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Kohlenstoffkreislauf: Arktischer Klimawandel beginnt sich selbst anzutreiben

Fachleute vermuten schon länger, dass die Arktis vom Kohlenstoffspeicher zur Treibhausgasquelle wird. Doch viele Details sind unklar. Zwei Studien zeigen im Großen wie im Kleinen, wie der Klimawandel im hohen Norden mehr Klimawandel erzeugt.
Arktische Landschaft aus der Luft mit Fluss, See, Tundra und Nadelwald.
Arktische Landschaften sind oft ein Mosaik aus Wald, Feuchtgebieten und niedriger Vegetation. Ihr Verhalten im Klimawandel ist komplex – doch immer größere Flächen setzen netto Treibhausgase frei.

Über Jahrtausende waren die Landgebiete rund um den Nordpolarkreis eine Art Gefrierschrank für Treibhausgase. Die in den Sommermonaten wachsenden Pflanzen nahmen Kohlendioxid auf, das dann in Form von Biomasse im Permafrost eingeschlossen wurde. Doch die natürlichen Kohlenstoffsenken können die von der Menschheit ausgestoßenen Treibhausgase nicht schnell genug einlagern. Die resultierende globale Erwärmung verändert nun auch ihrerseits, wie die Polargebiete Kohlenstoff aufnehmen – oder abgeben. So lassen zum Beispiel einerseits die wärmeren Sommermonate mehr Pflanzen wachsen; andererseits gibt einst im Permafrost gespeicherte, nun verrottende Biomasse mehr Treibhausgase ab. Fachleute vermuten, dass die Arktis derzeit beginnt, mehr Treibhausgase abzugeben, als sie aufnimmt. Doch zahlreiche Fragen über die vielfältigen polaren Ökosysteme im Klimawandel sind noch offen.

Zwei neue Studien zeigen die komplexen Veränderungen des Kohlenstoffhaushalts im Detail. Eine umfassende Gesamtbetrachtung der arktischen Tundra, Wälder und Feuchtgebiete, erschienen in der Fachzeitschrift »Nature Climate Change«, zeigt dabei, dass rund ein Drittel der Region jetzt Treibhausgase abgibt, statt sie aufzunehmen. Dazu speiste ein Team um die Arktisforscherin Anna-Maria Virkkala vom Woodwell Climate Research Center im US-amerikanischen Falmouth verschiedene Datenquellen über Stoffströme in einzelnen Ökosystemen in ein durch maschinelles Lernen gestütztes Modell ein. Die Ergebnisse demonstrieren, dass Waldbrände für die Kohlenstoffbilanz der Region eine wesentliche Rolle spielen.

Dagegen betrachtet die zweite, in der Fachzeitschrift »PNAS« erschienene Untersuchung einen Kipppunkt in einem einzelnen kleinräumigen System, ausgelöst durch verändertes Wetter. Hier berichtet ein internationales Team um die Ökologin Jasmine Saros von der University of Maine, dass starke Regenfälle im Jahr 2022 in den dortigen Süßwasserseen eine drastische und dauerhafte Veränderung auslösten. Die zuvor klaren, nährstoffarmen Gewässer hatten bis zu dem Ereignis konsistent Treibhausgase aufgenommen. Doch nachdem mehrere atmosphärische Flüsse auf Westgrönland trafen, wurden die Seen zu »braunen« Gewässern – nährstoffreich, trüb und in den Sommermonaten eine Treibhausgasquelle.

Entscheidend dafür war laut der Analyse der Fachleute, dass sich das Verhältnis zwischen See und umgebendem Land abrupt änderte. Westgrönland ist normalerweise kalt und trocken. Der Boden ist gefroren, Niederschlag fällt bevorzugt als Schnee. Dadurch gelangen nur wenige Nährstoffe in den See, der entsprechend klar und arm an Algen ist. Das änderten die starken Niederschläge des Jahres 2022. Sie brachten nicht nur Feuchtigkeit, sondern auch Wärme – es regnete, und der Regen spülte große Mengen Nährstoffe in die Seen, wie Satellitenaufnahmen zeigen. Das veränderte Farbe und Wasserqualität dauerhaft; auch 2024 waren die Seen noch braun. Das ist einerseits ein Problem für Siedlungen in der Region, die Trinkwasser aus den Gewässern gewinnen – und andererseits hatte es dramatische Auswirkungen auf den Kohlenstoffhaushalt. Die Seen hatten zuvor immer netto Kohlendioxid aufgenommen, doch nach den heftigen Regenfällen stiegen ihre Emissionen um das Viereinhalbfache. Sie sind, berichtet das Team, Quellen von Treibhausgasen geworden.

Mengenmäßig spielen die Seen Westgrönlands keine große Rolle für den Klimawandel. Doch beide Studien demonstrieren, dass der Klimawandel sich durch die Veränderungen der Arktis auf ganz unterschiedlichen Größenskalen inzwischen selbst anzutreiben beginnt. In der großräumigen Modellstudie des Teams um Virkkala zeigt sich das in zwei wesentlichen Effekten. Zum einen gibt ein beträchtlicher Teil der Tundra hoch im Norden inzwischen übers Jahr gerechnet Treibhausgase ab. Ein Drittel der Arktis ist demnach mittlerweile eine Treibhausgasquelle. Zum anderen nehmen die südlicheren Waldregionen zwar enorm viel Kohlenstoff auf, so dass die Arktis netto immer noch eine Senke für Treibhausgase wäre – doch Waldbrände machen den Effekt wieder zunichte.

Und im hohen Norden tragen Waldbrände den Fingerabdruck des Klimawandels. Feuer ist ein normaler Teil dieser borealen Wälder, allerdings haben die höheren Temperaturen die Balance verschoben. Wärmere Luft bedeutet frühere Schneeschmelze, mehr Verdunstung und Hitzestress für die an die Kälte angepassten Bäume. Zusätzlich verdrängen Wärme liebende Arten die an Feuer angepassten Nadelbäume. Der Wald wird lichter und trockener, und auch der Boden trocknet aus. All das begünstigt heftigere Brände, und die machen den Unterschied, wie die Arbeitsgruppe um Virkkala berichtet. Die Kohlendioxidemissionen der Feuer machen die Treibhausgasabsorption der Region wieder wett. Einst eine große Senke für Treibhausgase, ist die Arktis nun kohlendioxidneutral. Und die Studien zeigen: Der Trend setzt sich fort, im Großen wie im Kleinen.

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  • Quellen

Virkkala, A. et al.: Wildfires offset the increasing but spatially heterogeneous arctic-boreal CO2 uptake. Nature Climate Change, 2025

Saros, J. E. et al.: Abrupt transformation of west Greenland lakes following compound climate extremes associated with atmospheric rivers. PNAS 122, 2025

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