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Allergie: Warum eigentlich harmlose Stoffe bedrohlich werden

Pollen, Lebensmittel, Tiere: Jeder Dritte leidet zumindest zeitweise an einer allergischen Reaktion, die heftig ausfallen kann. Über die Volkskrankheit Allergie.
Bild eines Prick-Tests. Auf einem Unterarm sind mit einem Stift verschiedene Felder mit Zahlen aufgemalt. In ein Feld tropft jemand anderes eine Substanz mit einer Pipette.
Beim Pricktest werden verschiedene potenziell allergieauslösende Stoffe auf die Haut getropft. Dann wird die Haut an diesen Stellen oberflächlich mit einer Prick-Nadel oder Prick-LanzettegGero angeritzt, so dass die möglichen Allergene die oberste Hautschicht überwinden können und gegebenenfalls eine sichtbare Reaktion hervorrufen.

Es beginnt mit einer ungewöhnlichen Fehleinschätzung des Körpers. Dabei wird aber nicht etwas Gefährliches als ungefährlich bewertet. Es ist naheliegend, dass dies zu Problemen führen kann. Bei Allergien ist es umgekehrt: Etwas Ungefährliches wird als gefährlich eingestuft. Und auch das kann weit reichende Folgen haben. Denn um gegen die vermeintliche Bedrohung, das Allergen – so nennt man die Substanz, die falsch eingeschätzt wird –, gewappnet zu sein, reagiert das Abwehrsystem des Körpers teilweise heftig. Manchmal könnte man sogar sagen: Es flippt regelrecht aus.

Themenwoche: »Allergien – Wenn der Körper überreagiert«

Die Nase läuft, die Haut juckt und im schlimmsten Fall droht der Schock: In Deutschland leiden mittlerweile rund 30 Prozent der Menschen zumindest zeitweise unter Allergien. Sie müssen die Natur meiden, wenn die Pollen fliegen, oder aufpassen, welche Nahrungsmittel sie zu sich nehmen. Doch warum reagieren manche Menschen überhaupt allergisch auf Nüsse, Federn oder Pollen? Und welche Möglichkeiten gibt es, die lästigen Symptome zu lindern oder gar loszuwerden? Unsere Themenwoche über die Volkskrankheit Allergie.

  1. Allergien: Warum eigentlich harmlose Stoffe bedrohlich werden
  2. Allergie: Wenn die Pollen stärker fliegen
  3. Heuschnupfen: Praktische Tipps für Pollengeplagte
  4. Lebensmittelallergien: Mit Vorsicht genießen
  5. Haustierallergien: Wann Hund und Katze zum Risiko werden
  6. Haustier trotz Allergie: Kann eine Hyposensibilisierung helfen?

Laut Robert Koch-Institut (RKI) haben etwa 30 Prozent der Deutschen mindestens eine Allergie. Allerdings unterscheidet sich die Allergiehäufigkeit je nach Lebensalter. So ist das Immunsystem von rund 41 Prozent der Kinder und Jugendlichen gegen mindestens eine Substanz in der Luft oder in Nahrungsmitteln bereits sensibilisiert. Dann kann es auch zu einer Allergie kommen: An Heuschnupfen leiden etwa 11 Prozent der Kinder, an Neurodermitis 12,8 Prozent (siehe Grafik »Allergische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen«).

Unter jungen Erwachsenen zwischen 18 und 49 Jahren haben mehr als ein Drittel mindestens einmal im Jahr mit einer Allergie zu kämpfen. Etwa 30 Prozent aller Erwachsenen leiden an mindestens einer Allergie, davon die meisten unter Heuschnupfen (siehe Grafik »Allergische Erkrankungen bei Erwachsenen«).

