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Meditations-Apps: Entspannungshelfer fürs Smartphone

Apps für Meditation und Achtsamkeit erleben einen Boom. Ausgerechnet mit Hilfe des Handys sollen wir entspannen und Stress abbauen. Kann das funktionieren?
Frau meditiert im Liegen

»Atme jetzt einmal tief in den Bauch ein«, sagt mir eine freundliche und angenehme Stimme. »Und lass beim Ausatmen alle Spannung los.« Tief einatmen, dann ausatmen, kein Problem. Dann soll ich mich auf meinen Körper konzentrieren. »Wie fühlt es sich an, jetzt hier zu sitzen?« Gute Frage. In meiner aufrechten Meditationshaltung fühle ich mich ein bisschen, na ja, kribbelig vielleicht. Meine Kopfhaut kitzelt, und in den Händen spüre ich ein Prickeln. Nach und nach leitet mich die Stimme durch meinen Körper. Anschließend soll ich meinen Atem verfolgen. Immer wieder schweifen meine Gedanken ab. Aber: »Das ist völlig normal. Nimm einfach zur Kenntnis, dass du denkst, und wende dich wieder deinem Atem zu«, beruhigt mich die Stimme. Offenbar geht es also vielen bei den ersten Meditationsversuchen wie mir.

Die Stimme, die aus den Kopfhörern in mein Ohr dringt, gehört dem Psychologen Boris Bornemann. Er hat früher am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig zu Meditation geforscht. Inzwischen hat er »Balloon«, eine App aus dem Haus Gruner + Jahr, mitentwickelt und spricht viele der Meditationsanleitungen selbst. In der App gibt es verschiedene Übungen zum Thema Stress, Achtsamkeit und Glück. Ich fühle mich öfter beruflich gestresst, wenn etwa eine Deadline drängt. Wieso also nicht mit täglichen Meditationsübungen entgegenwirken?

So denken offenbar viele, denn Meditations-Apps sind beliebt. Sie werden immer häufiger zum digitalen Coach, der uns täglich motiviert, bewusst zu entspannen und zu entschleunigen. Die weltweit erfolgreichste App mit mehr als 30 Millionen Nutzern ist »Headspace« des gleichnamigen Unternehmens mit Sitz in Kalifornien. Wie die meisten anderen Apps dieser Art setzen Headspace und Balloon auf geführte Achtsamkeits- und Meditationsübungen, indem sie die Wahrnehmung des Nutzers besonders auf den eigenen Körper lenken und den Kopf frei machen. Der Nutzen soll groß sein; auf der Homepage von Balloon heißt es etwa: »Effektiv – Regelmäßiges Meditieren bringt Fokus, Klarheit und Gelassenheit in dein Leben.« Darüber wird eine wissenschaftlich fundierte Wirkung suggeriert: »Fundiert – Lass dich von Deutschlands führenden Achtsamkeitsforschern anleiten.« Die Anbieter verweisen in der Regel eher vage darauf, dass Achtsamkeit wissenschaftlich belegt der seelischen Gesundheit helfe. Doch stimmt das?

Achtsamkeit in der Wissenschaft

In den späten 1970er Jahren entwickelte der mittlerweile emeritierte Mediziner Jon Kabat-Zinn am University of Massachusetts Medical Center die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion. Die Methode wurde konzipiert, um den Stresspegel zu senken und das seelische Wohlbefinden zu verbessern. Üblicherweise vermitteln ausgebildete Trainer in einem achtwöchigen Workshop mit mehrstündigen Gruppensitzungen verschiedene Techniken, darunter Meditation, Yogaübungen und Methoden, den eigenen Körper bewusst wahrzunehmen. Seither haben Metaanalysen der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion und ähnlichen Achtsamkeitsmethoden bescheinigt, dass sie tatsächlich zu vermindertem Stressempfinden und einer besseren Lebensqualität führen.

Ganz allgemein auf die wissenschaftlich belegte Wirksamkeit der Achtsamkeit zu verweisen, sei daher in Ordnung, sagt der Psychologe Dirk Lehr von der Leuphana Universität Lüneburg. »Allerdings stammen diese Belege aus Studien, bei der meist Gruppentrainings zur Achtsamkeit überprüft wurden.« Wenn man als Anbieter nun den Eindruck erwecke, die eigene App unterstütze durch Rückgriff auf Techniken der Achtsamkeit ebenfalls das Wohlbefinden, sei das ein Problem. Denn mit den Apps werde Achtsamkeit eben in einer anderen Form »dargereicht«.

