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Antibiotikaresistenz: Die unsichtbare Front des Ukrainekriegs

In der Ukraine kämpfen nicht nur Soldaten an der Front, sondern auch Ärzte in Krankenhäusern. Ihr Feind: Wundkeime, die Verletzte infizieren und immer resistenter gegen Antibiotika werden. Die tödlichen Bakterien drohen sich nun auch in Westeuropa zu verbreiten.
Eine Gruppe von Menschen in einem behelfsmäßigen medizinischen Raum behandelt eine verletzte Person, die auf einer Liege liegt. Der Raum ist mit medizinischen Geräten, Verbänden und Vorräten gefüllt. Eine Person schreibt Notizen, während andere sich um die medizinische Versorgung kümmern. Die Szene vermittelt den Eindruck von Dringlichkeit und Teamarbeit in einer herausfordernden Umgebung.
Sanitäter versorgen einen verwundeten ukrainischen Soldaten im Oktober 2024 in der Ostukraine. Immer mehr Kriegsverletzte infizieren sich mit antibiotikaresistenten Bakterienstämmen, darunter solchen, die allen gängigen Medikamenten trotzen.

»Gott sei Dank!«, stieß der verletzte britische Soldat hervor, als die australische Ärztin Hailie Uren zu ihm kam. Der junge Mann war aus der nordöstlichen Ukraine in ein Krankenhaus in Lwiw (im westlichen Landesteil) verlegt worden und konnte sich kaum mit dem Personal verständigen, weil er kein Ukrainisch sprach. Als Uren an sein Bett trat, fragte er sie: »Werde ich mein Bein verlieren?«

Der 24-jährige Brite – schwarzes lockiges Haar, Bart und dunkle Augen – war im Süden Londons aufgewachsen und hatte in einem privaten Sicherheitsdienst gearbeitet, bevor er im Januar 2025 der »Internationalen Legion der Territorialverteidigung der Ukraine« beitrat; das ist die Fremdenlegion der ukrainischen Streitkräfte. Dort wollte er dabei mitwirken, die groß angelegte russische Invasion abzuwehren, die am 24. Februar 2022 begann. Nach seiner Ausbildung wurde der Brite in der stark umkämpften Region Charkiw eingesetzt. Eines Tages im April, als er sich seinen Weg durch ein Minenfeld bahnte, wurde er von dem Splitter einer Mörsergranate getroffen, die einige Meter entfernt explodierte. Als er versuchte, wieder aufzustehen, »konnte ich spüren, wie die Knochen in meiner Hüfte knirschten«, schildert er. Er knickte ein, bevor ihn ein Kamerad aus der Gefahrenzone zog.

Die Militärärzte, die ihn untersuchten, warnten ihn in gebrochenem Englisch, dass er sein Bein verlieren könnte. Sein Becken war zertrümmert und in die Wunde waren Bakterien eingedrungen. Wenn diese Keime resistent gegen Antibiotika seien und sich medikamentös nicht zurückdrängen ließen, könne es nötig werden, das Bein abzunehmen, so die Mediziner. »Es wäre eine extrem hohe Amputation gewesen«, erläutert Medizinerin Uren – also eine Abtrennung sehr nah an der Hüfte. Im Krankenhausbett wartete der Brite nun auf die Ergebnisse eines Laborberichts, aus dem hervorgehen würde, welche Keime seine Wunde infiziert hatten und welche Resistenzen sie besaßen.

Hunderttausende Kriegsopfer

Die russische Invasion in der Ukraine, die bald in ihr fünftes Jahr geht, hat einen grausamen Tribut gefordert. Die Kriegsparteien nennen keine offiziellen Zahlen, aber diverse Abschätzungen von Geheimdiensten, Behörden, Medienportalen und Open-Source-Projekten kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Hunderttausende Soldaten und Zehntausende Zivilisten getötet und verwundet worden sind. Eine unbekannte Zahl von Menschen sind Verletzungen durch Gewehrprojektile, Drohnenangriffe, Granaten- und Raketeneinschläge oder explodierende Minen erlegen. Doch selbst wer so etwas überlebt, hat anschließend oft mit einer weiteren, unsichtbaren Bedrohung zu kämpfen: Bakterien, die gegen zahlreiche Antibiotika resistent sind.

Rauchsäule | Bei einem Raketenangriff auf das Luft- und Raumfahrtzentrum Piwdenmasch im Juni 2025 wurden die Fensterscheiben eines nahe gelegenen Krankenhauses zertrümmert. Die Klinik behandelt sehr viele Kriegsverletzte, die aus anderen Landesteilen hierher verlegt werden.

