Sterbestatistik: Aids überholt Lungentod
Nur wenn alles gut geht und größeres Wachstum uns mehr Wohlstand schenkt, werden wir im Jahr 2030 häufiger an Verkehrsunfällen sterben. Soweit eine Erkenntnis aus der bislang umfangreichsten statistischen Prognose über die Todesursachen des kommenden Vierteljahrhunderts. Deren düstere Seiten handeln vom Tod durch Rauchen weltweit und durch Aids im armen Süden der Welt.
Stellen wir uns für einen Augenblick einmal eine ideal gemischte globale Bevölkerung vor, und Sie, als idealtypisches Mitglied, seien männlich und 42 Jahre alt. Dann werden Sie im Jahr 2030 entweder 66 Jahre alt sein oder – wahrscheinlicher – tot. Die Lebenserwartung des derzeit lebenden Weltdurchschnittsmann beträgt, berechnet nach den Zahlen des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA, derzeit 63,16 Jahre. Wie gut, dass der statistische Weltdurchschnittsmann unsterblich ist, weil es ihn in der Wirklichkeit gar nicht gibt.
Statistiken können auch besser gelesen werden und wertvolle Grundlagendaten liefern – und das nun von der Weltgesundheitsorganisation unter der Federführung von Colin Mathers vorgelegte Zahlenwerk sollte genug Stoff zum Nachdenken und für politische und medizinische Einflussnahme geben. Die Datensammler präsentierten die Neuauflage einer zuletzt vor gut zehn Jahren erschienenen statistischen Prognose zur Häufigkeit verschiedener Todesursachen im Jahr 2030 [1].
Auch in dieser Studie finden sich wenig sinnige Mittelwerte – der in 24 Jahren geborene Weltdurchschnittsmann (siehe oben) mit gehobenen Einkommen wird knapp 80 Jahre leben, sein weibliches Pendant noch fünf Jahre länger –, insgesamt sind aus dem detaillierten Datenmaterial aber einige zukünftige Entwicklungslinien gut abzuleiten. Die Statistiker berechneten dabei im Auftrag der Weltbank stets drei mögliche Szenarien der globalen sozio-ökonomischen Entwicklung: ein optimistisches, ein pessimistisches und eines, bei dem das derzeitige Wachstum des weltweiten Lebensstandards gleich bleibt. In die Trendanalysen gingen Erhebungen aus 80 Entwicklungsländern und 20 weiteren Staaten ein.
In jedem Fall, so ein positiv stimmendes Ergebnis, steige weltweit bis 2030 die Lebenserwartung, und immer weniger Kinder unter fünf Jahren werden sterben müssen. Insgesamt wird dabei besonders die Zahl derer sinken, die tödlich an Infektionen erkranken. Dies werde vor allem dem erwarteten Rückgang von Infektionen der unteren Atemwege, Durchfallerkrankungen, Malaria und Tuberkulose zu verdanken sein, rechnen die Forscher vor.
Etwa 8,3 Millionen Menschen werden aber im Jahr 2030 an den Folgen von Tabakkonsum sterben: Die Häufigkeit der hiermit verbundene Krankheiten – das typische Mischkrankheitsbild aus Lungenemphysem und chronisch obstruktiver Bronchitis (COPD), andere Atemwegsinfekte sowie Luftröhren-, Bronchien- oder Lungenkrebs werden 2030 noch deutlichere Spitzenplätze in der Top Ten der Todesursachen einnehmen. Schon 2015 wird Rauchen rund jeden zehnten Todesfall verantworten.
Neben den Folgen der Glimmstengel-Sucht werden nicht ansteckende Krankheiten wie Krebs, Diabetes und Herzerkrankungen zunehmen. Herzinfarkt und Co sowie Hirngefäßerkrankungen bleiben wie derzeit auch im Jahr 2030 die weltweit häufigsten Todesursachen. Die dritthäufigste wird in entwickelten Ländern und bei Menschen mit hohen Einkommen weiter eine Erkrankung von Lunge und von Atemwegen sein. Und wie gehabt werden die Industrienationen damit nicht repräsentativ für den Rest der Welt sein.
