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Missouri-Kompromiss: Als sich die USA in Nord und Süd zerlegte

Vor 200 Jahren spalteten die Vereinigten Staaten offiziell ihr Land. Der Missouri-Kompromiss zementierte die inneren Widersprüche, die die USA bis heute umtreiben.
Streit unter Kongressabgeordneten

Der Vorgang war kurz, aber von größter Tragweite: Mit einem Federstrich unterzeichnete der amerikanische Präsident James Monroe (1758-1831) am 6. März 1820 ein Gesetz, das die faktische Teilung der Nation beschloss. Im so genannten Missouri-Kompromiss wurde die zukünftige Nordgrenze der Sklaverei festgelegt. Bei 36 Grad und 30 Minuten nördlicher Breite, an der Südgrenze Missouris, wurde eine Linie gezogen: Mit Ausnahme Missouris selbst sollten künftig sämtliche neuen Bundesstaaten, deren Gebiete nördlich dieser Linie lag, der Union als freie Staaten beitreten, alle Staaten südlich dieser Linie als Sklavenhalterstaaten.

Vorausgegangen waren zähe Verhandlungen, die offenbarten, wie tief gespalten die Vereinigten Staaten in der Sklavenfrage waren. Der Missouri-Kompromiss sollte garantieren, dass die Zahl der Sklaven haltenden und sklavenfreien Staaten in den USA gleich sei. Bislang herrschte ein ausbalanciertes Verhältnis: Elf Staaten aus dem Norden standen elf Sklavenhalterstaaten aus dem Süden gegenüber. Dieses Patt drohte zu fallen, als Missouri den Antrag stellte, als Gliedstaat in die Union aufgenommen zu werden. Der Kompromiss bestand nun darin, dass Missouri als Sklavenstaat in die Union aufgenommen wurde, während gleichzeitig auch Maine als sklavenfreier Staat der Union beitrat. Da jeder Gliedstaat zwei Senatoren nach Washington entsandte, erhielt diese Regelung das Kräftegleichgewicht zwischen den Befürwortern und den Gegner der Sklaverei im Senat. So entstand ein Präzedenzfall. In der Folge wurden weitere Staaten nur paarweise – jeweils ein Sklavereistaat und ein Antisklavereistaat gekoppelt – in die Union aufgenommen.

Stachel im Fleisch der Nation

Man muss, um die Sprengkraft dieser Maßnahme zu ermessen, den in die Vergangenheit der Vereinigten Staaten zurückreichenden Wurzeln des Sklavenproblems nachspüren – zurück bis zu den Gründertagen dieser Nation.

44 Jahre bevor Präsident Monroe seinen Namen unter das Dokument setzte – am 4. Juli 1776 – hatten die Väter der Unabhängigkeitserklärung feierlich erklärt, dass alle Menschen gleich erschaffen worden seien. Doch sie selbst untergruben diesen Grundsatz permanent, weil sie als Sklavenhalter Unfreiheit duldeten. »Freiheit und Sklaverei wurden zum amerikanischen Bruderpaar Abel und Kain«, beschreibt die amerikanische Historikerin Jill Lepore in ihrem aktuellen Werk »Diese Wahrheiten«.

Die Sklaverei wurde zum Stachel im Fleisch der Nation. Dies zeigte sich elf Jahre später, als in Philadelphia der Verfassungskonvent tagte, um den damals noch 13 unabhängigen Gliedstaaten eine gemeinsame Verfassung zu geben. Neben der Frage, wie sich die Größe und Bevölkerungszahl eines Staats auf seinen Einfluss im Washingtoner Parlament und Bundesregierung auswirken sollten, entzündete sich die hitzigste Debatte an der Sklavenfrage, in deren Verlauf die Südstaaten mit ihrer Abspaltung drohten. Um die Union nicht zu gefährden, gaben die Nordstaaten klein bei.

Die Kompromisslinie | In hinzukommenden Bundesstaaten südlich dieser Grenze sollte Sklaverei erlaubt sein. Sie verlief größtenteils entlang der Südgrenze Missouris und wirkte sich konkret nur auf die Form des Sklavenhalterstaats Texas aus. Bei dessen Gründung wurden Gebiete, die nördlich der Linie lagen, abgetrennt.

Am 17. Juli 1787 einigten sich die Delegierten auf den so genannten Großen Kompromiss. Darin wurde festgelegt, dass die Staaten im Senat gleichrangig vertreten sein würden – mit jeweils zwei Senatoren pro Staat – und im Repräsentantenhaus proportional, mit einem Abgeordneten für jeweils 30 000 Menschen. Der Verfassungskonvent traf zusätzlich folgende Regelung: Fünf Sklaven sollten bei der Berechnung der Sitzverteilung im Repräsentantenhaus so viel gelten wie drei freie Bürger. Damit wurden in puncto Repräsentation Personen miteinbezogen, die laut Verfassung überhaupt kein Stimmrecht besaßen.

