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News: Am Anfang war der Kragen

Irgendwann vor mehr als einer halben Milliarde Jahre beschlossen ein paar Zellen, fortan zusammenzuarbeiten und das Reich der Tiere zu gründen. Wer waren diese Pioniere der Frühzeit? Schon lange verdächtigen Zoologen hierfür kleine, im Wasser lebende Einzeller: die Choanoflagellaten. Jetzt konnte dieser Verdacht auch molekularbiologisch bestätigt werden. Diese Organismen besitzen Proteine, die sonst nur im Tierreich gefunden werden.
Choanoflagellat
Was ist ein Tier? Diese Frage, die zunächst so banal klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung als gar nicht so einfach. Während sich eine Kuh von einem Gänseblümchen noch klar unterscheiden lässt, wird es bei Einzellern schon schwieriger. Denn hier gibt es viele, die sich wie Tiere bewegen und ernähren, gleichzeitig aber auch Photosynthese betreiben können. Die klassische Einteilung der Organismenvielfalt in Tiere, Pflanzen und Bakterien gilt damit schon lange als überholt. Heutige Systematiker bevorzugen mindestens fünf, teilweise bis zu acht Reiche, wobei die Gruppe Animalia nur noch die vielzelligen Tiere umfasst – ohne die einzelligen Protista, die früher als Protozoa bezeichnet wurden.

Die ersten Vielzeller tauchten vor etwa 700 Millionen Jahren auf der Erde auf. Vermutlich schlossen sich verschiedene Protisten unabhängig voneinander zu vielzelligen Gebilden zusammen und gründeten so die Reiche der Pflanzen, Pilze und Tiere. Der Zoologe Ernst Haeckel vermutete bereits im 19. Jahrhundert, dass eine bestimmte Gruppe von einzelligen Geißeltierchen, die so genannten Choanoflagellaten, den entscheidenden Schritt zum Tierreich gegangen sein könnten. Diese im Süßwasser und im Meer lebenden Einzeller sind durch eine lange Geißel gekennzeichnet, die ein Kragen aus engstehenden Zellausstülpungen umgibt. Haeckel fiel die frappierende Ähnlichkeit dieser Flagellaten mit den Kragengeißelzellen auf der Körperinnenseite von Schwämmen auf. Damit scheinen die Choanoflagellaten eng mit einer Gruppe verwandt zu sein, die an der Basis des Tierreiches steht.

Mehr als einhundert Jahre später versuchten Nicole King und Sean Carroll von der University of Wisconsin diesen morphologischen Verdacht molekularbiologisch zu überprüfen. Da die Choanoflagellaten auf eine über 600 Millionen Jahre alte Evolutionsgeschichte zurückblicken können, suchten die Forscher exemplarisch bei der Art Monosiga brevicollis nach Markern, die sich im Laufe der Zeit nur wenig veränderten. Bewährt für Stammbaumnanalysen haben sich Strukturproteine, wie alpha- und beta-Tubulin oder Actin sowie der für die Proteinsynthese wichtige Elongationsfaktor 2.

Bei der Untersuchung der genetischen Unterschiede dieser Proteine bestätigte sich der Verdacht von Haeckel: Die Choanoflagellaten scheinen tatsächlich an der Basis der Tiere zu stehen und sind mit diesen näher verwandt als beispielsweise die Pilze, die bisher in die Nähe der Tiere gesetzt worden sind.

Einen noch deutlicheren Hinweis stellt die Entdeckung einer Rezeptor-Tyrosin-Kinase bei Monosiga brevicollis dar. Dieses wichtige Signalprotein, das beispielsweise die Zellantwort auf Insulin vermittelt, war bisher nur bei Tieren bekannt – nicht jedoch bei einzelligen Protisten.

Über die Aufgabe des Proteins bei den Choanoflagellaten rätseln die beiden Forscher noch. "Wir möchten gerne wissen", so Carroll, "ob dieses Protein der Stammvater für eine ganze Klasse von Molekülen ist – ein gemeinsamer Vorfahre, der am Vorabend der Evolution der Tiere auftauchte."

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