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Genetik: Affenkode

Nachdem der Mensch seine genetische Karte offengelegt hat, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann sein nächster Verwandter nachlegt. Jetzt ist es so weit: Das (wie immer nur fast) komplett entzifferte Genom des Schimpansen liegt vor.
Schimpanse
"Sie zeigen Gefühle wie Glück, Traurigkeit, Angst oder Verzweiflung, sie besitzen eine primitive Kultur, sie stellen Werkzeuge her, sie verfügen über eine nonverbale Kommunikation, küssen und umarmen sich, halten sich gegenseitig ihre Hände, klopfen sich auf den Rücken." So beschreibt Jane Goodall im Gespräch mit spektrumdirekt das verblüffend "menschliche" Verhalten ihres Studienobjekts: Pan troglodytes, auch bekannt als Schimpanse. Die Feldstudien der berühmten Schimpansenforscherin vor über vierzig Jahren bestätigten, was schon Charles Darwin ein Jahrhundert zuvor ahnte: Es gibt keinen fundamentalen Unterschied zwischen Mensch und Tier.

"Irgendwann ist irgendetwas in diesem Genom passiert"
(Jane Goodall)
Inzwischen gilt als sicher, dass der Schimpanse und seine Schwesterart, der Bonobo (Pan paniscus), die nächsten Verwandten des Menschen sind. Nur schätzungsweise sechs Millionen Jahre Evolution trennen uns von unseren tierischen Vettern. Sechs Millionen Jahre, die für das Erbgut unserer Vorfahren folgenreich gewesen sein mussten, wie Goodall betont: "Irgendwann ist irgendetwas in diesem Genom passiert, sodass schließlich zwei Arten entstanden sind, die zwar biologisch sehr dicht beieinander stehen, die sich aber dennoch sehr stark voneinander unterscheiden."

Schimpanse Clint | Das Schimpasenmännchen Clint vom Yerkes-Primatenforschungszentrum in Atlanta stellte sein Blut für die Genomanalyse zur Verfügung.
Doch was war geschehen? Die Antwort liegt verschlüsselt in einem Text, der nur aus den vier Buchstaben A, C, G und T besteht. Nachdem dieser Text – das Genom – für den Menschen in einer ersten Fassung im Jahr Jahr 2001 und in einer überarbeiteten Version drei Jahre später entziffert war, blieb es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch Pan troglodytes in die genetischen Karten schauen ließ. Eine erste Blaupause des Schimpansengenoms präsentierten Forscher bereits 2003, jetzt liegt die (vorläufige) Komplettversion vor, die ein Schimpansenmännchen namens Clint zur Verfügung stellte [1].

Naturetitelbild | Die Zeitschrift Nature stellt das Schimpansengenom vor.
Die Forscher, die sich zum "Chimpanzee Sequencing and Analysis Consortium" zusammengeschlossen haben, bestätigen zunächst, was frühere genetische Studien schon erahnen ließen: Die Unterschiede zwischen Homo sapiens und Pan troglodytes sind minimal. Beide Arten kommen mit etwa gleich vielen für Proteine kodierende Gene aus, nämlich 20 000 bis 25 000 Stück. Und die beiden jeweils etwa drei Milliarden Bausteine umfassenden Genome unterscheiden sich an 35 Millionen Stellen. Mit anderen Worten: Sie sind zu 98,8 Prozent deckungsgleich.

Auch auf der nächst höheren Ebene, den Proteinen, zeigt sich die nahe Verwandtschaft der beiden Primaten: 29 Prozent sind vollkommen identisch, und die meisten Proteine differieren lediglich in einer einzigen Aminosäure.

Beim Vergleich mit anderen Säugergenomen – der Schimpanse liefert das vierte entschlüsselte Erbgut eines Säugetiers – offenbaren sich ebenfalls Parallelen zum Menschen: Im Gegensatz zu Maus oder Ratte haben sich sowohl beim Schimpansen als auch beim Menschen einige Gene schneller verändert – vor allem solche, welche die Informationsübertragung von Nervenzellen betreffen. Hier scheint sich die besondere Entwicklungsgeschichte der Primaten widerzuspiegeln.

Dennoch gibt es natürlich auch Unterschiede zwischen Mensch und Affe: Die Forscher konnten fünf Millionen Positionen ausmachen, bei denen im Schimpansengenom ganze Abschnitte vertauscht, eingefügt oder verschwunden sind. Offensichtlich arrangierten sich im Laufe der Evolution die Chromosomen mehrfach um, sodass in einer Schimpansenzelle statt 46 Chromosomen – wie beim Menschen – 48 dieser Erbfäden zu finden sind. Unter Berücksichtigung dieser Umgruppierungen sinkt die Übereinstimmung im Erbgut auf 96 Prozent.