Vergiftete Arithmetik

Das Recht eines Menschen, einen anderen Menschen zu besitzen, war auch fortan nicht nur möglich, sondern auch gesetzlich anerkannt. Damit war man dem Süden sehr weit entgegengekommen. »Die Duldung der Sklaverei war der Preis für die Verwirklichung der nationalen Einheit«, schreibt der Nordamerika-Historiker Jörg Nagler über den Kompromiss der Verfassungsväter.

Ihre Freiheiten wussten die Plantagenbesitzer des Südens auszunutzen. Lebten um 1800 rund 700 000 Sklaven in den Vereinigten Staaten, waren es 1860 knapp vier Millionen Sklaven, die Mehrzahl davon im Süden. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung stieg im gleichen Zeitraum von fünf auf über sieben Prozent.

Die Drei-Fünftel-Klausel räumte den Sklavenhalterstaaten nicht nur eine überproportional große Vertretung im Kongress ein, sondern vergrößerte auch ihre Stimmenzahl im Wahlmännergremium, das den Präsidenten wählte. Virginia und Pennsylvania beispielsweise hatten eine etwa gleich große Zahl an freien Bürgern, aber Virginia erhielt auf Grund der Sklavenbevölkerung des Staats drei Sitze mehr im Repräsentantenhaus zugesprochen und entsandte deshalb auch sechs Wahlmänner mehr. Das führte dazu, dass das Amt des amerikanischen Präsidenten während 32 der ersten 36 Jahre der Republik von Sklavenbesitzern aus Virginia ausgeübt wurde.

Wie sehr diese von den Verfassungsvätern festgelegte Zahlenarithmetik das politische Klima vergiften sollte, zeigte sich bereits bei der Wahl 1800 zwischen Thomas Jefferson und John Adams. Der Föderalist Timothy Pickering aus Neuengland bezeichnete Jefferson als »negro president«, weil zwölf seiner Wahlmännerstimmen auf die Drei-Fünftel-Klausel zurückzuführen waren, jenen »verfaulten Teil der Verfassung«, ohne den Jefferson gegen Adams mit 61 zu 65 Stimmen verloren hätte.

Sturmglocke in der Nacht

Die Institution der Sklaverei erwies sich auch in der Folgezeit als politischer Zankapfel und moralische Belastung für die Nation. Immer mehr Menschen stellten sich die Frage: Wie war ein politisches System, das auf Freiheitsidealen gründete, mit dem Unrechtssystem der Sklaverei vereinbar?

Alexis de Tocqueville, ein scharfsinniger politischer Theoretiker und Historiker aus Frankreich, der 1831 die Vereinigten Staaten von Amerika für neun Monate bereiste, hatte das amerikanische Dilemma erkannt: »Falls Amerika jemals große Revolutionen erlebt, werden sie durch die Anwesenheit der Schwarzen auf dem Boden der Vereinigten Staaten herbeigeführt: Das heißt, dass nicht die Gleichheit der Bedingungen, sondern im Gegenteil ihre Ungleichheit sie hervorrufen wird.«

Auch den weitsichtigeren unter den Politikern in Washington dürfte klar gewesen sein, dass der Missouri-Kompromiss nur eine Notlösung war. Er hatte allen vor Augen geführt, wie schwierig es war, den Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern der Sklaverei beizulegen. Thomas Jefferson sagte damals, die Nachricht über den Missouri-Kompromiss wirke auf ihn »wie eine Sturmglocke in der Nacht«. Die Sklaverei sei eine viel zu grundsätzliche Frage, als dass man sie durch ein »agreement to disagree« (eine Übereinkunft, kein Übereinkommen zu finden) ausklammern könne, und er erblickte in dem Versuch, dies zu tun, ein untrügliches Vorzeichen dafür, dass die Union schließlich auseinanderbrechen werde.

In den 1850er Jahren drifteten Norden und Süden wegen der Sklaverei stets weiter auseinander. Die Leibeigenschaft wurde von den Abolitionisten im Norden in immer schärfer werdenden Tönen als ein verabscheuungswürdiges Übel und Verstoß gegen das Naturrecht gegeißelt. Die führende Schicht des Südens sah in dieser Agitation nicht nur einen Angriff auf die ganze Lebensart in Dixie, sondern vor allem auf die Grundlagen ihres auf Sklavenarbeit gründenden Wirtschaftslebens. Wie aufgeheizt die Stimmung in beiden Lagern war, verdeutlichen die erbitterten Auseinandersetzungen um die Einführung der Sklaverei in Kansas.