Bei den älteren Menschen über 65 Jahren ist nur etwa jeder fünfte betroffen (siehe Grafik »12-Monats-Prävalenz von Allergien bei Erwachsenen nach Alter« ). »Das hat aber nur wenig damit zu tun, dass manche Allergien mit zunehmendem Alter verschwinden, das kommt gar nicht so häufig vor. Es liegt vielmehr daran, dass die älteren Menschen in anderen Zeiten aufgewachsen sind«, sagt Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin des Instituts für Umweltmedizin bei Helmholtz Munich. Damals habe es noch mehr und umfassenderen Kontakt mit einer vielfältigen, artenreichen Umgebung gegeben, das Immunsystem wurde besser trainiert. »Heute spielen Kinder seltener draußen, gerade in Städten ist der Kontakt mit der Umgebung recht eingeschränkt. Gleichzeitig kommt das Immunsystem im frühen Kindesalter in Kontakt mit vielen starken Allergenen wie zum Beispiel Pollen, die durch den Klimawandel immer mehr werden. Hautschädigende Chemikalien und Luftschadstoffe machen die Haut löchrig, und so kommen Allergene erst in Kontakt mit dem Immunsystem. Die Allergie entsteht«, sagt Claudia Traidl-Hoffmann, die auch Inhaberin des Lehrstuhls für Umweltmedizin an der Universität Augsburg ist.

»Schon zur Zeit der Römer gab es Allergien. Man wusste zum Beispiel, dass Kaiser Augustus Heuschnupfen hatte«Stephan Meller, Universitätsklinikum Düsseldorf

Allergien zu Kaiser Augustus' Zeiten

Allergische Reaktionen sind in den vergangenen Jahrzehnten häufiger geworden, doch bekannt sind sie schon lange – zumindest einige Beschwerden. »Bereits zur Zeit der Römer gab es Allergien. Man wusste zum Beispiel, dass Kaiser Augustus Heuschnupfen hatte«, sagt Stephan Meller, Allergologe und stellvertretender Direktor der Klinik für Dermatologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Doch es war manches Mal ein regelrechtes Detektivspiel, herauszufinden, was der Auslöser der jeweiligen Allergie ist. So beobachtete 1552 der Mailänder Arzt Gerolamo Cardan seinen Patienten, den Erzbischof von Edinburgh John Hamilton, 40 Tage lang, bis er das mit Federn gefüllte Bettzeug gegen einen mit Stroh gefüllten Bezug aus Seide und Leinen austauschen ließ. Und die allergischen Beschwerden verschwanden umgehend.

Einen systematischen Test gegen mögliche Allergene – einen Vorläufer des Allergietests auf der Haut – hat erst der Wiener Kinderarzt Clemens von Pirquet entwickelt. Er war es auch, der 1907 den Begriff Allergie etablierte. Den neuesten Schub an Erkenntnissen gab es in den vergangenen Jahrzehnten: Dank molekularbiologischer Analysemethoden versteht man mittlerweile immer besser, was bei einer Allergie eigentlich auf Zellebene geschieht, welche Botenstoffe welche Mechanismen auslösen.

Warum der Körper überreagiert

Welche an sich harmlosen Substanzen vom Körper fälschlicherweise als Bedrohung eingeschätzt werden, ist ganz unterschiedlich, theoretisch kann fast alles ein Allergen sein (siehe »Welche Allergene gibt es?«). Die häufigsten Auslöser für Allergien sind Pollen und Nahrungsmittel, aber auch der Kontakt mit ganz verschiedenen Substanzen auf der Haut kann Allergien auslösen, angefangen bei Duftstoffen in Feuchtigkeitscremes über Absonderungen von Tieren bis hin zu Latexhandschuhen. Wer allergische Symptome wie Juckreiz, eine laufende Nase oder Hautausschlag hat, kann bei einem Allergologen oder einer Allergologin verschiedene Tests machen, um herauszufinden, ob und wenn ja, welche Allergie vorliegt (siehe »Wie weist man eine Allergie nach?«). Die Pollenallergie, auch unter dem Namen Heuschnupfen bekannt, geht häufig mit Asthma bronchiale einher. Das ist eine chronische Erkrankung der Atemwege, bei der diese sich kurzzeitig verengen, was Atemnot hervorrufen kann. Kommt es zu solchen Asthmaanfällen durch den Kontakt mit bestimmten Pollen, spricht man von allergischem Asthma.