Zunehmend infizieren sich verwundete Soldaten und Soldatinnen mit aggressiven Mikroben, die auf etliche Antibiotika nicht mehr ansprechen oder sogar eine Panresistenz erworben haben – also gegenüber sämtlichen gängigen Antibiotika unempfindlich geworden sind. »Die Sterblichkeitsrate in der Ukraine übersteigt bei Weitem das internationale Niveau«, sagt Uren mit Blick auf die bakteriellen Infektionen dort; sie hat bis August 2025 in der ukrainischen Stadt Lwiw die Bekämpfung arzneimittelresistenter Mikroben koordiniert. »Das ist eine wirklich beängstigende Entwicklung.«

Antibiotikaresistente Keime sind ein weltweites Problem. Sie stellen eine größere Bedrohung dar als HIV-Infektionen oder Malaria. Im Jahr 2021 verursachten sie weit über eine Million Todesfälle weltweit, schätzt eine Forschungsstudie im Fachjournal »The Lancet«. Die Autorinnen und Autoren prognostizieren für die kommenden 25 Jahre etwa 40 Millionen Todesfälle aufgrund von Antibiotikaresistenzen. Manche Mikrobenstämme sprechen selbst »auf einige der stärksten verfügbaren Antibiotika nicht mehr an«, erläutert Luise Martin, Kinder- und Jugendärztin sowie Spezialistin für Infektionskrankheiten und Mikrobenabwehr an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Und die russische Invasion in der Ukraine verschlimmert das Problem, indem sie eine drastische Zunahme von Wundinfektionen nach sich zieht, die sich im Kriegschaos oft nicht optimal behandeln lassen.

Infektionen außer Kontrolle

Unterstützt von den europäischen Verbündeten und den USA, versuchen die ukrainischen Gesundheitsbehörden, den Grund der um sich greifenden Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen: einen Zusammenbruch der Infektionskontrolle und -vorsorge auf den überlasteten Krankenstationen. Erschwerend kommt hinzu, dass manche Kliniker dort das Problem verschärfen, indem sie Antibiotika zu niedrig dosiert einsetzen, damit ihre Vorräte an solchen Arzneimitteln nicht so schnell zur Neige gehen.

Trotz aller Bemühungen ist es nicht gelungen, zu verhindern, dass sich antibiotikaresistente Keime in der Ukraine ausbreiten. Mittlerweile zirkulieren gefährliche Mikrobenstämme in der Zivilbevölkerung und auf den Kinderstationen der Krankenhäuser. Die Komplikation beschränke sich definitiv nicht mehr auf die Kriegsverletzten, sagt Uren, und betreffe nicht mehr nur Patienten, die in den gleichen Kliniken versorgt werden wie verwundete Soldaten. Die Region Lwiw, in der sie tätig ist, hat eine der höchsten Raten multiresistenter Keime in der gesamten Ukraine. Das grassiert sowohl innerhalb als auch außerhalb der Krankenhäuser; Kliniken und Arztpraxen in der gesamten Stadt sind davon betroffen. Und Lwiw liegt nur 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. »Das ist direkt vor der Haustür der EU«, verdeutlicht Uren.

Die Situation in Lwiw mag schlimm sein, aber Uren, die ihren Patienten oft ein Lächeln schenkt, gibt sich unbeirrbar optimistisch. Ihre ersten Erfahrungen im Gesundheitswesen sammelte sie während der Covid-19-Pandemie im australischen Brisbane, wo sie 2021 an der Einführung entsprechender Schutzimpfungen leitend mitwirkte. »Das war mein erster Ausflug in diesen Bereich«, erinnert sie sich. Anfang 2022 nahm sie an einem Kurs über Katastrophen- und Notfallmedizin in Italien teil. Dort lernte sie den Leiter der britischen Wohltätigkeitsorganisation UK-Med kennen. Er bot ihr einen Job in Dnipro an, einer ukrainischen Industriestadt rund 400 Kilometer südöstlich von Kyjiw. »Ich wusste nichts über die Ukraine«, erzählt Uren, die sich damals vorstellte, das ganze Land sei ein Kriegsgebiet.

Nachdem sie sich im Dezember 2022 in Dnipro niedergelassen hatte, besuchte Uren oft die mobilen Kliniken von UK-Med im ganzen Land, um deren Medikamentenversorgung sicherzustellen. »Die Medizinerinnen und Mediziner erzählten, wie schrecklich die Infektionen waren, die sie dort behandelten«, schildert sie. Nach und nach wuchs der Wunsch in ihr, selbst als Ärztin zu helfen. »Das klang nach einer Aufgabe, bei der meine Fähigkeiten sinnvoller zum Einsatz kommen könnten.«

Schockierend niedrige Ansprechrate auf Antibiotika

Anfang 2023 fragten Beamte des öffentlichen Gesundheitssystems der Ukraine bei UK-Med an, ob die Wohltätigkeitsorganisation jemanden kenne, der sich an dem mehr als 2400 Betten umfassenden Klinikkomplex »First Lviv Territorial Medical Union« um die Antibiotika-Verschreibungspraxis kümmern könne. Uren ergriff die Gelegenheit und nahm im November 2023 eine Vollzeitstelle dort an. Zu ihrer Bestürzung stellte sie schon bald fest, dass der Klinikkomplex keine systematischen Aufzeichnungen über die Infektionen seiner Patienten führte. Tausende der dort behandelten Personen waren Soldaten, die zwecks rekonstruktiver (wiederherstellender) Chirurgie oder Versorgung von Brandwunden dorthin geschickt worden waren. Wenn sie in Lwiw ankamen, hatten sie oft schon Tage oder Wochen in anderen Kliniken oder Traumastationen hinter sich.

