ADHS: ADHS-Medikamente dämpfen offenbar riskantes Verhalten

Wenn Menschen mit einer neu diagnostizierten Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) medikamentös behandelt werden, neigen sie weniger zu suizidalem Verhalten, Drogenmissbrauch, Kriminalität und verursachen seltener Verkehrsunfälle. Das berichtet eine Forschungsgruppe um Le Zhang vom Karolinska-Institut in Stockholm.
ADHS betrifft schätzungsweise fünf Prozent der Kinder und 2,5 Prozent der Erwachsenen weltweit. Betroffene neigen mitunter vermehrt zu impulsivem und risikoreichem Verhalten. Statistisch gesehen geht die Störung mit einer verstärkten Tendenz zu Suizidalität, Drogenmissbrauch, Unfallverletzungen, Verkehrsunfällen und Kriminalität einher. Studien haben zwar gezeigt, dass ADHS-Medikamente die Kernsymptome der Störung lindern, doch ob sich das auch auf die genannten Faktoren auswirkt, war bislang weitgehend unklar.
Die Forschungsgruppe hat Daten aus schwedischen Nationalregistern ausgewertet, die den Zeitraum von 2007 bis 2020 überspannen. Sie enthielten Angaben zu rund 150 000 Personen im Alter zwischen 6 und 64 Jahren, die eine ADHS-Diagnose erhalten hatten. Aus den Daten ließ sich die Wirkung einer entsprechenden medikamentösen Behandlung ablesen.
Merklicher Rückgang
Die Diagnostizierten waren im Schnitt 17 Jahre alt, und vier von jeweils zehn waren weiblichen Geschlechts. Zirka 84 000 von ihnen, das entspricht 57 Prozent, begannen eine medikamentöse Behandlung gegen ADHS, wobei der Arzneistoff Methylphenidat (vertrieben unter verschiedenen Handelsnamen, etwa »Ritalin« oder »Medikinet«) am häufigsten verschrieben wurde. Laut den Daten ging die medikamentöse Therapie mit einer verringerten Häufigkeit erstmaligen schädigenden Verhaltens einher. Bei Suizidalität betrug der Rückgang 17 Prozent, bei Drogenmissbrauch 15 Prozent, bei kriminellem Verhalten 13 Prozent und bei Verkehrsunfällen zwölf Prozent. Auch beim erstmaligen Auftreten von Unfallverletzungen war ein Rückgang feststellbar, dieser war jedoch statistisch nicht bedeutsam.
Wiederkehrendes schädigendes Verhalten wurde unter Arzneistoffeinwirkung ebenfalls seltener: 15 Prozent weniger Suizidversuche, 25 Prozent weniger Drogenmissbrauch, vier Prozent weniger Unfallverletzungen, 16 Prozent weniger Verkehrsunfälle und 25 Prozent weniger Kriminalität.
Die Größe des Effekts hing von Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, psychiatrischen Diagnosen und der medizinischen Vorgeschichte ab. So gingen Drogenmissbrauch und kriminelles Verhalten bei Erwachsenen stärker zurück als bei Heranwachsenden. Und bei Personen weiblichen Geschlechts nahm kriminelles Verhalten unter medikamentösem Einfluss stärker ab als beim männlichen Geschlecht.
Eine mögliche Erklärung für diese Beobachtung lautet, dass ADHS-Medikamente die Impulsivität verringern, aggressivem Verhalten entgegenwirken und die Aufmerksamkeit erhöhen, was unter anderem das Risiko von Verkehrsunfällen verringern könnte, vermutet die Forschungsgruppe.
Zuspruch und Kritik
Die Fachleute räumen mehrere Einschränkungen ihrer Untersuchung ein. So lagen ihnen keine Daten über nichtmedikamentöse Behandlungen vor, und sie konnten nicht die Dosisabhängigkeit der Arzneistoffwirkung bewerten. Zudem können sie nicht ausschließen, dass Faktoren wie der jeweilige ADHS-Schweregrad, genetische Veranlagungen und Lebensstilfaktoren die Ergebnisse beeinflusst haben.
Verschiedene Expertinnen und Experten, die nicht selbst an der Untersuchung teilgenommen hatten, haben die Studie gegenüber dem australischen Science Media Center positiv bewertet – allerdings mit Einschränkungen. »Dies scheinen ermutigende Ergebnisse zu sein«, sagte der Psychiater Jon Jureidini von der University of Adelaide. Das Hauptproblem der Studie bestehe darin, dass sie nur Patienten, die zwei Jahre lang die Behandlung durchhielten, in die Gruppe der medikamentös Behandelten eingeschlossen habe. Diese seien nicht repräsentativ für alle medizinierten Patienten; sie und ihre Familien hätten wahrscheinlich verstärkten Wert auf einen gesunden Lebensstil gelegt. Zudem hätten einige der Autorinnen und Autoren der Studie finanzielle Beziehungen zur Pharmaindustrie, wie in dem Fachartikel dargelegt werde.
»Diese Studie liefert weitere Belege dafür, dass die medikamentöse Behandlung von ADHS das Leben verändern kann, indem sie das Risiko von Autounfällen und drogenbedingten Schäden sowie die Wahrscheinlichkeit von kriminellem und suizidalem Verhalten verringert«, sagte der Mediziner Stephen Bright von der Edith Cowan University. Es gebe zwar Bedenken hinsichtlich der übermäßigen Verschreibung von Medikamenten, doch sei es wichtig, Menschen mit ADHS den Zugang zu wirksamen Behandlungen zu ermöglichen.
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