Nicht nur in Bezug auf das Allergen, auch in Bezug auf die Ausprägung und die Beschwerden unterscheiden sich Allergien untereinander. Eine so genannte Soforttyp-Allergie, auch als Typ-I-Reaktion bezeichnet, tritt bereits Sekunden bis Minuten nach Kontakt mit dem Allergen auf, sie kommt beispielsweise häufig bei einer allergischen Reaktion der Nasenschleimhaut vor. Am anderen Ende in Sachen Reaktionszeit steht die Allergie vom verzögerten Typ (Typ IV). Hier treten die Beschwerden erst nach 12 bis 72 Stunden auf, wie etwa bei einem allergischen Hautausschlag. Wie schnell eine Allergie auftritt und welche Symptome sie hervorruft, richtet sich auch danach, über welche Signalwege das Immunsystem aktiviert wird. Bei der Soforttyp-Allergie geschieht dies rasch durch Antikörper vom Typ IgE, bei der Allergie vom verzögerten Typ sorgen so genannte T-Zellen für die allergische Reaktion.

Wie weist man eine Allergie nach?

Anamnese: Um abzuklären, welche Allergie vorliegt, erfolgt zunächst eine genaue Befragung zur Krankengeschichte, auch Anamnese genannt. Dabei fragt der Arzt oder die Ärztin nach aktuellen und früheren Beschwerden, wann diese aufgetreten sind und ob allergische Atemwegs- und Hauterkrankungen bei Familienangehörigen vorliegen.

Hauttests: In einem nächsten Schritt wird oft ein Hauttest durchgeführt. Je nachdem, welche allergische Reaktion man vermutet, wird bei Abklärung von Soforttyp-Allergien (Typ I), deren Symptome rasch, meist innerhalb von Minuten auftreten, ein Pricktest, seltener ein Intrakutan- oder Reibtest gemacht. Bei Verdacht auf Kontaktallergien oder Spättypallergien (Typ IV), bei denen sich die Symptome frühestens nach vielen Stunden, eher nach ein bis zwei Tagen bemerkbar machen, ein Epikutantest.

Blutuntersuchung: Bei allergischen Erkrankungen, die auf einer Soforttyp-Reaktion beruhen, werden häufig vermehrt IgE-Antikörper gegen bestimmte Allergene gebildet. Diese lassen sich im Blutserum nachweisen. Dazu wird Blut entnommen und im Labor untersucht. Das Testergebnis liegt meist nach zwei bis sieben Tagen vor.

Molekulare Diagnostik: Dieser Nachweis ist wesentlich empfindlicher und kann bei speziellen Fragestellungen deutlich mehr leisten als herkömmliche Testverfahren. Hier werden IgE-Antikörper gegen einzelne Allergenmoleküle, so genannte Allergenkomponenten, bestimmt.

Provokationstests: Dabei werden die fraglichen Beschwerden durch die Gabe von Allergenen gezielt hervorgerufen, also bewusst provoziert. Sie gelten als Bestätigungstests und werden insbesondere dann eingesetzt, wenn die anderen Tests nicht eindeutig ausgefallen sind. Die Allergene werden je nach Verdacht nasal (Nase), konjuktival (Bindehautsack), inhalativ (Atemwege) oder oral (bei Nahrungsmittelallergien) verabreicht. Wegen des erhöhten Risikos einer lebensbedrohlichen allergischen Reaktion sollten Provokationstests nur unter ärztlicher Aufsicht und mit Notfallbereitschaft erfolgen.

Alternative Nachweise: Manche Menschen erhoffen sich eine Abklärung von vermeintlich allergischen Beschwerden durch unkonventionelle oder alternativmedizinische Verfahren, beispielsweise durchgeführt von Heilpraktikern, Naturheilern, aber auch manchen Ärztinnen und Ärzten. Betroffene können zudem Testkits von Internetanbietern oder Labors erwerben und zu Hause anwenden. Bei diesen unkonventionellen Untersuchungen ist der Nutzen allerdings nicht ausreichend wissenschaftlich belegt.

