Modemüll: Textilrecycling für die Tonne

Wer Altkleider entsorgen möchte, kennt das Problem. Die Container sind vollgestopft oder quellen über. Oft stapeln sich vor den Sammelstellen weitere Kleidersäcke und jede Menge Müll. Die verschmutzten Container sind die Kehrseite der glitzernden Modewelt, und allein ihr Anblick lässt Zweifel am Sinn des Textilrecyclings aufkommen. Die Leute geben fast nur noch unbrauchbare Billigware ab. Die ersten für die Leerung und Verwertung zuständigen Unternehmen sind pleite. Das Geschäft mit Altkleidern liegt buchstäblich am Boden.
Für Unverständnis und Verwirrung sorgt deshalb eine neue EU-Richtlinie, die seit dem 1. Januar 2025 gilt: die so genannte Getrenntsammelpflicht. Fortan sollen alte Textilien nicht mehr im Hausmüll landen, sondern ausschließlich in den Altkleidercontainern entsorgt werden. Doch selbst Textilexperten sind irritiert, weil nicht klar ist, wie das genau zu verstehen ist – und ob ab sofort sogar in Motorenöl getränkte Lumpen in den Container gehören. Die neue Richtlinie folgt dem Ziel der EU, eine Kreislaufwirtschaft zu errichten. Damit sollen Abfälle reduziert und die Umwelt geschont werden. Aber bringt das Altkleiderrecycling der Umwelt überhaupt etwas?
Bislang ist es jedenfalls keine Erfolgsgeschichte. Von den 1,63 Millionen Tonnen Textilien, die in Deutschland innerhalb eines Jahres in Umlauf gebracht werden, landen schätzungsweise zwar rund eine Million Tonnen in den Altkleidercontainern, aber nur ein Viertel davon wird stofflich wiederverwertet. Der größte Teil der Alttextilien werde ins Ausland exportiert, schreibt die Nachhaltigkeitsexpertin Clara Löw vom Freiburger Öko-Institut in einer im Oktober 2024 erschienenen Studie. Deutschland sei sogar Exportvizeweltmeister von Alttextilien, gleich nach den USA. Nur ein bis zwei Prozent der Altkleider finden sich später in Second-Hand-Läden wieder. Dabei ist das direkte Weiterverkaufen von getragenen Klamotten die Geschäftsgrundlage der Sortierer. Doch der Anteil an hochwertigen Kleidungsstücken sinkt – obwohl sich die Sammelmenge seit Jahren erhöht und mit Inkrafttreten der EU-Richtlinie noch einmal stark steigen wird.
Altkleiderberge sind die Kehrseite der glitzernden Modewelt
Die Zunahme von unbrauchbaren Textilien ist jedenfalls der Grund, warum immer mehr Sammelcontainer überquellen. Um der Kleiderberge Herr zu werden, transportieren die Unternehmen einen Großteil der Altkleider nach Holland oder Osteuropa und verschiffen sie von dort weiter nach Afrika oder Asien. Was dort mit den Textilien passiert, weiß niemand genau. Wahrscheinlich wird ein großer Teil verbrannt oder auf Deponien gebracht, schätzen Experten.
Nur ein Viertel der Altkleider wird am Ende tatsächlich stofflich verwertet. Experten unterscheiden dabei grob zwei Verfahren: das werkstoffliche und das rohstoffliche Recycling. Bei Ersterem erhält man feste Materialien wie Fasern, Flocken, Pellets oder komplexere Molekülstrukturen, bei Letzterem flüssige Kohlenwasserstoffgemische und Synthesegase.
Die dominierende Methode des Textilrecyclings ist das mechanische Verfahren, das dem werkstofflichen Recycling zuzuordnen ist. Dabei werden die Altkleider von Knöpfen, Reißverschlüssen oder Nieten befreit, anschließend gebleicht, teilweise industriell gereinigt, zerrissen, zerkleinert und schließlich zu Putzlappen, Dämmmaterialien oder Fleecestoffen weiterverarbeitet. Faktisch findet bei diesem Verfahren ein Downcycling statt, weil das Gros der Fasern nach der Verarbeitung zu kurz und von zu schlechter Qualität ist, um daraus Garne und anschließend neue Textilien herzustellen.
In der EU werden derzeit nur fünf Prozent der gesamten Altkleider wieder zu neuen Textilien verarbeitet
Allerdings sollten nicht Putzlappen und Dämmmaterialien das Ziel des Textilrecyclings sein, sondern vielmehr neue Kleidungsstücke. Doch die bittere Wahrheit ist: In der EU werden nur fünf Prozent der gesamten Altkleider wieder zu neuen Textilien verarbeitet. Lediglich aus einer derart geringen Menge können wieder spinnbare Fasern gewonnen werden.
