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Albrecht Dürer: Beim Malen über die Schulter geschaut

Mit Hilfe von Infrarotaufnahmen kommen Forscher Dürers Arbeitsweise auf die Spur. Diese Untersuchungsmethode macht die unter dem Gemälde liegenden Entwürfe sichtbar und offenbart, wie der Maler seine Bilder plante und im Lauf ihrer Ausführung ständig veränderte – bis sie seinen hohen Ansprüchen genügten.
Albrecht Dürer

War Dürer ein guter Maler? Diese Frage erscheint ­provokativ, sprechen wir doch von einem der größten deutschen Künstler aller Zeiten. Dennoch scheint der Sohn eines Nürnberger Goldschmieds bereits um 1500 mit dem – übrigens bis heute nachwirkenden – Vorurteil gekämpft zu haben, er sei zwar ein überragender Grafiker, jedoch kein Meister der Farbe. Dürer setzte deshalb alles daran, diesen Ruf loszuwerden.

Tatsächlich sollte ihm das 1506 in Venedig mit seinem für die deutsche Kaufmannschaft gemalten "Rosenkranzfest" gelingen, mit dem er selbst die venezianischen Maler beeindruckte. Auf seine Zeitgenossen muss dieses in den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs leider stark beschädigte Gemälde eine überwältigende Wirkung gehabt haben. Jedenfalls schrieb Dürer seinem Nürnberger Freund, dem Gelehrten Willibald Pirckheimer: "Jtz spricht jeder man, sy haben schoner Farben nie gesehen."

Nördlich der Alpen faszinierte Dürer die Zeitgenossen durch seine Perfektion und außergewöhnliche Pinseltechnik: So schilderte der Humanist Joachim Camerarius 1532 eine fiktive Begegnung zwischen Dürer und dem venezianischen Maler Giovanni Bellini, der den Maler aus Nürnberg ob seiner Fähigkeit bewunderte, feinste Details, ja sogar einzelne Haare malen zu können. Als Bellini ihn nach seinem Geheimnis fragte, habe Dürer ihm zu seiner Überraschung einen ganz normalen Pinsel überreicht – und auf diese Weise seine überragende Kunstfertigkeit unter Beweis gestellt.

Aus epoc 2/2012
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Auch der Theologe und Philosoph Erasmus von Rotterdam war von Dürers Talent angetan, insbesondere von ­seinen Druckgrafiken. 1528 verglich er ihn mit dem berühmten Maler Apelles und erhob Dürer sogar über den Griechen, weil er im Gegensatz zu dem Genie aus der Antike eben keine Farben benötige: "Was drückt er nicht alles mit schwarzen Strichen aus? Schatten, Licht, Glanz, Vorragendes und Einspringendes. ... Was malt er nicht alles, auch was man nicht malen kann, Feuer, Strahlen, Donner, Wetterleuchten, Blitze oder Nebelwände, die Sinne, alle Gefühle, endlich die Seele des Menschen."

Da sowohl Willibald Pirckheimer als auch Erasmus von Rotterdam mit ihrem Lob in hohem Maß auch die eigene Gelehrsamkeit zur Schau stellen wollten – indem sie viele klassische Motive des antiken Künstlerlobs aufgriffen –, gilt es, ihre Aussagen an Dürers Gemälden zu überprüfen. Im Rahmen des internationalen, interdisziplinären Projekts "Der frühe Dürer" haben wir uns deshalb erneut mit dessen Werken beschäftigt – und versucht, neue Einblicke in Bildaufbau, beabsichtigte Effekte und Pinselführung des Malers zu gewinnen. Wir wollten Dürer quasi beim Malen über die Schulter schauen und die Frage beantworten: War er wirklich ein guter Maler?

Vorauszuschicken ist jedenfalls, dass Dürer wie die anderen Künstler seiner Zeit arbeitete. Er verfügte weder über Geheimrezepte noch benutzte er besondere Werkzeuge. Außergewöhnlich sind allein seine künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten.

Albrecht Dürer | Die Infrarotaufnahme von Dürers Selbstbildnis aus dem Jahr 1500 zeigt die detaillierte Unterzeichnung des Gemäldes. Auffällig sind die feinen Striche und dichten Schraffuren.