»Häufig kannten wir nicht ihre ganze Geschichte und wussten nicht, welche Krankenhäuser sie durchlaufen hatten«, erzählt Uren. Gemeinsam mit der klinischen Pharmazeutin Natalia Alijewa stellte sie in mühevoller Kleinarbeit handschriftliche Notizen über die Patienten zusammen, die unter anderem Daten aus dem mikrobiologischen Labor des Klinikkomplexes enthielten. »Ich habe sehr schnell gelernt, die kyrillische Schrift zu lesen«, sagt die Ärztin.

Nachdem Uren und ihr Team die Daten Tausender Verwundeter analysiert hatten, machten sie eine schockierende Entdeckung. Wenn Mediziner antibiotische Präparate verschreiben, ohne genau zu wissen, welche Bakterien sie damit bekämpfen, sollten etwa 80 Prozent der jeweils infrage kommenden Krankheitskeime auf die Behandlung ansprechen. Doch an dem Klinikkomplex in Lwiw lag diese Rate bei einigen Antibiotika unter 30 Prozent. »Das ist beängstigend«, sagt Uren.

Wird die Ukraine zu einem Schmelztiegel der Arzneimittelresistenz?

Die Gruppe um Uren veröffentlichte ihre Untersuchungsergebnisse Anfang 2025. Sie richtete ihren Fokus dabei auf drei Bakteriengattungen, die im Zusammenhang mit Antibiotikaresistenzen schon oft aufgefallen sind: Pseudomonas, Acinetobacter und Klebsiella. Bei allen dreien handelt es sich um gramnegative Bakterien mit einer charakteristischen Zellwand, die sie vor diversen Molekülen schützt – unter anderem vor Antibiotika. Alle drei sind berüchtigt dafür, dass sie Brandwunden und andere Verletzungen besiedeln, von wo aus sie in den Blutkreislauf gelangen und eine lebensbedrohliche Sepsis verursachen können.

Die Untersuchungsdaten gaben allen Grund zur Sorge, dass sich die Ukraine zu einem Schmelztiegel der Arzneimittelresistenz entwickeln könnte, so wie zuvor bereits andere Konfliktgebiete. Während der US-amerikanischen Invasion in den Irak während der frühen 2000er-Jahre beispielsweise waren die irakischen Militärkrankenhäuser dermaßen stark mit antibiotikaresistenten Bakterien der Spezies Acinetobacter baumannii verseucht, dass die Ärzte dem stäbchenförmigen Organismus den Spitznamen »Iraqibacter« gaben. Der Erreger hat die ausgeprägte Fähigkeit, Biofilme zu bilden, in denen er sehr lange überdauert. In Krankenhäusern kann er sich auf zahlreichen Oberflächen ansiedeln, von denen aus er immer wieder neue Patienten infiziert.

Vor 20 Jahren noch waren Acinetobacter-baumannii-Stämme meist empfindlich gegenüber Carbapenemen, einer Klasse der Breitband-Antibiotika. Mittlerweile ist das anders

»Acinetobacter baumannii kann auch durch die Luft übertragen werden«, sagt der Mikrobiologe Heiman Wertheim, »es ist sehr schwer, ihn wieder loszuwerden«. Wertheim arbeitet am Radboud University Medical Center in den Niederlanden; in Dnipro und Lwiw hat er Kollegen dabei geholfen, multiresistente Mikroben zu bekämpfen. Vor 20 Jahren noch waren Acinetobacter-baumannii-Stämme meist empfindlich gegenüber Carbapenemen, einer Klasse der Breitband-Antibiotika, die gegen ein großes Mikrobenspektrum wirken. Mittlerweile ist das anders: Viele A.-baumannii-Stämme haben Erbanlagen erworben, die es ihnen ermöglichen, den Carbapenemen zu trotzen.

Wie ein Resistenzproblem im Krieg außer Kontrolle gerät

Als »Iraqibacter« in den 2000er-Jahren von sich reden machte, setzte man Antibiotika in der Ukraine – wie in anderen ehemaligen Sowjetstaaten – eher unbekümmert ein. Viele dieser Mittel waren in den Apotheken damals rezeptfrei erhältlich. »Litt ein Kind an Fieber, gaben die Eltern ihm ein Antibiotikum, auch wenn die erhöhte Temperatur ziemlich sicher von Viren verursacht war«, erinnert sich die Mikrobiologin Olena Moschinets vom Institut für Molekularbiologie und Genetik in Kyjiw, eine Expertin für Arzneimittelresistenzen bei Mikroben.

Die ukrainischen Gesundheitsbehörden hätten sich bemüht, diese Praxis einzudämmen, sagt Moschinets. Teilweise mit Erfolg: Zumindest in Kyjiw sind jetzt weniger Antibiotika rezeptfrei verkäuflich. In vielen anderen Regionen des Landes sei aber weiterhin der alte Laissez-faire-Umgang üblich, beklagt Serhii Shyrinkin, Krankenhausdirektor an der Dnipro State Medical University. »Wir haben immer noch ein großes Problem damit, dass die Menschen Antibiotika einnehmen, wann und wo sie wollen.«

Schon vor der russischen Invasion hatte die Ukraine mit einem höheren Anteil antibiotikaresistenter Keime zu kämpfen als viele westeuropäische Länder. Einige extrem widerstandsfähige Acinetobacter- und Pseudomonas-Stämme, unter denen verletzte Soldaten heute leiden, sind eng mit Stämmen verwandt, die bereits vor 2022 zirkulierten. Das haben der Mikrobiologe Patrick Mc Gann vom Walter Reed Army Institute of Research in Silver Spring (Maryland) und sein Team herausgefunden. Ihre Forschungsergebnisse zeigten eindrucksvoll, »wie Kriege und Konflikte dazu führen können, dass ein kleines Resistenzproblem rasch außer Kontrolle gerät«, so Mc Gann.

