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News: Alzheimer-Patienten sind 'bewegungsblind'

Verloren in der heimatlichen Stadt, orientierungslos im früher wohlvertrauten Haus, hilflos in der eigenen Wohnung - Menschen mit der Alzheimerschen Erkrankung verlaufen sich leicht in Umgebungen, die ihnen seit langem bekannt sind. Diese Schwierigkeiten wurden bislang dem allgemeinen Gedächtnisverlust zugeschrieben. Zu Unrecht, meint ein amerikanischer Neurologe. Seinen Forschungen zufolge wird die Desorientierung durch separate Gehirnschäden hervorgerufen, durch welche der Patient die Fähigkeit einbüßt, Bewegungen zu erkennen.
"Menschen mit Alzheimer verlaufen sich nicht deshalb, weil sie vergessen haben, wo sie herkommen und wo sie sind, sondern weil sie nicht sehen können, wo sie hingehen", faßt der Neurologe Charles Duffy von der University of Rochester die Ergebnisse seiner Untersuchungen zusammen (Neurology vom 23. März 1999, vollständiger Text über Inhaltsverzeichnis). "Viele der Patienten sind im Grunde blind für Zeichen, die wir tagtäglich unbewußt aufnehmen. Es ist fast, als würden sie mit geschlossenen Augen herumlaufen. Es ist sowohl eine Störung der Wahrnehmung als auch des Gedächtnisses."

Die Wissenschaftler um Duffy führten Tests mit sechs gesunden jungen Leuten, zwölf gesunden älteren Personen und elf an Alzheimer erkrankten Patienten durch. Die Teilnehmer nahmen auf einem Stuhl vor einem riesigen Computerdisplay mit zwei Metern Breite und 2,5 Metern Höhe Platz. Sie wurden gebeten, anhand der rechnergenerierten dynamischen Muster – die etwa den Eindruck vermittelten, man fahre mit einem Auto durch ein Schneegestöber – zu sagen, ob sie den Eindruck hätten, sich nach links oder nach rechts zu bewegen. Die jungen Probanden erzielten bei dem Experiment etwas bessere Erfolge als die gesunden älteren Testpersonen. Die Alzheimer-Patienten benötigten dagegen doppelt so viele Informationen – in Form von Bildpunkten, die in die gleiche Richtung wandern – wie die beiden anderen Gruppen.

In einem anderen Versuch wurden die Teilnehmer von der Eingangstür des Gebäudes zu Duffys Labor begleitet und anschließend über den Weg befragt. 88 Prozent der Fragen konnten die jungen Leute korrekt beantworten, bei den älteren Probanden waren es noch 73 Prozent. Mit nur 32 Prozent schnitten die Alzheimerkranken nicht einmal halb so gut ab.

Die Leistungen der Patienten waren allerdings recht heterogen. Nur sechs von den elf hatten große Schwierigkeiten beim Mustertest und schnitten sehr schlecht beim Weg-Experiment ab. "Einige Patienten verlieren den Orientierungssinn, andere das Gedächtnis", sagt Duffy. Manche Erkrankte fahren noch Jahre nach der Diagnose Auto, obwohl sie sich nicht an die Namen ihrer Kinder erinnern können. Andere verlaufen sich, sobald sie aus der Haustür treten, haben aber ansonsten ihr Leben fest im Griff. Mit entsprechenden Tests ließe sich feststellen, wer Gefahr läuft, verloren zu gehen, oder den Führerschein abgeben sollte.

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