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Südamerika: »Die Ersten, die hier ankamen, stammten aus Afrika«

Seit den 1970er Jahren rüttelt Niède Guidon im Nordosten Brasiliens am Lehrgebäude der Anthropologie. Mit ihren Funden im Nationalpark Serra da Capivara stützt sie ihre These, die ersten Siedler seien schon vor 100 000 Jahren aus Afrika gekommen, nicht erst vor 13 000 aus Sibirien. Die 1933 geborene Grande Dame der Archäologie spricht in ihrem Haus in São Raimundo Nonato über Felsmalereien, versteinerte Fäkalien, korrupte Politiker und einen Flughafen ohne Flugzeuge.
Malereien an der Serra da Capivara

Über dem Tor zum Haus von Niède Guidon hängt ein Ausspruch von Dante: Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet. Erst vor Kurzem hat die 1933 geborene Archäologin ein weiteres Schild dazuhängen lassen: Ich bin die Hoffnung. Und wenn man auf die Gegend im Süden des Bundesstaats Piauí blickt, ist da sicherlich was dran. Seit mehr als 40 Jahren forscht die Franko-Brasilianerin hier. Auf ihr Drängen entstand der Nationalpark Serra da Capivara, der später zum Weltkulturerbe wurde. An Felsüberhängen und in Höhlen haben Ureinwohner dort in prähistorischer Zeit eine gewaltige Kunstgalerie geschaffen. Hunderte Fundstätten, zehntausende Motive in Rot, Ocker, Weiß und Schwarz auf helle Steinwände gemalt. Kaum einen anderen Ort gibt es auf der Welt mit einer größeren Dichte solcher Felsmalereien.

Die Bilder erzählen vom Leben der Künstler. Sie zeigen die Fauna der Region vom Gürteltier bis zum Jaguar, aber vor allem zeigen sie Menschen. Diese stehlen Honig, jagen und fischen, sie kämpfen und feiern Rituale, sie küssen, lieben und gebären. Viele sind Strichfiguren und bis auf den Federschmuck offensichtlich nackt, weil ihr erigierter Penis sie als Männer ausweist. Andere tragen breite Umhänge und einen Kopfputz, der an einen Helm erinnert. Akrobatisch wirkende Massenszenen, bei denen die Figuren der oberen Reihe kopfüber auf den Armen der unteren zu stehen scheinen, sind womöglich Kreistänze, bei denen der Künstler das Problem der Perspektive anders gelöst hat als in der europäischen Kunsttradition üblich.

6000 bis 12 000 Jahre seien die Zeichnungen alt, einzelne vielleicht sogar 14 000 Jahre, erklärt Guidon. Damit entstanden sie, schon kurz nachdem der Mensch aus Sibirien kommend in Amerika eingetroffen war – zumindest würden es die meisten ihrer Fachkollegen so auffassen. Für Niède Guidon liegen die Dinge hingegen anders. Sie hat viele archäologische Funde zusammengetragen, die laut ihrer Analyse ganz und gar nicht zu der bisherigen Lehrbuchmeinung passen. Verlief die amerikanische Besiedlungsgeschichte völlig anders als gedacht? Die Antwort auf diese Frage steht noch aus. Vielleicht findet sie sich eines Tages sogar in der Serra da Capivara selbst.

Um die außergewöhnliche Stätte zu schützen, setzt die alte Dame auf den Tourismus. Doch bisher finden nur wenige Besucher den Weg in den Park. Zuletzt sanken die Zahlen sogar von 20 000 auf 16 000 pro Jahr, weil selbst die Brasilianer wegen der Wirtschaftskrise im Land seltener kommen.

Niède Guidon | Die 1933 geborene brasilianische Archäologin liegt mit ihrer Sicht auf die Besiedlung Amerikas über Kreuz mit zahlreichen Fachkollegen. Doch ihre Verdienste um die Erforschung des prähistorischen Südamerikas sind unbestritten.

