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Adipositas: Mit Pillen und Spritzen gegen das Übergewicht

Manche sprechen bereits von einem Wundermittel: Neue Medikamente unterdrücken das Hungergefühl und zeigen in der Praxis verblüffende Ergebnisse. Ist der Jubel gerechtfertigt?
Eine Ärztin misst den Bauchumfang eines übergewichtigen Mannes.
Die Zahl stark übergewichtiger Menschen wächst exponentiell. Weltweit hat sich die Fettleibigkeit seit 1975 verdreifacht – und mit ihr nehmen Begleiterkrankungen massiv zu. Weil Änderungen des Lebensstils oft nicht ausreichen, kann eine neue Art von Medikamenten helfen.

Der Ballsaal des Hotels war randvoll mit Wissenschaftlern, als Susan Yanovski eintraf. Obwohl sie zehn Minuten früher kam, musste sie sich zu einem der wenigen freien Plätze in den hintersten Reihen durchkämpfen. Das Publikum auf der ObesityWeek-Konferenz im November 2022 in San Diego, Kalifornien, wartete ungeduldig auf die Ergebnisse einer mit Spannung erwarteten Medikamentenstudie.

Die Vortragenden – Forscher des Pharmaunternehmens Novo Nordisk mit Sitz in Bagsværd, Dänemark – enttäuschten nicht. Sie schilderten Details der Forschung an einem viel versprechenden Medikament gegen Fettleibigkeit bei Jugendlichen, einer Gruppe, die sich bei solchen Behandlungen notorisch resistent zeigt. Die Ergebnisse verblüfften die Wissenschaftler: Eine wöchentliche Injektion über einen Zeitraum von fast 16 Monaten führte zusammen mit einigen Änderungen des Lebensstils bei mehr als einem Drittel der Teilnehmer zu einer Reduzierung des Körpergewichts um mindestens 20 Prozent. Frühere Studien hatten gezeigt, dass das Medikament, Semaglutid, bei Erwachsenen ebenso beeindruckend wirkt.

Das Ende der Präsentation habe auf der Konferenz seinesgleichen gesucht, sagt Yanovski, Kodirektorin des Office of Obesity Research am US National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases in Bethesda, Maryland. Anhaltender Beifall hallte durch den Raum, »als wäre man in einer Broadway-Show«, sagt sie.

Bereits seit einigen Jahren kann man diese Energie in jenen Bereichen der Medizin spüren, die sich mit Adipositas befassen. Nach jahrzehntelanger Arbeit sehen die Forscherinnen und Forscher endlich Anzeichen für einen Erfolg: eine neue Generation von Medikamenten gegen Fettleibigkeit, die das Gewicht drastisch reduzieren, ohne die schwer wiegenden Nebenwirkungen aufzuweisen, unter denen Ergebnisse früherer Bemühungen litten.

Diese Medikamente kommen in einer Zeit auf den Markt, in der die Zahl stark übergewichtiger Menschen rasant wächst. Weltweit hat sich die Fettleibigkeit seit 1975 verdreifacht; im Jahr 2016 galten laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 40 Prozent der Erwachsenen als übergewichtig und 13 Prozent als fettleibig. Mit dem Übergewicht geht oft ein erhöhtes Risiko für Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herzkrankheiten und bestimmte Krebsarten einher. Die WHO empfiehlt eine gesündere Ernährung und körperliche Betätigung, um die Fettleibigkeit zu verringern. Wenn jedoch Änderungen des Lebensstils nicht ausreichen, können Medikamente helfen. Die neuen Medikamente ahmen die als Inkretine bekannten Hormone nach, die den Blutzucker senken und den Appetit zügeln. Einige von ihnen sind bereits für die Behandlung von Typ-2-Diabetes etabliert. Nach und nach werden sie nun auch für Zwecke der Gewichtsabnahme zugelassen.

Die Möglichkeit, das Gewicht durch Veränderungen der Körperbiologie zu reduzieren, bekräftigt die These, dass Fettleibigkeit eine Krankheit ist. In der Vergangenheit waren Wissenschaft und Öffentlichkeit häufig der Meinung, Menschen mit Fettleibigkeit hätten einfach nicht die nötige Willenskraft, um abzunehmen. Es mehren sich jedoch die Hinweise darauf, dass der Körper der meisten Menschen eine von Natur aus vorgegebene Fülle hat, die nur schwer zu ändern ist. »Der Körper verteidigt sein Gewicht«, sagt Richard DiMarchi, Chemiker an der Indiana University Bloomington.