Blutendes Kansas

Am 25. Mai 1854 verabschiedete der Kongress den Kansas-Nebraska Act. Fünf Tage später trat er in Kraft, nachdem der Präsident das Gesetz unterzeichnet hatte. Wieder ging es um die alte Streitfrage, ob die beiden neu der Union beitretenden Westterritorien, Kansas und Nebraska, »slave-holding« oder »free« sein sollten. Darüber wollte man die Bevölkerung entscheiden lassen, was allerdings ein klarer Verstoß gegen den Missouri-Kompromiss war, da beide Staaten oberhalb der dort festgelegten Linie auf 36 Grad und 38 Minuten nördlicher Breite lagen.

»Border Ruffians« kämpfen für das Recht auf Sklaverei | Im Vorfeld der Abstimmung über den Status von Kansas kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Trupps aus dem Süden versuchten die Sklavereigegner einzuschüchtern.

Der Kansas-Nebraska Act öffnete der Sklaverei die Tür zu einem Gebiet, das ihr zuvor verschlossen war – mit verheerenden Folgen. Noch bevor über die Frage abgestimmt werden konnte, kam es in Kansas zu einem regelrechten Guerillakrieg zwischen jenen Siedlern, die aus dem Norden kamen und Zuwanderern aus den Südstaaten, so genannte Border Ruffians, die auf die Einführung der Sklaverei in dem Territorium bestanden. Der Versuch von Sklavereigegnern und Befürwortern, Kansas mit Gewalt ihre moralischen Vorstellungen, ihr Gesellschaftsmodell und ihr Wirtschaftssystem aufzuzwingen, war für Abraham Lincoln ein untrügliches Zeichen für die »fortschreitende Degeneration unserer Nation«. Bleeding Kansas, das »blutende Kansas«, wurde zum Fanal für das, was fünf Jahre später auf die gesamte Nation zukam.

Seit Kansas waren die Fronten derart verhärtet, dass man auf beiden Seiten keinen Ausweg mehr aus dem Dilemma sah. Für den Norden war eine Nation, die »halb versklavt, halb frei« war (Lincoln), ein unhaltbarer Zustand. Während im Süden die Stimmen immer lauter wurden, aus der Union auszutreten.

Nachdem Abraham Lincoln aus den US-Präsidentenwahlen am 6. November 1860 als Sieger hervorgegangen war, sah der Süden den Zeitpunkt gekommen, mit der Zentralregierung in Washington zu brechen. Knapp sechs Wochen später, am 20. Dezember, erklärte eine Delegiertenversammlung in South Carolina mit 169 zu null Stimmen den Austritt des Staates aus der Union. Die Begründung: Das vom designierten Präsidenten angestrebte Ende der Sklaverei sei eine verfassungswidrige Einmischung in die Angelegenheiten der Einzelstaaten. Dem Entschluss folgten bis Februar 1861 sieben weitere Staaten, die sich zu den »Konföderierten Staaten von Amerika« zusammenschlossen. Damit war das politische Tischtuch endgültig zerschnitten. Amerika stürzte kopfüber in einen vier Jahre währenden blutigen Bürgerkrieg, in dessen Verlauf rund 600 000 Menschen ihr Leben verloren.

Frei, aber entrechtet

Mit dem Sieg des Nordens über die sklavenhaltenden Südstaaten endete 1865 die Sklaverei in den Vereinigten Staaten. Der 13. Verfassungszusatz, in dem die Abschaffung der Sklaverei besiegelt wurde, ist ein historischer Meilenstein der afroamerikanischen Emanzipationsgeschichte. Doch das Unrecht war nicht zu Ende.

Von den Nordstaaten unter Besatzungsrecht gestellt und von Militärgouverneuren regiert, fanden sich die Rebellenstaaten des Südens nur schwer mit der neuen Situation ab. Zu tief war die Kluft zwischen den Lebenswelten des industrialisierten Nordens und des landwirtschaftlich geprägten Südens. Weil Washington aber bei der »Wiedereingliederung« des Südens in die Union (Reconstruction) zu sehr auf Versöhnung setzte, kamen in der ehemaligen Konföderation die weißen Rassisten wieder an die Macht.

Als 1876/77 die Unionstruppen die militärische Besetzung des Südens beendeten, fand die Ära der Befreiung der Sklaven ein gewaltsames Ende. Weiße Politiker, die sich selbst als Redeemers (»Erlöser«) bezeichneten, übernahmen fortan die Kontrolle über die Regierungen der Einzelstaaten im Süden. Der Weg zurück zur Nation, die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, war für viele Schwarze mit neuem Unrecht gepflastert.