Eine Studie, die direkt die Wirkung der von mir genutzten App Balloon untersucht, suche ich vergeblich. Bei anderen Apps ist man teilweise weiter. Forscher um den klinischen Psychologen Arnold van Emmerik von der Universität Amsterdam knöpften sich etwa den »VGZ Mindfulness Coach« vor – eine App der niederländischen Krankenkasse Health VGZ. 191 Teilnehmer absolvierten damit ein Fünf-Wochen-Programm; weitere 186 Personen in der Kontrollgruppe kamen hingegen nicht in den Genuss der Übungen, sie standen lediglich auf einer Warteliste. Mit Hilfe von Fragebogen erfassten die Forscher die Achtsamkeit der Probanden. Wie gut gelingt es ihnen etwa, sich von negativen Gedanken und Gefühlen loszulösen? Außerdem erfassten van Emmerik und Kollegen allgemeine psychiatrische Symptome der Teilnehmer wie etwa depressive Stimmung oder Ängste und deren Lebensqualität. Im Vergleich zu den Kontrollprobanden nahm die Achtsamkeit der App-Nutzer nach acht Wochen deutlich zu, und ihre allgemeinen psychiatrischen Symptome verringerten sich stark. Die Lebensqualität ging moderat nach oben. Die meisten der Effekte hielten auch noch nach drei Monaten an.

Studien selten unabhängig

Das Ergebnis ist beispielhaft für andere Studien: Die Untersuchungen warten in der Regel mit positiven Effekten auf, sind aber oft nicht unabhängig. Im Fall der niederländischen Studie arbeitete eine Forscherin für die Krankenkasse Health VGZ, also für den Anbieter der App. Und die Studie war zum Teil auch von dieser finanziert. Zudem absolvieren die Kontrollgruppen meist kein alternatives Training zu den Achtsamkeitsübungen. Von daher ist unklar: Gehen die gefundenen Effekte wirklich spezifisch auf das Konto der konkreten Übungen der App? Oder ist allein die Tatsache, dass die Probanden der Versuchsgruppe anders als die der Kontrollgruppe überhaupt etwas für sich machen und an sich arbeiten, für die Effekte verantwortlich? Forscher gehen mittlerweile davon aus, dass es so etwas wie einen digitalen Placeboeffekt gibt. Viele Menschen haben eine starke Affinität zu ihrem Smartphone und hohe Erwartungen an die Fähigkeiten ihres digitalen Begleiters. Dies könnte zum Teil für die gefundenen Meditationseffekte verantwortlich sein.

Dass es methodisch besser geht, beweist eine Studie der Psychologin Jayde Flett von der University of Otago in Neuseeland. Die Untersuchung ist nicht nur unabhängig von irgendwelchen Interessen; Flett und ihre Kollegen verglichen auch zwei Achtsamkeits-Apps – darunter Headspace – mit einer weiteren App, mit der man sich Notizen machen kann. Letztere diente gewissermaßen als digitale Placebopille. 200 Studenten sollten zehn Tage lang für jeweils zehn Minuten entweder die Achtsamkeits- oder die Notiz-App nutzen. Ergebnis: Die Nutzer von Headspace hatten im Vergleich zur Kontrollgruppe nach zehn Tagen signifikant weniger depressive Symptome, Ängste oder Stress.

»Einige erste Studien zeigen im Durchschnitt positive Effekte auf eine allgemein verbesserte Stimmungslage«
Dirk Lehr, Psychologe an der Leuphana Universität Lüneburg

Auch der Lüneburger Psychologe Lehr sagt: »Einige erste Studien zeigen im Durchschnitt positive Effekte auf eine allgemein verbesserte Stimmungslage.« Und es gebe Hinweise auf weniger Stresserleben und geringere depressive Beschwerden. Diese Effekte seien jedoch tendenziell kleiner als bei Online-Interventionen zu Achtsamkeit und Mediation, die häufig noch mit einer persönlichen Begleitung angeboten werden. Zudem seien nicht alle Versprechen der App-Anbieter durch die Wissenschaft gedeckt. »Da heißt es etwa, eine App könne bei Schlafproblemen helfen«, sagt Lehr. Auf der anderen Seite könne man mit solchen Apps viele Menschen erreichen. »Und wenn man vielen Menschen ein wenig helfen kann, ist damit ebenfalls schon viel gewonnen.« Für ihn sind daher Meditations- und Achtsamkeit-Apps eine neue Möglichkeit, die psychische Gesundheit zu fördern.

