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Shackletons Antarktis-Expedition : Warum die »Endurance« wirklich sank

Das Expeditionsschiff des Polarforschers Sir Ernest Shackleton, das 1915 im Packeis zerbrach, war zum Überwintern in der Antarktis gar nicht geeignet. Das zeigt eine neue Analyse.
Ein historisches Schwarz-Weiß-Foto zeigt ein großes Segelschiff, das im Eis gefangen ist. Das Schiff ist zur Seite geneigt, umgeben von einer weiten, eisigen Landschaft. Der Himmel ist bewölkt, was die dramatische und herausfordernde Situation des Schiffes unterstreicht. Die Masten und Takelage sind deutlich sichtbar, was auf die Größe und Komplexität des Schiffes hinweist.
Mit der »Endurance« brach Ernest Shackleton im Winter 1914 in die Antarktis auf. Doch er hätte es besser wissen können.

Der Mythos um die »Endurance«, eins der berühmtesten Expeditionsschiffe überhaupt, erzählt sich so: Sie sei »das stärkste Polarschiff seiner Zeit« gewesen. Ihre einzige Schwachstelle war das Ruder, das den enormen Kräften im Packeis nicht standhalten konnte. Es wurde abgerissen, und das war der Anfang vom Ende des Schiffs, das daraufhin im November 1915 in den Tiefen des antarktischen Ozeans versank.

Wie eine aktuelle Analyse zeigt, entspricht das alles andere als den Tatsachen. Demnach war die »Endurance« nicht einmal sonderlich gut für eine Südpolexpedition, wie sie angedacht war, gewappnet. Den starken Kräften im Packeis würde sie unter Umständen nicht standhalten – und der Expeditionsleiter Sir Ernest Shackleton wusste das. Zu diesem Schluss kommt Jukka Tuhkuri, Experte für die Mechanik des Polareises und einer jener Wissenschaftler, die das Wrack der »Endurance« im Jahr 2022 auf dem Meeresgrund entdeckten.

Der Physiker hat für seine Analyse den Bau des Expeditionsschiffs genau untersucht, mit der Bauweise anderer Polarexpeditionsschiffe jener Zeit verglichen und Tagebucheinträge von Shackleton und dessen Crewmitgliedern ausgewertet. Demnach sei das Schiff gleich aus mehreren Gründen nicht darauf ausgelegt gewesen, dem enormen Druck im antarktischen Packeis zu widerstehen. Kein Wunder: Ursprünglich war es entworfen worden, um Touristen im Sommer in die Arktis zu bringen – nicht, um dem antarktischen Winter zu trotzen.

Zum einen fällt die Länge des Schiffs im Vergleich zu seiner Breite auf. Die »Endurance« war ein hölzerner Dreimaster mit drei Decks, 43,9 Meter lang, 7,6 Meter breit, mit 3,5 Metern Tiefgang. Das sei zu lang gewesen, um starken Kräften auf die Seiten standzuhalten, wie Tuhkuri schreibt. Ideal für die Bedingungen in der Antarktis wäre laut dem Experten eine Ei-Form gewesen – das Schiff hätte also kürzer oder breiter sein müssen. Dazu kommt, dass die Querbalken im Schiff – diejenigen Balken, die die Decks tragen – zwar die Seiten nach außen hin stabilisierten. Um starken Kräften aus dem Eis standzuhalten, noch dazu, wenn sie von verschiedenen Seiten kommen, wären allerdings zusätzliche diagonale Balken wichtig gewesen. Zu guter Letzt besaß die »Endurance« in ihrer Mitte einen großen Maschinenraum. Weil dieser Raum so groß war, fehlte in ihm das Stabilität verleihende Zwischendeck, was ihn zum Schwachpunkt des Schiffs machte.

Andere Schiffe waren der »Endurance« weit voraus

Frappierend ist, dass es damals bereits Schiffe gab, die robuster konzipiert waren. Die »Fram« etwa, mit der Fridtjof Nansen zwischen 1893 und 1896 seine berühmte Arktisdrift unternahm, war so gebaut, dass sie durch das Packeis angehoben und nicht zerquetscht wurde. Sie war kürzer und besaß im Innern mehr Querbalken sowie zusätzliche Diagonalstreben, um Druckkräften von allen Seiten zu widerstehen. Ähnlich verhält es sich mit dem Polarschiff »Deutschland«, mit dem der Polarforscher Wilhelm Filchner 1911 zum Weddelmeer gelangte. Im März 1912 fror das Schiff dort im Packeis fest, driftete acht Monate lang mit dem Eis – und gelangte wieder heraus, ohne zerstört worden zu sein. Die »Deutschland« besaß im Gegensatz zur »Endurance«, ähnlich wie die »Fram«, zusätzliche stabilisierende Pfosten sowie diagonal verlaufende Balken. Ironischerweise hatte Shackleton selbst seinem Kollegen Filchner vorgeschlagen, Letztere einzubauen, als er mit ihm gemeinsam das sich im Bau befindliche Schiff inspizierte. Ihm muss also klar gewesen sein, worauf er sich drei Jahre später einließ.

Daher kommt Tuhkuri zu dem Schluss: »Shackleton wusste, welche Kräfte im Packeis auf das Schiff einwirken würden. Er wusste, wie ein Schiff dafür gebaut sein musste. Und er wusste, dass die ›Endurance‹ kein solches Schiff war. Shackleton war sich der Risiken im Zusammenhang mit der Stärke der ›Endurance‹ wohl bewusst, beschloss aber, trotzdem damit zu fahren.«

Wrack der »Endurance« | Im März 2022 fand eine Expedition das bestens erhaltene Wrack der »Endurance« auf dem Meeresgrund vor dem antarktischen Kontinent.

Die »Endurance« stach im Dezember 1914 von Südgeorgien aus in See und machte sich auf in Richtung des Antarktischen Schelfeises. Ihr Ziel war Vahsel Bay am äußersten Ende des Weddelmeers. Von dort aus wollte Shackleton mit einem Teil der Expeditionscrew den Kontinent über den Südpol zu Fuß durchqueren, um auf der anderen Seite am Rossmeer auf den zweiten Teil seiner Truppe zu treffen, die sich von der anderen Seite nähern sollte.

Drama im antarktischen Packeis

Das Drama nahm bereits im Januar 1915 seinen Lauf, noch bevor die Expedition den antarktischen Kontinent erreichte. Die »Endurance« fror im Eis fest und driftete nach Norden. Mindestens fünfmal wurde die Lage an Bord den Aufzeichnungen der Expeditionsmitglieder zufolge dramatisch, bis die Eismassen am 24. Oktober schließlich die Schiffshülle durchbrachen. Innerhalb der nächsten Tage rissen Kiel und Ruder ab, und das zerstörte Schiff füllte sich langsam mit Wasser.

Die »Endurance« sank schließlich am 21. November 1915. Mehr als 100 Jahre lang lag sie unentdeckt am Grund der antarktischen See. Erst im März 2022 machte ein Expeditionsteam das Wrack in gut 3000 Metern Tiefe ausfindig. Mit einem ferngesteuerten Unterwasserfahrzeug gelangen den Forschenden spektakuläre Aufnahmen des außerordentlich gut erhaltenen Schiffs. Das Wrack der »Endurance« wurde unter Schutz gestellt und verbleibt, wo es ist.

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  • Quellen
Ruhkuri, J., Polar Record 10.1017/S0032247425100090, 2025

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