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Alkalinitätserhöhung: Kohlendioxid einfangen mit Abwasser

Ein Forschungsteam hat berechnet, wie viel Kohlendioxid gebunden werden könnte, wenn Abwasser mit alkalischen Mineralien angereichert wird. Doch ist es wirklich so einfach, wie es klingt?
Luftaufnahme einer Kläranlage mit vier großen, runden Becken auf der linken Seite, umgeben von grünen Rasenflächen und Bäumen. Rechts davon erstreckt sich eine natürliche Landschaft mit einem Teich und Schilfgebieten. Die Anlage zeigt den Kontrast zwischen menschlicher Infrastruktur und Natur.
Zahlreiche Kläranlagen leiten das gesäuberte und aufbereitete Abwasser ins Meer ein. Das ließe sich nutzen, um Kohlendioxid einzufangen und langfristig zu binden.

Fieberhaft suchen Forschungsteams nach Möglichkeiten, den Klimawandel mit technologischen Methoden abzubremsen. Das 1,5-Grad-Ziel scheint bereits recht sicher außer Reichweite zu sein. Die Einsparungsziele werden weltweit in den meisten Ländern nicht erreicht. Doch Hitzewellen, Trockenperioden und Starkregenereignisse nehmen rund um den Globus bereits spürbar zu. Eine Gruppe von der Shandong-Universität in China schlägt jetzt vor, dass die USA, China sowie die Länder der Europäischen Union das Abwasser, das ins Meer geleitet wird, vorab mit alkalischen Mineralien anreichern sollten. Damit könnten etliche Megatonnen Kohlendioxid (CO2) pro Jahr zusätzlich im Ozean gebunden werden, schreiben die Forscher im Fachmagazin »Science Advances«.

Um der Atmosphäre mehr Kohlendioxid, als wir Menschen mit Industrieprozessen, Verkehr und Landwirtschaft erzeugen, zu entziehen und langfristig zu binden, rücken zunehmend die Weltmeere in den Fokus der Forscherinnen und Forscher. Sie sind schon ohne unser Zutun der zweitgrößte Kohlenstoffspeicher unseres Planeten – mehr steckt nur in der Gesteinshülle der Erde. Das natürliche Bindungsvermögen lässt sich steigern, indem Gesteinsverwitterungsprozesse beschleunigt werden und der pH-Wert des Ozeans erhöht wird. Derzeit kommen verschiedene Materialien dafür in Betracht wie etwa Kalkstein und Kreide oder silikathaltige Gesteine wie Basalte und Olivin. Auch böten sich kalzium- oder magnesiumreiche Reststoffe oder Abfallprodukte aus der Zementherstellung an. Das Verfahren nennt sich Ozeanalkalinitätserhöhung, kurz OAE.

Das chinesische Team testete zwei Verfahren zur Alkalinisierung von Abwasser im Labor und stellte fest, dass eine Kombination beider Methoden den pH-Wert des Abwassers um das 20-Fache über den des Meerwassers anhebt. Betrachte man die Menge an Abwasser, die weltweit ins Meer geleitet wird, könnten mit der vorgeschlagenen Strategie theoretisch etwa 18 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr weltweit aus der Atmosphäre gezogen und langfristig gebunden werden, berechnet das Team. Noch sei allerdings unklar, ob das Verfahren skalierbar ist.

Kläranlagen als Alkalinitätsfabriken

Die Gruppe um Li-wen Zheng fokussierte sich auf die genannten Staaten, da diese in Summe weltweit für einen Großteil des ins Meer eingeleiteten Abwassers verantwortlich sind. Die Wissenschaftler schlagen vor, das Abwasser mit Olivin und Belebtschlamm zu vermischen. Die Gesamtalkalinität stieg damit im Labor auf mehr als 10 Millimol pro Kilogramm – ein Wert, der 20,5-mal höher liegt als jener, der erreicht werden kann, wenn Schiffe alkalische Mineralien direkt im Meerwasser verteilen.

Lokesh Padhye, stellvertretender Direktor des New York State Center for Clean Water Technology, bewertet das Verfahren positiv gegenüber dem australischen Science Media Center: »Diese Studie bringt die Idee, Kläranlagen als Alkalinitätsfabriken zu nutzen, einen gehörigen Schritt weiter«, sagte er. »Es ist eine clevere Idee mit echtem Potenzial, aber sie muss noch weiter in der Praxis erprobt werden.« So sei die Übertragung auf die reale Welt mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Der Abbau, die Zerkleinerung und der Transport großer Mengen von Olivin würden viel Energie verbrauchen und eigene Emissionen verursachen. Außerdem könne das Einleiten von stark alkalischem Wasser in die Abwasserfahne zur Ausfällung von Kalziumkarbonat führen.

Deutlich skeptischer äußert sich Matthew Watson, Professor für Chemie- und Verfahrenstechnik an der University of Canterbury. »Eine potenzielle Speicherung von 18 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr hört sich viel an, aber es ist wichtig, das ins rechte Licht zu rücken«, sagt er. So betrügen die vom Menschen verursachten CO2-Emissionen etwa 36,8 Milliarden Tonnen pro Jahr und überstiegen die im Artikel genannte speicherbare Menge somit um das 2000-Fache. »Die Masseneffizienz (ich schätze 0,04 Tonnen CO2 pro Tonne Olivin) scheint sehr gering zu sein.« Zudem werde nicht erwähnt, dass Olivin auch Asbest, Chrom und Nickel enthalten könne.

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  • Quellen
Science Advances 10.1126/sciadv.ads0313, 2025

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