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News: Am Anfang waren die Plattwürmer

Ein Team von Wissenschaftlern aus Spanien und Großbritannien hat herausgefunden, daß eine bestimmte Gruppe von Plattwürmern die ältesten lebenden Vorfahren aller bilateral aufgebauten Tieren darstellt. Früher dachte man, daß diese Würmer zu einer viel jüngeren Gruppe von Organismen gehören. Diese Erkenntnis bedeutet auch, daß bilaterale Organismen früher auf der Erde auftauchten, als bisher angenommen wurde.
Die Forscher stimmen überein, daß die ersten vielzelligen Tieren runde, radialsymmetrische Formen hatten, wie die Qualle oder die heutigen Seeanemonen. Ein entscheidender Schritt in der Evolution komplexerer Organismen war der Übergang zu Körperformen mit bilateraler Symmetrie. So haben sich zum Beispiel die meisten Eigenschaften, die es einem Tier ermöglichen, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen – Beine, Flossen, Flügel – nur bei bilateralen Organismen entwickeln. Trotz der großen evolutionären Bedeutung dieses Überganges wissen die Wissenschaftler bis heute wenig über die frühesten bilateralsymmetrischen Tiere.

Bislang wurde angenommen, daß sich die meisten bilateralen Tiere während der sogenannten kambrischen Explosion entwickelten – einer Phase dramatischer Entwicklung neuer Arten vor 540 bis 500 Millionen Jahren. Der Grund dafür ist das plötzliche Auftreten von Fossilien der Vorfahren nahezu aller wichtigen modernen Tiergruppen in dieser Epoche. Allerdings mehrten sich in letzter Zeit die Hinweise, daß es bereits vor dem Kambrium eine ausgedehnte und fruchtbare Periode gab, in der bilaterale Organismen entstanden sein und sich entwickelt haben könnten. Die neue Studie von Jaume Baguñà von der University of Barcelona und seinen Kollegen unterstützt diese Theorie: Sie identifizierten eine Gruppe rezenter Plattwürmer, die Acoela, als die lebenden Nachkommen einer frühen Linie aus dieser präkambrischen Zeit (Science vom 19. März 1999).

"Es kann gut sein, daß der Ursprung der bilateralen Organismen ein bißchen weiter zurück liegt, bein einfachen Tieren, deren Fossilien nicht gefunden wurden", sagte Baguñà. "Dies könnte bedeuten, daß wir vor-kambrische Felsen oder Sedimente sorgfältiger untersuchen müssen, um primitive bilaterale Tiere zu finden."

Die Forscher von der University of Barcelona und vom Natural History Museum in London begannen ihre Studie mit der Absicht, eine Untergruppe von Plattwürmern zu untersuchen, die nicht sauber in die vorgeschriebene Klassifikation paßte. Die Acoela sind aus einer Reihe von Gründen anders als andere Plattwürmer, insbesondere weil sie ungewöhnlich ursprünglich sind. Zum Beispiel haben andere Plattwürmern Verdauungstrakte in irgendeiner Form, die Acoela besitzen jedoch überhaupt keine.

Um festzustellen, ob die Acoela nicht besser separat von den anderen Plattwürmern eingeordnet werden sollten, gingen die Wissenschaftler das Problem auf der molekularen Ebene an. Studien dieser Art untersuchen die evolutionären Beziehungen zwischen systematischen Gruppen unter der Annahme, daß Mutationen in einem Gen mit einer konstanten Geschwindigkeit stattfinden. Sobald Forscher die Sequenz eines bestimmten Gens bestimmt haben, können sie es mit dem entsprechenden DNA-Abschnitt in einer Vielzahl von Organismen vergleichen. Unterscheiden sich die Sequenzen wesentlich, so bedeutet dies, daß die Organismen nicht so eng verwandt sind. Anders ausgedrückt: Es verging mehr Zeit, seit sie sich von ihren gemeinsamen Vorfahren abgespalten haben.

Das Forscherteam sequenzierte das Gen der 18S-rRNA, das bereits in vielen anderen Tieren analysiert worden war, unter anderem in einigen Arten von Plattwürmern. Dann erstellten sie eine Art evolutionärer Straßenkarte, welche die wahrscheinlichsten Beziehungen zwischen den Organismen aufzeigte. Danach waren die Acoela die erste Tiergruppe, die sich von radialen Organismen abspalteten, lange bevor andere Plattwürmer mitten in der kambrischen Explosion entstanden. Deshalb sollten die Acoela nach Ansicht der Forscher in einen eigenen neuen Stamm eingeordnet werden.

In der gleichen zeitlichen Periode, in welcher die bilateralen Tiere erschienen, fand auch ein anderer wichtiger Übergang für die Evolution höherer Tiere statt.Die Embryonen radialer Tiere entwickeln sich diploblastisch, also aus zwei primären Zellschichten, während die Gewebe der komplexeren bilateralen Tiere triploblastisch aus drei primären Schichten von Embryonalzellen hervorgehen. Eine Form, die ein Zwischenstadium von den Diploblasten zu den Triploblasten darstellt, könnte das Verständnis verbessern, wie sich die wesentlichen Körperpläne herausbildeten, sagte Baguñà.

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