»Ich zögere wirklich, mich für etwas zu begeistern, was meiner Meinung nach das Problem der Gewichtsstigmatisierung potenziell verschärfen könnte«Sarah Nutter, Psychologin

Einige Forscher befürchten allerdings, dass diese Medikamente der Besessenheit von schlanken Körpern, die in manchen Gesellschaften herrscht, Vorschub leisten. Schlankheit ist nicht immer ein guter Indikator für Gesundheit. »Ich zögere wirklich, mich für etwas zu begeistern, was meiner Meinung nach das Problem der Gewichtsstigmatisierung potenziell verschärfen könnte«, sagt Sarah Nutter, Psychologin an der University of Victoria in Kanada, die sich auf Gewichtsstigmatisierung und Körperbilder spezialisiert hat.

Es gibt noch viele offene Forschungsfragen, beispielsweise wer auf die Behandlung anspricht und ob die Menschen diese Medikamente ein Leben lang einnehmen müssen – was ein großes Hindernis für den Zugang zu diesen Medikamenten darstellen könnte. Außerdem sind sie sehr teuer: Der Listenpreis eines Injektionspens beträgt teils mehr als 1 000 US-Dollar. In Deutschland liegen die Kosten jedoch mit knapp 100 Euro deutlich darunter. Grund dafür ist die Bezuschussung durch die Krankenkassen.

Dennoch feiern die Adipositasforscher die jüngsten Entwicklungen. Zum ersten Mal könnten Wissenschaftler das Gewicht auf pharmakologische Weise sicher verändern, sagt der Arzt und Wissenschaftler Matthias Tschöp, Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums in München. »Das ist tatsächlich ›der‹ transformative Durchbruch.«

Die Jagd nach Hormonen

Der Grundstein für den heutigen Erfolg wurde bereits vor Jahrzehnten gelegt, als Jeffrey Friedman herausfinden wollte, welche Genmutation die Mäuse in seinem Labor dazu brachte, so lange zu essen, bis sie fettleibig wurden. Im Jahr 1994 entdeckte der Molekulargenetiker von der Rockefeller University in New York City, dass das defekte Gen eigentlich Leptin codieren sollte, ein Hormon, das vom Fettgewebe produziert wird und ein Sättigungsgefühl hervorruft. Die Verabreichung von Leptin-Präparaten an Mäuse, denen dieses Hormon fehlte, verringerte deren Hunger und Körpergewicht.

»Das hat unser Denken über die biologischen Grundlagen von Fettleibigkeit und Appetitregulierung wirklich revolutioniert«, sagt Susan Yanovski.

Es folgte eine explosionsartige Zunahme der Grundlagenforschung zu Fettleibigkeit sowie der Forschung über pharmakologische Behandlungen. Diese frühen Medikamente führten jedoch nur zu einer bescheidenen Gewichtsabnahme und hatten schwer wiegende Nebenwirkungen, besonders für das Herz.

Schon vor der Entdeckung von Leptin hatten Forscher nach Hormonen gesucht, die den Blutzuckerspiegel regulieren, und waren auf ein Hormon namens GLP-1 (Glucagon-like Peptide 1) gestoßen. Es schien den gegenteiligen Effekt von Typ-2-Diabetes zu haben – es steigerte die Insulinproduktion und senkte den Blutzuckerspiegel. Das habe es zu einem attraktiven Ansatz auch für die Behandlung von Fettleibigkeit gemacht, sagt Jens Juul Holst, Mediziner an der Universität Kopenhagen, der GLP-1 mitentdeckt und charakterisiert hat.

In den 2000er Jahren begann die US Food and Drug Administration (FDA), Medikamente zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zuzulassen, die GLP-1 nachahmen (siehe Infografik »Gewichtskiller«). Wissenschaftler stellten jedoch fest, dass die Teilnehmer von klinischen Studien auch an Gewicht verloren. Das ist darauf zurückzuführen, dass GLP-1 offenbar auf Rezeptoren im Gehirn wirkt, die den Appetit steuern, und auf solche im Darm, die die Verdauung verlangsamen. Mit der Zeit begannen Unternehmen, diese Diabetesmedikamente zur Gewichtsabnahme zu testen. Mitte der 2010er Jahre war ein solches Medikament, Liraglutid, in der Lage, eine durchschnittliche Gewichtsabnahme von etwa acht Prozent zu bewirken, also fünf Prozentpunkte mehr als bei Personen, die ein Placebo einnahmen – klinisch relevant, aber nicht atemberaubend.

