den USA hat das Ganze bestätigt. Ich habe mir wirklich große Sorgen gemacht. Das war ja eine ausgemachte Sensation, ohne dass ich schwarz auf weiß einen Beweis dafür hätte. Danach habe ich dem stellvertretenden Chefredakteur alles erzählt, er wollte, dass ich darüber schreibe. Und dann – dann war die Kacke am Dampfen.

Griffin: Ian rief an und erzählte, er habe erfahren, dass der "Observer" die Story am Sonntag vor der "Nature"-Veröffentlichung bringen wolle. An diesem Sonntag sind er und ich um neun Uhr morgens ins Institut gefahren. Wir wussten nicht, ob die Anrufer durchkommen würden. Aber das Telefon klingelte ohne Unterbrechung. Es gab diesen verrückten Moment, dass plötzlich irgendwo im Besenschrank ein Telefon läutete. Ich ging ran, es war, glaube ich, der "Daily Mirror", der sich diese Nummer beschafft hatte. Erst um halb zehn abends sind wir wieder heimgefahren.

Das kleine Lamm Dolly und seine Leihmutter | Die Rasse Scottish Blackface, zu der die Leihmutter gehörte, gilt als besonders widerstandsfähig. Die Tiere bringen in den schottischen Schaffarmen ihren Nachwuchs oft ohne menschliche Hilfe zur Welt.

Jim McWhir: Ich weiß noch, als ich am Tag, nachdem die Sperrfrist gebrochen worden war, zur Arbeit kam, reihten sich auf dem Parkplatz die Satellitenübertragungswagen.

Wilmut: Die TV-Trucks standen überall. Ich ging raus und gab "Good Morning America" ein Interview.

Griffin: CBS, NBC, ABC, BBC, alle wollten ein Interview mit Ian, alle wollten das Schaf sehen. Es war das reinste Chaos. Wer es nicht selbst erlebt hat, macht sich keine Vorstellung davon, welche Wucht die Medien entfesseln, wenn sie volle Fahrt aufnehmen.

McWhir: Es war ein Drunter und Drüber. Ich ging zum Großtiergebäude und geriet in einen Wald aus Blitzlichtern und Reportern. Wirklich erstaunlich. Ich habe auf dem Absatz kehrtgemacht und bin wieder an die Arbeit gegangen.

Nächste Station: Der Mensch?

Griffin: Meine Sekretärin legte auf, und sofort klingelte es wieder. Ich hörte, wie am Telefon der Name Harold Shapiro fiel [damals Präsident der nationalen Bioethikkommission der USA]. Sie sagte: "Nein, Ian Wilmut kann momentan nicht mit Ihnen sprechen, können Sie später noch mal anrufen?" Bill Clinton hatte ihm 90 Tage Zeit für einen Bericht über die ethische Bedeutung des Klonens gegeben. Als ich den Namen hörte, rief ich: "Halt, mit dem wollen wir definitiv reden."

"Ich wäre überrascht, wenn es klappt, aber PPL zahlt für die Experimente, also machen wir sie auch"Ian Wilmut

Colman: Wenn man an einem Projekt beteiligt ist, glaubt man in der Regel gute wissenschaftliche Gründe für alles zu haben, was man so tut. In unserem Fall war jeder Schritt von einer Ethikkommission abgesegnet worden. Wir haben uns viele Gedanken gemacht über die Gesundheit der Tiere. Unsere Hauptsorge war aber diese eine Reaktion. Uns ging es zu keiner Zeit darum, demnächst Menschen klonen zu können.

Griffin: Die Journalisten sind aber immer wieder darauf herumgeritten. Man hat uns vorgeworfen, Dollys Geburt deswegen geheim gehalten zu haben, weil wir in Wirklichkeit Menschen klonen wollten. Unsere Haltung war aber klar: Das ist unethisch und unsicher.

Wilmut: Das gehört zum Job. Man muss nur erklären, dass das nicht der Fall ist.

Schnieke: In Europa hat man das sofort negativ bewertet. "Was haben sie getan? Und was könnten sie als Nächstes tun?" Die Polizei kam ins Institut und erklärte, was man im Fall einer Bombendrohung tun muss. Postpakete wurden auf Sprengstoff untersucht.

Walker: Woran ich mich erinnere, sind die Anrufe, die Ian Wilmuts Assistentin bekam. Sie bekam ständig Anrufe, darunter viele ziemlich verrückte – von Leuten, die ihre Hunde geklont haben wollten. Oder die eher traurigen, von Leuten, die ihr Kind verloren hatten oder selbst krank waren. Und die wissen wollten, ob wir eine Heilung für eine bestimmte Krankheit gefunden hatten.

Fotogener Medienprofi

Colman: Ich glaube, Dolly regte die Fantasie an. Mit ihrem kuscheligen Fell und noch dazu mit einem Namen, den man sich merken konnte. Das half enorm.

