Georg Forster: Der Mann, der Deutschland nach Tahiti mitnahm

Um vier Uhr nachmittags erblickten sie den Leuchtturm von Eddystone und die Küste von Devon. »Es war dieselbe Küste, die wir im Anfange der Reise zuletzt gesehen hatten«, schreibt der junge, gerade mal 20-jährige Weltumsegler Georg Forster. Endlich, am folgenden Morgen des 30. Juli 1775, nach mehr als drei Jahren, betraten sie beim südenglischen Portsmouth in Hampshire wieder britischen Boden. »Wir hatten in diesem Zeitraum eine größere Anzahl Meilen zurückgelegt, als je ein andres Schiff vor uns« und »unzählige Gefahren und Mühseligkeiten überstanden«, berichtet Forster stolz. Auch wenn sie nicht das gefunden, wonach sie gesucht hatten, so war doch ihr »Hauptentzweck«, wie Forster schreibt, erfüllt.
Genau 1111 Tage zuvor, am 13. Juli 1772, war der berühmte James Cook (1728–1779) zu seiner zweiten großen Entdeckungsfahrt aufgebrochen. Vordergründig war der »Hauptzweck« die wissenschaftliche Erkundung und Kartografierung der pazifischen Inselwelt Polynesiens. Entsprechend besuchten sie auf ihrer Reise 50 Inseln mit einem Dutzend unterschiedlicher pazifischer Ethnien und katalogisierten mehr als 600 bis dahin in Europa unbekannte Pflanzen- und Tierarten. Doch schon bei Cooks erster Fahrt hatte es einen geheimen Zusatzauftrag gegeben: die Suche nach dem sagenumwobenen Südkontinent, der Terra australis incognita. Auch bei der zweiten Reise war dies das eigentliche Ziel. Hintergrund waren politische Machtinteressen. Die Seemacht Großbritannien versuchte, im Pazifik ein Gegengewicht zum spanischen Weltreich zu etablieren, das sich von Kalifornien bis zur Südspitze Südamerikas und über die Philippinen erstreckte.
Obwohl die Ausführung dieser geheimen Befehle die Mannschaft immer wieder in die lebensfeindliche Antarktis brachte, genoss Cook an Bord hohes Vertrauen. Viele der Seeleute und Offiziere waren mit ihm bereits zuvor um die Welt gesegelt. Zudem galt er immer noch als einer von ihnen – als jemand, der das Seefahrerhandwerk »vor dem Mast«, also von der Pike auf, gelernt hatte. Cook entstammte einer Familie von Tagelöhnern und hatte sich durch Fleiß und als Autodidakt vom Schiffsjungen nach oben gearbeitet. Er aß mit der Mannschaft und achtete auf deren Stimmung und Gesundheit. Insbesondere mit seinen strengen Ernährungsvorschriften, die vor allem aus dem Verzehr von vitaminhaltigem Sauerkraut bestanden, das tonnenweise an Bord war, erreichte er, dass keiner seiner Untergegebenen an Skorbut starb, der gefürchteten »Pest der Meere«.
Ein Finanzier mit Anspruchsdenken
Diese Diät hatte Cook bereits auf seiner ersten Weltumsegelung (1768–1771) erfolgreich erprobt. Mit dabei war damals auch der junge Joseph Banks, ein Botaniker, der die Fahrt mit erheblichen Geldmitteln gefördert hatte. Der vermögende Adlige hatte ungefähr denselben Betrag in die Reise gesteckt wie die englische Krone. Eigentlich war geplant, dass er nun auch die zweite Fahrt wissenschaftlich begleiten sollte. Doch den Komfort und den Platz, den er für sich und seine Entourage aus Dienern und Begleitern erwartete, sprengte nach Meinung Cooks den Rahmen des Machbaren. Entsprechende Aufbauten hätten die Seetauglichkeit des Schiffes beeinträchtigt. Und stattdessen gleich ein größeres Schiff zu nehmen, komme ebenfalls nicht in Frage, ließ Cook die Admiralität wissen: Ein größerer Tiefgang mache die Fahrt innerhalb der pazifischen Inselwelt unmöglich.