Intereressant sind vor allem so genannte Duplikationen, die sich die Forscher um Evan Eichler vom Howard Hughes Medical Institute näher angeschaut haben [2]: Im Gegensatz zu seinem tierischen Verwandten hat der Mensch an mehreren Stellen DNA-Bereiche verdoppelt – und diese Abschnitte haben es in sich: Denn genau hier sitzen die Gene, die für menschliche Erbkrankheiten wie spinale Muskelatrophie oder das Prader-Labhart-Willi-Syndrom verantwortlich gemacht werden. Eine "heiße Stelle" für diese fatalen Verdopplungen, so fand die Arbeitsgruppe von Barbara Task vom Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrum in Seattle heraus, sitzt am Ende der Chromosomen, den so genannten Subtelomeren [3].

Nicht nur Verdopplungen, auch Genverluste scheinen typisch menschliche Krankheiten auslösen zu können. So schützt ein Enzym namens Caspase-12 Schimpansen vor der Alzheimer-Demenz. Auch andere Krankheiten wie verschiedene Krebsleiden treffen nur den Menschen, aber nicht den Affen.

Auf der anderen Seite entdeckten die Forscher kleine Veränderungen, die weit reichende Konsequenzen gehabt haben müssen: Das Gen FOXP2 unterscheidet sich bei den beiden Arten nur an zwei Stellen. Dem zugehörigen Protein wird eine wichtige Rolle bei der wohl menschlichsten Eigenschaft zugesprochen: der Sprache.

Eine Besonderheit spürten die Forscher ausgerechnet bei dem Erbfaden auf, der zwar klein und unscheinbar, aber nicht ganz unwichtig ist – macht er doch den Mann zum Manne: Dem Y-Chromosom fehlt – im Gegensatz zu seinem weiblichen Pendant, dem X-Chromosom – im doppelten Chromosomemsatz sein Gegenüber, das entstandene Schäden wieder ausgleichen könnte. Wissenschaftler hatten daher spekuliert, dass das menschliche Y-Chromosom immer mehr Mutationen anhäuft, bis es schließlich – in schätzungsweise zehn Millionen Jahren – gänzlich abtritt.

Doch inzwischen zeigte sich, dass auch ein einsames Y-Chromosom seinen Genbestand und damit seine Zukunft bewahren kann. Zum Beispiel durch so genannte Palindrome – DNA-Abschnitte, die sowohl vorwärts wie rückwärts gelesen werden können. Hier auftretende Mutationen können von Reparaturenzymen schnell erkannt und repariert werden. "Obwohl das Y-Chromosom seit seiner Entstehung vor etwa 300 Millionen Jahren zahlreiche Gene verloren hat, ist es beim Menschen innerhalb der letzten sechs Millionen Jahren stabil geblieben", erklärt Jennifer Hughes vom Howard Hughes Medical Institute.

Bei Vetter Schimpanse sieht die Sache allerdings etwas anders aus. Er hat etliche Gene auf seinem Y-Chromosom bereits eingebüßt, die beim Menschen noch ihre Dienste tun, offenbarte der Genvergleich, den die Forscher um Hughes aufgestellt haben [4].

"Das ist nur die Spitze des Eisbergs"
(LaDeana Hillier)
Doch was macht jetzt den Mensch zum Menschen? Das reine Aufzählen der Reihenfolge der vier Buchstaben greift hier noch zu kurz. Denn schließlich kommt es nicht nur darauf an, welche Gene vorhanden sind, sondern auch darauf, wann und wo sie abgelesen werden. Dieses Muster der Genexpression hat sich die Arbeitsgruppe von Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie vorgenommen. Mit verblüffendem Ergebnis: Während sich bei verschiedenen Organen von Mensch und Schimpanse – vor allem im Hoden – die Gene unterschiedlich aktiv zeigen, fällt der Unterschied ausgerechnet beim Gehirn am geringsten aus [5].

Viele Fragen bleiben also offen. Die Entzifferung des Schimpansengenoms repräsentiert auch nur die "Spitze des Eisbergs", wie die beteiligte Genetikerin LaDeana Hillier betont. Ihre Kollegen Edwin McConkey und Ajit Varki können dem nur zustimmen: "Mit der Sequenzierung des Schimpansengenoms haben wir das Ende des Anfangs erreicht. Jetzt können wir uns auf den langen Weg machen, der uns dazu führt, unsere Beziehung zu diesen nächsten Vettern vollkommen zu verstehen."

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