Die ukrainischen Gesundheitsbehörden haben vor Kurzem damit begonnen, den Medizinern klarere Vorgaben für den Gebrauch von Antibiotika zu machen. Früher konnten die Ärztinnen und Ärzte selbst entscheiden, welche Antibiotika sie gegen welche Infektionen verschrieben. »Es war ein völliges Durcheinander. Es herrschte große Unklarheit darüber, wie eine medikamentöse Therapie zu gestalten ist«, sagt Viktor Strokous, Leiter der Notaufnahme am City Clinical Hospital Nr. 6 in Kyjiw. Er hat bereits Hunderte Soldaten mit lebensbedrohlichen Infektionen behandelt.

Kombinationsbehandlung | Im Frühjahr 2023 beschlossen der Chirurg Viktor Strokous und die Mikrobiologin Olena Moschinets, schwere bakterielle Infektionen bei verletzten Patienten mit einer Kombinationstherapie zu behandeln. Zwei parallel verabreichte Antibiotika lösen dabei bakterielle Biofilme auf und beseitigen die Mikroben. Der Ansatz führte bei 90 Prozent der behandelten Patienten zum Erfolg, was laut Strokous die Erwartungen bei Weitem übertraf.

Im Jahr 2023 gab das ukrainische Gesundheitsministerium einen Leitfaden heraus, der die verfügbaren Antibiotika in drei Gruppen einteilte: Erstlinien-Medikamente, die eine bevorzugte erste Behandlungsoption darstellen; Zweitlinien-Präparate, die sparsamer eingesetzt werden sollen; und Reserveantibiotika für die schwierigsten Fälle. »Das war ein großer Schritt nach vorn«, betont Strokous. Infolge des Krieges jedoch verfügt die Ukraine kaum über Mittel, neuere und entsprechend teurere Antibiotika zu importieren. Das bedeutet, dass ukrainische Mediziner meist keinen Zugang zu den wirksamsten Präparaten haben, die in wohlhabenderen Ländern als letztes Mittel vorgehalten werden.

Zu nahe an den Explosionen

Dnipro, die viertgrößte ukrainische Stadt, ist industriell geprägt – und deshalb ein bevorzugtes Ziel feindlicher Angriffe. Sehr oft nehmen die Russen das Unternehmen Piwdenmasch ins Visier, ein Zentrum für Luft- und Raumfahrtdesign und während des Kalten Krieges eine Produktionsanlage für sowjetische Interkontinentalraketen und Raumfahrtkomponenten. Unglücklicherweise liegt das Krankenhaus der Dnipro State Medical University recht nah am Osttor von Piwdenmasch. In den zurückliegenden Jahren wurde die Klinik mehrmals von Druckwellen beschädigt, wenn die Russen das Luft- und Raumfahrzentrum mit Sprengkörpern beschossen.

Bei einem Besuch des Krankenhauses im Juni 2025 waren einige Fenster mit Sperrholz abgedeckt; die Explosion eines Raketeneinschlags wenige Wochen zuvor hatte die Glasscheiben zertrümmert. In einem Büro hing ein Plakat an der Wand, auf dem eine Handfeuerwaffe neben einer Tasse Kaffee abgebildet war, versehen mit einem ukrainischen Schriftzug: »Wie es sein sollte. Kaffee – heiß. Moskauer – kalt.« Dreimal schon wurde die Kaffeemaschine in diesem Büro von umherfliegenden Glasscherben und Splittern der Fensterrahmen getroffen, wenn nebenan russische Geschosse einschlugen. Doch zur Freude des Personals funktioniert sie immer noch.

Zerstörter OP-Saal | Das Krankenhaus der Dnipro State Medical University hat mehrfach Kollateralschäden nach Angriffen auf das nahe gelegene Piwdenmasch erlitten – so auch bei einem Beschuss im April 2025, der diesen Operationssaal zerstörte.

Dmitro Balyk, leitender Chirurg an der Klinik, nimmt die ständige Gefahr schulterzuckend hin. »Ich habe gar keine Zeit, darüber nachzudenken«, sagt er. In dem Krankenhaus finden täglich bis zu 50 Operationen statt, meist an Soldaten. Zusammen mit einem noch größeren Klinikkomplex auf der anderen Seite der Stadt, dem Metschnikow – einem der größten medizinischen Zentren der Ukraine –, nimmt das Krankenhaus der Dnipro State Medical University einen steten Strom von Kriegsverletzten auf, die nach einer Erstbehandlung hierher verlegt werden.

