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News: An fünf Fingern abzählen

So unterschiedlich Tyrannosaurus und Kolibri auch sein mögen: einen gemeinsamen Vorfahren besitzen sie doch. Wie genau hier die Verwandschaftsverhältnisse liegen, bleibt aber weiter verwickelt.
Welches Tier, so eine beliebte Frage von Biologielehrern, ist der nächste lebende Verwandte aller Vögel? Nicht selten sorgt die richtige Antwort unter den Schülern für Erstaunen: das Krokodil. Doch die Erklärung für diese verwandschaftlichen Verhältnisse ist relativ simpel: Krokodile gehören zu den letzten Überlebenden der Archosaurier, einer Unterklasse der Reptilien. Ihre prominentesten Vertreter sind jedoch die bereits ausgestorbenen Dinosaurier. Und damit schließt sich der Kreis, denn Dinosaurier – genauer gesagt die Gruppe der Theropoden – werden landläufig als Vorfahren der Vögel angesehen.

Doch genau um diesen Punkt tobt schon seit den siebziger Jahren unter Wissenschaftlern ein Disput über die verwickelten Verwandtschaftsverhältnisse der Archosaurier. Seit Paläontologen den vor 150 Millionen Jahren verbreiteten Archaeopteryx als fehlendes Bindeglied zwischen Vögeln und Reptilien deklarierten, kam diese Theorie jedoch schon mehrfach ins Wanken.

Und das, obwohl dieser "Urvogel" einige typische Reptilienmerkmale aufweist, wie beispielsweise Krallen, Zähne sowie Finger-Reste an seinen Flügelenden. Da auch Theropoden – ähnlich wie Archaeopteryx – drei Finger an ihren mannigfaltig ausgebildeten Handextremitäten besitzen, galten sie forthin vage als Urahnen der Vögel.

"Diese Theorie hat jedoch", mischt sich Alan Feduccia von der University of North Carolina ein, "ein paar unüberwindliche Schwachpunkte". So tauchten mit vogelähnlichen Skeletten ausgestattete Dinosaurier erst 25 bis 80 Millionen Jahre nach Archaeopteryx auf. Schaut man die Skelette zudem genauer an, dann fallen viele kleine Unterschiede auf – in der Zahnform und -verankerung, beispielsweise.

Feduccia und seine Kollegin Julie Nowicki machten sich nun mit entwicklungsbiologischen Methoden auf die Suche nach weiteren Unterschieden zwischen Vögeln und klassischen Dinosauriern. Dazu untersuchten sie eine Serie verschieden alter Embryonalstadien von Sträußen – den ursprünglichsten, noch lebenden Vögeln.

Sie entdeckten, das die Vogel-Embryonen zwischen dem achten und 15. Tag ihrer Entwicklung im Ei die üblichen drei Finger an ihren vorderen Extremitäten ausbilden. Zudem zeigte sich am 14. Tag ein scheinbar altertümliches Überbleibsel ihrer ursprünglich fünffingrigen Vorfahren: Die Vogel-Embryonen bildeten eindeutig einen zusätzlichen Daumen aus – der sich jedoch innerhalb von drei Tagen wieder zurückbildete. Daraus schließen die Wissenschaftler, dass die drei übrigbleibenden Finger, vermenschlicht ausgedrückt, dem Zeige-, Mittel und Ringfinger der fünffingrigen Hand ihres ausgestorbenen Vorfahrens entsprechen.

Und genau das, so die Forscher, ist ein entscheidender Unterschied zu den dreifingrigen Handanaloga der Dinosaurier. Dinosaurier, da sind sich alle Wissenschaftler einig, besaßen nämlich stets ausgebildete Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Nur einige ältere Formen trugen darüber hinaus noch unscheinbare Überreste ursprünglicher Ring- und kleiner Finger.

"Wer immer der Vorfahr der Vögel war – die im Skelett oberflächlich vogelähnlichen Theropoden-Saurier waren es jedenfalls nicht", sagt Feduccia. Die Ähnlichkeiten beider Gruppen wären vielmehr konvergent entstanden, weil beide ähnliche Mechanismen entwickelt hatten, um aufrecht auf zwei Beinen gehen zu können. "Die Antwort auf den Ursprung der Vögel ist offensichtlich verwickelter als bislang angenommen", so Feduccia.

An der Antwort nach dem letzten heute lebenden Verwandten der Vögel ändern die neuen Erkenntnisse dahingegen nichts – nur die Frage deren ältesten gemeinsamen Vorfahr bleibt weiterhin ein Rätsel.

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