Spinnbare Fasern sind der Goldstandard des Recyclings, Experten sprechen von Faser-zu-Faser- oder kurz von F2F-Recycling. Sie werden vorwiegend aus faserreinen Textilien gewonnen. Das Problem: Nur noch jedes fünfte Kleidungsstück wird aus einer einzigen Faser hergestellt; sogar in Produkten aus »100 Prozent Baumwolle« findet sich mitunter Polyamid. Mischtextilien allerdings, erklärt Clara Löw, schieden grundsätzlich für das F2F-Recycling aus. Ebenfalls ungeeignet seien Materialien, die bedruckt, beschichtet oder laminiert sind.
Auch müssten die Textilien fürs Recycling dieselbe Farbe haben. Und es gibt einen weiteren Haken: Recycelte Fasern haben eine geringere Qualität als Frischfasern und müssen deshalb mit anderen Fasern vermischt werden. Entsprechend verringert sich die Qualität mit jedem weiteren Recyclingschritt. Außerdem variiert der höchstmögliche Anteil von recycelten Fasern an der neuen Ware je nach Kleidungsstück und Anwendung. Jeans beispielsweise können mit einem höheren Anteil recycelter Fasern gewebt werden, feine Blusen mit einem geringeren.
Unausgereifte Recyclingmethoden
Weltweit liegt der Anteil der recycelten Fasern bei etwa neun Prozent, zeigen Daten aus dem Jahr 2021. Aber der größte Teil kommt nicht etwa von wiederverwerteten Kleidungsstücken aus dem F2F-Verfahren, sondern wird aus PET-Flaschen gewonnen. Fast alle recycelten Polyesterfasern stammen aus mechanisch aufbereiteten Getränkeflaschen, nur etwa ein Prozent machen recycelte Polyesterfasern aus Alttextilien aus. PET-Flaschen sind sortenrein und können daher vergleichsweise einfach aufbereitet werden. Doch Löw zufolge ist die Verwendung von PET-Flaschen wiederum ein Downcycling, weil die Flaschen dadurch dem Flaschenkreislauf entzogen werden.
Der Grund, warum nicht mehr Polyesterfasern aus Alttextilien gewonnen werden, ist, dass Recyclingmethoden wie die Depolymerisation noch unausgereift sind. Dieses auch als chemisches Recycling bekannte Verfahren wird zur werkstofflichen Wiederverwertung gezählt, befindet sich aber noch in der Entwicklung und lässt sich bislang nicht im industriellen Maßstab anwenden. Dabei werden die Fasern mit Hilfe chemischer Prozesse in ihre ursprünglichen Bestandteile zerlegt. Das Polyester-Polymer beispielsweise wird in Monomere aufgespalten, sprich depolymerisiert. Dadurch werden Bausteine gewonnen, mit denen man neue Polyester produzieren kann. Dieses Verfahren benötigt eine gute Vorsortierung, zudem sind Energiebedarf und Chemikalieneinsatz hoch.
Ganz ohne chemische Reaktion läuft das lösungsmittelbasierte Verfahren ab. Dabei werden bestimmte Polymere aus Abfallmischungen und Verbundstoffen herausgelöst – ohne dass die Polymerkette aufgebrochen wird. Lösungsmittel eignen sich zudem, um unerwünschte Farben oder Additive abzutrennen. Die intakten Polymerketten stehen anschließend für neue Produkte zur Verfügung. Häufig handelt es sich dabei um Baumwolle, die als Zellstoff für die Papier- oder Garnherstellung wiederverwendet wird.
Textilexperten setzen große Hoffnungen in die Depolymerisation, denn in Kombination mit dem lösungsmittelbasierten Verfahren eignet sie sich zum Recycling von Mischgeweben, die sich bisher nicht wiederverwerten lassen. Der Mix aus Baumwolle, Polyester und Elasthan ist heute die häufigste Faserzusammensetzung. Die Modeindustrie verbindet damit aus ihrer Sicht das Beste aus drei Welten: Polyester ist sehr formstabil, Baumwolle liegt gut auf der Haut, Elasthan macht Kleidung elastisch.
Energieaufwand und Umweltbelastung sind groß
Da bislang kein Verfahren zum Recycling dieser Fasermischung etabliert ist, landen die meisten der Kleidungsstücke am Ende auf der Deponie oder in der Müllverbrennungsanlage. Den Recyclingunternehmen bleibt allenfalls, solche Mischtextilien rohstofflich zu verwerten. Derartige Verfahren sind allerdings derzeit nicht wirtschaftlich, weil Energieaufwand und Umweltbelastung groß sind und die Erträge überschaubar. Reststoffe, die sich für eine rohstoffliche Verwertung nicht eignen, können thermochemisch zu Kohlenwasserstoffen verarbeitet werden. Diese werden anschließend entweder der Chemieindustrie zugeführt oder als Brennstoffe verwendet.