»Kaum noch Therapieoptionen«

»Acinetobacter bereitet uns die größten Probleme«, sagt Balyk. Bei etwa einem von je vier Patienten, die mit solchen Erregern infiziert sind, seien die Mikroben weitgehend oder vollständig arzneimittelresistent. Diese Personen werden von anderen Patienten isoliert, so gut es in dem Krankenhaus möglich ist. Ist die Infektion lokal begrenzt, wird sie behandelt, indem die Mediziner das abgestorbene oder befallene Gewebe entfernen und einen Unterdruck auf die Wunde ausüben. Das soll die Keime ersticken: Acinetobacter benötigt Sauerstoff. Zusammen mit einer Wunddesinfektion sowie einer Antibiotikatherapie könne das bei manchen Patienten zum Heilungserfolg führen, erklärt Balyk. Aber für andere – vor allem jene, bei denen sich die Infektion in die Blutbahn ausgebreitet hat – »gibt es kaum noch Therapieoptionen«.

Bei weitgehend arzneimittelresistenten Keimen das richtige Antibiotikum zu finden, mit dem sich noch ein Behandlungserfolg erzielen lässt, sei »sehr mühselig«, sagt Alijewa. Sie berät die Ärztinnen und Ärzte am Klinikkomplex in Lwiw dazu, bei welchem Medikament jeweils die größte Erfolgswahrscheinlichkeit besteht. Sie erinnert sich an ihre Verzweiflung, als sie vor einigen Jahren mit dieser Tätigkeit begann: »Ich wollte jeden Tag weinen; es hat mich umgehauen, wie riesig das Problem war.« Im mikrobiologischen Labor des Klinikkomplexes wird in den Blut- und Gewebeproben der Patienten die Art der Bakterien identifiziert und mithilfe von Agarplatten ermittelt, welche Medikamente noch wirken – ein Prozess, der eine Woche dauern kann. Bei Patienten, die in akuter Lebensgefahr sind, schickt das Klinikpersonal die Proben an eine nahe gelegene Universität, wo die Keime mithilfe von Massenspektrometrie erheblich schneller identifiziert werden können: binnen einer Stunde oder weniger.

Alarmierende Resistenzraten | Die klinische Pharmazeutin Natalia Alijewa prüft eine Tabelle, die Daten zu Antibiotikaresistenzen in Lwiw enthält. Am dortigen Klinikkomplex »First Lviv Territorial Medical Union« waren Tausende Blut- und Gewebeproben von Patienten untersucht worden; schockierend viele enthielten arzneimittelunempfindliche Bakterien.

Moschinets und ihr Kollege Roman Gulkowski, ebenfalls vom Institut für Molekularbiologie und Genetik in Kyjiw, arbeiten an einer Methode zur schnellen und massenhaften Charakterisierung von Krankheitserregern. Gemeinsam mit Fachleuten in vier ukrainischen Städten, die mit Next-Generation-DNA-Sequencing-Maschinen ausgestattet sind, suchen sie nach bestimmten Regionen im Erbgut multiresistenter Mikroben, die aus den Körpern von Erkrankten isoliert wurden. Im ersten Schritt nutzen sie einen kommerziell verfügbaren Test, mit dem sich 364 verschiedene Resistenzgene identifizieren lassen; ihr Ziel lautet, jährlich 12 000 Proben von Patienten zu charakterisieren. Von einer Untergruppe dieser Fälle möchten sie die vollständigen Erregergenome sequenzieren. »Das wird uns ein vollständiges Bild davon geben, welche Resistenzgene in der Ukraine die größte Rolle spielen«, sagt Gulkowski.

Mit den dabei gewonnenen Daten möchten die Fachleute einen eigenen, auf die Ukraine zugeschnittenen Test entwickeln, der nur einige der wichtigsten Resistenzgene – vielleicht zehn – umfasst und eine rasche Diagnose von Bakterienstämmen erlaubt, mit denen Soldaten und andere Patienten infiziert sind. »Damit wüssten wir für jede erkrankte Person in kurzer Zeit, welches von den verfügbaren Antibiotika jeweils den größten Behandlungserfolg verspricht«, sagt Gulkowski. Die meisten Kliniken im Land verfügen über ein eigenes Labor, in dem solche Tests möglich sind, und die Ergebnisse lägen nochmals zwei- bis dreimal schneller vor als mit der Massenspektrometrie. Gulkowski hofft, dass der lebensrettende Test ab 2026 verfügbar sein wird. Aber selbst der schnellste Nachweis eines arzneimittelresistenten Erregerstamms würde die Kliniker vor eine schwierige Aufgabe stellen.

Die größten Sorgen bereiten multiresistente Klebsiella pneumoniae

Die größten Sorgen in der Ukraine bereiten multiresistente Bakterien der Spezies Klebsiella pneumoniae. Sie kommen in der Darmflora weitverbreitet vor und sind für gesunde Menschen in der Regel harmlos. Inmitten der Kriegswirren jedoch treten sie als gefährliche Keime in Erscheinung. Rund 80 Prozent der weitgehend arzneimittelresistenten Klebsiella-Stämme, die in der Ukraine grassieren, tragen sogenannte NDM-Resistenzgene, die eine breite Resistenz gegenüber der Antibiotika-Klasse der Carbapeneme verleihen.

