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Homo heidelbergensis: 480 000 Jahre alte Knochenarbeit

Im englischen Boxgrove hatten Archäologen die Reste eines Wildpferds entdeckt. Jetzt werteten sie die Funde aus und identifizierten einen uralten Schlachtplatz – samt dem ältesten in Europa bezeugten Werkzeug aus Knochen.
Rekonstruktionszeichnung des 480 000 Jahre alten Schlachtplatzes, wie ihn Archäologen aus der Fundsituation ermittelten.

Vor rund 480 000 Jahren saßen ein paar Dutzend Frühmenschen am Ufer eines Feuchtgebiets – dort, wo sich heute Steinbrüche unweit von Boxgrove im südenglischen Sussex befinden. Einige von ihnen zerlegten minuziös ein Wildpferd, hatten zuvor Faustkeile gefertigt und ihre Geräte mit Knochenstücken geschärft. Dafür knapsten sie kleine Flintstücke entlang der Schneide ab. Die Überreste ihrer Schlachtarbeit ließ die Gruppe liegen. Wenig später überspülten Wasser und Sedimente die Stelle – und deckten sie für die kommenden Jahrhundertausende ab.

In den 1980er und 1990er Jahren haben Archäologen diese und andere prähistorische Plätze bei Boxgrove frei gelegt. Jetzt haben Forscher um Matthew Pope vom University College London die Fundsituation um das Wildpferd genauer untersucht und in einem Buch ausgewertet. Dabei identifizierten sie auch das älteste bisher bekannte Gerät aus Knochen, das vor 480 000 Jahren dazu diente, Feuersteinmesser zu schärfen. Für die Forscher ergeben sich daraus Hinweise auf die kognitiven Fähigkeiten der Frühmenschen, die sie als Angehörige der Art Homo heidelbergensis benennen.

Abfallhaufen | Acht solcher Lagen aus Flintabschlägen entdeckten die Archäologen am Schlachtplatz in Boxgrove. Offenbar hatte ein Frühmensch dort ein Steingerät hergestellt.

Geräteherstellung an Ort und Stelle

An acht Stellen hatten die Ausgräber insgesamt 2000 Feuersteinabschläge dokumentiert – nebst den Abdrücken von menschlichen Knien. Pope und seine Kollegen vermuten daher, dass die Werkzeugmacher am Boden knieten und aus einer Feuersteinknolle ein Gerät herauspräparierten. Die Werkzeuge selbst konnten die Forscher nicht bergen, aber aus hunderten Abschlägen rekonstruierten sie die Steinstücke, in deren Innerem die Negativform eines Faustkeils erhalten blieb. »Wir haben schon bald herausgefunden, dass sich mindestens acht Personen an der Stätte aufgehalten und Werkzeuge hergestellt hatten. Wahrscheinlich war es auch nur eine kleine Gruppe von Erwachsenen, die ›Jagdgesellschaft‹, die das Schlachten erledigte«, vermutet Archäologe Pope. Die Forscher hätten aber auch weitere menschliche Spuren entdeckt, die auf eine größere Gruppe von 30 bis 40 Individuen schließen ließe.

Womöglich sorgten einige von ihnen dafür, dass die Beute, ein großes weibliches Wildpferd, vollständig verwertet wurde. Sie entbeinten das Tier und zerschlugen die Knochen, um an das nahrhafte Mark zu gelangen. Aus den Knochen fertigte Homo heidelbergensis ebenfalls Werkzeuge, um die Schlachtmesser zu retuschieren. Diese Knipser zählen zu den frühesten Werkzeugen der Menschheitsgeschichte, die nicht aus Stein bestehen, erklären die Forscher. Für Koautorin Silvia Bello verraten sie aber noch mehr: »Das Ergebnis liefert Beweise dafür, dass frühe menschliche Kulturen begriffen haben, welche Eigenschaften verschiedene organische Materialien haben und wie sich Werkzeuge fertigen lassen, mit denen andere Werkzeuge verbessert werden können.«

Rekonstruierte Knolle | Aus einem Stück Feuerstein hatte ein Frühmensch Faustkeile herausgeschlagen. Archäologen haben die Abschläge wieder zusammengesetzt und im Inneren die Form des Geräts erkannt.

Womöglich hielten sich die Frühmenschen nicht länger als einen Tag am Ufer auf, nehmen Pope und sein Team an. Da Knochen und Steinabschläge so lagen, wie sie einst hinterlassen wurden, dürften sie relativ rasch von Sedimenten überdeckt worden sein. Unklar sei allerdings, wo sich die Homo-heidelbergensis-Gruppe sonst aufhielt. Die Forscher vermuten, dass sich Hinweise darauf vielleicht in der Umgebung finden ließen, doch viele Bereiche davon sind heute überbaut.

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