Frau Guidon, Sie waren Professorin in Paris, Sie hätten also an der Seine wohnen können, wenn Sie nicht zu Ausgrabungen im Feld waren. Oder dorthin zurückkehren, als Sie pensioniert wurden. Stattdessen leben Sie seit Jahrzehnten in diesem Nest in der brasilianischen Provinz, São Raimundo Nonato im Bundesstaat Piauí. Was hält Sie hier?

Es gibt hier die faszinierendsten Wandgemälde in den Amerikas und Spuren einer Besiedlung durch Menschen, die viel älter ist als alles, was wir vorher kannten. Und dann diese Landschaft! Oben auf den Hügeln gibt es Reste des Amazonas-Regenwaldes, unten in den Tälern noch »mata atlantica«, also die Vegetation des atlantischen Küstenwaldes. Wenn wir hier nachts bei einer Ausgrabung in den Himmel blickten, funkelten die Sterne. Morgens sahen wir die Hirsche und Gürteltiere beim Frühstück. Und ein Jaguar kam immer wieder zum Trinken ans Wasserloch. Wenn ich auch dort war, lief er herbei und sagte mir guten Morgen.

Das ist nicht Ihr Ernst.

Aber natürlich, haben Sie denn das Foto von meinem Jaguar nicht gesehen? Bei der Liebe Gottes! Guidon lacht, denn »amigo da onça«, wörtlich übersetzt Freund des Jaguars, bedeutet in Brasilien so etwas wie Schlawiner oder falscher Freund.] Es war ein gefleckter Jaguar, wunderschön. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich bin hier wegen des Nationalparks, der zugleich Weltkulturerbe ist, wegen der archäologischen Funde und der Wandmalereien. Irgendjemand muss das doch beschützen.

Diese Wandmalereien haben Sie für die Wissenschaft entdeckt und erschlossen. Wie kam es dazu?

Mitte 1963 sprach mich in São Paulo ein Mann aus Piauí an und zeigte mir Fotos von den Malereien. Er hielt sie für Zeichnungen der Einheimischen, von denen es damals dort noch einige gab. Ich hatte solche Kunstwerke früher Menschen in Frankreich studiert, und dort hieß es, in den Amerikas gäbe es höchstens Kritzeleien auf dem Niveau von Kinderzeichnungen. Aber das auf den Fotos, das war anders: Die Malereien hatten eine andere Perspektive, andere Techniken, Farben und Elemente. Ich wollte sie unbedingt selbst sehen.

Von São Paulo hierher, das sind mehr als 2000 Kilometer.

Deswegen dauerte es auch eine Weile. Im Dezember 1963 setzte ich mich in mein Auto und fuhr los. Aber eine Brücke über den Rio São Francisco war zusammengebrochen, ich kam nicht weiter. 1964 übernahm dann das Militär die Macht in Brasilien, und ich musste in die Emigration nach Frankreich. Die Malereien blieben mir im Kopf.

Wann haben Sie die Felskunst zum ersten Mal selbst gesehen?

1970 war ich mit einem französischen Projekt in Goiás, das ist der Nachbarstaat, und am Ende fuhr ich hierher. Ich sprach mit den Einheimischen, und sie zeigten mir fünf Felswände mit Malereien, die in der Nähe der Straße lagen. Ich habe Fotos gemacht, sie mit nach Frankreich genommen und mir dann dort Geld für ein richtiges Projekt besorgt. Als ich zu einer genaueren Untersuchung zurückkam, gingen wir mit den Jägern los, die kannten noch viel mehr Malereien. Vor unserem Projekt waren hier überhaupt keine Forscher gewesen, niemand wusste etwas über Ökologie oder Geschichte dieser Gegend. Das mussten wir Mitte der 1970er Jahre auch erst organisieren. Seitdem gibt es hier eine permanente französische archäologische Mission, die ich viele Jahre geleitet habe. Heute kennen wir insgesamt 950 Wände mit Malereien, dazu noch hunderte archäologische Fundstellen, Siedlungen und Grabstätten.