Bei der Entstehung eines Bilds spielt die Unterzeichnung, die zeichnerische Anlage des Motivs auf der Leinwand oder Holztafel, eine zentrale Rolle. Unter bestimmten Voraussetzungen lässt sich diese erste Bildanlage mittels der Infrarotreflektografie (siehe Stichwort) sichtbar machen – so wie im Fall der beiden Bildnisse, die Dürer in jungen Jahren von seinen Eltern anfertigte. Das der Mutter zeigt im Bereich der Kleidung und Hände eine lockere, freie Unterzeichnung mit dem Pinsel. Das Gesicht hat er indes weit vorsichtiger und weniger summarisch vorbereitet. So sind die Linien im Bereich des Nasenflügels dünn und geradezu zaghaft ausgeführt – offenbar näherte sich Dürer der endgültigen Form nur allmählich an. Danach erst arbeitete er die Details mit Hilfe feiner, präzise gesetzter Schraffuren weiter aus.

Unsere Untersuchungen weiterer Gemälde ergaben aber noch mehr: Die Unterzeichnungen stehen stets in Wechselwirkung mit der darüberliegenden Farbschicht. In vielen seiner Werke bewahrte Dürer diese Skizzen stellenweise als eine Art Untermodellierung, die als grauer Schattenton durch die darüber aufgetragene Farbe hindurchschimmerte und so zum Teil des endgültigen Bilds wurde, während er sie in anderen Partien schon mit dem ersten Pinselstrich vollständig überdeckte. Allerdings lässt sich die ursprüngliche Wirkung schwer abschätzen, weil die meisten Farben im Lauf der Zeit transparenter werden. Dürers Entwürfe sind deshalb heute an vielen Stellen sichtbar, wo sie nach Fertigstellung der Gemälde nicht zu sehen waren.

Ein Künstler vom Rang des Apelles

Ganz und gar verborgen blieben bislang einzelne Partien der Unterzeichnung des Vaterbildnisses. Sie kamen erst im Rahmen unserer Forschungsarbeiten zum Vorschein – auch in diesem Fall mit Hilfe der Infrarotreflektografie. Der erste zeichnerische Entwurf sah nämlich eine völlig andere Komposition als das ausgeführte Porträt vor: An Stelle des grünen Hintergrunds plante Dürer offenbar rechts eine von Konsolen gestützte Decke und links ein Rundbogenfenster mit Landschaftsausblick. Dieses Konzept entsprach einem beliebten zeitgenössischen Bildmotiv, das auf niederländische Vorbilder zurückging, in Nürnberg aber bereits dank Dürers Lehrmeister Michael Wolgemut wohlbekannt war. Erst im Verlauf seiner Arbeit gab Albrecht Dürer die Idee auf. Des Weiteren lassen Korrekturen im Gesicht seines Vaters vermuten, dass der Kopf im Entwurf zu groß geraten war. In seinem Verhältnis passte er offenbar nicht mehr zum eigentlich geplanten Innenraum. Dürer verwarf die räumliche Gestaltung bei der weiteren Ausarbeitung und entschied sich für einen neutralen grünen Hintergrund.

Stichwort Röntgen |

Röntgenstrahlen haben viel kürzere Wellenlängen als sichtbares Licht. Sie sind bis zu 10 000-mal energiereicher und durchdringen auch Festkörper. Auf ihrem Weg durch die Materie werden sie allerdings schwächer, je nachdem wie stark das geröntgte Material die Strahlung absorbiert. Daher tritt sie auch mit unterschiedlicher Intensität aus dem Objekt aus – und kann dann auf spezielle Filme gebannt werden. Solche Röntgenbilder geben Aufschluss über die innere Struktur eines Gemäldes; zum Beispiel über Aufbau und Zustand des Bildträgers. Besonders kräftige Kontraste ergeben sich, wenn der Maler Pigmente verwendete, die Röntgenstrahlung stark absorbieren – vor allem das in allen Epochen weit verbreitete Bleiweiß, das auch Dürer für die Darstellung seiner Mutter verwendete. Farbauftrag und -verteilung können auf diese Weise detailliert dargestellt werden, so dass sich die "Handschrift" einzelner Künstler ablesen lässt. Selbst wenn sich zwei Werke von verschiedenen Malern motivisch stark ähneln, gibt das Röntgenbild Hinweise auf die individuelle und oft unverwechselbare Maltechnik der jeweiligen Urheber. Schon kurz nach ihrer Entdeckung durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 wurden die "neuen Strahlen" bereits zur Untersuchung von Gemälden eingesetzt. Heute ermöglichen moderne Computertomografen die präzise und dreidimensionale Erfassung von Kunstobjekten in hoher Auflösung.

