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Assistierte Reproduktion: Alles im grünen Bereich

So langsam sickert es durch die Medien und damit ins öffentliche Bewusstsein, dass Kinderlosigkeit für viele Paare kein selbst gewählter Wunsch, sondern ein stark belastendes Schicksal ist. Seit der Geburt des ersten IVF-Babys vor dreißig Jahren hat die Medizin zwar zahlreiche Wege gefunden, Menschen mit Problemen in der Fortpflanzung zu helfen. Doch mit ihnen eröffnen sich auch neue Fragen.
Intracytoplasmatische Spermieninjektion
Vor Jahrzehnten war Aufklärung noch einfach: Wenn der Papa mit der Mama – dann folgten verschieden detaillierte Beschreibungen des Geschehens und schließlich ein Baby in Mamas Bauch. Heute ist das anders, denn das "Papa mit der Mama" findet inzwischen für Millionen Paare in steriler Laborumgebung statt, nicht immer ist der Familienvater zugleich der biologische Erzeuger, und auch die Eizelle stammte nicht unbedingt von der Mutter. Was für manche nach billigem Austricksen der Natur oder gar Eingriff in die Schöpfung klingt, ist für viele Menschen mit Kinderwunsch bitterer Ernst: Auf ihrem Krankenblatt steht "Sterilität", und nur die moderne Medizin kann ihnen dabei helfen, das Wunschkind zu bekommen.

Künstliche Befruchtung | Bei der künstlichen Befruchtung werden mittels Hormone die Eierstöcke angeregt, mehrere Eizellen pro Zyklus heranreifen zu lassen, die per Punktion entnommen werden. Für eine IVF werden die Eizellen schlicht mit aufbereiteten Samenzellen im Reagenzglas zusammengebracht, die Befruchtung erfolgt ohne weiteren Einfluss von außen. Bei der ICSI wird ein Spermium gezielt in eine Eizelle injiziert. Die entstandenen Embryonen werden über wenige Tage kultiviert, bevor sie in die Gebärmutter übertragen werden.
Insbesondere die in den 1990er Jahren entwickelte intracytoplasmatische Spermieninjektion, besser bekannt unter der Abkürzung ICSI, macht hier das Rennen. Dabei werden zunächst hormonell die Eierstöcke der Frau stimuliert, damit nicht nur eines, sondern erhofftermaßen mehrere Eifollikel im Zyklus heranreifen. Diese werden mit einer speziellen Nadel punktiert und die Eizellen daraus gewonnen. Anschließend injizieren die Biologen ausgewählte Spermien mit einer Pipette gezielt in einzelne Eizellen – und stellen die frisch geschaffenen Möchtegern-Embryonen in den Brutschrank. Am nächsten Morgen wird – zumindest in Deutschland – entschieden, welche zwei bis drei der Zellgebilde weiter kultiviert und letztendlich der Frau wieder eingesetzt werden. Die anderen dürfen, da ihre beiden Zellkerne noch nicht verschmolzen sind und sie daher nach Embryonenschutzgesetz noch nicht den Status "Embryo" haben, eingefroren und für spätere Versuche verwendet werden.

Doch knüpfen sich an diese Methode auch einige Bedenken. Was macht es aus, dass ein entscheidender Kontrollschritt ausgeschaltet wird – ob eine Samenzelle überhaupt in die Eizelle eindringen kann? Öffnet die Pipette hier womöglich geschädigten Spermien Tür und Tor, die sonst nie Nachwuchs gezeugt hätten? Die Fortpflanzungsmediziner versuchen dieses Problem zu umgehen, indem sie die Spermaproben gründlich aufbereiten und unter dem Mikroskop nur die qualitativ hochwertigsten Kandidaten auswählen – jene, die eine möglichst normale Morphologie zeigen. Doch selbst das reicht als Kriterium offenbar nicht aus, warnen Forscher aus Großbritannien.

Bessere Qualitätsprüfung nötig

Conrado Avenaño vom Jones Institute for Reproductive Medicine in Norfolk und seine Kollegen hatten Samenzellen von vier fruchtbaren und zehn Männern mit Teratozoospermie – bei ihnen zeigen weniger als 15 Prozent der Spermien ein normales Aussehen – verglichen. Und fanden selbst in den ausgewählten schönsten Exemplaren der Männer mit eingeschränkter Fruchtbarkeit in 20 bis 66 Prozent der Fälle DNA-Schäden, hingegen keine bei den gesunden Männern [1]. Solche DNA-Veränderungen senken die Erfolgsaussichten für die Schwangerschaft, steigern das Risiko von Fehlgeburten und werden auch mit einer erhöhten Rate an Fehlbildungen bei den Kindern in Verbindung gebracht. Die Forscher fordern daher, dass die Methoden zur Qualitätsbeurteilung der Spermien erweitert werden sollten – um eine Untersuchung unter einem Phasenkontrastmikroskop und mit Fluoreszenzmarkierung, die solche DNA-Schäden sichtbar machen.

