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Neuro-Psychologie : Ängstlicher Gedächtnisschub

An welche Momente aus Ihrem Leben erinnern Sie sich am besten? An Zeiten, in denen Sie völlig ausgeglichen waren, oder an diejenigen, in denen Sie sich besonders glücklich, traurig oder ängstlich fühlten? Emotionen unterstützen das Gedächtnis. Sogar schon emotionsgeladene Erwartungen helfen dem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge.
Wahrscheinlich erinnern Sie sich noch relativ gut an den Tag, an dem Sie Ihr lang angebeteter Schwarm endlich das erste Mal küsste, jedoch nicht mehr an irgendeinen x-beliebigen Schultag einen Monat darauf. Die meisten Menschen jedenfalls können sich am besten jene Ereignisse wieder ins Gedächtnis rufen, die mit irgendeiner Art von Emotion verbunden waren – je stärker die Emotion, desto besser das Gedächtnis. Aber wie sieht es in den Momenten vor dem Kuss aus, wenn wir ihn erregt erwarten? Zeigen die Emotionen auch dann schon einen Effekt?

Hirn-Scan im MRI-Gerät | Ein Versuchteilnehmer liegt im MRI-Gerät. Während er sich Bilder auf einem Monitor anschaut, wird seine Hirnaktivität aufgenommen.
Forscher von der Universität von Colorado in Madison beobachteten die Gehirnaktivität von 36 Freiwilligen mit funktioneller Magnetresonanz- Tomografie, während diese sich Bilder ansahen: in willkürlich wechselnder Reihenfolge Fotos von grausamen, brutalen Szenen oder neutrale Darstellungen, zum Beispiel von Küchengeräten. Sechs bis zehn Sekunden vorher zeigten die Wissenschaftler um Jack Nitschke ein Hinweiszeichen auf das kommende Bild, das dem Teilnehmer den Inhalt signalisierte: Einem X folgte ein schreckliches, einem Kreis ein neutrales Foto, und einem Fragezeichen konnten beide Arten von Bildern folgen.

Versuchsablauf | Während des Versuchs sahen die Testpersonen dieser Bildersequenz ähnliche Fotoabfolgen. Ein X kündigte ein grausames Foto an, ein Kreis ein neutrales, und einem Fragezeichen konnten beide Typen von Fotos folgen.
Während die Testpersonen die schrecklichen Bilder betrachteten, stieg die Aktivität in zwei Hirnarealen an. Das eine Gebiet, die Amygdala, reagiert bekanntermaßen auf Situationen, die Emotionen auslösen. Die andere Region, der Hippokampus, ist an der episodischen Gedächtnisbildung beteiligt – der Art von Gedächtnis, welches unsere Lebensgeschichte speichert.

Hirnaktivität in Erwartung eines schrecklichen Bildes | Die beiden Bilder sind funktionelle MRI-Scans einer Versuchsperson. Im oberen Bild stellt der rote Bereich erhöhte Aktivität in der Amygdala dar, in der unteren im Hippokampus. In den Diagrammen ist das Ausmaß der Aktivität in der Amygdala (oben) oder im Hippokampus (unten) für die rechte Hirnhälfte im Versuchsverlauf dargestellt: Nach Ankündigung (W) von gruseligen Bildern (rote Linie) steigt die Aktivität schon in der Erwartungsphase, und die Aktivität während des Betrachtens (P) ist höher als für neutrale Bilder (blaue Linie).
Das Interessante und eigentliche Neue aber war, dass sich diese Hirnareale schon nach dem X-Hinweiszeichen auf ein grausames Bild regten. Demnach reichte bereits die Erwartung eines angsteinflößenden Reizes aus, dieselben Gehirnareale zu aktivieren, wie der negative Reiz selbst.

Zusammenhang von Erwartung und Erinnerung | Je höher die Aktivität in einem bestimmten Teil der Amygdala (oben) oder im Hippokampus (unten) während der Erwartungsphase eines Fotos war, desto besser konnten sich die Probanden gleich nach dem Versuch an dieses Foto erinnern. Die Diagramme stellen diesen Zusammenhang für die rechte Hinhhälfte dar.
Da auch der Hippokampus schon während der Erwartungsphase aktiv war, führten die Wissenschaftler mit den Versuchspersonen hinterher Gedächtnistests durch. Sie wollten herausfinden, ob alleine die Furcht oder Erwartung von etwas Schrecklichem die Erinnerung daran tatsächlich verbessert. Und tatsächlich: Je höher die Aktivität von Amygdala und Hippokampus in der Erwartungsphase eines mit X angekündigten Bildes gewesen war, desto besser konnten die Teilnehmer gleich nach dem Test sagen, ob sie dieses Bild zuvor in der Testphase schon gesehen hatten, stellt Nitsche fest. In Gedächtnistests zwei Wochen später allerdings hatte nur noch das Ausmaß der Amygdala- und Hippokampus-Aktivierung während des schrecklichen Bildes selbst einen Einfluss auf die Wiedererkennung.

Wie in letzter Zeit häufiger, interessierte auch hier die Frage nach dem kleinen aber feinen Geschlechter-Unterschied: Die Wissenschaftler bestätigten mit ihren Messungen eine schon zuvor beobachtete Abweichung zwischen Männern und Frauen, konnten diese aber besser eingrenzen, als es in vorangegangenen Studien der Fall gewesen war. So erkannten Frauen zwei Wochen später Fotos am besten wieder, bei deren Betrachtung im Versuch ein Teil ihrer linken Amygdala-Hälfte besonders aktiv gewesen war, bei Männern war die Situation seitenverkehrt: Ihre Erinnerung war mit höherer Aktivität im entsprechenden Teil der rechten Amygdala-Hälfte besser.

Letztendlich geht es den Wissenschaftlern darum, mentale Störungen mit emotionalen Komponenten, wie sie nach traumatischen Erlebnissen auftreten, besser zu verstehen, erklärt Erstautorin Kirsten Mackiewicz. Nach diesen Ergebnissen vermuten die Forscher, dass schon die Furcht vor etwas Schlimmem dazu führt, dass man sich – sollte es tatsächlich eintreten – gleich hinterher auch besser daran erinnert. Dies könnte in ungünstigen Fällen, zum Beispiel bei Lampenfieber, vielleicht zu einer Art Teufelskreis führen. Der Nutzen dieses Prozesses liegt wahrscheinlich darin, durch Furcht, auch schon vor dem Eintreten des schlimmen Ereignisses, aufmerksamer zu sein. Als Nebeneffekt verbessert sich dadurch eben auch kurzzeitig die Erinnerung.

Ob diese Erkenntnisse auch für Vorfreude auf schöne Ereignisse zutreffen, muss sich noch zeigen. Auf jeden Fall aber kann es nie schaden, sich ordentlich auf etwas zu freuen. Vielleicht behält man es damit noch besser und länger im Gedächtnis – wie den ersten Kuss.

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