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News: Ab dem zweiten Kind lebt die durchschnittliche Familie in Armut

Die durchschnittliche Familie in Deutschland lebt ab dem zweiten Kind in relativer Armut. Selbst in einer wirtschaftlich gut situierten mittelgroßen Stadt von 100.000 Einwohnern liegt die Ouote der relativen Armut bei Familien mit zwei Kindern mit 16% bereits 3% über der bundesdeutschen Durchschnittsquole (13%). Ab dem dritten Kind steigt sie auf 26% und ab dem vierten Kind sogar auf 52% an.
Das heißt: Über die Hälfte der Familienhaushalte mit vier und mehr Kindern haben so wenig Geld zur Verfügung, daß sie sich nur das Allernötigste leisten können. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik der Universität Bielefeld unter der Leitung von Professor Dr. Klaus Hurrelmann und Dr. Christian Palentien.

Auftraggeber dieser Studie, eine Sozialbefragung von rund 2 300 Haushalten, war die Stadt Gütersloh. Zwar befindet sie sich wirtschaftlich in einer vergleichsweise eher günstigen Situation, gerade in der letzten Zeit werden aber auch hier – wie in anderen Städten und Gemeinden – die Konsequenzen von Arbeitsmarktveränderungen deutlich.

Als bundesweit erste Kommune wollte der Rat der Stadt ein ungeschöntes Bild der Lebenssituation ihrer Bürgerinnnen und Bürger erstellen und bat die Projektgruppe des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik der Universität Bielefeld um eine repräsentative Befragung ihrer Einwohnerinnen und Einwohner. Die Ergebnisse dieser Befragung, die auch auf andere Städte und Gemeinden übertragbar sind, wurden jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt. Relative Armut wurde, wie europaweit üblich, nach dem zur Verfügung stehenden Einkommen eines Haushaltes berechnet. Verfügt ein Familienhaushalt über weniger als 50% des durchschnittlichen Einkommens, dann wird dieser als arm bezeichnet.

"Es gibt viele Möglichkeiten, sich wirtschaftlich zu ruinieren – eine Möglichkeit ist, sich zwei oder mehr Kinder anzuschaffen", resümieren die beiden Wissenschaftler. Nach eigenen Angaben der Haushalte in Gütersloh lag das Durchschnittseinkommen bei Familien mit einem Kind monatlich bei 4 500.- DM, bei Familien mit zwei Kindern bei 4 800.- DM und bei Familien mit drei Kindern bei 4 700.- DM. Zum Vergleich: Das durchschnittliche monatliche Einkommen bei Verheirateten ohne Kinder lag bei 4 400.- DM. Haben also die Kinderlosen monatlich 2 200.- DM pro Kopf zur Verfügung, so sind es bei größeren Familien mit fünf Personen nur jeweils 940 .- DM.

"Vom besonderen Schutz des Staates, unter dem die Familie laut Grundgesetz stehen soll, können wir in unserer Studie wenig feststellen: Viele Familien mit Kindern werden bestraft, und zwar in finanzieller Hinsicht genauso wie in ihren Lebenschancen", so die beiden Wissenschaftler. Ein Beispiel hierfür ist die Wohnungssituation. Auch hier zählen Familien mit Kindern in der Gütersloher Befragung zu den Spitzenzahlern. Die Durchschnittsmiete einer Familienwohnung lag bei rund 1 200 DM monatlich. Sie nimmt mit der Anzahl der Kinder zu: Eltern mit drei bis vier Kindern müssen rund 1 400.- DM durchschnittlich im Monat für ihre Miete aufbringen. Gleichzeitig nimmt die Größe des Familien zur Verfügung stehenden Wohnraums mit der Anzahl der Kinder ab: Die Größe einer Wohnung beträgt bei Familien mit einem Kind 30 Quadratmeter Wohnraum pro Kopf und sinkt bei Familien mit vier und mehr Kindern auf 15 bzw 10 Quadratmeter pro Kopf ab. Im Gegensatz dazu beträgt die Durchschnittsmiete bei den Alleinlebenden in Gütersloh nur rund 780 DM, und zwar bei einer Quadratmeterzahl von über 60 pro Person.

Benachteiligungen von Familien mit Kindern bleiben nach dieser Studie nicht nur auf die finanzielle und die Wohnungssituation beschränkt. Sie betreffen auch den sozialen und emotionalen Bereich. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen hierzu, daß sich 49% aller EItern mit einem oder mehr als einem Kind "psychisch stark belastet" fühlen. Die geringste psychische Belastung geben kinderlose Paare und Alleinlebende an. "Diese enorm hohe Belastung von Eltern muß in einem direkten Zusammenhang zu ihrem Lebensalltag gesehen werden. Wer Kinder hat, ist rund um die Uhr "im Dienst", es sei denn, man kann sich zeitweise eine Betreuung arrangieren. Dieses kostet aber wiederum Geld und ist nur für einen kleinen Teil aller Familien erschwinglich", so die Bielefelder Forscher.

Hurrelmann und Palentien plädieren für eine drastische Erhöhung des Kindergeldes sowie den Ausbau von Ganztagsschulen und Kindergartenplätzen. Sie appellieren an die Kommunen, Familien zu unterstützen. Gerade jetzt, in der Ferienzeit, benötigen Familien mit Kindern dringend Erholung. Ein immer größer werdender Anteil an Familien kann sich aber einen Urlaub finanziell nicht leisten. Eine Forderung der Bielefelder Forscher ist deswegen die verstärkte Ausrichtung kommunaler Aktivitäten auf die Betreuung von Familien und ihren Kindern. Kinder- und Jugendfreizeiten sollten ebenso wie Stadtranderholungen und Ferienspiele stärker als bisher gefördert werden.

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