Quelle: Allergieinformationsdienst, Helmholtz Munich

Warum immer mehr Menschen Allergien haben

Die Zahl der Allergiker und Allergikerinnen hat in den vergangenen Jahrzehnten weltweit stark zugenommen, so verdoppelte sich zum Beispiel in den 1980er Jahren in Deutschland die Anzahl der Menschen mit Asthma. Zwar steigt die Zahl der Menschen mit Allergien in Deutschland nicht mehr so stark wie noch in den 1970er oder 1980er Jahren, nimmt aber weiterhin auf einem hohem Niveau leicht zu. Experten wie Claudia Traidl-Hoffmann nehmen an, dass in den kommenden Jahren sowohl die Häufigkeit von allergischen Erkrankungen als auch ihre Heftigkeit und Dauer weiter steigen wird, vor allem von Heuschnupfen und Asthma. Die WHO geht davon aus, dass im Jahr 2050 jeder zweite Mensch auf der Welt an einer Allergie leiden wird.

Derzeit werden im Wesentlichen zwei Hypothesen diskutiert, warum Allergien auf der Welt zunehmen. Erstens: der Lebensstil und die Hygiene. Weil Eltern behütender werden, Kinder weniger im Dreck spielen und die hygienischen Bedingungen zu Hause immer besser werden, wird das Immunsystem zu wenig gefordert und damit gefördert, so die These. »Wir können inzwischen sicher sagen, dass dies zutrifft und tatsächlich die Entwicklung von Allergien begünstigt«, so Claudia Traidl-Hoffmann.

Die zweite Hypothese wird auch als »Schadstoff-Hypothese« bezeichnet: Industrielle Schadstoffe aus der Umwelt, insbesondere feine Luftschadstoffe fördern die Entstehung von Allergien. So zeigt beispielsweise eine Studie aus Polen, dass die zunehmende Luftverschmutzung sich darauf auswirkt, wie sich ein bestimmtes Protein von Birkenpollen faltet, auf das Allergiker reagieren. Auch wenn es noch nicht als sicher gilt, so deutet vieles darauf hin, dass Luftverschmutzung unter anderem die allergieauslösende Wirkung von Pollen steigert. »Die von Menschen produzierten Schadstoffe, Chemikalien, auch Medikamente, darunter genauso neue Substanzen, erhöhen das Risiko, eine Allergie zu entwickeln«, erklärt Claudia Traidl-Hoffmann. Der Klimawandel mit der globalen Erwärmung trägt nach heutigen Erkenntnissen ebenfalls zur Zunahme von Allergien bei. Die Pollenflugsaison etwa beginnt wegen der wärmeren Temperaturen immer früher. Und durch die Änderung der klimatischen Bedingungen wandern zunehmend Pflanzen von anderen Kontinenten und Regionen ein; die ursprünglich aus Nordamerika stammende Ambrosia etwa, ein Ackerunkraut, breitet sich in Deutschland immer weiter aus und ist hochallergen.

»Wenn ein Kind bei einer Neurodermitis eine Entzündung im Gesicht hat, dann gelangt auch Karotte an die undichte Haut. Und das kann auf Dauer Allergien auslösen«Claudia Traidl-Hoffmann, Helmholtz Munich

Wie man Allergien vorbeugen kann

Ein weiterer Risikofaktor für das Entstehen von Allergien ist die Neurodermitis, eine chronische, entzündliche Hauterkrankung, bei der die Haut juckt und Risse bekommt. Neurodermitis begünstigt die Entwicklung weiterer Allergien: »Bei vielen Substanzen kommt es auf den ›richtigen‹ Kontakt an. Eine Karotte zu essen, löst normalerweise keine Allergie aus. Wenn ein Kind bei einer Neurodermitis eine Entzündung im Gesicht hat, dann gelangt auch Karotte an die undichte Haut. Und das kann auf Dauer Allergien auslösen«, erklärt Claudia Traidl-Hoffmann. Die Entstehung von Neurodermitis wiederum wird begünstigt durch Feinstaub und Zigarettenrauch in Innenräumen. So hängt alles zusammen.