Viele weitere Gemälde zeigen ähnliche Modifikationen im Lauf des Malprozesses: So veränderte Dürer immer wieder Landschaftselemente, Handhaltungen, Gewandfalten, Augenpositionen und mitunter ganze Figuren – bis das Bild seinen Ansprüchen genügte.

So auch im Fall des Leinwandgemäldes "Herkules im Kampf gegen die Stymphalischen Vögel". Dürer hat dem antiken Helden seine eigenen Gesichtszüge verliehen und sich damit auf ein allerdings nur literarisch überliefertes Gemälde von Apelles bezogen: Dieser habe im 4. Jahrhundert v. Chr. einen Herakles in Rückenansicht gemalt, dessen Gesichtszüge aber dennoch erkennbar gewesen sein sollen. Dürer trat mit seinem Werk gleichsam zum Wettstreit gegen das griechische Vorbild an – und zwar just zu dem Zeitpunkt, als ihn die Nürnberger 1499/1500 als "neuen Apelles" feierten.

Mit lockeren Strichen zeichnete er den nach antikem Ideal gestalteten Körper, erfasste mit wenigen Linien den Hinterkopf, während er die Wade mit etlichen leicht variierenden Pinselzügen herausarbeitete. Mehrfach korrigierte Dürer den Köcher sowie die Stellung des Bogens – und setzte dafür immer wieder den Verlauf der Sehne neu an. Ebenso hatte er den rechten Fuß anfänglich in Seitenansicht wiedergeben wollen – Dürer gab die Idee jedoch auf, was eine anatomisch etwas unbefriedigende Lösung zur Folge hatte, die er mit einer Pflanze geschickt zu kaschieren wusste.

Ähnliche Eingriffe enthüllt auch die "Anbetung der Könige" in Florenz. Für das Bild konzipierte Dürer zunächst die perspektivisch fluchtende Architektur mittels dünner Linien und feiner Zirkelschläge für die Rundbögen. Mindestens zweimal versuchte er dann, verbleibende Brüche in der Perspektive der Szenerie mit einer Staffagefigur zu überdecken. Zuerst setzte er versuchsweise einen bärtigen Mann in die Leerfläche, anschließend einen springenden Hund: Beide Ideen aber verwarf er bei der Ausführung.

Rätselhafter Weltenretter

Stichwort Infrarotreflektografie |

Im Grunde ähnelt die Reflektografie unserem Sehen: Elektromagnetische Wellen treffen dabei auf ein Objekt, dringen unterschiedlich tief in dieses ein und werden teilweise absorbiert. Der reflektierte Anteil der Strahlung trifft auf unsere Netzhaut und regt Sinneszellen an, deren Informationen im Gehirn zu einem Bild verarbeitet werden. Was wir sehen, hängt also im Wesentlichen von der Strahlenquelle, von den Eigenschaften des beleuchteten Körpers und vom Detektor ab, in diesem Fall unserem Auge.

Ein Gemälde besteht – vereinfacht gesagt – aus einer Reihe von Schichten: Über der Leinwand oder der Holztafel liegt die meist helle Grundierung. Darauf legt der Künstler zunächst die Unterzeichnung an und führt anschließend das Bild in unterschiedlich stark deckenden Farblagen aus. Zuoberst befindet sich der transparente Firnis. Die Deckfähigkeit der einzelnen Schichten hängt von deren Dicke ab, aber auch von ihrer Eigenschaft, Strahlung diffus zu streuen, sie also in unterschiedlichste Richtungen zu reflektieren. Neben den Eigenheiten, wie zum Beispiel der Korngröße der verwendeten Farbpigmente und der Bindemittel, die sie umschließen, spielt die Wellenlänge der einfallenden Strahlung eine wichtige Rolle.