Gewichtskiller | Meilensteine der Adipositasforschung auf dem Weg hin zu immer wirksameren Medikamenten

Anfang 2021 schließlich waren die Wissenschaftler von einer klinischen Studie der Phase III begeistert, in der ein neues Medikament desselben Typs untersucht wurde: Semaglutid. Das Molekül, eine modifizierte Version von Liraglutid, wirkt auf dieselben Signalwege, bleibt aber länger intakt und aktiv im Körper, sagt Chemiker Richard DiMarchi. Es könnte auch einen besseren Zugang zu den Gehirnregionen haben, die den Appetit regulieren, fügt er hinzu.

Diejenigen, die wöchentliche Injektionen von Semaglutid erhielten, verloren nach 16 Monaten Behandlung im Durchschnitt 14,9 Prozent ihres Körpergewichts; diejenigen, die ein Placebo erhielten, verloren im Durchschnitt 2,4 Prozent. Im Jahr 2021, vier Jahre nach der Zulassung für die Behandlung von Diabetes, hat die FDA Semaglutid für die Gewichtsabnahme bei Erwachsenen mit Fettleibigkeit zugelassen.

In der Vergangenheit sei es nicht möglich gewesen, das Körpergewicht mit pharmakologischen Methoden ohne Risiken um mehr als zehn Prozent zu reduzieren, sagt Timo Müller, Biologe und Direktor des Helmholtz-Instituts für Diabetes und Adipositas in München. Aber diese neueren Behandlungen verbesserten die kardiovaskuläre Gesundheit sogar, fügt er hinzu – ganz im Gegensatz zu früheren Versionen.

Jetzt könnte es ein noch wirksameres Medikament geben: Tirzepatid. Tirzepatid zielt nicht nur auf den GLP-1-Rezeptor ab, sondern ahmt auch ein anderes Hormon nach, das an der Ausschüttung von Insulin beteiligt ist, das so genannte glukoseabhängige insulinotrope Polypeptid (GIP). Dieses 2022 für Typ-2-Diabetes zugelassene Medikament – entwickelt von Eli Lilly mit Sitz in Indianapolis, Indiana – führte in der höchsten Dosis zu einem durchschnittlichen Rückgang des Körpergewichts um 21 Prozent, verglichen mit drei Prozent bei einem Placebo.

Es ist unklar, warum die Nachahmung beider Hormone besser funktioniert als die Nachahmung nur eines Hormons. Laut Timo Müller ist Tirzepatid eventuell ein stärkerer Aktivator des GLP-1-Rezeptors, und GIP könnte dazu beitragen, die Nebenwirkungen von GLP-1 erträglicher zu machen, womit höhere Dosen möglich werden. Es ist auch möglich, dass GIP von sich aus eine gewisse Gewichtsabnahme bewirkt.

»Wenn Sie mir vor zehn Jahren gesagt hätten, dass wir etwas entwickelt haben, was uns in die Nähe der Werte [der bariatrischen Chirurgie] bringt, hätte ich gesagt, dass das nicht möglich ist«Ruth Gimeno, Forscherin bei Eli Lilly

Trotz besagter Unwägbarkeiten nähert sich die erreichte Gewichtsabnahme nach der Tirzepatid-Behandlung Werten, die normalerweise nur durch eine operative Verkleinerung von Magen oder Darm zu erreichen sind. Bei einem solchen Verfahren wird das Körpergewicht nach sechs Monaten um 30 Prozent oder mehr reduziert, und der Gewichtsverlust hält für ein bis zwei Jahre an.

»Wenn Sie mir vor zehn Jahren gesagt hätten, dass wir etwas entwickelt haben, was uns in die Nähe der Werte [der bariatrischen Chirurgie] bringt, hätte ich gesagt, dass das nicht möglich ist«, sagt Ruth Gimeno, Vizepräsidentin der Forschungseinheit zu Diabetes, Adipositas, kardiometabolischer und früher klinischer Forschung bei Eli Lilly. Das Unternehmen plant, die Zulassung des Medikaments zu beantragen, sobald die Ergebnisse einer zweiten Phase-III-Studie vorliegen.

