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Waldforschung: Aktive Unbekannte

Ein gründlicher Blick auf die Luftchemie in einem Wald in Nord-Michigan zeigte: Hier stimmen die Bilanzen nicht. Offenbar mischen noch einige mysteriöse Unbekannte im atmosphärischen Auf- und Abbaugeschehen mit. Wer sind sie?
Wald
Pflanzen sind nicht nur Saubermänner, sie geben auch eine ganze Reihe von Substanzen ab, die zur Bildung bodennahen Ozons beitragen oder sich als Aerosole an der Wolkenbildung beteiligen. Die emittierten Mengen dieser natürlichen flüchtigen organischen Verbindungen oder abgekürzt BVOC für biogenic volatile organic compounds entsprechen etwa dem global freigesetzten Methan und übersteigen wohl alle menschgemachten Emissionen an flüchtigen organischen Verbindungen weltweit. Kein Wunder, dass die BVOC einen dominierenden Effekt auf die Luftverhältnisse und Atmosphärenchemie von Wäldern, ländlichen Gegenden und manchen Städten haben können.

Jene Substanzen, zu denen Isopren, weitere Terpene oder Alkohole zählen, reagieren unter anderem mit Hydroxyl-Radikalen – und diesen Prozess nutzen Forscher, um den Beitrag der BVOC im höchst komplexen chemischen Geschehen rund um Baum und Kraut genauer zu verstehen. Denn diese OH-Reaktivität lässt sich messen: Mithilfe des UV-Lichts einer Quecksilberlampe erzeugen die Wissenschaftler kontrolliert die Radikale und lassen dann Umgebungsluft daran vorbeistreichen. Ein Detektor misst, wie viele von den ursprünglich vorhandenen OH-Radikalen übrig bleiben, und ermittelt so den "Radikalbedarf" vor Ort.

Messturm | Mithilfe solcher Messtürme erfassten die Forscher das chemische Geschehen im mehreren Metern Höhe. Dabei stießen sie auf unbekannte flüchtige organische Substanzen, die eine entscheidende Rolle in den Prozessen spielen.
Mit dieser Technik schnupperten Piero Di Carlo von der Pennsylvania State University und seine Kollegen im Rahmen der Prophet-Studie im Juli 2000 Waldluft in Nord-Michigan, unterstützt vom üblichen meteorologischen Begleitprogramm sowie chemischen Analysen einiger weiterer Substanzen wie verschiedenen Stickstoffverbindungen, Kohlenmonoxid, Isopren und Kohlenwasserstoffen aus nicht natürlichen Quellen.Und dabei entdeckten sie Verblüffendes: Verglichen sie die gemessene OH-Reaktivität mit der rechnerisch ermittelten, wie sie sich aus den erfassten Beteiligten ergeben müsste – dann fehlte ihnen eine gute Portion. Ganz offenbar gab es mindestens einen großen Unbekannten, der ebenfalls kräftig im chemischen Auf-, Um- und Abbau mitmischte.Nur – um wen oder was handelte es sich dabei? Die Forscher stellten zum einen fest, dass die unbekannten Substanzen in ihrem Auftreten eine Temperaturabhängigkeit zeigten. Damit schieden menschgemachte flüchtige Stoffe aus, denn ihre Anwesenheit wird allein durch den Transport zur Messstelle bestimmt. Zum anderen beeinflussten die Lichtverhältnisse das Geschehen offenbar nicht, weshalb Isopren und einige Monoterpene schnell von der Liste gestrichen werden konnten, da sie abhängig von der Sonneneinstrahlung in den Pflanzen produziert werden – und einen entsprechenden Hell-Dunkel-Rhythmus konnten die Forscher nicht nachweisen.Also muss es sich bei den unbekannten Mitspielern wohl um bisher nicht erfasste Terpene handeln, die, so schlossen die Forscher aus verschiedenen Reaktionsanalysen, mindestens eine Doppelbindung aufweisen und lichtunabhängig produziert werden. Eine Beschreibung, die allerdings auf viele Kandidaten passt.

Den unerwarteten Beitrag unbekannter BVOC im chemischen Geschehen über Wäldern bestätigen ausgerechnet Messungen mit derselben Technik in der dichten Stadtluft von Houston. Denn hier fehlte der in Nord-Michigan beobachtete große Unterschied zwischen gemessener und errechneter OH-Reaktivität. Weitere Unterstützung kommt aber auch aus anderen Waldgebieten in der Sierra Nevada und Finnland, bei denen Foscher ebenfalls auf bislang unerklärliche Differenzen in den OH-Reaktivitätswerten gestoßen waren. Nun gilt es daher in weiteren Untersuchungen, die Unbekannten aufzuspüren, sie genauer zu charakterisieren oder vielleicht sogar zu identifizieren und ihre Rolle in der Atmosphärenchemie der Wälder zu klären.

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  • Quellen
Science 304: 722–725 (2004)

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