Grundsätzlich gilt, dass die diffuse Streuung mit zunehmender Wellenlänge abnimmt, das heißt, höhere Wellenlängen können tiefer in Farbschichten eindringen. Unser Auge vermag elektromagnetische Wellen im Bereich von etwa 380 bis 780 Nanometern zu verarbeiten – dem Bereich des sichtbaren Lichts. In der Regel durchdringen diese Wellenlängen den Firnis und werden erst an darunterliegenden Farblagen reflektiert.

Dank seiner höheren Wellenlängen dringt Infrarotstrahlung deutlich tiefer ein und durchdringt Farbschichten, die uns undurchsichtig erscheinen. Mit einem geeigneten Detektor ist es also möglich, Informationen aus tieferen Bildschichten zu erhalten, diese fotografisch zu erfassen und so aufzubereiten, dass das Unsichtbare für unser Auge sichtbar wird. In der kunsttechnischen Forschung benutzt man dieses Verfahren vor allem, um Unterzeichnungen zu untersuchen. Dafür haben sich Wellenlängen zwischen 900 und 2000 Nanometern bewährt, wobei sich kohlenstoffhaltige Zeichnungen auf weißer Grundierung am einfachsten darstellen lassen. Der Teil der Strahlung, der auf die schwarzen Linien trifft, wird nämlich fast vollständig absorbiert, während der Teil, der auf die weiße Grundierung fällt, abhängig von den zu durchdringenden Malschichten zu einem großen Teil reflektiert wird.

Seit den 1940er Jahren werden spezielle Filme als Detektoren benutzt, deren Empfindlichkeit allerdings bei einer Wellenlänge von etwa 900 Nanometern endet. Vor gut 40 Jahren entstanden auch filmlose Verfahren, bei denen die Bilder direkt an einem Bildschirm betrachtet werden können. In jüngster Zeit profitieren die Wissenschaftler von der rasanten Entwicklung digitaler Bildverarbeitungstechniken, so dass sie heute mit vergleichsweise geringem technischem Aufwand hoch aufgelöste Einblicke in jahrhundertealte Gemälde gewinnen können – und somit auch in die Arbeitsweise ihrer Schöpfer.

Das prächtige Gemälde, das Dürer für den damals größten Förderer der Künste, den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen, malte, offenbart noch weitere Einblicke in die Arbeitsweise des Nürnbergers. Im Unterschied zur teils recht detaillierten Unterzeichnung der Tafel lässt die rudimentäre Anlage der Gesichter einen gründlichen Entwurf vermissen. Die Köpfe hatte Dürer womöglich in heute verlorenen, separaten Zeichnungen skizziert. Es kommt aber noch eine andere Möglichkeit in Frage: In der Infrarotreflektografie der "Anbetung der ­Könige" wurden sehr feine Linien sichtbar, die nicht als Vorzeichnung gedient haben können. Vielmehr handelt es sich wahrscheinlich um Kohlepartikel. Diese hatten sich in den Riefen festgesetzt, die beim Glätten der Grundierung entstanden waren. Das spricht dafür, dass Dürer einzelne Bildbestandteile zunächst mit Kohle auf der Bildtafel entworfen hat. Bei fortschreitender Arbeit ersetzte er sie oder wischte sie einfach weg. Diese Technik hatte schon der Florentiner Maler Cennino Cennini in seinem um 1400 erschienenen Werk "Libro dell'arte o trattato della pittura" beschrieben.

Einen besonders aufschlussreichen Einblick in Dürers Vorbereitungen bietet sein unvollendetes Gemälde mit Christus als Retter der Welt – "Salvator Mundi" –, an dem er in den Jahren 1504 und 1505 arbeitete. Das Tafelbild ist bereits im 16. Jahrhundert als unvollendet dokumentiert. Im 19. Jahrhundert wurde es stark gereinigt und ausgebessert, was das Verständnis des Gemäldes heute sehr erschwert. Seit 1931 befindet es sich im New Yorker Metropolitan Museum.