Ein geheimnisvoller Mechanismus

Trotz der viel versprechenden Ergebnisse von Tirzepatid stehen die Forscher vor einem Rätsel. Es ist klar, wie GLP-1 die Gewichtsabnahme ankurbelt, aber die Rolle von GIP ist eine Überraschung. Eigentlich waren Wissenschaftler seit Langem der Meinung, dass GIP die Fettleibigkeit fördert: Mäuse mit gestörten GIP-Rezeptoren sind sozusagen resistent gegen Fettleibigkeit. Um eine Gewichtsabnahme herbeizuführen, dachten die Forscher daher, dass der Rezeptor ausgeschaltet werden müsste. Tirzepatid bewirkt allerdings das Gegenteil.

»Wir waren die Ersten, die auf diese verrückte Idee kamen«, sagt Müller, der mit Novo Nordisk zusammenarbeitet. »Und wir wurden in der Branche ziemlich heftig kritisiert.«

Müller und seine Kollegen – darunter DiMarchi und Tschöp – wussten, dass GIP die Insulinsekretion in Abhängigkeit vom Blutzuckerspiegel anregt, genau wie GLP-1. Also entwickelten sie Moleküle, die beide Hormone imitieren. Nachdem erste Studien gezeigt hatten, dass die Aktivierung sowohl der GIP- als auch der GLP-1-Rezeptoren zu einer Gewichtsabnahme führt, entwickelten Pharmaunternehmen eigene Moleküle, die wiederum die gleichen Ergebnisse erzielten, und bestätigten damit, dass die Methode funktioniert.

Doch nicht jeder hat seine Meinung über GIP geändert. Jens Juul Holst ist der Ansicht, dass Tirzepatid einfach ein superstarker GLP-1-Imitator ist.

Es könne auch GIP imitieren, »aber bei Patienten mit Diabetes und Fettleibigkeit spielt das keine Rolle, weil der GIP-Teil nicht wirklich etwas bewirkt«, sagt der Mediziner. Eli Lilly führt im Frühstadium klinische Studien mit Medikamenten durch, die nur auf GIP abzielen, was laut Holst die anhaltende Debatte beenden wird.

Das biopharmazeutische Unternehmen Amgen mit Sitz in Thousand Oaks, Kalifornien, arbeitet dagegen an einem Medikament, das den GLP-1-Rezeptor aktiviert, während es den GIP-Rezeptor ausschaltet. Erste Daten aus klinischen Versuchen zeigen, dass diese Behandlung das Körpergewicht nach zwölf Wochen um bis zu 15 Prozent reduziert.

Ein weiterer Ansatz sind so genannte Triple-Agonisten, die die Wirkung von GLP-1, GIP und einem dritten Hormon, Glucagon, das ebenfalls die Ausschüttung von Insulin anregt, nachahmen. Auch andere Darmhormone, die am Appetit beteiligt sind, wie das Peptid YY, werden erforscht. Ein paar Wissenschaftler untersuchen außerdem den monoklonalen Antikörper Bimagrumab, der die Muskelmasse erhöht und gleichzeitig Fett abbaut.

Noch einige offene Fragen

Den Forschern stellt sich nun die große Frage, ob die Menschen diese Medikamente ein Leben lang einnehmen müssen, um ihr Gewicht zu halten. Eine Untergruppe der Teilnehmer der klinischen Studie, die die Einnahme von Semaglutid und die Veränderungen ihres Lebensstils abbrachen, hatte nach einem Jahr etwa zwei Drittel ihres verlorenen Gewichts wieder zugelegt.

Eine weitere Unbekannte ist, welche Personen auf diese Medikamente ansprechen werden – und welche nicht. Es ist noch zu früh, um hierzu definitive Aussagen zu treffen, aber die Medikamente scheinen bei Menschen mit Typ-2-Diabetes im Hinblick auf die Gewichtsabnahme weniger wirksam zu sein als bei Menschen ohne Diabetes. Erkrankungen wie eine Fettleber oder allgemein Fett um die Organe, das so genannte viszerale Körperfett, könnten sich ebenfalls darauf auswirken, wie Menschen auf die verschiedenen Medikamente ansprechen, sagt Tschöp.

Mancher Forscher befürchtet auch, dass diese Medikamente in einer Gesellschaft, in der Schlankheit einen hohen Stellenwert hat, unbeabsichtigt den Glauben an einen umstrittenen Zusammenhang zwischen Übergewicht und Gesundheit verstärken könnten, indem sie eine Lösung für das Problem des Übergewichts bieten. Eine Studie ergab, dass fast 30 Prozent der Menschen, die als fettleibig gelten, metabolisch gesund sind. Eine andere zeigte, dass andere Gesundheitsprobleme das Sterberisiko einer Person besser vorhersagen als das Gewicht, was zeige, dass bei der Beurteilung der Gesundheit andere Faktoren als das Gewicht berücksichtigt werden müssen, sagt Psychologin Sarah Nutter. »Die Gesundheit eines Menschen allein auf der Grundlage seines Körpergewichts zu beurteilen, ist potenziell sehr, sehr schädlich«, fügt sie hinzu.