Entwarnung im zweiten Kritikfeld – der Gesundheit ehemals eingefrorener Eizellen – geben dafür dänische Forscher. Lange herrschte Unsicherheit, ob ein Embryo eine Vorgeschichte aus Tiefkühlen und Auftauen wirklich ohne nachteilige Folgen übersteht. 1267 dänische Kinder, die nach einer solchen Kryokonservierung mittels ICSI oder IVF (In-vitro-Fertilisation, hier findet die Befruchtung in der Petrischale statt) auf die Welt kamen, zerstreuen diese Bedenken: Sie sind ebenso gesund und munter wie Kinder aus ICSIs oder IVFs mit frischen Ei- und Samenzellen, und es ließen sich keine erhöhten Fehlbildungsraten feststellen, berichten Anja Pinborg von der Universität Kopenhagen und ihre Kollegen [2]. Eigentlich schneidet die Methode sogar besser ab: Die Zahl der Mehrlingsschwangerschaften lag niedriger sowie die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer und das Geburtsgewicht der Kinder höher.

Für die Forscher erlebt die Kryokonservierung damit eine entscheidende Aufwertung. In skandinavischen Ländern, so betonen sie, gilt es als Goldstandard, möglichst nur Einzelschwangerschaften zu erzeugen und Mehrlinge zu vermeiden. Bei einer Kryo-Behandlung kann die Frau zudem auf die hormonell aufwändige und belastende Stimulation der Eierstöcke verzichten – sie ist für sie demnach auch leichter zu verkraften. Anstatt Frauen also zwei oder drei Embryonen zurückzugeben, bietet sich die Alternative, es mit einzelnen Embryonen und dafür mehrfach hintereinander mit kryokonserviertem Material zu versuchen. Ein Nachteil jedoch bleibt: Jeder zusätzliche Versuch bedeutet wieder 14 Tage quälende Unsicherheit für die Kinderwunsch-Paare.

Gute Aussichten für Krebspatientinnen

Eine weitere gute Nachricht aus dem Bereich Kryokonservierung kommt für Krebspatientinnen. Wer hier vor einer Chemo- oder Strahlentherapie Eizellen gewinnen und einfrieren möchte, um sich die Chance auf eigene Kinder auch nach einer solchen Behandlung noch zu erhalten, der stand bislang vor einem Problem: Die Stimulation der Eierstöcke startet normalerweise in der ersten Zyklushälfte, um das Einpflanzen der befruchteten Eizellen mit dem optimalen Aufbau der Gebärmutterschleimhaut zu synchronisieren. Je nach Zeitpunkt der Krebsdiagnose kann das eine Wartezeit von bis zu sechs Wochen bedeuten – zu lang für viele aggressive Krebsformen. Heidelberger Wissenschaftler stimulierten nun zwölf Krebspatientinnen in der zweiten Zyklushälfte – und gewannen ähnlich viele und qualitativ gleich hochwertige Eizellen wie bei Frauen, die dem normalen Protokoll folgten [3]. So konnten sie die maximale Wartezeit auf zwei Wochen verkürzen.

Immer noch umstritten ist hingegen die Frage, ob Präimplantations- oder Pränataldiagnostik schadet oder nicht. Bei diesen in Deutschland verbotenen Verfahren werden dem Embryo gezielt Zellen entnommen, um genetische Defekte festzustellen – und zwar entweder vor dem Embryotransfer oder im Mutterleib. 2007 hatten niederländische Forscher eine geringere Schwangerschaftsquote nach einer PID festgestellt. Belgische Wissenschaftler um Maryse Bonduelle von der Freien Universität Brüssel untermauern jedoch einmal mehr ihre früheren Befunde, dass die Kinder selbst keinerlei Auffälligkeiten im Vergleich zu anderen ICSI-Sprösslingen oder Nachwuchs aus spontanen Schwangerschaften zeigen [4].

Viel problematischer hingegen scheint es zu sein, wenn Zwillinge ins Haus stehen. Wobei sich hier Mütter in Kinderwunschbehandlung leichter tun als Frauen mit spontaner Zwillingsschwangerschaft. Wahrscheinlich schlage die bessere Betreuung durch die Reproduktionsmediziner zu Buche und dass den Paaren das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft eher bewusst sei, vermuten Unkila Kallio von der Universität Helsinki und ihre Kollegen. Nach der Geburt lagen die Anzeichen für Depressionen oder Angstgefühle bei Eltern von Zwillingen allgemein höher als bei nur einem Baby, unabhängig von künstlicher oder natürlicher Befruchtung. Ein weiteres Argument, auch in der Fruchtbarkeitsbehandlung nur Einzelschwangerschaften anzustreben, so Kallio [5].