Die Unterzeichnung führte der Nürnberger Maler mit höchster Präzision aus, die in der Strichführung an seine Kupferstiche erinnert. Die Zeichnung zeigt eindringlich, wie ambitioniert der Künstler plante: Gesicht und Hände sind mit eng gesetzten Schraffuren angelegt und viel detaillierter ausgearbeitet, als es für einen Entwurf üblich war. Ein Blick auf die Glaskugel offenbart Überraschendes: Dürer wollte die Kugel in Christi Händen nicht nur durch den Kontrast von Licht und Schatten darstellen, sondern auch die Licht- und Farbbrechung im transparenten Glas nachahmen. Dafür versetzte er die Konturlinien des hinter der Kugel liegenden Gewands und änderte dessen Farbe leicht. Sogar den Glanz der Glasoberfläche wollte er wiedergeben. Links oben spiegelt sich ein Fenster, das auf der gegenüberliegenden Seite der Glaskugel einen zweiten Reflex verur­sacht – ein wahrhaft schwieriges Motiv! Wie in der "Anbetung der Könige" und später im "Rosenkranzfest" wollte Dürer zeigen, dass er als Maler auch größte Herausforderungen zu meistern vermochte. Entsprechend minutiös waren seine Vorbereitungen für den "Salvator Mundi". Warum er das Meisterstück jedoch nie fertig stellte, bleibt ein Rätsel.

Die Fingerabdrücke des Meisters

Schon mit etwa 20 Jahren bewies Dürer mit seinen Porträts von Vater und Mutter sein Streben nach höchster Perfektion. Mit feinen, weißen Strichen verlieh er den Wimpern einen natürlichen Glanz, mit dicker Farbe ahmte er die textile Struktur der mütterlichen Haube und die feinen Fältchen an Stirn und Augen des Vaters nach. Spätestens seit dem "Selbstbildnis mit Landschaft" ("Madrider Selbstbildnis") von 1498 setzte er für bestimmte Effekte nicht nur Pinsel und Pinselstiel ein, sondern verteilte die Farbe auch mit Fingerkuppen und Handballen. Diese Fingermalerei würdigten Forscher schon früh als auffälliges Merkmal von Dürers Arbeitsweise.

Stichwort UV-Fluoreszenzfotografie |

Ultraviolette Strahlen gehören zu den kurzwelligen, energiereichen Strahlen des elektromagnetischen Spektrums. Wir können sie zwar nicht sehen, erleben ihre Wirkung aber hautnah, wenn wir in der Sonne braun werden. Die dem sichtbaren Bereich des Spektrums am nächsten liegende UV-A-Strahlung wird unter anderem in der Gemäldeuntersuchung eingesetzt. Wir kennen sie von Schwarzlichtlampen, die in der Disko unsere Zähne erstrahlen lassen. Auch Geräte zur Echtheitsprüfung von Banknoten funktionieren nach dem gleichen Prinzip: Angeregt durch die unsichtbare UV-Strahlung senden bestimmte Materialien langwelligere Strahlung aus, die für das menschliche Auge sichtbar ist. Deshalb leuchten – oder genauer: fluoreszieren – nur einzelne Fasern und bunte Muster auf dem Euroschein auf.

Ebenso fluoreszieren viele in Gemälden verwendete Substanzen im ultravioletten Licht. Häufig zeigen sie dabei schwach gelbe oder grünliche Töne. Auffällig sind bestimmte Pigmente, zum Beispiel Zinkweiß, das gelbgrün leuchtet – oder Krapplack, der aus den Wurzeln des Färberkrapps (Rubia tinctorum) gewonnen wird, mit seiner warmen orangerosa Fluoreszenz.

Meistens wenden Forscher diese Methode an, wenn sie den Erhaltungszustand eines Bilds untersuchen wollen. Mit ihrer Hilfe lassen sich etwa spätere Übermalungen oder Ausbesserungen sichtbar machen, denn je älter Firnisse oder Bindemittel sind, umso mehr fluoreszierende Verbindungen bilden sie. Retuschen jüngeren Datums bleiben daher dunkel und heben sich vom fluoreszierenden Original ab. Allerdings kann die UV-Strahlung nicht in die tieferen Malschichten vordringen. Im Unterschied zur Infrarotreflektografie oder dem Röntgenbild eignet sie sich dafür besonders gut für die Untersuchung der transparenten Firnisschichten, deren Beschaffenheit wir mit dem bloßen Auge kaum erkennen können.

