Embryo-Definition: Als Embryo gilt alles, was ein Mensch werden kann

Wann fängt Leben an? Ist ein wenige Tage alter Zellklumpen ein Mensch, der ein Recht auf Leben hat? Ist es okay, wenn Wissenschaftler Zellen, die schon auf dem Weg zu Menschwerdung sind, abfangen, umbauen, züchten und danach wegwerfen? Es sind diese grundsätzlichen Fragen zum Beginn des Lebens, die das Gutachten berührt, das der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Cruz Villalón, heute zur Definition des Embryonen-Begriffs (Rechtssache C-364/13) vorgelegt hat.
Nach seiner Einschätzung kann "eine Eizelle, die ohne Befruchtung zur Weiterentwicklung angeregt worden ist" und die "nicht fähig ist, sich zu einem Menschen zu entwickeln, nicht als menschlicher Embryo angesehen werden", heißt es in einer Mitteilung des EuGH in Luxemburg. Eine Eizelle, die von Forschern so genetisch verändert wurde, dass aus ihr ein Mensch heranwachsen könnte, sei hingegen als menschlicher Embryo anzusehen.
Bei dem Wort Embryo denken viele an ein Baby im Mutterleib, an Ultraschallbilder eines schon gut erkennbaren, ungeborenen Menschen mit Händen, Füßen und einem deutlichen Gesicht. In diesem Zustand ist aus einer befruchteten Eizelle bereits ein Fötus geworden, wie er im Bild zu sehen ist. Das Kind musste 2008 einer werdenden Mutter zusammen mit der Gebärmutter entfernt werden, da sie an Gebärmutterhalskrebs erkrankt war.
Im Gegensatz zum Fötus entsteht ein Embryo – der Begriff stammt aus dem Altgriechischen Wort für keimen, sprossen oder hervorsprießen – bereits, wenn wenn aus einer befruchteten Eizelle (Zygote) durch Zellteilung ein Organismus entsteht. Biologen bezeichnen frühe Entwicklungsstadien von Tieren meist so lange als Embryo, wie der Organismus sich noch in einer Eihülle oder Schale befindet.
In der Frage, ab wann man von einem Embryo sprechen kann, gibt es unter Wissenschaftlern im Wesentlichen zwei Lager: Die einen bezeichnen einen Organismus vom Moment der Befruchtung an als Embryo. Die anderen tun das erst ab dem Zeitpunkt, wenn sich nach mehreren Zellteilungen einer befruchteten Eizelle die Keimblätter ausgebildet haben, die sich später zu bestimmten Geweben und Körperteilen ausbilden. Diese Phase der Gastrulation ist für sie der Beginn des Embryonen-Lebens.
Neben wissenschaftlichen Argumenten berührt diese Definition die ganz grundsätzliche Frage, wann Leben beginnt, ab wann es schützenswert wäre und ab wann aus einer befruchteten Eizelle ein Mensch mit Grundrechten wird. Religiöse, ethische, philosophische und juristische Argumente fließen in diese Debatte ein.
|Es geht um Geld, Patente und Ethik
Diese Definition mag theoretisch, konstruiert und lebensfern klingen. In Wahrheit aber geht es um etwas sehr Konkretes: um Patente auf Eizellen, Stammzelllinien und andere Bestandteile des menschlichen Körpers, die Forscher zum Klonen, zur Züchtung von Geweben, im Rahmen der Künstlichen Befruchtung oder zur Erforschung von Gentherapien verwenden.
In dem konkreten Fall war der International Stem Cell Corporation, einem Unternehmen mit Sitz in Kanada, in Großbritannien ein Patent auf ein Verfahren zur Herstellung von bestimmten Stammzellen untersagt worden. Diese werden aus Zellen gewonnen, die keine väterliche DNA enthalten und sich – nicht einmal theoretisch – zum Menschen entwickeln können. Zur Teilung angeregt werden sie im Labor durch Parthenogenese (Jungfernzeugung).
Die Begründung des Patentverbots: Nach einem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2011 im Rechtsstreit zwischen Greenpeace und dem Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle seien Verfahren mit embryonalen Stammzellen nur dann patentierbar, wenn dabei keine Embryonen getötet werden. Das Europa-Gericht hat nun also die alles entscheidende Frage zu klären: Was ist ein Embryo?
Zwar sind Teile des menschlichen Körpers in Europa (EU-Richtlinie 98/44/EG) grundsätzlich nicht patentierbar. Für Verfahren mit im Labor gezüchteten Stammzellen gelten aber Ausnahmen. Im Fall Brüstle hatten die Luxemburger Richter den Embryonen-Begriff damals recht weit gefasst: Sie zählten auch frühe Stadien befruchteter Eizellen (Blastozysten) sowie unbefruchtete Eizellen im Teilungsprozess dazu.
Klone, die lebensfähig wären, sind ausgenommen
Das jetzige Gutachten definiert den Begriff deutlich enger. Sollten die Europa-Richter sich dieser Ansicht anschließen, wären künftig auch Verfahren patentierbar, bei denen eine Zelle durch Parthenogenese zur Weiterentwicklung angeregt wurde.
Denkbar wäre allerdings, dass Forscher es eines Tages schaffen, solche sogenannten Parthenoten derart genetisch zu verändern, dass aus ihnen – vorausgesetzt man pflanzte sie in die Gebärmutter einer Frau ein – ein Mensch heranwachsen könnte. Daher machte Villalón klar: Entscheidend ist für ihn das Potenzial zur Menschwerdung, egal ob künstlich erzeugt oder nicht.
Mitgliedstaaten der Europäischen Union hätten trotz eines entsprechenden EuGH-Urteils die Möglichkeit, Patente auf solche Zellen aus ethischen und moralischen Erwägungen zu verbieten. Darauf wies Villalón ausdrücklich hin. Die International Stem Cell Corporation hat nun also gute Chancen, den Rechtsstreit zu gewinnen. Der wird zuletzt von britischen Gerichten ausgefochten. Auch das Gutachten aus Luxemburg ist noch kein Urteil. In aller Regel folgt der EuGH aber den Schlussfolgerungen der Generalanwälte. Die Entscheidung wird Ende des Jahres erwartet.
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