Aufnahmezeremonie um 1923 | Der Ku-Klux-Klan ist die bekannteste Verkörperung der »Rückeroberung« des Südens nach dem Ende des Bürgerkriegs.

Schwarze Politiker, die unter dem Schutz der Besatzer aus dem Norden gewählt worden waren – »politische Gleichberechtigung war im Süden nur mit vorgehaltenem Gewehr möglich gewesen« (Jill Lepore) – wurden nach deren Abzug aus ihren Ämtern verjagt. Obwohl der 15. Verfassungszusatz von 1870 festlegte, dass niemandem das Wahlrecht wegen seiner Hautfarbe verweigert werden dürfe, unternahm das vermeintliche weiße Herrenvolk im Süden alles, um die schwarze Bevölkerung von den Wahlen fernzuhalten. Man verweigerte farbigen Wählern die Möglichkeit, sich registrieren zu lassen, erhob schikanöse Wahlgebühren und schreckte auch nicht vor Gewalt zurück.

Rassistische Geheimzirkel, wie der 1866 »zur Rückeroberung des Südens« gegründete Ku-Klux-Klan, terrorisierten die ländlichen Gegenden, zündeten Häuser an und jagten und töteten Menschen. Recherchen der Menschenrechtsorganisation Equal Justice Initiative zufolge gab es zwischen 1877 und 1950 knapp 4400 Fälle von Lynchjustiz im Süden der Vereinigten Staaten.

Getrennt, aber gleich

Ungehindert vom Obersten Gerichtshof in Washington begannen rein weiße Parlamente mit der Verabschiedung von Black Codes, neuen, auf Rassentrennung beruhenden Gesetzen, die fast jeden Kontakt zwischen Schwarz und Weiß verhinderten und die Rassentrennung gesetzlich sanktionieren. An die Stelle der persönlichen Entrechtung trat die soziale Diskriminierung.

Im Süden galt fortan der soziale und juristische Grundsatz »getrennt, aber gleich« (separate but equal), der die Rassentrennung und das Verhältnis zwischen der politisch tonangebenden weißen Bevölkerung und den Afroamerikanern definierte und für die nächsten Jahrzehnte fest im Rechtsbewusstsein Amerikas verankerte. So genannte Jim-Crow-Gesetze, mit denen die Trennung von Schwarzen und Weißen in den Südstaaten an jedem wahrnehmbaren öffentlichen Ort verfügt wurde, machten schwarze Menschen zu Bürgern zweiter Klasse. Benannt war diese US-amerikanische Variante der Apartheid nach einer im 19. Jahrhundert in den USA entstandenen Witzfigur, die einen tanzenden und singenden Schwarzen bezeichnete. »Jim, die Krähe« wurde zum Synonym für die Diskriminierung der Afroamerikaner.

Schulen, Kliniken, Busse, Restaurants – bald erfasste die Trennung das komplette öffentliche Leben. In Gerichten lagen getrennte Bibeln bereit; in Bars waren die Hocker nach Hautfarben getrennt; Postämter bedienten an getrennten Schaltern; auf Spielplätzen standen getrennte Schaukeln. Schwarze durften nicht die gleichen Toiletten und Ankleideräume benutzen wie die Weißen, wurden von Wahlen ausgeschlossen, und im Alltag diskriminiert. Schwarze hatten auf dem Bürgersteig Weißen auszuweichen und sie mit Sir oder Madam anzureden, während umgekehrt die Farbigen von Letzteren bei ihrem Vornamen genannt wurden. Für schwarze Männer, gleich welchen Alters, war ohnehin meist »boy« die angemessene Anrede.

Schwarzer Bürgerprotest

Die Racial Segregation überdauerte auch den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Kein geringerer als Präsident Woodrow Wilson, Initiator des Selbstbestimmungsrechts der Völker, verfügte 1914 die Rassentrennung für den öffentlichen Dienst. Und in Roosevelts Ära des New Deal spielte das Thema Rassendiskriminierung eine ebenso minderwichtige Rolle wie während des Zweiten Weltkriegs. So blieb der institutionalisierte Rassismus lange Zeit unangetastet. Noch Anfang der 1950er Jahre mussten im Süden der USA Schwarze aufstehen, wenn sich ein Weißer auf die Parkbank neben ihm setzen wollte.

Rassentrennung | Nach dem Bürgerkrieg, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, waren in den Südstaaten Menschen nach Hautfarbe getrennt, wie diese Aufnahme von 1939 aus Oklahoma City zeigt.