Keine Bedenken für neue Familienmodelle

Und wie sieht es aus, wenn für den Kinderwunsch eine Samen- oder Eizellspende oder eine Leihmutterschaft nötig werden? Ergeben sich daraus nachteilige Folgen für die Familie? Keineswegs, beruhigen Polly Casey vom Centre for Family Research der Cambridge University und ihre Kollegen: Ihre Untersuchung von 39 Familien mit Leihmutterschaft, 43 mit Samenspende, 46 mit Eizellspende und 70 "normalen" Familien erbrachte keinerlei Unterschiede hinsichtlich eines gesunden Familiengefüges. Kleinere Differenzen ergaben sich darin, dass in Familien mit Leihmutterschaft oder Eizellspende die Mütter etwas empfindlichere Antennen für die Sörgen und Nöte ihrer Sprösslinge zeigten als Mütter mit Samenspende. Und insgesamt erwiesen sich die Frauen mit Kinderwunschbehandlung als geringfügig stärker emotional überengagiert und weniger konsequent in der Erziehung als Frauen, die ihren Nachwuchs auf natürlichem Wege bekommen hatten [6].

Einen entscheidenden Punkt, den Casey und ihre Kollegen bereits anschneiden, hat Vasanti Jadva vom selben Institut genauer untersucht: den Einflusses des Zeitpunktes, wann die Kinder über die Umstände ihrer Zeugung aufgeklärt werden. Demnach scheint es ratsam zu sein, möglichst früh mit offenen Karten zu spielen. So berichten Betroffene, die erst mit über 18 von dem besonderen Hintergrund ihrer Herkunft erfuhren, weitaus mehr Ärger, Schock, Enttäuschung und das Gefühl, belogen worden zu sein als solche, die bereits als Kinder oder Teenager darum wussten – sofern hier nicht die Erinnerung trügt [7]. Ähnliches erbrachte allerdings auch die Forschung an Adoptivkindern: Auch hier wirkt sich eine frühe Offenbarung positiv aus, selbst wenn sie dazu führt, dass die Kinder sich dann auf die Suche nach ihren biologischen Wurzeln begeben. Woran übrigens auch die hierfür Befragten Interesse zeigten.

Kostenfrage noch immer ein Ärgernis

Viel hat sich also getan seit Louise Joy Brown, die am 25. Juli 1978 als erstes Baby nach einer künstlichen Befruchtung im englischen Oldham zur Welt kam. Die erste Generation der IVF-Kinder bekommt inzwischen selbst Nachwuchs, und für unzählige Paare, die vor dreißig Jahren noch verzichten mussten, kann der medizinische Fortschritt aus Wunsch Wirklichkeit werden lassen. Zudem ist dank der zunehmenden Bekanntheit des Themas eine Fortpflanzungsbehandlung heute kein Tabu mehr – die Betroffenen gehen offener damit um, und die Einsicht setzt sich durch, dass das Klischee "Karriere statt Kinder" in vielen Fällen überhaupt nicht zutrifft.

Was jedoch trotz klarer Worte der Weltgesundheitsorganisation zumindest in der deutschen Rechtsprechung noch immer fehlt, ist das Eingeständnis, dass Sterilität und damit einhergehender unerfüllter Kinderwunsch eine psychisch wie körperlich belastende Krankheit ist. Damit verknüpft ist die herrschende Praxis, dass gesetzlich Versicherte – und auch nur Verheiratete – gerade einmal die Hälfte der aufzuwendenden Kosten von mehreren tausend Euro bezahlt bekommen; die Situation der privat Versicherten ist nur wenig besser und mit aufreibender Bürokratie verbunden. In einer auf Antrag am 4. Juli 2008 gefassten Entschließung forderte der Bundesrat die Rücknahme dieser seit 2004 geltenden Einschränkungen. Die Bundesregierung sieht jedoch keinen Handlungsbedarf.

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  • Quellen
[1] Avendaño, C. et al.: DNA fragmentation in morphologically normal human spermatozoa from teratozoospermic patients. European Society for Human Reproduction 24th Annual Meeting, Barcelona (6.-9.7.2008)
[2] Pinborg, A. et al.: Danish national controlled cohort study on neonatal outcome of 1267 children born after transfer of cryopreserved IVF and ICSI embryos in 1995 to 2006. European Society for Human Reproduction 24th Annual Meeting, Barcelona (6.-9.7.2008)
[3] von Wolf, M. et a.: Ovarian stimulation for oocyte cryopreservation in cancer patients can be started in the luteal phase. European Society for Human Reproduction 24th Annual Meeting, Barcelona (6.-9.7.2008)
[4] Desmyttere, S. et al.: Growth and medical outcome in seventy 2-year-old singletons born after embryo biopsy. European Society for Human Reproduction 24th Annual Meeting, Barcelona (6.-9.7.2008)
[5] Kallio, U. et al.: Mental health of mothers and fathers of twins conceived with assisted reproductive treatment: a one-year prospective study. European Society for Human Reproduction 24th Annual Meeting, Barcelona (6.-9.7.2008)
[6] Casey, P. et al.: Child development and parent-child relationships in surrogacy, egg donation and donor insemination families at age 7. European Society for Human Reproduction 24th Annual Meeting, Barcelona (6.-9.7.2008)
[7] Jadva, V. et al.: Age of disclosure and donor offspring's feelings about finding out they were donor conceived. European Society for Human Reproduction 24th Annual Meeting, Barcelona (6.-9.7.2008)

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