So kam es, dass der reiche Botaniker wutentbrannt hinschmiss und die Organisatoren auf die Schnelle Ersatz beschaffen mussten. Da kam es wie gerufen, dass ein sonderbarer Preuße mit englischen Wurzeln seit einiger Zeit eine Möglichkeit suchte, seine naturwissenschaftlichen Studien voranzutreiben. Johann Reinhold Forster (1729–1798) hatte sich bereits Lorbeeren als Naturforscher bei einer sechsmonatigen Reise in die russische Wolgaregion verdient. Mit guten Referenzen, aber finanziell sehr bescheidenen Mitteln war er direkt im Anschluss von St. Petersburg über die Ostsee nach London gereist. Seine Frau und die sechs kleinen Kinder, die bereits seit über einem Jahr in der Nähe von Danzig auf ihn warteten, ließ er mittellos links liegen. Nur seinen Ältesten, den »Wunderknaben« Georg, der ihm auch schon als Zehnjähriger auf seiner 4000 Kilometer langen Wolgareise unterstützt hatte, nahm er mit.
Georg Forster war 1754 in der Nähe des Dorfes Nassenhuben in Preußisch-Polen auf die Welt gekommen, nur zehn Kilometer von Danzig entfernt. Schon früh lernte er lesen, indem er die Buchrücken im Studierzimmer seines Vaters entzifferte, der als Pastor arbeitete. Später schrieb sein Vater, dass er durch seinen Sohn Naturforscher geworden sei. Denn, so zitiert ihn der 2020 verstorbene Germanist Ludwig Uhlig, dieser habe ihn »immer nach den Namen der Blumen, Vögel, Fische und Insekten gefragt«.
Georg Forster blieb zeitlebens Autodidakt, nur zweimal drückte er für einige Monate die Schulbank. Auf der Reise nach England lernte er selbstständig die Sprache seiner Vorfahren, die rund 120 Jahre zuvor nach Preußen ausgewandert waren. In London übersetzte er ganze Bücher vom Russischen und auch Französischen ins Englische. Unter anderem das gerade erst erschienene Werk »Reise um die Welt« des Weltumseglers Louis Antoine de Bougainville. Der Franzose beschreibt darin wissenschaftlich sachlich, aber im literarischen Stil die Südsee und löste damit im Zeitalter der Aufklärung eine Faszination für die Region aus.
Es soll diese Übersetzung gewesen sein, die die britische Admiralität überhaupt erst auf die Forster aufmerksam werden ließ. Papa Forster, Anfang 40, zögerte nicht lange und stellte lediglich die Bedingung, seinen bald 18-jährigen Sohn mitnehmen zu dürfen. Die Forster gab es nur im Doppelpack: Während der Vater eher der Zoologie zugeneigt war, interessierte sich Georg mehr für Botanik. Dabei verkaufte der strenge und jähzornige Vater die Arbeit seines minderjährigen, hochbegabten Sohnes oft als seine eigene.
James Cooks »Resolution« und die »Adventure« starten ins Ungewisse
Zwei Schiffe, die »Resolution« und das Versorgungsschiff »Adventure«, mit zusammen 200 Mann Besatzung wurden ausgerüstet; außer den Forster gingen auch zwei Astronomen und ein Landschaftsmaler an Bord. Vater und Sohn bekamen nur eine kleine, vier Quadratmeter große Kammer angewiesen: »Wo ein Bett, ein Kasten und ein Schreibtisch nur eben noch Platz für einen Feldstuhl« ließen, schreibt Georg. Mehr als drei Jahre lang würden sich Vater und Sohn diesen winzigen Raum teilen.
Am 13. Juli 1772 waren die Vorbereitungen abgeschlossen und die Bedingungen günstig: Die beiden Schiffe verließen das südenglische Plymouth und machten sich auf eine Reise ins Ungewisse. Manche Historiker, wie etwa der Autor und Regisseur Frank Vorpahl in seinem 2018 erschienen Buch »Der Welterkunder«, vergleichen das, was sich in den nun folgenden drei Jahren abspielen sollte, aufgrund seiner Einzigartigkeit gar mit einer Reise ins All.
»Ein Morgen war's, schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an welchem wir die Insel O-tahiti sahen«Georg Forster
Über den Atlantik ging es zunächst Richtung Südafrika. Von dort aus drangen die beiden Schiffe in den südlichen Indischen Ozean vor, dann weiter in den Südpazifik.