Diese Rate liegt »viel höher als im übrigen Europa«, betont Mikrobiologe Patrick Mc Gann. Klebsiella pneumoniae, fügt er hinzu, müsse die Resistenz nicht einmal selbst entwickeln: Das Bakterium nehme entsprechende Gene von anderen Mikroben in seiner Nachbarschaft auf. Im Jahr 2023 halfen Mc Gann und sein Team, den Fall eines ukrainischen Soldaten zu untersuchen, der mit sechs weitgehend arzneimittelresistenten Stämmen infiziert gewesen war und an Sepsis starb. Zu diesen Stämmen gehörte eine multiresistente Klebsiella-Linie, die neben einem NDM-Gen noch 23 weitere Resistenzgene trug, wie das Team im Jahr 2023 berichtete.

Klebsiella pneumoniae | Das Bakterium ist ein häufiger Vertreter der Darmflora und erwirbt oft Antibiotika-Resistenzgene. Multiresistente Stämme dieses Erregers verursachen in der Ukraine enorme Probleme – und drohen sich nach Mittel- und Westeuropa auszubreiten.

Was Klebsiella so gefährlich mache, erklärt die Mikrobenspezialistin Luise Martin, sei ihre Vielseitigkeit. Die Bakterien verursachen diverse schwere Erkrankungen, von Infektionen der Blutbahn über beatmungsbedürftige Lungenentzündungen bis hin zu Harnwegsinfektionen und Abszessen. Anders als Acinetobacter kann Klebsiella ohne Sauerstoff überleben, wird also nicht von Unterdruck abgetötet. »Wenn wir es mit dieser Gattung zu tun bekommen und dabei auf einen Stamm stoßen, der auf irgendetwas empfindlich reagiert, dann sind wir froh«, beschreibt Alijewa, »aber das kommt sehr selten vor.«

Doppelschlag mit zwei Medikamenten

Viele Kriegsopfer in der Ukraine werden in die Hauptstadt Kyjiw evakuiert. »Sie kommen mit dem Zug und dem Hubschrauber, mit Krankenwagen und Bussen hier an«, sagt der Notfallmediziner Viktor Strokous. Zahlreiche Patienten mit schwer behandelbaren Infektionen sind im City Clinical Hospital Nr. 6 gelandet. Unter den Erregern, an denen sie leiden, sind Klebsiella-Vertreter die bösartigsten, betont Strokous. »Vor dem Krieg hatten wir nicht viele Infektionen mit Mikroben dieser Gattung«, erinnert er sich, »jetzt aber gibt es Klebsiella, Klebsiella, Klebsiella. Und die Medikamentenresistenzen dieser Keime sind verheerend.«

Ein Hoffnungsschimmer kam im Frühjahr 2023 auf, als Moschinets von dem Fall eines Soldaten auf der Intensivstation hörte, der fast gestorben war, aber noch gerettet werden konnte. Chirurgen hatten seinen Unterleib genäht, der von einer Granate zerfetzt worden war, doch der Soldat hatte Anzeichen einer Sepsis entwickelt. Tests zeigten, dass er von arzneimittelresistenten Bakterien infiziert war. Moschinets‘ Forschungsarbeiten ließen vermuten, dass eine Kombination zweier bestimmter Antibiotika die Infektion zurückdrängen könnte. Die Mikrobiologin flehte die behandelnden Ärzte an, Azithromycin auszuprobieren, das die Angriffe der Klebsiella-Bakterien auf das Immunsystem unterdrückt und die Mikroben für eine weitere Substanz namens Meropenem, ein starkes Carbapenem, empfänglicher macht. Mit dieser Doppelbehandlung erholte sich der Soldat wieder.

Strokous berichtet, er und sein Team hätten inzwischen mehr als hundert Patienten mit dem Kombinationsansatz Azithromycin/Meropenem gegen Klebsiella-Infektionen behandelt. Außerdem hätten sie die Medikamentenkombinationen Piperacillin/Tazobactam gegen Pseudomonas-Stämme sowie Cefoperazon/Sulbactam gegen Acinetobacter eingesetzt. Die Erfolgsquote von 90 Prozent, die sie dabei erreicht hätten, übertreffe ihre Erwartungen bei Weitem.

Sieg über die Mikroben

Moschinets wirbt überall für diese Methode des Doppelschlags gegen bakterielle Infektionen. Zu denen, die sie damit überzeugen konnte, gehört der junge orthopädische Chirurg Anton Arestowitsch. Er arbeitet in einer Klinik in Iwankiw, einer kleinen Stadt rund eine Autostunde nördlich von Kyjiw. Mit seinem schwarzen T-Shirt und seinen muskulösen, tätowierten Armen sieht Arestowitsch aus wie einer der Soldaten, die er behandelt. Viele seiner Patienten sind verletzte Kämpfer aus Iwankiw oder dem Umfeld der Stadt, die das Vertrauen in ihre bisherige medizinische Behandlung verloren haben und nun verzweifelt nach einer Alternative suchen. »Einige kontaktieren mich über Social Media und ich lade sie in unsere Klinik ein«, erzählt Arestowitsch. Wenn sie dort ankommen, leiden sie oft schon wochenlang unter ihren Infektionen. »Wir beobachten sehr häufig Multiresistenzen«, sagt der orthopädische Chirurg, »die Bakterien werden immer aggressiver.«

