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News: Argument mit Biss

Seit seiner Entdeckung vor fast 150 Jahren sorgt er für Streit: Gehört der Neandertaler zu unserer Art, oder war er eigene Spezies? Ein Zahnvergleich soll Klarheit schaffen.
Zahn
Homo neanderthalensis oder Homo sapiens neanderthalensis – das ist hier die Frage. Denn an diesem scheinbar nur kleinen Unterschied scheiden sich schon seit langem die Geister: Beschrieb der britische Geologe William King den im Neandertal bei Düssseldorf im Jahr 1856 gemachten Fund als dem anatomisch modernen Menschen zwar nahe stehende, aber eigenständige Art, setzte sich später die Meinung durch, der Neandertaler sei lediglich eine Unterart von Homo sapiens und habe sich mit ihm vielleicht sogar vermischt.

Doch inzwischen mehren sich daran wieder die Zweifel. Neben morphologischen Vergleichen deuten vor allem genetische Untersuchungen, insbesondere vom Max-Planck-Wissenschaftler Svante Pääbo, auf eine – wenn überhaupt – nur minimale Vermischung des Erbguts hin. Demnach stände dem Neandertaler wieder der volle Artstatus zu.

Andererseits verweisen Anthropologen wie Erik Trinkaus auf ein in Spanien ausgegrabenes Skelett, das als die sterblichen Überreste eines Mischlingskindes gedeutet wird. Also doch nur eine Unterart?

Fernando Ramirez Rozzi von der französischen Forschungsorganisation CNRS und José Bermúdez de Castro vom Naturwissenschaftlichen Nationalmuseum in Madrid haben der Sache jetzt energisch auf den Zahn gefühlt – und zwar mit Hilfe von insgesamt 360 Schneide- und Eckzähnen.

Die meisten, nämlich 146 Stück, stammten von 55 Neandertalern, die in der Zeitspanne von 28 000 bis 130 000 Jahre vor heute in Europa gelebt hatten, und dienten als Vergleich für 100 Zähne von 39 Exemplaren des anatomisch modernen Menschen, die 8000 bis 20 000 Jahre alt waren. Außerdem stellten noch 21 Homo-heidelbergensis- sowie vier Homo-antecessor-Vertreter weitere 114 etwa 400 000 bis 800 000 Jahre alte Zähne zur Verfügung.

Hilfreich erwies sich für die Forscher die Tatsache, dass unsere Beißwerkzeuge nicht gleichmäßig sprießen, sondern im Zahnschmelz im Abstand von etwa neun Tagen winzige Wachstumsrillen hinterlassen, die der Zahnarzt als Perikymatien kennt. Wie bei den Jahresringen eines Baumes lässt sich anhand dieser Perikymatien ablesen, wie schnell der Zahn im Gebiss eines Kindes heranwuchs.

Typisch bei uns und unseren unmittelbaren Vorfahren ist eine dichter werdende Abfolge der jüngeren Perikymatien; der Zahn wächst also am Schluss immer langsamer. Und genau diese Verdichtung der Wachstumsrillen fehlt sowohl bei den älteren Homo-Arten als auch bei Neandertalern. Deren Zähne müssen also verhältnismäßig schnell gewachsen sein.

Da sich nun von den Zähnen auf den ganzen Körper schließen lässt, vermuten die beiden Forscher, dass ein Neandertalerkind sehr schnell in die Höhe schoss und wahrscheinlich schon mit 15 Jahren erwachsen war. Andererseits – und darin unterschieden sie sich vom Homo heidelbergensis – zeichneten sich die Neandertaler durch ein erstaunlich großes Hirnvolumen aus; mit teilweise über 1600 Kubikzentimeter übertraf es sogar das unseres heutigen Denkapparates.

Aus beidem, großem Hirnvolumen und schnellem Wachstum, schließen die Wissenschaftler auf einen außergewöhnlich hohen Umsatz im Stoffwechsel der Neandertaler, der nur durch eine entsprechende Ernährung gesichert werden konnte. Damit versuchten sich die Neandertaler an ihre wahrscheinlich ebenfalls hohe Sterblichkeitsrate anzupassen.

Und um auf die eigentliche Frage zurückzukehren: In der Kombination aus großem Hirnvolumen und schnellem Wachstum sehen Ramirez Rozzi und Bermúdez de Castro ein abgeleitetes Merkmal, mit dem sich die alten Bewohner des Neandertals deutlich von allen anderen Homo-Arten unterscheiden. Derartige Apomorphien gelten unter Systematikern als wichtiges Kriterium für eine eigenständige Art – ein Art namens Homo neanderthalensis.

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: Wir waren nicht die Einzigen

Seit etwa 25000 Jahren wird die Erde von einer einzigen Menschenart bevölkert. Das ist um so erstaunlicher, als in den letzten Jahrmillionen zumeist mehrere Hominidenarten gleichzeitig lebten. Warum all diese "Konkurrenten", wie zuletzt der Neandertaler, schließlich ausstarben, ist nicht geklärt. Vermutlich war es unsere geistige Überlegenheit – vor allem eine komplexe Sprache –, die uns zum Alleinherrscher machte.Literaturtip: Ian TattersallPuzzle Menschwerdung http://www.spektrum-verlag.com/katalog/isbn/82740140/index.htm

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