Auf der Suche nach dem Südkontinent stießen Cook und seine Besatzungen als wahrscheinlich erste Menschen überhaupt in der Weltgeschichte über den Südpolarkreis vor – und das sogar gleich dreimal im Verlauf der Reise. Den ersten Abstecher machten sie zunächst noch vom Indischen Ozean aus, wo sie am 13. Januar 1773 den Polarkreis querten. Die beiden anderen Male erfolgten erst ein Jahr später im darauffolgenden antarktischen Sommer. Jedes Mal fanden sie statt eines bewohnbaren Landes nur eisige Kälte. Packeis und Nebel bedrohten die Schiffe und setzten den Menschen an Bord zu.
Als Captain Cook schließlich Tahiti ansteuern ließ, konnte der Kontrast zu den Strapazen des antarktischen Ozeans größer kaum sein. Die Insel von der Größe Rügens war erst wenige Jahre zuvor durch einen anderen britischen Seefahrer entdeckt und kurz danach von Louis-Antoine de Bougainville besucht worden. Der Franzose beschrieb die Insel in dem von Forster übersetzten Reisebericht als »La Nouvelle Cythère«, die Liebesinsel der Aphrodite. »Ein Morgen war's, schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an welchem wir die Insel O-tahiti sahen«, schreibt Georg Forster.
Doch die Exotik und auch Erotik hatte ihre Schattenseiten. Denn wie auf anderen Inseln Polynesiens kam es zu Übergriffen, freiwilliger und erzwungener Prostitution und Missverständnissen. »Es ist Unglücks genug, dass alle unsere Entdeckungen so viel unschuldigen Menschen haben das Leben kosten müssen«, schreibt der junge Foster. Doch noch gravierendere Folgen werde der »Umsturz der sittlichen Grundsätze« für die indigenen Gemeinschaften haben. »Wahrlich! wenn die Wissenschaft und Gelehrsamkeit einzelner Menschen auf Kosten der Glückseligkeit ganzer Nationen erkauft werden muss; so wär' es für die Entdecker und Entdeckten besser, dass die Südsee den unruhigen Europäern ewig unbekannt geblieben wäre«, erklärt Forster.
Die Forster sammeln Erkenntnisse, Eindrücke und Gegner
Auch und gerade für diese indigenen Gemeinschaften interessierte sich Forster. Er machte erste ethnografische Studien der Lebensverhältnisse der Indigenen, lernte einzelne Wörter ihrer Sprachen, sammelte Kunsthandwerk, Waffen, Schmuck und Stoffe. Während Cook auf seiner Fahrt vor allem die besuchten Eilande kartografierte, versuchten die Forster, wo es ging, auf Landgängen die Tier- und Pflanzenwelt zu erkunden. Immer wieder kam es dabei auch zum Streit mit Vater Forster, der mehr Zeit forderte oder von der Mannschaft verlangte, ihm ihre eigenen Funde auszuhändigen. Wie sehr es sich Johann Reinhold Forster dabei mit seinen Mitreisenden verscherzte, zeigt die spätere Aussage eines Crewmitglieds: Der ältere Forster sei ein »tückisches, ignorantes, böswilliges, hinterlistiges, übellauniges, erbärmliches, arrogantes, verleumderisches, lügnerisches, gieriges, schuftiges und scheußliches Großmaul«.
Nachdem Cook sicher war, hinreichend viele Belege gegen die Existenz eines bewohnbaren Südkontinents gesammelt zu haben, nahm er über Feuerland und die Südspitze Amerikas wieder Kurs auf England. Kurz vor der Ankunft ließ er alle Aufzeichnungen und Tagebücher der Mannschaft und Offiziere einsammeln. Denn er plante, eine eigene Schilderung zu veröffentlichen und wollte deren Exklusivität sicherstellen. Hieraus sollte sich zurück in der Heimat noch ein Rechtsstreit mit Vater Forster ergeben, denn man wollte dem Preußen verbieten, mehr als nur eine Aufzählung der naturwissenschaftlichen Funde zu erstellen. Da der Vertrag mit der Admiralität aber nur Johann Reinhold Forster benannte, entschieden Vater und Sohn, dass der junge Georg mithilfe der Tagebücher und Aufzeichnungen seines Vaters eine »philosophische Geschichte der Reise« schreiben würde. Der Titel sollte lauten: »Dr. Johann Reinhold Forster’s Reise um die Welt. Beschrieben und herausgegeben von dessen Sohn und Reisegefährten Georg Forster«.