Zeugen uralter Besiedlung? | Hunderte Felswände der Serra da Capivara sind mit Malereien verziert – hier ein Ausschnitt der Pedra Furada, eines einprägsamen Felsbogens. 1991 wurde der Nationalpark von der UNESCO zum Welterbe der Menschheit erklärt.

Sie sind unter Anthropologen berühmt, oder je nach Sichtweise auch berüchtigt, weil Sie eine Theorie angezweifelt haben, die in Fachkreisen lange Zeit als bestens belegt galt. Demnach sollen die ersten Menschen, die amerikanischen Boden betraten, aus Sibirien gekommen sein. Über die trockengefallene Beringstraße gelangten sie bis nach Alaska – aber nicht weiter, weil Gletscher den Weg versperrten. Erst vor ungefähr 13 000 bis 15 000 Jahren sei dann auch der Rest des Doppelkontinents besiedelt worden, durch Angehörige der so genannten Clovis-Kultur. Wieso glauben Sie, dass andere noch früher kamen?

Wir haben hier 1973 mit Ausgrabungen angefangen und fanden bald sehr interessante Steinfragmente. Sie waren hervorragend bearbeitet, die Macher hatten eine gute Technik. In der Nähe gab es auch Feuerstellen. Ich habe dann Proben der Holzkohle entnommen und nach Paris zum Datieren geschickt. Die ersten Altersbestimmungen waren eine große Überraschung: 16 000 Jahre, 18 000 Jahre. Ich habe mit der Chefin des Labors gesprochen und gesagt: Ihr müsst einen Fehler gemacht oder die Proben vertauscht haben. Es ist unmöglich, dass irgendein menschliches Artefakt in Lateinamerika so alt ist. Und sie hat geantwortet: »Nein, nein, das waren eure Proben. Fahrt zurück und macht euch an die Arbeit.«

Könnten solche Feuerstellen durch Zufälle in der Natur entstanden sein?

Nein, bestimmt nicht, sie waren von Menschen arrangiert worden. Sie hatten die typische Struktur. Außen herum große Brocken Fels, und in der Mitte brannte das Feuer. Und es blieb nicht bei den ersten Funden. Bei der Pedra Furada, unter den Malereien bei der berühmten Felswand mit dem Loch, haben wir zehn Jahre lang gegraben. Das ist die französische Arbeitsweise: immer weiter bis zum Fels ganz unten. Auch wenn man keine weiteren menschlichen Artefakte findet, will man doch alles über den Fundort wissen, was man wissen kann. Es waren also zehn Jahre bis zum Boden, und die älteste Datierung betrug schließlich 110 000 Jahre.

War das auch Holzkohle?

Nein, in der Holzkohle ist nach 58 000 Jahren nicht mehr genug C-14 für eine Datierung vorhanden. Aber es gibt ein Verfahren, um die Steine der Feuerstelle zu datieren: Die Thermolumineszenz erfasst, wann das Material zum letzten Mal erhitzt wurde.

Und dieser Stein gehörte zur Feuerstelle und konnte nicht von irgendwo heruntergefallen sein?

Nein, er gehörte zum Rand, wo die Steine ungefähr in einem Kreis hingelegt worden waren.

Haben Sie denn auch Knochen von Menschen gefunden?

Ja, einen Kiefer und Zähne. Außerdem versteinerte Fäkalien. Die haben wir zu einem Labor in Rio de Janeiro geschickt, das auf die tropischen Krankheiten in Brasilien spezialisiert ist. Dort fand man Erreger einer Tropenkrankheit, die aus Afrika stammt. In der ganzen Geschichte Brasiliens hatte man immer gesagt, die Sklaven in der Kolonialzeit hätten diese Wurmerkrankung mitgebracht. Aber die Funde von der Pedra Furada wurden auf 8000 Jahre vor unserer Zeit datiert. Also sind die Erreger schon mit den ersten Menschen hier eingetroffen, die aus Afrika stammten.