Beispiel: Spätere Übermalungen oder Reparaturen lassen sich im UV-Licht besonders gut erkennen. So weist die Leinwand des "Herkules im Kampf gegen die Stymphalischen Vögel" einen langen senkrechten Riss auf. Die dunklen Flecken an Ober- und Unterarm zeugen von Nachbesserungen.

Die "Fingerabdrücke" zogen manche sogar als Nachweis für die Echtheit umstrittener Gemälde heran, doch müssen die Ergebnisse auf Grund fehlender eindeutiger anatomischer Merkmale zweifelhaft bleiben. Dürer hat in seiner Malerei keine kriminaltechnisch verwertbaren Fingerabdrücke hinterlassen. Vielmehr stupfte er die trocknende Farbschicht mit Fingern und Handballen, um dadurch luftige Effekte, dezente Übergänge und weich verlaufende Schattierungen zu erzielen – etwa im Fall der "Anbetung der Könige" (siehe Bild). In diesem Werk erzeugte Dürer raffinierte Hell-dunkel-Abstufungen und gestaltete die kostbaren Brokatgewänder durch glänzend belassenes oder mattiertes Gold.

Doch damit nicht genug: In Gemälden wie den Tafeln des Jabach-Altars von 1503/1505 zeigte er auf den Flügelaußenseiten den frommen Hiob, der von Gott schwer geprüft wurde. Wer genau hinsieht, entdeckt auf der Haut Hiobs zunächst die bereits bekannte Oberflächenstrukturierung: Mit einem borstigen Pinsel gab Dürer dem ockerfarbenen Grundton eine streifige Struktur und modellierte die folgende Farbschicht, indem er Lasuren tupfend und schraffierend auftrug beziehungsweise wegwischte oder mit dem Pinselstiel Linien hineinschabte. Mit seinen Handballen überzog er die Schattenpartien mit einem feinen Netzwerk von Linien, um die weichen Übergänge zwischen hell und dunkel natürlicher zu gestalten.

Damit sind aber noch nicht die porenähnlichen Strukturen erklärt, die auf den ersten Blick wie ein maltechnischer Fehler wirken. Doch in Wahrheit hatte Dürer die kleinen Krater offenbar absichtlich geschaffen. Vermutlich hatte er ein Lösungsmittel wie Terpentinöl in die noch nicht angetrockneten Ölfarben gespritzt und die Lasuren auf diese Weise punktförmig aufgerissen. So gelang ihm durch Experimentieren die bewundernswert naturnahe Wiedergabe von Hiobs Haut, die nach dem alttestamentlichen Text "mit bösartigem Geschwür von der Fußsohle bis zum Scheitel" überzogen war.

"Anbetung der Könige" | In der "Anbetung der Könige" strukturierte Dürer die Braunlasuren mit Fingern und Handballen. Den Eindruck von Hiobs pockenübersäter Haut erzeugte er mit einem cleveren Handgriff: Noch bevor die Farben trocken waren, spritzte er vermutlich Terpentinöl auf das Bild, das in den Lasuren kleine Krater hinterließ.

Darüber hinaus bestechen Dürers Gemälde durch raffinierte Linien. Seine besondere Leistung lag darin, mit vergleichsweise einfachen Mitteln größte Perfektion zu erzielen. Besonders beeindruckend gelang ihm dies in seinen Selbstbildnissen, die heute in München und Madrid hängen: Dank genialer Beherrschung des spitzen Pinsels vermochte er nicht nur einzelne lang geschwungene Haare lebensecht zu malen, sondern ihnen auch noch Glanz zu verleihen. Dieselbe Virtuosität zeichnet seine anderen Meisterwerke wie etwa den Feld­hasen aus. Sie bestechen durch die kalligrafische Präzision sehr fein gemalter Haare, die Dürer in dem eingangs erwähnten Diskurs mit Giovanni Bellini so glanzvoll dastehen ließ.

Dürer zelebriert diese Raffinessen geradezu in seinen Selbstbildnissen, die ihm als Vorzeigestücke dienen und sein künstlerisches Können demonstrieren sollten. Als er sich 1498 in kostbarer Kleidung malte, tat er das nicht, um damit seine soziale Stellung zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr wollte er den wohlhabenden Nürnberger Patriziern zeigen, wie seine Kunden auf einem bei ihm bestellten Porträt aussehen würden.