Im März 2025 humpelte ein Soldat mit gebrochenem Bein zu ihm in die Klinik. »Er war ein Wrack«, erzählt Arestowitsch. Die Fraktur des Kämpfers wies mehrere eitergefüllte Abszesse auf. Arestowitsch entfernte abgestorbenes Gewebe und Knochensplitter aus der Wunde und setzte dann einen chirurgischen Abstandshalter ein, nebst einer Behandlung mit vier verschiedenen Antibiotika. Aber nach etwa einer Woche, erinnert er sich, »wurde die Situation viel schlimmer«. Die Verbände färbten sich blau, und die Wunde sonderte einen süßlichen Geruch ab – typische Kennzeichen einer Infektion mit Pseudomonas aeruginosa. Die Laborergebnisse zeigten, dass der Stamm multiresistent war und sich die Wunde zudem mit einem weiteren gramnegativen Keim, Proteus mirabilis, infiziert hatte.

Anton Arestowitsch | »Wir beobachten sehr häufig Multiresistenzen«, sagt der orthopädische Chirurg in Iwankiw nördlich von Kyjiw. Mit einer Kombinationstherapie aus zwei Antibiotika konnte er arzneimittelresistente Bakterien zurückdrängen, die einen verwundeten Soldaten infiziert hatten. So verhinderte er, dass das Bein des Soldaten amputiert werden musste.

Arestowitsch suchte im Internet nach einem möglichen Heilmittel. Und stieß auf den Kombinationsansatz von Olena Moschinets. Nachdem er Kontakt zu ihr aufgenommen hatte, erklärte sie ihm, wie das Therapieverfahren funktioniert. Der medizinische Direktor der Klinik in Iwankiw zeigte sich skeptisch, aber Arestowitsch beschloss, es zu versuchen: »Entweder das oder eine Amputation.« Die zehntägige Behandlung des Soldaten mit Azithromycin und Meropenem besiegte den Proteus-Stamm. Auch die Pseudomonas-Infektion bekam Arestowitsch in den Griff, indem er die Kombination Piperacillin/Tazobactam verabreichte. Zwei Wochen später war die bakterielle Erkrankung des Soldaten abgeklungen.

Auf dem Sprung nach Westeuropa

Die schrecklichen Keime, die sich unter ukrainischen Soldaten verbreiten, versetzen ganz Europa in Alarmbereitschaft. Nicht zuletzt deshalb, weil zahlreiche verwundete Kämpfer zur medizinischen Behandlung nach Deutschland, in die Niederlande und anderswohin verlegt werden. Einer von ihnen war ein junger ukrainischer Soldat, der mit schweren Bauchverletzungen und Knochenbrüchen zur OP in ein niederländisches Krankenhaus kam. Er hatte sich mit 14 Carbapenem-resistenten Stämmen infiziert, darunter multiresistente Vertreter der Spezies Acinetobacter baumannii. »Es war ein wirklich seltener Fall«, sagt Antoni Hendrickx, nationaler Koordinator des niederländischen Überwachungsnetzes antimikrobieller Resistenzen. Sein Team berichtete darüber im Fachjournal »Infection«.

Mindestens zwei dieser Stämme hatten eine Resistenz von anderen Bakterien erworben, die sich im Körper des verwundeten Soldaten vermehrten, sagt Hendrickx. Nach insgesamt fünf Monaten diverser aufeinanderfolgender Antibiotikatherapien, in denen die niederländischen Mediziner permanent einen Erregerstamm nach dem anderen niederkämpften, konnten sie die Mikroben schließlich überwältigen und den Soldaten entlassen.

»Ich kenne plastische Chirurgen in Deutschland, die die ganze Station schließen, nachdem sie einen ukrainischen Patienten aufgenommen haben«Hailie Uren, Ärztin

Die Überwachungsdaten bestätigten, dass arzneimittelresistente Klebsiella ein großes Problem darstellten, räumt Hendrickx ein. Zudem hat sich bei den ukrainischen Patienten ein weiterer Keim verbreitet: weitgehend arzneimittelresistente Providencia stuartii – ein gramnegatives Bakterium, das Verbrennungsopfer und Patienten mit Harnwegskathetern befällt. Vor dem Krieg in der Ukraine, so Hendrickx, habe es jährlich einen oder zwei Fälle von P.-stuartii-Infektionen gegeben. Jetzt seien es 10 bis 15. Und obwohl sich die niederländischen Kliniken große Mühe geben, die verletzten und infizierten Soldaten aus der Ukraine zu isolieren, haben es einige multiresistente Bakterien geschafft, auf andere Krankenhauspatienten überzuspringen, wie Heiman Wertheim schildert. »Bisher kommt das glücklicherweise nur sehr begrenzt vor.«

Die Nervosität ist mancherorts groß. »Ich kenne plastische Chirurgen in Deutschland, die die ganze Station schließen, nachdem sie einen ukrainischen Patienten aufgenommen haben. Sie dekontaminieren die komplette Abteilung, weil sie einen Ausbruch bakterieller Erkrankungen mit resistenten Erregern fürchten«, sagt Hailie Uren. »Für die europäischen Gesundheitssysteme ist das eine enorme Belastung.«