»Durchbohrter Fels« | Zu Füßen der Felswand Pedra furada in der Serra da Capivara fanden Forscher um Niède Guidon Hinweise darauf, dass bereits Jahrtausende früher als gedacht Menschen Amerika besiedelt haben könnten.

Aber wenn es »nur« 8000 Jahre sind, dann könnten die Erreger doch auch auf dem Weg über die Beringstraße und dann die Pazifikküste hinunter mit den Einwanderern aus Asien gekommen sein.

Nein, dieser Erreger muss direkt aus Afrika gekommen sein. Es ist eine Tropenkrankheit, die kann unmöglich Menschen in Beringia befallen haben oder von ihnen weitergegeben worden sein. Wir hatten also nach unserer Arbeit sehr viele Daten, die bewiesen haben: Die ersten Menschen, die hier ankamen, stammten aus Afrika.

Zumindest legen Ihre Daten nahe, dass die ersten Siedler nicht erst vor 13 000 Jahren von Sibirien und über Alaska eingewandert sind. Aber Ihre Kollegen in Nordamerika glauben das nicht. Viele debattieren nur noch, ob die »ältesten Amerikaner« denn von Alaska aus über Land durch eine Lücke im Eisschild marschiert oder per Boot an der Pazifikküste entlang nach Süden gekommen sind.

Das ist vorbei.

Dann haben Sie gewonnen?

Guidon steht auf und holt einen Artikel vom Schreibtisch, er stammt aus einem Fachmagazin des Center for the Study of the first Americans an der Texas A&M University. Sehen Sie hier in der »Mammoth Trumpet«: Dort steht, es gibt nichts anderes, was mit der Serra di Capivara vergleichbar ist. Wir haben keine Probleme mehr mit der Clovis-First-Theorie. Andere Forscher haben vor einem Jahr eine Fundstelle in den USA entdeckt, die 130 000 Jahre alt ist. In den USA! Jetzt ist der älteste Fundort in den Amerikas wirklich in den Vereinigten Staaten, aber es sind 130 000 und nicht 13 000 Jahre. In Chile, in Monte Verde, haben sie Fundstücke mit einer Datierung von 125 000 Jahren. In Uruguay gibt es Artefakte von 70 000 Jahren, und offenbar haben sie nun auch in Patagonien vieles gefunden. Da sind die Leute vielleicht über den Pazifik gekommen, an anderen Stellen aus Sibirien und hier aus Afrika. Es gab vermutlich mehrere Wellen der Besiedlung.

Diese Datierungen sind heftig umstritten. Auch Eric Boëda, Ihr Nachfolger bei der permanenten französischen Mission, ist da etwas vorsichtiger und sagt, vieles an den Thesen zu der sehr frühen Besiedlung müsse noch genauer belegt werden. Aber er beklagt auch, dass mit zweierlei Maß gemessen werde: In Amerika würden viel höhere Kriterien angelegt, damit ein Fund als ein menschliches Artefakt gilt, als in anderen Regionen.

Ja, das stimmt sicherlich. Und natürlich müssen wir auch weitersuchen, das ist doch spannend. Ein Beispiel: Im Nachbarpark, der Serra das Confusões, gibt es Ritzungen auf dem Felsboden. Ich hatte die ersten gesehen, inzwischen fand Boëda viel mehr, ein ganzer Boden war bedeckt davon. Wunderschön. Darum arbeite ich hier so gern, weil man hier ständig neue Sachen findet.

Gehen Sie denn noch selbst raus ins Feld?