Nutter befürchtet, dass Menschen diese Behandlungen – deren Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen schwer wiegend sein können – beginnen könnten, um nicht auf Grund ihres Übergewichts stigmatisiert zu werden, anstatt auf echte gesundheitliche Probleme zu reagieren.

Andere sorgen sich hinsichtlich der möglichen Vorstellung, dass diese Medikamente eine schnelle Lösung bieten. Leslie Heinberg zufolge, einer klinischen Psychologin an der Cleveland Clinic in Ohio, die sich auf bariatrische Gesundheit und das Körperbild spezialisiert hat, ist dies ein weit verbreiteter Irrglaube, wenn es etwa um Magenverkleinerungen gehe. »Manche Menschen, die noch immer an diesem Irrglauben festhalten, sagen: ›Oh, jetzt können die Leute einfach diese Pille nehmen, das ist ein einfacher Weg aus der Fettleibigkeit heraus‹«, sagt sie.

Die Nachfrage ist trotz allem groß. Doch obwohl diese Medikamente auf den Markt kommen werden, wird nicht jeder, der sie braucht, Zugang dazu haben.

Zunächst einmal sind sie teuer – Semaglutid zur Gewichtsabnahme, das unter dem Markennamen Wegovy vertrieben wird, kostet etwa 1300 Dollar pro Monat. Zudem weigern sich viele Versicherungsgesellschaften in den Vereinigten Staaten, die Kosten zu übernehmen, weil sie ein falsches Verständnis der Ursachen von Fettleibigkeit befürchten und das Mittel als »Eitelkeitsmedikament« betrachten.

»Einige dieser Medikamente werden als bahnbrechend bezeichnet«, sagt Patty Nece, Vorstandsvorsitzende der Obesity Action Coalition (OAC), einer Interessengruppe mit Sitz in Tampa, Florida. Aber, so fügt sie hinzu, »für einen einzelnen Patienten wird sich nie etwas ändern, wenn er es sich nicht leisten kann oder keinen Zugang dazu hat.«

»Einige dieser Medikamente werden als bahnbrechend bezeichnet, aber für einen einzelnen Patienten wird sich nie etwas ändern, wenn er es sich nicht leisten kann oder keinen Zugang dazu hat«Patty Nece, Vorstandsvorsitzende der Obesity Action Coalition

Organisationen wie die OAC drängen die Pharmaunternehmen dazu, Programme zur Erschwinglichkeit anzubieten. Eli Lilly beispielsweise hat ein »Überbrückungsprogramm« für Mounjaro – Tirzepatid zur Behandlung von Typ-2-Diabetes – aufgelegt, in dessen Rahmen das Medikament in den ersten drei Monaten nur 25 Dollar kosten soll. Novo Nordisk bietet ein ähnliches Programm für Wegovy an.

Unabhängig von den Anfangskosten betonen einige Wissenschaftler, dass die Bekämpfung der Fettleibigkeit den Gesundheitssystemen umgekehrt enorme Kosteneinsparungen ermöglichen könnte, da eine Reihe von Erkrankungen, die mit Adipositas in Zusammenhang stehen, reduziert werden.

Selbst wenn die Forscher noch immer dabei sind, die komplexe Ursachenkombination der Adipositas – einschließlich Genetik, Umwelt und Verhalten – zu entschlüsseln, glauben viele daran, dass die Biologie eine wichtige Rolle spielt. Gesunde Ernährung und sportliche Betätigung werden immer Teil der Behandlung sein, viele sind jedoch der Meinung, dass Medikamente eine viel versprechende Ergänzung sein könnten. Einige Forscher glauben außerdem, dass diese Medikamente, da sie über biologische Mechanismen wirken, den Menschen helfen werden, zu verstehen, dass das Körpergewicht eines Menschen oft nicht allein durch Änderungen des Lebensstils zu kontrollieren ist. »Tirzepatid zeigt sehr deutlich, dass es nicht allein um Willenskraft geht«, sagt Ruth Gimeno.

Anmerkung: Die Preise für die beschriebenen Medikamente liegen in Deutschland deutlich unter dem im Originaltext angegebenen Listenpreis für die USA. Das wurde nachträglich angepasst.

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