Denn den deutlichsten Unterschied zwischen reich und arm wird der Tod im Jahr 2030 bei der Immunschwächekrankheit Aids machen: während sie bei Wohlhabenden unter zwei Prozent der Todesfälle verursacht, wird sie global die dritt- und in armen Ländern die zweithäufigste Ursache des Sterbens sein. In 24 Jahren werden in der Welt fast neun Prozent der für diese Jahr prognostizierten 73,1 Millionen Toten an Aids gestorben sein, wenn sich am derzeitigen Wachstum des Wohlstandes nichts ändert. Gerade bei der Entwicklung der Immunschwäche könne aber gegengesteuert werden, so die Autoren: Ein erleichterter Zugang zu antiretroviralen Medikamenten und geeignete Präventionsprogramme könnten das pessimistische Szenario deutlich abmildern.
Die tödliche Immunschwächekrankheit verdiente vor dem Welt-Aids-Tag am 1. Dezember eine gesonderte Betrachtung durch ein Team um Robert Hecht von der Internationalen Aids-Impfstoff-Initiative in New York, das sich nur die Entwicklungen in 80 Entwicklungsländern näher ansah [2]. Ihre Erkenntnisse seien besorgniserregend, so die Autoren: Ohne einen viel wirksameren Kampf gegen die Immunschwäche seien weder Armut noch Hunger, Kindersterblichkeit oder Bildungsnot so deutlich zu vermindern, wie die Vereinten Nationen es sich im Jahr 2000 selbst zum Ziel der nächsten fünfzehn Jahre gesteckt haben.
In der Studie werden besonders die wirtschaftlichen Folgen der Aids-Epidemie verdeutlicht. So seien etwa in Thailand Familien mit Aids-Erkrankten finanziell deutlich schlechter gestellt; in Botswana sinke das Pro-Kopf-Einkommen in Familien mit Erkrankten alle zehn Jahre um zehn Prozent. Ein hypothetisches afrikanisches Land, in dem ein Fünftel der Bevölkerung HIV-infiziert ist, hätte dadurch ein jährlich um gut zweieinhalb Prozent geringeres Wachstum des Bruttosozialprodukts zu erwarten.
Die Folgen der Aids-Epidemie für die Gesellschaft vor Ort sind weitaus anschaulicher – etwa die Probleme, mit die nicht infizierten Waisen von an Immunschwäche gestorbenen zu kämpfen haben werden. Die jungen Aids-Hinterbliebenen, ermittelten die Forscher, werden im Durchschnitt auf Jahre schlechter ernährt und haben einen noch schwereren Zugang zu Bildung und sozialem Aufstieg. In Südafrika dürfen schon heute nur 29 Prozent der Kinder noch mit beiden lebenden Eltern aufwachsen, ein Fünftel aller Kinder werden Vollwaisen, fassen Hecht und seine Kollegen zusammen – und in Botswana verantwortet Aids heute schon 77 Prozent aller Waisen. Sie werden von den Milleniumszielen, deren Erreichen die Immunschwäche nun in Frage stellt, noch nichts gehört haben. Umso wichtiger, an diesen Zielen festzuhalten.
Statistiken können auch besser gelesen werden und wertvolle Grundlagendaten liefern – und das nun von der Weltgesundheitsorganisation unter der Federführung von Colin Mathers vorgelegte Zahlenwerk sollte genug Stoff zum Nachdenken und für politische und medizinische Einflussnahme geben. Die Datensammler präsentierten die Neuauflage einer zuletzt vor gut zehn Jahren erschienenen statistischen Prognose zur Häufigkeit verschiedener Todesursachen im Jahr 2030 [1].
Auch in dieser Studie finden sich wenig sinnige Mittelwerte – der in 24 Jahren geborene Weltdurchschnittsmann (siehe oben) mit gehobenen Einkommen wird knapp 80 Jahre leben, sein weibliches Pendant noch fünf Jahre länger –, insgesamt sind aus dem detaillierten Datenmaterial aber einige zukünftige Entwicklungslinien gut abzuleiten. Die Statistiker berechneten dabei im Auftrag der Weltbank stets drei mögliche Szenarien der globalen sozio-ökonomischen Entwicklung: ein optimistisches, ein pessimistisches und eines, bei dem das derzeitige Wachstum des weltweiten Lebensstandards gleich bleibt. In die Trendanalysen gingen Erhebungen aus 80 Entwicklungsländern und 20 weiteren Staaten ein.
In jedem Fall, so ein positiv stimmendes Ergebnis, steige weltweit bis 2030 die Lebenserwartung, und immer weniger Kinder unter fünf Jahren werden sterben müssen. Insgesamt wird dabei besonders die Zahl derer sinken, die tödlich an Infektionen erkranken. Dies werde vor allem dem erwarteten Rückgang von Infektionen der unteren Atemwege, Durchfallerkrankungen, Malaria und Tuberkulose zu verdanken sein, rechnen die Forscher vor.
