Direkt zum Inhalt

Bergstürze: Töne könnten Abbruch des Hochvogels ankündigen

Im Gipfel des Allgäuer Hochvogels klafft ein Riss, die Bergspitze könnte bald abrutschen. Neue seismologische Überwachungen sollen zeitnah vorwarnen.
Riss im Gipfel des Hochvogels

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Spitze des Hochvogels in den Allgäuer Alpen abbricht: Quer über den Gipfel des 2592 Meter hohen Bergs zieht sich ein 5 Meter breiter und 30 Meter langer Spalt, der sich jeden Monat um knapp einen weiteren Zentimeter weitet. Die südliche Seite des Hochvogels sackte zudem schon um mehrere Meter ab. All das sind Anzeichen für einen bevorstehenden Bergsturz, der 260 000 Kubikmeter Gestein in das österreichische Hornbachtal befördern wird. Siedlungen wären davon nicht unmittelbar betroffen, dennoch wollen Geowissenschaftler möglichst rechtzeitig warnen, damit sich auch wirklich niemand im Bergsturzgebiet aufhalten wird. Möglich machen sollen dies neu installierte seismische Sensoren, die charakteristische Töne des zerfallenden Bergs aufzeichnen, wie Michael Dietze vom GeoForschungsZentrum in Potsdam mit seinem Team in »Earth Surface Processes and Landforms« berichtet.

Je nach Spannung im Gestein »klingt« der Berg unterschiedlich, was wiederum Hinweise darauf gibt, ob sich Risse weiten oder neu bilden. Dietze und sein Team installierten deshalb 2018 ein Netzwerk von sechs Seismometern auf dem Hochvogel, die über drei Monate hinweg aufzeichneten, mit welcher Frequenz der Berg hin und her schwingt. Dabei trat ein immer wiederkehrender sägezahnartiger Verlauf der Frequenz auf: Sie stieg über einen Zeitraum von fünf bis sieben Tagen von 26 auf 29 Hertz an, um dann in weniger als zwei Tagen auf den Ursprungswert abzufallen. Dabei war der Rückgang gekoppelt an seismische Signale, wie sie beim Brechen von Gestein auftreten.

Dieser zyklische Auf- und Abbau von Spannung durch ruckartige Bewegung, »stick slip motion« genannt, sei ein typischer Vorbote drohender Massenabbrüche, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Je näher ein derartiges Ereignis rückt, desto kürzer wird die Zeit zwischen den jeweiligen Zyklen. Sie könnten also als typische Warnzeichen betrachtet werden. »Mit Hilfe des seismischen Ansatzes können wir dieses zyklische Phänomen nun erstmals kontinuierlich und fast in Echtzeit erfassen und verarbeiten«, sagt Michael Dietze. Das Verfahren sei allerdings noch nicht serienreif, könne also nicht zur großflächigen Überwachung in den Bergen eingesetzt werden.

Während der Arbeit zeigte sich auch, welche Faktoren die Gesteinsbrüche am Hochvogel steuern. Im Frühling war die Sägezahnkurve immer wieder deutlich sichtbar, im Spätsommer fiel sie gänzlich aus: Im Dürrejahr fehlte dann das Schmiermittel Wasser, während nach dem Winter die Schneeschmelze noch reichlich davon lieferte. Im Sommer spielte dagegen der deutliche Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht eine wichtige Rolle. In den kalten Nachtstunden zieht sich der Fels zusammen, Klüfte werden größer und die Verbindung zum Festgestein lockerer, so dass die Frequenz fällt. Durch die Sonnenwärme wiederum dehnt sich der Fels aus, schließt kleine Spalten und erzeugt so eine höhere Schwingungsfrequenz, schreiben Dietze und Co.

Wegen der akuten Steinschlaggefahr ist der Aufstieg zum Hochvogel über die österreichische Seite gesperrt. Wer das Drama unbedingt selbst begutachten möchte, muss sich von Deutschland aus aufmachen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.