Gegen diese demütigende Diskriminierung opponierte in den 1950er und 1960er Jahren die Bürgerrechtsbewegung. Einen ersten Erfolg konnte sie 1954 verbuchen, als der Oberste Gerichtshof die Rassentrennung in öffentlichen Schulen in allen Bundesstaaten für verfassungswidrig erklärte. Als sich Arkansas dem höchstrichterlichen Beschluss widersetzte, kam es am 4. September 1957 zu dem landesweit Aufsehen erregenden Zwischenfall in der Central High School von Little Rock, als ein aufgebrachter weißer Mob schwarze Schüler unter »Lyncht-sie«-Rufen daran hinderte, die Schule zu betreten. US-Präsident Dwight D. Eisenhower, der nicht hinnehmen wollte, dass »die Herrschaft des Mobs die Entscheidung des Obersten Gerichts aufhebt«, schickte drei Wochen später Militäreinheiten in die Großstadt am Arkansas River, um neun schwarzen Schülerinnen und Schülern den Zutritt zur Schule zu ermöglichen.

Ein weiteres Signal im Kampf gegen die Rassentrennung hatte bereits zwei Jahre zuvor die schwangere Claudette Colvin gesetzt. Sie weigerte sich, ihren den Weißen vorbehaltenen Sitzplatz in einem öffentlichen Bus zu räumen und löste damit, nachdem die Aktion unter anderen von Rosa Parks, einer Mitarbeiterin der National Association for the Advancement of Coloured People (NAACP), als bewusste politische Aktion fortgesetzt worden war, einen der wichtigsten und spektakulärsten Bürgerrechtsprotest in der Geschichte der USA aus.

Weitere nationale Aufmerksamkeit erregten Anfang der 1960er Jahre zahlreiche gewaltfreie Studentenproteste sowie die Rede »I have a dream« von Martin Luther King am 28. August 1963 am Lincoln Memorial in Washington, die der Bürgerrechtsbewegung zum Durchbruch verhalf.

Endgültig abgeschafft wurde die Rassentrennung dann durch den im Juli 1964 von US-Präsident Lyndon B. Johnson unterzeichneten Civil Rights Act, in dem gesetzlich verankert wurde, dass kein Amerikaner auf Grund seiner Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht diskriminiert werden dürfe. »Damit war das Ideal der Gleichheit zur Realität geworden«, so die an der Harvard University lehrende amerikanische Historikerin Elizabeth Hinton.

Farbenblindes Justizsystem

Heute, mehr als 50 Jahre nach Johnsons Civil Rights Act, sind die Afroamerikaner in den USA gleichberechtigt, und die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten der USA wurde 2008 zu einem wichtigen Symbol dafür, dass sie alles erreichen können. Ein Schlussstrich unter die Kultur der Ungerechtigkeit ist damit allerdings nicht gezogen. »Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es immer noch keine echte Gleichbehandlung zwischen Weißen und Schwarzen«, sagt die Bürgerrechtsaktivistin Michelle Alexander. Angesichts fortbestehender sozialer Benachteiligungen fordert sie seit Jahren das Ende der »Ideologie der Farbenblindheit« im Justizsystem, wo das »Narrativ der weißen Überlegenheit« besonders virulent ist.

Die Folgen dieser Haltung spiegeln sich in einem geradezu reflexhaften Verhalten vieler Polizisten und Richter wider. Schwarze werden allein wegen ihrer Hautfarbe als gefährlich eingestuft, sind willkürlichen Personalkontrollen ausgesetzt und erhalten für die gleichen Delikte höhere Haftstrafen. In den USA erschießen Polizisten achtmal so viele Schwarze wie Weiße.

Die Benachteiligungen in der Justiz finden sich auch in anderen Bereichen des sozialen Lebens. Nach wie vor leben viele Schwarze in schlechteren Wohngegenden mit schlechteren Schulen, haben schwerer Zugang zu Hypotheken oder Studentendarlehen, ihre Gemeinden sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen.

Dass Sklaverei und Rassentrennung bei Weitem noch nicht hinreichend aufgearbeitet sind, belegt auch die teils sogar mit Gewalt geführte Auseinandersetzung um Südstaaten-Denkmäler: Sollen Statuen wie etwa die des Konföderiertengenerals Robert E. Lee in Charlottesville, Virginia aus dem öffentlichen Raum entfernt werden? 2017 löste der Versuch der Stadtverwaltung, genau dies zu tun, einen Aufmarsch rechtsextremer Rassisten aus, der drei Todesopfer zur Folge hatte. Seitdem sucht man nach einem Kompromiss.

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