Ob beim Einzelnen eine Allergie entsteht, liegt allerdings auch an der Veranlagung. Liegen bestimmte Gene vor, ist es wahrscheinlicher, dass sich eine Allergie entwickelt. Man nennt das Prädisposition, also eine Art Neigung zu Allergien. Eine solche Prädisposition bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass man wirklich eine Allergie bekommt. Denn Gene werden im Lauf des Lebens in ihrer Aktivität heraufgeregelt und heruntergefahren, man spricht dabei von Epigenetik. Gerade in den vergangenen Jahren hat sich zunehmend gezeigt, welche wichtige Rolle die Epigenetik spielt, was sie zum Risiko macht, aber eben auch zur Chance. »Eine genetische Prädisposition lässt sich durch Umwelteinflüsse und das richtige Verhalten herunterdimmen«, sagt Claudia Traidl-Hoffmann.

Nur worauf kommt es dabei an? Was lässt sich tun, um einer Allergie vorzubeugen? Hier gab es in den vergangenen Jahren einen Sinneswandel. »In den vergangenen Jahrzehnten wurden immer wieder zwei gegensätzliche Philosophien diskutiert. Früher gab es zum Beispiel in Großbritannien die Empfehlung, Erdnüsse zu meiden. In Israel hingegen bekommen Kinder sehr, sehr früh Erdnüsse«, sagt Stephan Meller, der Allergologe aus Düsseldorf.

»Wir wissen inzwischen, dass die ersten beiden Lebensjahre eine enorm wichtige Phase für das Heranreifen des Immunsystems sind«Claudia Traidl-Hoffmann, Helmholtz Munich

Die Vorgehensweise der Briten geht einher mit der Idee, dass man Substanzen meidet, die besonders großes allergieauslösendes Potenzial haben. So soll das Immunsystem der vermeintlichen Gefahr gar nicht erst ausgesetzt werden. In Israel wiederum soll ein früher Kontakt mit potenziellen Allergenen erfolgen gemäß der Philosophie, dass sich das Immunsystem dann an das Allergen gewöhnt. »Nach einigen Jahren verglich man: In Großbritannien gab es signifikant mehr Erdnussallergien als in Israel. Das ist nur eine von vielen Untersuchungen, die gezeigt haben: Eine allergene Substanz zu meiden, um zu verhindern, dass sich eine Allergie entwickelt, ist der falsche Weg. Man beugt einer Allergie durch einen frühen Kontakt mit der Substanz häufig vielmehr vor«, sagt Stephan Meller.

Früh, das bedeutet für das Immunsystem vor allem im Säuglings- und Kleinkindalter. »Wir wissen inzwischen, dass die ersten beiden Lebensjahre eine enorm wichtige Phase für das Heranreifen des Immunsystems sind. Vor allem in dieser Zeit, aber auch in den folgenden Jahren sollte das Kind möglichst vielfältige Kontakte haben«, sagt Claudia Traidl-Hoffmann. Vor allem die Ernährung spiele eine wichtige Rolle: Je mehr verschiedene Dinge das Kind esse, umso besser sei es vor Allergien geschützt. »Auch Kontakt mit Tieren, das Spielen im Sandkasten und in der Natur, all diese Dinge helfen dem Immunsystem, sich auf die Vielfalt einzustellen, der es später begegnet«, sagt Claudia Traidl-Hoffmann.

Wie man Allergien behandeln kann

Das Wissen um die Gewöhnung des Immunsystems hat sich auch darauf ausgewirkt, wie Allergien behandelt werden: Mittlerweile gibt es für fast alle Allergien den Ansatz, im Rahmen einer Behandlung über teilweise mehrere Jahre die Betroffenen immer wieder mit dem Allergen in Kontakt zu bringen, man nennt diese Therapieform Hyposensibilisierung. »Eine Hyposensibilisierung macht fast immer Sinn. Denn sie hat auch einen vorbeugenden Effekt, da einige Allergien Folgekrankheiten begünstigen können. So kann zum Beispiel eine Pollenallergie mit der Zeit zu einem Asthma bronchiale führen«, sagt Claudia Traidl-Hoffmann.