Etwa 8,3 Millionen Menschen werden aber im Jahr 2030 an den Folgen von Tabakkonsum sterben: Die Häufigkeit der hiermit verbundene Krankheiten – das typische Mischkrankheitsbild aus Lungenemphysem und chronisch obstruktiver Bronchitis (COPD), andere Atemwegsinfekte sowie Luftröhren-, Bronchien- oder Lungenkrebs werden 2030 noch deutlichere Spitzenplätze in der Top Ten der Todesursachen einnehmen. Schon 2015 wird Rauchen rund jeden zehnten Todesfall verantworten.
Neben den Folgen der Glimmstengel-Sucht werden nicht ansteckende Krankheiten wie Krebs, Diabetes und Herzerkrankungen zunehmen. Herzinfarkt und Co sowie Hirngefäßerkrankungen bleiben wie derzeit auch im Jahr 2030 die weltweit häufigsten Todesursachen. Die dritthäufigste wird in entwickelten Ländern und bei Menschen mit hohen Einkommen weiter eine Erkrankung von Lunge und von Atemwegen sein. Und wie gehabt werden die Industrienationen damit nicht repräsentativ für den Rest der Welt sein.
Denn den deutlichsten Unterschied zwischen reich und arm wird der Tod im Jahr 2030 bei der Immunschwächekrankheit Aids machen: während sie bei Wohlhabenden unter zwei Prozent der Todesfälle verursacht, wird sie global die dritt- und in armen Ländern die zweithäufigste Ursache des Sterbens sein. In 24 Jahren werden in der Welt fast neun Prozent der für diese Jahr prognostizierten 73,1 Millionen Toten an Aids gestorben sein, wenn sich am derzeitigen Wachstum des Wohlstandes nichts ändert. Gerade bei der Entwicklung der Immunschwäche könne aber gegengesteuert werden, so die Autoren: Ein erleichterter Zugang zu antiretroviralen Medikamenten und geeignete Präventionsprogramme könnten das pessimistische Szenario deutlich abmildern.
Die tödliche Immunschwächekrankheit verdiente vor dem Welt-Aids-Tag am 1. Dezember eine gesonderte Betrachtung durch ein Team um Robert Hecht von der Internationalen Aids-Impfstoff-Initiative in New York, das sich nur die Entwicklungen in 80 Entwicklungsländern näher ansah [2]. Ihre Erkenntnisse seien besorgniserregend, so die Autoren: Ohne einen viel wirksameren Kampf gegen die Immunschwäche seien weder Armut noch Hunger, Kindersterblichkeit oder Bildungsnot so deutlich zu vermindern, wie die Vereinten Nationen es sich im Jahr 2000 selbst zum Ziel der nächsten fünfzehn Jahre gesteckt haben.
In der Studie werden besonders die wirtschaftlichen Folgen der Aids-Epidemie verdeutlicht. So seien etwa in Thailand Familien mit Aids-Erkrankten finanziell deutlich schlechter gestellt; in Botswana sinke das Pro-Kopf-Einkommen in Familien mit Erkrankten alle zehn Jahre um zehn Prozent. Ein hypothetisches afrikanisches Land, in dem ein Fünftel der Bevölkerung HIV-infiziert ist, hätte dadurch ein jährlich um gut zweieinhalb Prozent geringeres Wachstum des Bruttosozialprodukts zu erwarten.
Die Folgen der Aids-Epidemie für die Gesellschaft vor Ort sind weitaus anschaulicher – etwa die Probleme, mit die nicht infizierten Waisen von an Immunschwäche gestorbenen zu kämpfen haben werden. Die jungen Aids-Hinterbliebenen, ermittelten die Forscher, werden im Durchschnitt auf Jahre schlechter ernährt und haben einen noch schwereren Zugang zu Bildung und sozialem Aufstieg. In Südafrika dürfen schon heute nur 29 Prozent der Kinder noch mit beiden lebenden Eltern aufwachsen, ein Fünftel aller Kinder werden Vollwaisen, fassen Hecht und seine Kollegen zusammen – und in Botswana verantwortet Aids heute schon 77 Prozent aller Waisen. Sie werden von den Milleniumszielen, deren Erreichen die Immunschwäche nun in Frage stellt, noch nichts gehört haben. Umso wichtiger, an diesen Zielen festzuhalten.
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