Die jungen Humboldt waren wie elektrisiert. Alexander nennt Forster den »hellsten Stern seiner Jugend«
Doch Forster junior musste sich beeilen. Denn es ging nun darum, dem Erscheinen von Cooks Buch zuvorzukommen. Um die finanziellen Mittel für die englische Fassung zusammenzubringen, verkaufte der Vater mehr als 500 von seinem Sohn angefertigte Zeichnungen von Tieren, Pflanzen und Landschaften der Reise an keinen geringeren als den reichen Botaniker Banks. »Er kaufte meinem Vater alle Zeichnungen von Thieren und Pflanzen, die ich gemacht hatte, ab, um sicherer zu seyn, dass sie nie in das publicum kämen, weil er monopolium mit Südseekenntnis treiben wollte«, berichtete der jüngere Forster. Erst 200 Jahre später sollten die Zeichnungen schließlich doch veröffentlicht werden. Viele andere Sammlungsstücke schenkten die Forster dem Fürsten von Anhalt-Dessau, wo sie heute noch im Südseepavillon des Wörlitzer Parks zu sehen sind.
Erst im zweiten Anlauf wird Forsters Buch zur Sensation
Georg Forster schaffte es nach einem Schreibmarathon, seinen Text am 17. März 1777, sechs Wochen vor dem Buch Cooks, zu veröffentlichen. Doch obwohl der cooksche Text schwer lesbar war, wurde die Beschreibung des weltbekannten englischen Seefahrers und Nationalhelden ein Bestseller. Dies wohl auch, weil sie genauso viel kostete wie Forsters Werk, aber mit teuren Kupferstichen des mitgefahrenen Landschaftsmalers bebildert war, deren Kosten die Admiralität trug.
So wurde das Buch des jungen Forster in England zum Ladenhüter. Ganz anders in Deutschland: Schon vor der Veröffentlichung hatte sich Georg Forster an die deutsche Übersetzung gemacht. Nun wurde er durch seine Reisebeschreibung hierzulande schnell berühmt. Das Werk traf den Nerv der Zeit. Die Beschreibung der Südsee, dieses bukolischen Paradieses, faszinierte die Menschen der Epoche der Aufklärung. Der Schriftsteller und Verleger Christoph Martin Wieland lobte das Buch, Johann Wolfgang von Goethe bewunderte Forster, die Schriftsteller Johann Gottfried Herder und Georg Christoph Lichtenberg kontaktierten ihn. Auch die beiden jungen Humboldt, Wilhelm und Alexander, waren wie elektrisiert. Alexander von Humboldt schrieb, dass Forster für ihn der »hellste Stern seiner Jugend« gewesen sei und seinen Forscher- und Entdeckergeist geweckt habe. Der Weltumsegler Forster, der seinerzeit am weitesten gereiste Deutsche, habe »eine neue Ära wissenschaftlicher Reisen eröffnet«, schreibt Humboldt noch 70 Jahre später in seinem Hauptwerk »Kosmos«.
Forsters Buch gilt bis heute aufgrund seiner Anschaulichkeit als der Beginn der moderneren deutschsprachigen Reiseliteratur. Raffend beschrieb er die Monotonie der Fahrt, aber auch die dramatischen Szenen der Landgänge. Er selbst meinte, dass »die armseligen 24 Zeichen [des Alphabets] nicht ausreichen« würden, all das zu beschreiben, was »durch diese zwei Öffnungen der Pupille fällt und die Schwingungen des Gehirns erregt«. Der Leser müsse »vermittelst der Organe des Reisenden Folgerungen und neue Ideenverbindungen herausbringen«.
Nachdem er sich 1792 in Deutschland für die Mainzer Republik eingesetzt hatte – der ersten Demokratie auf deutschem Boden – und mit der französisch-revolutionären Besatzungsmacht kollaboriert hatte, wurde er als Vaterlandsverräter diffamiert. Der 39-Jährige starb 1794 im Exil, verarmt und verlassen in einer Pariser Dachstube. Auf seinem Grab wollte er geschrieben haben: »Hier ruht ein deutscher Dichter«, doch man verscharrte ihn anonym. Seine Reisen und seine Werke aber sind bis heute unvergessen.
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