Ameisen: Gleiche Mutter und doch unterschiedliche Arten

Eine in Europa weitverbreitete Ameisenart bricht mit einem grundlegenden Prinzip der Biologie: Ihre Königinnen können männliche Nachkommen zeugen, die einer völlig anderen Art angehören. Die Königinnen der Iberischen Ernteameise (Messor ibericus) sind sexuelle Parasiten, die auf das Sperma von Männchen der Ameisenart Messor structor angewiesen sind. Sie nutzen dieses Sperma, um eine Armada robuster Arbeiter zu erzeugen, die dann Hybriden beider Arten sind.
M.-ibericus-Königinnen können in Abwesenheit nahegelegener M.-structor-Kolonien sogar männliche Ameisen dieser Spezies klonen, indem sie Eier legen, deren Zellkerne ausschließlich DNA von M. structor enthalten. Das berichtet ein Team um Jonathan Romiguier von der Universität Montpellier in »Nature«. »Das ist eine absolut fantastische und bizarre Geschichte der Biologie, die Dinge ermöglicht, die fast unvorstellbar erscheinen«, sagt Jacobus Boomsma, Evolutionsbiologe an der Universität Kopenhagen, der nicht an der Studie beteiligt war.
In vielen Teilen Europas leben Iberische Ernteameisen gemeinsam mit M. structor, was den M.-ibericus-Königinnen historisch eine reichliche Versorgung mit den artfremden Männchen zum Paaren bot. Doch Romiguier und seine Arbeitsgruppe bemerkten etwas Seltsames auf der italienischen Insel Sizilien: Sie fanden überall Iberische Ernteameisen, aber keine einzige Kolonie von M. structor, über die frische Männchen für die Paarung hätten kommen können.
Als die Forscher die Kolonien der Iberischen Ernteameise untersuchten, entdeckten sie zwei sehr unterschiedlich aussehende Ameisentypen. Genetische Analysen bestätigten, dass die Kolonien sowohl Individuen von M. ibericus als auch von M. structor enthielten – obwohl es Letztere hier mangels Populationen gar nicht geben sollte.
Doch die Königinnen der Iberischen Ernteameise klonen M.-structor-Ameisen, um eine konstante Versorgung mit deren Sperma sicherzustellen. Sie paaren sich dann mit diesen geklonten Männchen, um hybride Arbeiter zu erzeugen, die sich um die Kolonie kümmern – etwa beim Nestbau und der Nahrungssuche. Effektiv habe M. ibericus die verwandte Spezies und deren Genom im Lauf ihrer gemeinsamen Geschichte domestiziert, sagt Romiguier.
Die beiden Arten trennten sich vor über fünf Millionen Jahren – es sei also erstaunlich, dass eine Art die andere hervorbringen könne, so Romiguier. »Das ist ungefähr so lange her wie die Trennung von Mensch und Schimpanse.« Dennoch hat sich diese Beziehung über diese lange Zeit nicht nur erhalten, die Klone und hybriden Arbeiter haben sich vielmehr weit über das Überlappungsgebiet beider Arten ausgebreitet. Beide Spezies kommen gemeinsam in Teilen Frankreichs, der Schweiz und Norditaliens vor, doch M. ibericus besiedelt darüber hinaus fast ganz Südeuropa und auch Regionen Südwestdeutschlands, ohne dass sie dort auf Kolonien von M. structor zur Paarung zurückgreifen könnte.
Setzt man allerdings die von M. ibericus geklonten M.-structor-Ameisen in eine normale Kolonie von M. structor, dann werden die Klone getötet, obwohl sie nahezu identisch aussehen. Die Klone tragen die Pheromone ihrer iberischen Verwandten und werden daher als Feinde behandelt, erklärt Romiguier. Ein weiterer Unterschied: Obwohl die Klone nur M.-structor-DNA in ihren Zellkernen tragen, enthalten ihre Mitochondrien – die Energiezentren der Zellen – DNA von M. ibericus.
Eine erfolgreiche Partnerschaft?
Romiguier meint, die Domestizierung des M.-structor-Genoms erinnere an die vorteilhafte Partnerschaft, die zur Entstehung der Mitochondrien in eukaryotischen Zellen vor über einer Milliarde Jahren führte – nachdem eine primitive Wirtszelle ein Bakterium aufgenommen hatte. Heute besitzen Eukaryoten zwei unterschiedliche Genome in ihren Zellen: eines im Zellkern und eines in den Mitochondrien. Jacobus Boomsma glaubt jedoch nicht, dass die seltene sexuelle Parasitismusstrategie von M. ibericus evolutionär annähernd so erfolgreich sein wird wie die mitochondriale Symbiose.
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