»Unsere Kinder haben jetzt diese Infektionen«

Inzwischen gibt es aus der Region Lwiw weitere schlechte Nachrichten. In ihrem Büro am Klinikkomplex »First Lviv Territorial Medical Union« öffnet Uren eine Akte mit Fallberichten von Kindern, die unter antibiotikaresistenten Infektionen leiden. »Das sind Daten aus unserem Kinderkrankenhaus hier – und im Vergleich sehen Sie Zahlen aus Kyjiw.« Aus der Gegenüberstellung geht hervor: Bei mit Klebsiella infizierten Kindern in Kyjiw lassen sich 59 Prozent der Stämme mit Carbapenemen behandeln; in Lwiw nur 28 Prozent. Bei Acinetobacter-Infektionen sind es 37 Prozent in Kyjiw und 21 Prozent in Lwiw; bei Pseudomonas-Infektionen 53 Prozent in Kyjiw sowie 24 Prozent in Lwiw.

Hailie Uren | Die Medizinerin stellt eine Studie vor, in der Antibiotika-Resistenzraten bei Kindern in Lwiw und Kyjiw verglichen werden. Daraus geht hervor, dass sich die Kinder in Lwiw vermehrt resistente Keime einfangen – eine Konsequenz der grassierenden Wundinfektionen infolge des Kriegs.

»Es ist wirklich erschreckend«, sagt Uren. »Unsere Kinder haben jetzt diese Infektionen. Sie fangen sie sich irgendwo in ihrer Umgebung ein.« Infizierte Kinder zu behandeln, ist besonders schwierig, weil viele neuere Antibiotika nicht für die Anwendung in jungem Alter zugelassen sind. Daher müssen die Ärztinnen und Ärzte oft auf nicht zugelassene Medikamente oder Kombinationspräparate zurückgreifen, deren Wirksamkeit und Anwendungssicherheit nicht geklärt sind.

Die Bedrohung durch arzneimittelresistente bakterielle Keime in Lwiw lasse sich nicht mehr von der Hand weisen, betont Uren. »Ich will keine Panikmache betreiben, aber mittlerweile kann es jeden treffen«, sagt sie. »Wir sind in einer Situation, in der Antibiotika gegen einige Stämme nicht mehr wirken.«

Verhindern, dass aus einer Kontamination eine Infektion wird

Künftig müsse der Fokus laut Uren darauf liegen, Bakterien zu bekämpfen, noch bevor sie eine Erkrankung verursachen. »Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass Infektionen zum Krieg leider dazugehören«, sagt sie. Der erste Schritt werde darin bestehen, Informationen darüber zu sammeln, welche Desinfektionsmittel und Antiseptika eine Kriegswunde am wirksamsten sterilisieren. »Wir müssen verhindern, dass aus einer Kontamination eine Infektion wird.«

Sobald die effektivsten Antiseptika gefunden seien, sollten verwundete Soldaten so behandelt werden, als ob sie Opfer einer Biowaffe wären, schlägt Uren vor. Seit 2022 hat die Ukraine umfangreiche internationale Unterstützung erhalten, um sich gegen Angriffe mit Massenvernichtungswaffen zu wappnen – etwa in Form von Schutzanzügen und aufblasbaren Dekontaminationszelten. Solche Ausrüstungsgegenstände in Krankenhäusern und Trauma-Einrichtungen nahe der Frontlinie einzusetzen und dort die richtigen Antiseptika und Desinfektionsmittel zu nutzen, könnte die Ausbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien erheblich eindämmen, sagt Uren. Ein entsprechendes Pilotprojekt in einem Militärkrankenhaus habe bereits begonnen. »Wir können es uns nicht leisten, noch mehr amputieren zu müssen und noch mehr Leben zu verlieren«, betont die Ärztin, die Ende August 2025 nach Kyjiw umzog, um das Projekt zu leiten.

Der britische Soldat mit dem zertrümmerten Becken, der in Lwiw behandelt wurde, hatte Glück. Aus seinem Laborbericht ging hervor, dass er mit einem Erreger infiziert war, der bei verwundeten Soldaten nur selten vorkommt: Serratia marcescens, ein gramnegatives Bakterium, das häufig auf Badezimmeroberflächen zu finden ist. Der Stamm ließ sich durch Antibiotika abtöten, wie der Bericht meldete. »Es war das bestmögliche Szenario«, erinnert sich Uren.

Kurz vor seiner Entlassung aus der Akutversorgung erlitt der Soldat einen Rückschlag, als er sich eine Harnwegsinfektion einfing, die durch multiresistente Proteus mirabilis verursacht wurde. Doch abermals hatte er Glück im Unglück. Mit den richtigen Antibiotika gelang es, den Erreger zu besiegen, sodass der Brite im September 2025 endlich in eine Rehabilitationseinrichtung verlegt werden konnte.

Die Arbeit an diesem Artikel wurde vom Pulitzer Center unterstützt.

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  • Quellen

GBD 2021 Antimicrobial Resistance Collaborators, The Lancet 10.1016/S0140–6736(24)01867–1, 2024

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