Bei der Hyposensibilisierung wird zunehmend die so genannte sublinguale Immuntherapie gewählt. Das heißt, ein Extrakt des Allergens wird einmal täglich unter die Zunge platziert und von den Schleimhäuten im Mundbereich aufgenommen. »Diese Methode hat sich in den vergangenen Jahren bewährt. Auch, weil sie das Risiko gering hält, eine akute ausgeprägte allergische Reaktion gegen das Allergen hervorzurufen«, sagt Stephan Meller. Ist diese Behandlung nicht erfolgreich oder ist die Allergie sehr ausgeprägt, gibt es für eine mittelfristige Therapie inzwischen verschiedene Medikamente, darunter Antikörper, die sich gegen bestimmte allergieauslösende Botenstoffe richten. »Hier gibt es in den vergangenen Jahren Fortschritte zu verzeichnen, die Mittel werden zunehmend zielgerichteter und nebenwirkungsärmer«, sagt Stephan Meller.

Eine Allergie zu behandeln ist aber nicht nur wegen der bestehenden Beschwerden wie einer lästig brennenden Nase oder juckenden Augen sinnvoll. Sie kann die Leistung umfassend einschränken. So beobachteten etwa Forscher aus Warwick in Großbritannien die Leistung von Schülern der Oberstufe während der Prüfungsphase, die häufig mit der Hochphase der Pollensaison zusammenfällt: Von den Schülern mit einer diagnostizierten Allergie klagten rund 94 Prozent über Symptome, während sie ihre Tests absolvierten. Und das wirkte sich signifikant auf die Testergebnisse aus: Für diejenigen Schüler, die in der Prüfungsphase an mehr als zwei Tagen Beschwerden hatten, war es doppelt so wahrscheinlich, eine schlechtere Note zu erhalten, wie für die übrigen Schüler. Es lohnt sich also in vielerlei Hinsicht, das Problem Allergie anzugehen.

Welche Allergene gibt es?

Allergene aus der Luft: So genannte Aero- oder Inhalationsallergene kommen in der Luft vor und können allergische Atemwegsbeschwerden wie Heuschnupfen oder Asthma auslösen sowie durch Hautkontakt ein Kontaktekzem. Im häuslichen Bereich können Menschen allergisch auf »Hausstaub« reagieren, ein Gemisch aus vielen unterschiedlichen Bestandteilen wie Textilfasern, Nahrungsresten, Pilzsporen, Bakterien sowie Haaren, Federn, Speichelbestandteilen und Hautschuppen von Menschen und Haustieren. Besonders bedeutsam für Allergien sind Kot und andere Teile verschiedener Arten von Hausstaub- und Vorratsmilben, die sich gerne in Bettzeug, Teppichen und Polstermöbeln aufhalten. Innenraumallergene sind mehr oder weniger das ganze Jahr über vorhanden. Der Pollenflug ist hingegen auf die Blütezeit der jeweiligen Pflanzen beschränkt.

Nahrungsmittel als Allergene, Lebensmittelunverträglichkeiten und Kreuzallergien: Theoretisch kann jedes Nahrungsmittel eine Allergie auslösen. Bei »echten« Lebensmittelallergien sind aber nur wenige Nahrungsmittel von Belang. So lassen sich rund 90 Prozent aller Lebensmittelallergien auf sieben Allergene zurückführen: Kuhmilch, Baumnüsse (Haselnuss, Walnuss), Sojabohne, Hühnerei, Erdnuss, Fisch und Meeresfrüchte sowie Weizen. Während in Befragungen rund 20 Prozent der Männer und 30 Prozent der Frauen angeben, sie würden unter einer Nahrungsmittelallergie leiden, sind nachweisbare Reaktionen deutlich seltener. Die Zahl der Allergiker liegt in Deutschland bei 4,7 Prozent bei den Erwachsenen. Meist steckt hinter Beschwerden nach Lebensmittelverzehr wie beispielsweise Bauchschmerzen eine Unverträglichkeit. Viele Pollenallergiker, aber auch Neurodermitispatienten reagieren auf so genannte pollenassoziierte Nahrungsmittel. Sie können eine Kreuzallergie auf Apfel, Haselnuss, Karotte, Kirsche, Sellerie oder Soja und andere Lebensmittel haben.