In seinen Briefen an den Frankfurter Bürgermeister ­Jakob Heller, mit dem Dürer 1508/09 um einen angemessenen Preis für das in Arbeit befindliche Werk "Himmelfahrt und Krönung Mariens" feilschte, hob er neben den verwendeten teuren Materialien auch ausdrücklich den hohen handwerklichen Aufwand hervor. Normale Gemälde könne er im Lauf eines Jahres zuhauf machen, mit "allerhöchstem Fleiß" und "fleißigem Kläubeln", wie Dürer seine arbeitsintensive und präzise Feinmalerei nannte, ginge dies jedoch nicht.

Unter den Gemälden des Frühwerks waren nur die Selbstbildnisse und vielleicht auch der unvollendet gebliebene "Salvator Mundi" ohne finanziellen Druck entstanden. Zur Demonstration seines Könnens zog Dürer für jene Bilder alle Register seiner Kunst. Die übrigen Werke, insbesondere die Porträts, entstanden dagegen im Rahmen der jeweils mit dem Auftraggeber vereinbarten Absprachen. Dürers Gemälde oder vielmehr jene, die mit ihm in Verbindung gebracht werden, weisen deshalb zum Teil eklatante Unterschiede im Grad ihrer Ausarbeitung auf.

"Kampf gegen die Stymphalischen Vögel" | Die Unterzeichnung vom "Kampf gegen die Stymphalischen Vögel" zeigt, wie Dürer bei seinen Entwürfen herumprobierte. Zunächst legte er mit flüchtigen Strichen den Helden Herkules in Rückenansicht an. Dann erarbeitete er sich die Wade mit etlichen leicht variierenden Strichen erarbeitete. Den rechten Fuß wollte er ursprünglich in Seitenansicht wiedergeben. Bei der Ausführung des Gemäldes gab er diese Idee offenbar auf, was allerdings aus anatomischer Sicht etwas unbefriedigend aussah. Deshalb kaschierte Dürer die Stelle kurzerhand mit einer Pflanze.

Diese Diskrepanzen bereiten Forschern bis heute einige Schwierigkeiten – vor allem, wenn es darum geht, klare Grenzen zwischen einem eigenhändigen Werk Dürers und einem aus seiner Werkstatt oder Umgebung zu unter­scheiden. "Dürer oder nicht Dürer?" bleibt deshalb bei vielen eher schlichten Bildern auch mit modernen techni­schen Mitteln eine nicht immer eindeutig zu beantwortende Frage.

An den Grenzen des Machbaren

Von seinen akribisch ausgearbeiteten Spitzenwerken konnte Dürer jedenfalls nicht leben. Wenn es ums Geld gehe, verlege er sich lieber auf den Kupferstich, wie er dem Bürgermeister Heller schrieb. Mit dem "Kläubeln" ließ sich zwar kein Gewinn erzielen, aber Ruhm und Bewunderung ernten. Deshalb führte Dürer seine anspruchsvollsten Gemälde mit derselben technischen Präzision und Perfektion aus wie seine europaweit bewunderten Meisterstiche. In beiden Gattungen wird sein Bestreben deutlich, die Kunst und ihre Mittel umfassend zu verstehen und anzuwenden, um die Grenzen des technisch Machbaren auszuloten.

Kein Gemälde macht das deutlicher als jener "Salvator Mundi". In der durchscheinenden Glaskugel, ihrer Licht- und Farbbrechung, dem Oberflächenglanz und den Lichtreflexen hatte Dürer etwas nahezu "Unmalbares" in Angriff genommen. Wie sein Lehrbuch der Malerei blieb jedoch auch dieses Meisterwerk unvollendet. Ob der Kunde seinen Auftrag zurückgezogen hat? Gab es überhaupt einen, oder malte Dürer dieses Demonstrationsstück um der künstlerischen Virtuosität willen? Hatte sich Dürer damit womöglich zu viel vorgenommen? Oder blieb ihm schlicht keine Zeit für die Vollendung dieses Meisterwerks? So ­bleiben am Ende zwar viele Fragen offen. Doch eines ist klar geworden: Dürer war nicht nur ein großartiger Gra­fiker, sondern auch ein ebenso ehrgeiziger wie genialer Maler.

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