Den niedrigschwelligen Zugang betrachtet auch der Psychologe Johannes Michalak von der Universität Witten/Herdecke positiv. Nutzer müssten nicht viel investieren, es muss kein Meditationszentrum oder Achtsamkeitskurs besucht werden, und die Apps seien relativ kostengünstig. Daher ist er mittlerweile der Meinung: »Apps können durchaus einen sinnvollen Beitrag leisten.« Bis vor einiger Zeit sah er ihre Rolle allerdings noch kritischer. Michalak meditiert auf klassische Art und Weise schon sehr lange. Immer wieder habe er dabei erlebt, wie wichtig die physische Präsenz des Lehrers oder der Gruppe ist, mit der man meditiert. »Viel läuft jenseits von Sprache ab. Ich kann beispielsweise sehen, in welcher Art der Lehrer auf mich oder die anderen Teilnehmer spontan reagiert.« Er glaubt daher, dass es nicht sehr nachhaltig ist, wenn man über eine App bloß eine kurze Einführung in das Thema Achtsamkeit bekomme und sich daraus keine längerfristige Übungspraxis entwickle. »Man erhält dann vielleicht nur einen eher oberflächlichen Eindruck von Achtsamkeit«, gibt er zu bedenken. Auch fehle ein Ansprechpartner für etwaige Probleme, die bei den Übungen auftreten können: »wenn ich mich zum Beispiel nicht ruhig bei einer Übung fühle, sondern meine innere Unruhe besonders deutlich spüre«.

App ersetzt keinen echten Ansprechpartner

Vor allem für Menschen mit ernsthaften psychischen Problemen ist es wichtig, einen echten Ansprechpartner zu haben. Zwar könnten sie ebenfalls von einer solchen App profitieren, meint Dirk Lehr, allerdings nur begleitend zu einer Therapie. Denn dann könne man im Fall von Problemen, die vielleicht im Zuge der App-Nutzung aufkommen, mit dem Therapeuten sprechen. »Habe ich beispielsweise ein Trauma erlitten infolge sexuellen Missbrauchs, kann die Beschäftigung mit meiner Innenwelt im Rahmen der Meditation schlimme Erinnerungen hervorrufen und mir psychisch zu schaffen machen«, sagt Lehr. Auch die Psychotherapeutin Lea Liebchen, eine Kollegin von Lehr an der Leuphana Universität Lüneburg, betont: »Eine App kann natürlich keine Psychotherapie ersetzen, und es fehlen eindeutig noch Wirksamkeitsstudien, gerade auch, was die langfristige Wirkung angeht.« Gleichwohl empfiehlt sie ihren Patienten ausgewählte Achtsamkeits-Apps. »Viele Patienten mit psychischen Problemen neigen dazu, sich in negativen Gedanken und Gefühlen zu verlieren«, erklärt sie. »Achtsamkeit kann sie dabei unterstützen, dieser Überflutung Herr zu werden.« Ihre Patienten berichten davon, schwierige Gedanken und Gefühle besser loslassen und mehr Kontrolle erlangen zu können.

Ich selbst habe mittlerweile gute vier Wochen lang jeden Tag fleißig 10 bis 20 Minuten mit Balloon meditiert. Und fühle mich deutlich entspannter. Gerate ich in Stress, weil ich gerade beim Schreiben eines Artikels Probleme habe oder ein Themenvorschlag von mir abgelehnt wird, kann ich meine Aufregung leichter herunterregulieren. Ich konzentriere mich einfach auf meinen Atem oder meine Körperempfindungen. Von diesen Erfolgen angespornt, werde ich die App bestimmt noch länger nutzen.

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