Bracken: Wenn man sie als Tier wahrgenommen hätte, das weggeschlossen ist, das niemand zu Gesicht bekommt, hätten wir wahrscheinlich mehr schlechte Publicity bekommen. Ich bin überzeugt, diese Offenheit steigerte die Akzeptanz in der Öffentlichkeit, dass man ihr einfach einen Besuch abstatten und alles anschauen konnte.

Griffin: Sie war ja auch nicht kamerascheu, jeder konnte sehen, dass sie ein völlig normales Tier war. So zugänglich und so fotogen, das hat sie zum berühmtesten Schaf der Welt gemacht. Jeder PR-Manager würde für so etwas wahrscheinlich einen Mord begehen. Auf manchen Fotos sieht es so aus, als wäre sie es, die die Reporter interviewt.

Bill Ritchie am Mikroskop | Die beiden Embryologen Bill Ritchie und Karen Walker unternahmen die extrem aufwändige Arbeit, an deren Ende die geklonte Dolly stand. Eizellen einer Leihmutter wurden entkernt und mit einem neuen Zellkern versehen. Das Außergewöhnliche im Fall Dolly: Der Kern stammte aus einer ausgereiften Zelle eines erwachsenen Tiers.

Walker: Einmal bin ich mit einem Fotografen zu Dolly gegangen. Er holte so eine kleine goldene Partykrone aus der Tasche, wie von einem Kindergeburtstag. Da habe ich gesagt: "Ich glaube, wir sollten das nicht tun." Es war uns allen sehr wichtig, dass Dolly nicht vermenschlicht wurde. Sie war ein Schaf, und dabei sollte es auch bleiben.

Bracken: Wenn die Journalisten und die Filmteams fortwaren, behandelten wir sie wie die anderen Schafe auch, nicht wie eine Berühmtheit. Obwohl sie natürlich eine war.

Walker: Als sie zum ersten Mal geschoren wurde, hat man die Wolle genommen – ich habe sogar noch etwas davon – und daraus einen Pullover für eine Mukoviszidosestiftung gestrickt. Haben Sie sie schon im Museum angeschaut? Sie ist jetzt in einem Glaskasten, weil Besucher ständig Fellstückchen von ihr abgerupft haben. Ich habe meine Wolle immerhin bekommen, als sie noch am Leben war.

Dolly erkrankt an der Lunge

Dolly wurde sechseinhalb Jahre alt und brachte mehrere Lämmer auf die Welt. Im Jahr 2003 wurden erste Krankheitsanzeichen bei ihr festgestellt.

Bracken: Es war am Valentinstag. Ich glaube, an einem Freitag. Wir wussten, dass sich diese Lungenkrankheit möglicherweise bei ihr entwickelt hatte.

Griffin: Sie litt an einer Krankheit namens Jaagsiekte [auch Lungenadenomatose genannt]. An der Lungenkrankheit waren kurz zuvor schon ein oder zwei Schafe eingegangen.

Wilmut: Sie sollte drüben an der tierärztlichen Hochschule geröntgt werden. Ihr Tumor in der Lunge war überraschend groß. Es wurde diskutiert, wie sehr wir uns unter diesen Umständen bemühen sollten, ihre Gesundheit wiederherzustellen. Oder ob man ihr nicht eher einen Gefallen täte, wenn man sie einfach gehen ließ. Also haben wir sie eingeschläfert. Man trägt Verantwortung für das Wohlergehen der Tiere in einem solchen Projekt.

Ein Jahrzehnt später musste das Team einen weiteren Verlust hinnehmen – den Tod von Keith Campbell.

Colman: Keith war die treibende Kraft. Er hat die grundlegenden Experimente für das Verfahrensprotokoll gemacht, an dem wir uns später alle orientierten. Ohne Keith hätte es keine Dolly gegeben.

Ritchie: "Außergewöhnlich" ist vermutlich die beste Beschreibung für Keith. Er war ein richtiger Hippie, fuhr einen VW Käfer, rauchte Selbstgedrehte und hatte lange Haare.

Colman: Seine Beziehung zu Ian war nicht ideal. Sie waren sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und hatten oft Diskussionen.

Wilmut: Ich erinnere mich nicht an Streit. Wir hatten mitunter minimal unterschiedliche Prioritäten. Es ist immer sehr schwer, die Anerkennung gerecht zu verteilen. Woran sich wohl Ärger und Kritik im Wesentlichen entzündeten, war, dass er nicht zum Erstautor unseres Dolly-Papers wurde. Bei absolut jedem anderen war er es. Und es gab auch Zeiten, in denen er sagte, das Paper über Megan und Morag wäre in Wirklichkeit das Bedeutendere. Und definitiv hat es ihn frustriert, dass ich zum Fellow in der Royal Society ernannt wurde und schließlich sogar zum Ritter geschlagen wurde.

