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Falsche Erinnerungen: Anfällige Gedächtniskünstler

Menschen mit Hyperthymesie lassen sich falsche Erinnerungen einpflanzen.
Falsche Erinnerungen

Sie wissen, was sie vor zehn Jahren zum Mittag gegessen haben und können aus dem Stegreif angeben, auf welchen Wochentag ein bestimmtes Datum fiel – Menschen mit hyperthymestischem Syndrom (HSAM) erinnern sich an erstaunlich viele Details aus ihrer persönlichen Vergangenheit. Ihr außergewöhnliches autobiografisches Gedächtnis schützt sie jedoch nicht davor, sich Erinnerungen an Erlebnisse einreden zu lassen, die ihnen gar nicht widerfahren sind. Das Team um Lawrence Patihis von der University of California hat die Gedächtnismeister unter die Lupe genommen.

Falsche Erinnerungen | Unser Gedächtnis ist in der Lage, aus unvollständigen Informationen vollständige Erinnerungen zu konstruieren. Dies ist auch sinnvoll, denn indem wir nur Schlüsseldetails eines größeren Ereignisses abspeichern, sparen wir Gedächtniskapazitäten. Die Krux ist jedoch, dass uns dies auch anfällig für falsche Erinnerungen macht. Wenn wir echte Informationen zu unseren Erinnerungen hinzufügen können, dann funktioniert das genauso auch für falsche Informationen.

Die Forscher haben ihren 20 Versuchspersonen mit HSAM und 38 Kontrollpersonen mit durchschnittlichem autobiografischen Gedächtnis gezielt falsche Erinnerungen eingepflanzt. Patihis und Kollegen bedienten sich hierzu eines bekannten Paradigmas: Sie fragten ihre Probanden, ob sie sich an das Video erinnerten, welches eine Augenzeugin vom Absturz eines der drei Flugzeuge vom Terroranschlag des 11. September 2001 in Pennsylvania aufgenommen habe. Mit dieser suggestiven Fragestellung erzeugten sie bei beiden Gruppen eine falsche Erinnerung – denn von dem Flugzeugabsturz gibt es gar kein Videomaterial.

Die statistische Analyse der Antworten ergab, dass in beiden Gruppen gleich viele Probanden den Forschern auf den Leim gingen und die Frage bejahten. Einige der Probanden erzählten sogar, wann sie das Video gesehen haben wollten und was darauf zu erkennen gewesen sei.

Warum schützt ein hervorragendes autobiografisches Gedächtnis nicht vor Erinnerungsverfälschungen? Die Forscher mutmaßen, dass Menschen mit HSAM die gleichen Strategien wie wir Normalerinnernden benutzen, um Vergangenes zu rekonstruieren. Jedes Mal, wenn wir uns an etwas entsinnen, stellen wir im Kopf das Ereignis nach, indem wir assoziieren und unsere Fantasie spielen lassen. Wenn sich die Gedächtnismeister in der kalifornischen Studie also den besagten Flugzeugabsturz vom 11. September 2001 ins Gedächtnis holen, rufen sie alles ab, was sie zu diesem Ereignis assoziieren. Als die Versuchsleiter suggerierten, dass es dazu Filmmaterial gebe, rekonstruierten einige die Erinnerung an dieses angebliche Video in ihre lebhafte Vorstellung dieses Tages hinein.

Da HSAM erst unlängst entdeckt wurde und die Mechanismen für außergewöhnliche autobiografische Gedächtnisleistungen noch unklar sind, bleibt viel Raum für Spekulation. Bisher wurde jedenfalls keine Personengruppe gefunden, die sich keine verfälschten Erinnerungen einpflanzen ließ.

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