Arabische Wüste : Jahrtausendealte Felsbilder unbekannter Nomaden entdeckt

Bereits vor rund 12 000 Jahren lebten Menschen im Norden Arabiens und trotzten dabei einem schon damals äußerst unwirtlichen Klima. Das zeigen jetzt neu entdeckte Felsbilder, die von diesen bislang unbekannten Wüstennomaden angefertigt wurden.
An vier abgelegenen Fundorten am Rand der saudi-arabischen Nefud-Wüste sind Wissenschaftler auf über 130 lebensgroße Tierdarstellungen gestoßen, die in Felswände gemeißelt wurden. Vor allem Kamele prägen die Szenerie. 90 von ihnen laufen Seite an Seite mit anderen tierischen Bewohnern der damaligen Landschaft: mit Steinböcken, Pferdeverwandten und sogar einem massigen Auerochsen.
Diese urtümlichen Rinder sind eigentlich auf reichlich Wasser angewiesen, doch allzu feucht dürfte die Umgebung damals nicht gewesen sein, betonen die Archäologen. Immerhin dürften sich an zwei der Fundplätzen saisonal Seen gebildet haben, wie Sedimentanalysen belegen. Diese flüchtigen Wasserstellen wurden vermutlich von Wildtieren und Menschen gemeinsam aufgesucht.
Kein anderes Tier scheint die Künstler mehr fasziniert zu haben als das Kamel, das damals noch lange nicht domestiziert worden war. »Vielleicht haben die Menschen damals auf die Kamele geblickt und gedacht: Die wissen, wie man ohne Wasser zurechtkommt«, sagt Maria Guagnin vom Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena. Sie ist Mitautorin der Studie, die in »Nature Communications« erschienen ist.
Nach Ende der letzten Eiszeit, vor etwa 11 700 Jahren, war es in Nordarabien so trocken, dass Fachleute lange davon ausgingen, die Region sei für Menschen gänzlich unbewohnbar gewesen. Doch die nun gefundenen Artefakte – Steinwerkzeuge, Pfeilspitzen und Feuerstellen, teils direkt neben den Felsbildern – zeigen, dass dort über mehr als zwei Jahrtausende hinweg immer wieder Menschen zugegen waren, erklärt Guagnin.
Kamele im Winterkleid
Die Darstellungen zeigen alle Kamele so, wie sie im Winter aussehen: mit dichtem Fell und den vom Paarungsruf geschwollenen Hälsen der Männchen. Winter war zugleich Regenzeit. Möglich also, dass die Menschen den Kamelen auf ihren saisonalen Wanderungen in die Wüste hinein folgten, sagt Archäologe Ceri Shipton, der das Team leitete. Am 14. Mai 2023 hatten der Archäologe vom University College London und seine Kollegen am Fundort Dschebel Misma mehr durch Zufall eine ganze Prozession von Kamelbildern entdeckt.
An diesem Morgen blickte sein Assistent Saleh Idris nach oben und rief: »Dschamal, dschamal!«, das ist arabisch für Kamel. Shipton erinnert sich: »Plötzlich war die Sonne weit genug herumgewandert, dass man die Kamele entlang der gesamten Felswand sehen konnte. Und ich dachte: Oh mein Gott, die sind ja überall!«
»Das hat etwas von Indiana Jones«, sagt Guagnin. »Man kann sie nur für etwa anderthalb Stunden am Morgen erkennen, wenn die Sonne im richtigen Winkel über den Berg steigt. Danach verschwinden die Kontraste, und bis zum nächsten Tag sieht man nichts mehr.«
Die Gravuren liegen an einer fast senkrechten Felswand. Wer sie anbringen wollte, musste zu einem Vorsprung hinaufklettern, der 30 Meter über dem Boden liegt und nur zwischen 30 und 50 Zentimeter breit ist. Die Künstler standen folglich so nah an der Wand, dass sie die lebensgroßen Tiere nie im Ganzen sehen konnten. Vom Boden aus waren die frisch gemeißelten Felsbilder damals allerdings besser zu erkennen als heute.
Viele Kamelbilder liegen übereinander und unterscheiden sich im Stil: Die ältesten sind individueller und realistisch, später dagegen werden sie schematisch und schon nah an der Karikatur. Daraus schließen die Forschenden, dass sich über längere Zeit hinweg eine gemeinsame Vorstellung vom »Kamelbild« entwickelte. Dass die Gravuren immer wieder erneuert und ergänzt wurden, spricht dafür, dass die Menschen ihnen dauerhaft Bedeutung zumaßen.
Zeigten die Bilder, wo es Wasser gab?
Die Gravuren könnten etwa den generationenübergreifenden Anspruch einer Gruppe auf bestimmte Gebiete dokumentiert haben. Nach Meinung der Wissenschaftler mussten die Menschen damals weite Strecken zurücklegen, im Sommer sei die Region zu trocken für ein Überleben gewesen. Ihre jahreszeitlichen Wanderungen könnten sie dabei bis an die östliche Mittelmeerküste geführt haben; zumindest legen archäologische Funde nahe, dass es einen Kontakt zwischen diesen Regionen gab.
Die Fachleute halten es auch für möglich, dass manche Felsbilder dazu dienten, den Jägern und Sammlern den Weg zu versteckten Wasserstellen zu weisen. Guagnin selbst ließ sich an einem zweiten Fundort, Dschebel Aarnaan, von den Bildern zum Wasser leiten. »Geht man an dem Felsen vorbei, öffnet sich ein kleines Tal, das auf einen Berg hinaufführt«, berichtet sie. »Das ganze Tal ist von Felskunst gesäumt. Und tatsächlich erweist es sich als Abkürzung auf die andere Seite, wo ein See liegt – der schnellste Weg zur nächsten Wasserquelle.«
Dort wie auch in Dschebel Misma fanden die Forschenden Steinwerkzeuge, die die Künstler beim Hämmern zurückgelassen hatten – eingebettet in Sedimente, die 12 000 Jahre alt sind. Auf diese Weise erhielten die Wissenschaftler einen indirekten Hinweis auf das Alter der Felsbilder.
Damit sind die Gravuren mehrere Jahrtausende älter als vergleichbare Kunstwerke an anderen Orten Arabiens, sagt Guillaume Charloux vom französischen Centre national de la recherche scientifique, der selbst nicht an der Studie beteiligt war. Ihr Alter »verändert unser Verständnis der vorgeschichtlichen Kunst auf der Arabischen Halbinsel grundlegend«, urteilt Charloux – auch weil die Kamelbilder zeitgleich mit den berühmten Höhlenmalereien in Westeuropa entstanden.
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