Nach einem häuslichen Streit nahm sich Campbell am 5. Oktober 2012 das Leben.

Colman: Keith war ein sehr guter Freund von mir. Wir gingen nach Feierabend immer nach Schottland zum Mountainbike fahren. Ich habe drei Tage vor seinem Tod noch mit ihm gesprochen. Für mich war es ein großer Schock.

Walker: Es hat mich tief getroffen, tiefer, als ich es mir vorgestellt hätte. Ich hatte ihn viele Jahre lang nicht gesehen. Wir waren damals eine so enge Gemeinschaft. Das mussten wir auch sein.

Colman: Im vergangenen Januar nahm ich an einem Meeting in Paris teil, wo ihm posthum ein Preis verliehen wurde. Es gab eine Umfrage, wem alles durch Keiths Arbeit geholfen worden war. Da gingen viele, viele Hände in die Höhe.

Die Bedeutung: Viel mehr als Klonen

Die Methoden, die im Rahmen des Dolly-Projekts entwickelt wurden, kamen beim Klonen wertvoller Nutztiere oder bei der Erzeugung transgener Tiere zum Einsatz. In biomedizinischen Labors hingegen sah man in Dolly einen ersten Beleg dafür, dass sich Zellen in einen embryonalen Zustand zurückversetzen lassen und zu medizinischen Zwecken eingesetzt werden könnten.

Wilmut: Mit Dollys Geburt wurde unser Wissen über die körperliche Entwicklung auf den Kopf gestellt. Viele Biologen mussten damals lernen umzudenken.

Jeanne Loring, Stammzellbiologin am Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien: Das war der Beginn des Rinderklonens, was heutzutage ziemlich verbreitet ist. Die Eigenschaften von Rindern zu verbessern, ist enorm lukrativ. Durch Dolly gab es ein weiteres Werkzeug dafür.

George Seidel, Reproduktionsbiologe, Colorado State University in Fort Colins: Geklonte Bullen produzieren heute Sperma für den Verkauf. Es gibt einen Bullen namens Final Answer, der hat vielleicht eine halbe Million Nachkommen. Sei Klon heißt Final Answer II. Auch von dem kann man Sperma kaufen. Das kostet aber nur die Hälfte. Meine Frau und ich betreiben eine Rinderranch, also haben wir Final Answer II genommen. Meine Güte, das sind doch genau dieselben Gene. Aus theoretischer Sicht sind aber die transgenen Sachen viel wichtiger als das bloße Kopieren. Um unsere erste transgene Kuh zu machen, haben wir Tausende von Embryos erzeugt. Das war ein riesiger Aufwand. Ein Zehntel des Gelds und ein Zehntel der Tiere – das ließe sich mit Transgenetik plus Klonen machen.

Robert Lanza, wissenschaftlicher Leiter, Astellas Institute for Regenerative Medicine, Marlborough, Massachusetts: Ich war begeistert. Wir hatten die Hoffnung, dieselbe Methode anwenden zu können – und zwar nicht so sehr für Nutztiere oder -pflanzen – sondern für zahllose menschliche Krankheiten. Was uns Dolly gezeigt hat, war, wie mächtig diese Technologie ist und wie viel in der Eizelle steckt. Dass es offenbar Faktoren in der Eizelle gibt, mit denen man bei Zellen die Uhr zurückstellen kann und sie in einen embryonalen Zustand zurückversetzen kann.

Shinya Yamanaka, Stammzellforscher, Universität Kyoto: Meine erste Reaktion war: "Wow! Das ist wie Sciencefiction." Aber ich hatte nie vor, selbst damit zu arbeiten. Im Paper sah man, dass der Klonprozess technisch sehr anspruchsvoll war. Ein Jahr darauf kam das erste Paper über embryonale Stammzellen heraus. Da habe ich mir Dolly erneut vorgenommen. Mein Gedanke dabei war, zumindest in der Theorie müsste man normale Körperzellen in ihren embryonalen Zustand zurückversetzen können. Damit sollten sich Stammzellen, die embryonalen Stammzellen ähneln, direkt aus Haut- oder Blutzellen gewinnen lassen.

McWhir: So ein Resultat wie bei Dolly lässt die Leute innehalten und sich fragen: "Moment mal, wenn ich geglaubt habe, dass das unmöglich ist, was halte ich denn sonst noch so für unmöglich?"

Schnieke: Es gibt Experimente, da schlägt das Herz einfach schneller. Dolly war so eins.

Ritchie: Es ist wie Kinder haben. Ich habe keine Kinder, aber vielleicht ist Dolly für mich so etwas wie ein Kind.

Wilmut: Es wäre falsch zu behaupten, dass nun jeder meinen Namen kennt. Aber der von Dolly, der ist auf der ganzen Welt bekannt.

Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Dolly at 20: The inside story on the world’s most famous sheep" in "Nature".

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