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Anthropozän: Mehr Beton als Biomasse

Der Mensch baut und schraubt unaufhaltsam. Beton, Asphalt und Metall dominieren den Planeten - zumindest, was die gesamte Masse angeht.
Central Park in New York

Noch diskutieren Geologen, ob wir uns tatsächlich schon im Anthropozän befinden, dem Zeitalter des Menschen, der dem Planeten unabänderlich seinen Daumen aufdrückt. Die Zeichen dafür mehren sich jedoch. Und das Jahr 2020 könnte dafür einen neuen Meilenstein bedeuten: Erstmals scheinen alle von uns geschaffenen Bauwerke, Maschinen, Autos und sonstigen künstlichen Gegenstände mehr zu wiegen als die gesamte lebende Biomasse, schreiben Ron Milo vom Weizmann Institute of Science in Rehovot und sein Team in »Nature«. Dabei habe das Gesamtgewicht menschlicher Objekte seit 1900 extrem zugenommen, während sich die Biomasse über einen längeren Zeitraum deutlich verringert hat.

Seit Beginn der landwirtschaftlichen Revolution nahm die pflanzliche Biomasse beispielsweise von zwei Teratonnen auf die Hälfte ab, weil Wälder großflächig Weiden und Äckern Platz machen mussten. Noch um 1900 entsprachen Städte, Straßen und Co nur drei Prozent der lebenden Biomasse, doch steigerte sich das Gewicht von Beton, Stahl und Asphalt seitdem kontinuierlich und seit dem Zweiten Weltkrieg auch immer schneller. Mittlerweile fügen wir Menschen jährlich weitere 30 Gigatonnen Material hinzu. »Umgerechnet bedeutet dies, dass für jeden Menschen auf der Welt jede Woche mehr als dessen Körpergewicht an künstlichen Gegenständen produziert wird«, schreiben die Wissenschaftler. Insgesamt wiegen alle von Menschen geschaffenen Strukturen mittlerweile mehr als 1,1 Teratonnen.

Der Großteil davon entfällt auf Städte und Straßen, kleinere Mengen entfallen auf Fahrzeuge, Schienen oder Kunststoffe. Im Lauf der Zeit hat sich dabei auch deren Zusammensetzung immer wieder deutlich verändert, etwa als Beton die Ziegelsteine in vielen Bereichen ersetzt hat oder als Asphalt zunehmend im Straßenbau eingesetzt wurde. Auch einschneidende Ereignisse spielten beim Zuwachs eine Rolle, wie der Bauboom in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, der erst die zerstörten Gebäude ersetzte und sich dann in die Fläche ausbreitete. Sollten sich die gegenwärtigen Trends fortsetzen, rechnen die Autoren damit, dass unser Schaffen bis 2040 ein Gesamtgewicht von drei Teratonnen erreichen wird. Umgekehrt könnte die pflanzliche Biomasse wegen der fortschreitenden Abholzung weiter abnehmen.

Dabei ist fraglich, wie groß das Gesamtgewicht der lebenden Biomasse überhaupt ist: Es könnte auch viel geringer sein, als Milo und Co angeben. Eine Studie aus dem Jahr 2018 kommt auf ein Gesamtgewicht aller Lebewesen von nur rund 550 Gigatonnen. Der Mensch und sein Vieh übertrumpften allerdings dabei bereits das Gesamtgewicht aller wild lebenden Säugetiere und Vögel. Das Anthropozän – es ist wohl doch schon da.

Anm. d. Autors: Im letzten Absatz war die Rede von 550 Millionen Gigatonnen. Es handelt sich tatsächlich nur um 550 Gigatonnen.

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