Insektengift: In Europa ist überwiegend die Allergie auf Bienen- oder Wespengift von Bedeutung. Sie betrifft etwa 2,7 Prozent der Erwachsenen in Deutschland. Die Gifte enthalten verschiedene Proteine und hormonähnliche Substanzen wie etwa Histamin und können sowohl gewebeschädigende als auch allergische Reaktionen auslösen. Betroffene können, müssen aber nicht gegen beide Gifte sensibilisiert sein. Andere Insekten wie Hummeln, Hornissen, Ameisen oder Mücken spielen nur selten eine Rolle.

Arzneimittel: Jedes Arzneimittel kann eine Allergie auslösen. Manchmal reagiert der Körper allerdings nicht auf die eigentlichen Wirkstoffe, sondern auf zusätzlich enthaltene Hilfsstoffe. Manche negativen Reaktionen sind hingegen Überempfindlichkeitsreaktionen. Am häufigsten sind allergische und überempfindliche Reaktionen auf Stoffe, die Fremdproteine enthalten, wie Impfstoffe und Transfusionen, sowie auf Antibiotika wie Penizillin oder Erythromycin, Schmerzmittel wie Acetylsalicylsäure (ASS), Röntgenkontrastmittel oder Mittel zur örtlichen Betäubung.

Kontaktallergene: Alle Stoffe aus der Umwelt oder dem Haushalt können als Kontaktallergene wirken. Oft handelt es sich dabei um Inhaltsstoffe von Kosmetika wie Gesichtscremes, Deos, Make-up, Seifen sowie Haarfärbe- und Bleichmittel. Auch Arzneimittel wirken gelegentlich als Quelle von Kontaktallergenen. Typische Beispiele sind Naturheilmittel wie Propolis (Kittharz der Bienen) sowie Heilsalben oder -cremes mit pflanzlichen Inhaltsstoffen. Wichtige Kontaktallergene bei Pflanzen gibt es bei Chrysanthemen, Astern, Arnika, Kamille, Beifuß und Schafgarbe. Bei Metallen besteht am häufigsten eine Allergie auf Nickel. Typisch dafür sind Hautreaktionen auf Modeschmuck.

Lichtsensibilisierende Substanzen: Zahlreiche Stoffe aus der Umwelt sowie viele Arzneimittel können die Empfindlichkeit gegenüber UV-Strahlung steigern und eine Photokontaktallergie auslösen. Dazu gehören eine Reihe von Farb-, Duft- und Konservierungsstoffen und ätherische Öle, die unter anderem in vielen Kosmetika und Parfüms enthalten sind. Auch Arzneistoffe, zum Beispiel Teer(bestandteile), Psychopharmaka oder Mittel gegen Entzündungen und Schmerzen, können Photoallergien hervorrufen. Paradoxerweise enthalten teils auch Sonnenschutzmittel lichtsensibilisierende Substanzen und lösen damit eine Photokontaktallergie aus.

Naturlatex: Naturgummi wird aus Naturlatex hergestellt, der aus dem milchigen Saft des Kautschukbaums gewonnen wird. Naturlatex enthält verschiedene Proteine, die als Allergene wirken können. Bei der Verarbeitung von Naturlatex werden Hilfsstoffe zugesetzt, um die Elastizität, Haltbarkeit und Widerstandskraft des Gummis zu erhöhen. Auf diese Stoffe oder verwendete Puder in den Latexhandschuhen reagieren manche Menschen ebenfalls allergisch.

Quelle: Allergieinformationsdienst, Helmholtz Munich

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