Nein, das kann ich nicht mehr, ich habe Chikungunya. Boëda und Leute von der Universität des Valle de São Francisco machen die Arbeit. Sie kommen hier mit ihren fortgeschrittenen Studenten her. Es ist sehr wichtig, dass die jungen Leute mithelfen und die Arbeit weitergeht.

Haben Sie Hinweise, wo man vielleicht Skelette finden könnte, die älter sind als sagen wir 20 000 Jahre? Das würde die Debatte doch beenden.

Die ältesten Knochen, die wir hier gefunden haben, haben ein Alter von 14 000 Jahren. Das ist jedenfalls schon mal mehr als 13 000. Die Anthropologen, die die Funde analysieren, sagen, die hätten afrikanische Charakteristika, nicht asiatische.

Könnte man DNA-Tests an den Ureinwohnern hier machen?

Es gibt ja kaum noch welche. In vielen Teilen Brasiliens haben die Weißen alle Indios ausgerottet. Aber als ich zum ersten Mal herkam, gab es hier auf dem Gebiet, das heute der Nationalpark ist, noch welche. Sie lebten vollkommen isoliert und sahen ganz anders aus als die übrig gebliebenen in anderen Teilen Brasiliens. Diese haben Charakteristika heutiger Asiaten, ihre Haut ist gelblich, und ihre Augen sind eher mandelförmig. Bei den Indios hier aber war die Haut dunkelbraun und das Haar schwarz, aber glatt, also nicht ganz so wie bei den Afrikanern. Das hat mich sehr beeindruckt, diese Leute mussten von Vorfahren aus Afrika abstammen.

Hoffnung auf Ökotouristen | Die Serra da Capivara könnte behutsamen Tourismus vertragen, meint Guidon. Der Nationalpark könnte Menschen anziehen, die an Natur und Geschichte interessiert sind. Doch die Anreise bleibt beschwerlich.

Sie haben am Anfang gesagt, irgendjemand müsse die Gegend hier beschützen. Sind Sie das? Und wie soll das gehen?

Wir haben damals, Ende der 1970er Jahre, einen Bericht für die brasilianische Regierung gemacht und nach Brasilia geschickt. Wir haben sie gebeten, die Region zu schützen, weil viele Leute den Wald abgeholzt oder niedergebrannt haben. So entstand der Nationalpark Serra da Capivara. Aber die Regierung hat sich dann überhaupt nicht gekümmert, und die Jäger und Holzfäller sagten: Das gehört der Regierung, dann können wir uns ja bedienen.

Also haben Sie es selbst gemacht?

Wir haben mit einigen der Forscher, die hier arbeiteten, die Stiftung FUMDHAM für das Museum des amerikanischen Menschens gegründet. Guidons Haus steht direkt neben dem Museum auf dem Gelände des Nationalparks. Eine Kollegin kannte zudem den Direktor der Interamerican Development Bank. So entstand ein Gutachten für die Regierung: Die Gegend taugt nicht für die Landwirtschaft, hat aber ein großes Potenzial als Touristenattraktion. Die Bank hat auch Geld gegeben für die ersten Straßen und andere Infrastruktur.

Wann wurde der Nationalpark zum Weltkulturerbe?

Das war Anfang der 1990er Jahre. Die brasilianische Regierung hat damals Frankreich gebeten, mich auszuleihen, und so kam ich nach São Raimundo Nonato. Aber ich verstand ja nichts von der Verwaltung und den Aufgaben, darum habe ich mir andere Welterbestätten in Australien, Neuseeland, China, Russland, Kanada und den USA angesehen. Sie hatten jeweils drei bis fünf Millionen Besucher pro Jahr.

Hierher kommen 16 000 Besucher im Jahr. Wenn die Touristen in die Millionen gehen, werden die hier nicht alles platt trampeln?