»Das Problem wird auf die Sortierer abgeladen, denn weder Deutschland noch die EU verfügen bislang über eine geeignete Infrastruktur für das Textilrecycling«Kai Nebel, Textilingenieur
Vor allem der große Energiebedarf ist der Grund, warum manch ein Experte vom Sinn des Textilrecyclings nicht überzeugt ist. Einer davon ist Kai Nebel, Textilingenieur an der Fachhochschule Reutlingen. Nebel hält die EU-Richtlinie für »Quatsch«. Es sei eine völlig offene Frage, was man mit noch mehr Textilien in den Containern überhaupt machen soll. »Das Problem wird damit auf die Sortierer abgeladen, denn weder Deutschland noch die EU verfügen bislang über eine geeignete Infrastruktur für das Textilrecycling«, sagt er. Und dabei sei das Hauptproblem nicht einmal die schlechte Recyclingquote. »Wir produzieren einfach zu viele Klamotten.« Das sei der wahre Elefant im Raum, um den man sich kümmern müsse. Insofern solle man das Übel lieber bei der Wurzel packen, statt viel Geld ins Recycling zu stecken. »Technologisch könnte das sogar irgendwann vollständig funktionieren, aber es lohnt sich eben nicht«, erklärt er.
Seit dem Jahr 2000 hat sich der Absatz an neuer Kleidung um mehr als 60 Prozent erhöht, mehr als hundert Milliarden neue Teile werden pro Jahr produziert. Jeder Deutsche kauft locker 60 Kleidungsstücke im Jahr, das entspricht 18 Kilogramm Textilien. Fast wöchentlich werfen die großen Anbieter neue Kollektionen auf den Markt; sie produzieren immer billiger und immer schneller, mehr, als man je tragen könnte. Die Welt befindet sich im Klamottenrausch. Fast Fashion nennen Experten dieses Geschäftsmodell. Die Modeketten H&M und Zara haben sich auf diese Strategie spezialisiert.
Billige Ramschware aus China
Doch nach einem Jahr landen 60 Prozent aller Kleidungsstücke bereits wieder im Müll, rechneten Forscher im Fachmagazin »Nature Climate Change« vor sieben Jahren vor. Das ist etwa ein Müllwagen voll Kleidung pro Sekunde. Viele Klamotten werden zudem nur einmal getragen, wenn überhaupt. »Rund 40 Prozent der produzierten Bekleidung wird überhaupt nicht verkauft und damit nie genutzt«, sagt Kai Nebel. Hinzu kommt seit zwei Jahren eine unregulierte Klamottenschwemme aus China: Über Online-Händler wie Temu und Shein wird die Welt mit billiger Ramschware überzogen. Dabei handelt es sich nach Branchenexperten um Massenware mit schlechter Qualität, deren Ökobilanz miserabel ist. Auch Zölle werden offenbar umgangen – und die App horcht ihre Kunden aus.
Das große Geschäft von Temu und Shein könnte allerdings vorbei sein, sofern die EU die bereits beschlossene Ökodesign-Richtlinie auf Textilien umsetzt. Wie bei Elektrogeräten wird es dann bestimmte Vorschriften geben, die Hersteller und Anbieter einhalten müssen. Textilien, die zu viele Schadstoffe enthalten, schlechte Ökobilanzen aufweisen, nicht recyclingfähig sind und nicht lange halten, dürften dann keinen Zugang mehr zum EU-Markt erhalten. Zudem soll eine erweiterte Herstellerverantwortung, kurz EPR, umgesetzt werden, die die Hersteller für die Entsorgung ihrer Produkte verantwortlich macht.
Ökodesign und EPR sind ebenso Teil der EU-Textilstrategie wie die Getrenntsammelpflicht. Die neuen Regeln für die Verbraucher traten allerdings vor den anderen Vorschriften in Kraft. Dadurch hat die EU wieder einmal für viel Kopfschütteln gesorgt. Und das, obwohl das Ziel des Regelwerks durchaus sinnvoll ist: Billige Ramschwaren, die schlecht für Umwelt und Klima sind, soll erst gar nicht auf den Markt gelangen – und alle anderen Textilien so gut wie möglich recycelt werden. Ob die Strategie aufgeht und die Modewelt wirklich nachhaltiger wird, darüber entscheidet am Ende aber nicht nur Brüssel. Sondern auch der Konsument.
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