Nein, das sind Leute, die wollen hier das Erbe der Menschheit ansehen. Das sind nicht die, die zum Karneval nach Rio kommen, in billigen Hotels leben und viel Ärger machen. Für unsere Touristen brauchen wir gute Restaurants und Hotels. Keine großen Bauwerke, sondern verteilte Anlagen wie in Frankreich, mit einem zentralen Gebäude und kleinen Häusern für zwei oder vier Gäste in der Natur verstreut, für die man den Wald nicht abholzen muss. Und wir brauchen einen Flughafen. Doch hier tat die Regierung nichts, und sie tut bis heute nichts.

Einen modernen Flughafen haben Sie hier jetzt aber. Es landen nur keine Flugzeuge dort.

Das war ein Kampf. Vor fast 20 Jahren hat die Regierung in Brasilia 15 Millionen Reals bewilligt. Das war erstens viel zu wenig, zweitens sollte es der Bundesstaat Piauí verwalten. Der Gouverneur sagte jedoch: »Nein, ein Flughafen, das ist nur was für die Reichen. Ich baue Straßen.« Tatsächlich hat er nicht einmal das getan, sondern das Geld für seinen Wahlkampf genommen. Dann gab es noch mal Geld, und sie bauten eine Landebahn nur aus Asphalt. Aber für einen internationalen Flughafen musste die Piste ein Fundament aus Beton haben. Und 1000 Meter zu kurz war sie außerdem.

Ist das Problem jetzt behoben?

Ich war jeden Tag auf der Baustelle. Doch leider kommen bis heute keine Flugzeuge, weil es keine vernünftigen Hotels in der Stadt gibt. Wir verhandeln jetzt, damit die Regierung den Ticketpreis der Fluggesellschaften bezuschusst. Und die Stiftung FUMDHAM hat schon die besten Grundstücke in der Gegend für Hotels gekauft und redet mit Investoren aus São Paulo.

Die wollen hier ihren Profit machen.

Natürlich wollen sie Geld verdienen. Aber das bringt Jobs, und die Region entwickelt sich. Das genau braucht die Gegend hier: Unternehmer, die investieren.

Wie erklären Sie sich die Gleichgültigkeit der einheimischen Bevölkerung und die mangelnde Unterstützung für Ihre Ideen?

Die meisten denken leider, das wichtigste Ding auf der Welt sei der Mensch. Da heißt es dann: Gott hat uns die Erde übergeben mit allen Tieren und Pflanzen. In Wirklichkeit ist es aber so: Religiöse Macht und zivile Macht, das ist der Gesellschaft alles verloren gegangen, es zählt nur Geld.

Ein Professor, der die Vegetation hier erforscht, hat etwas über Sie erzählt. Er war sehr ärgerlich, dass die brasilianische Regierung Sie wie einen Feind behandelt und nicht wie die Heldin, die Sie sind.

Oh, ich mag es sehr, eine Feindin der Regierung zu sein. Ich möchte mit diesen Leuten nicht befreundet sein. Sie nehmen dem brasilianischen Volk das Geld weg und arbeiten schlecht. Sie sehen es doch jeden Tag in den Nachrichten: wieder ein Minister verhaftet. Darum freue ich mich schon sehr darauf, am 30. Dezember dieses Jahres Brasilien endgültig den Rücken zu kehren und nach Frankreich zu gehen.

Bringen Sie es wirklich übers Herz, den Nationalpark zu verlassen? Ihre Freunde sagen, Sie hätten schon oft gedroht, wegzugehen, und würden es auch diesmal nicht machen.

Natürlich gehe ich weg. Ich kann in diesem Land nicht mehr leben.

Eine letzte Frage: Was erwarten Sie sich davon, wenn Sie mit Journalisten sprechen?

Ich hoffe, dass auf diesem Umweg die brasilianische Regierung versteht, was die Serra da Capivara bedeutet.

Anmerkung: Die Reisekosten für diese Recherche wurden zum Teil vom Bundesstaat Piauí übernommen, in der der Nationalpark Serra da Capivara liegt.

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