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News: Armut in NRW - immer größere soziale Spaltung

Eine neue Studie beschreibt die Armut verschiedener Bevölkerungs- und Altersgruppen in Nordrhein-Westfalen. Dabei haben die Wissenschaftler nicht nur wie bisher Umfragedatensätze ausgewertet, sondern auch erst seit kurzem zugängliche Individualdaten amtlicher Statistiken genutzt. Das Ergebnis gibt Aufschluss über die Lage und die Ursachen der Armut in NRW und ging jetzt in den "Sozialbericht 98" der Landesregierung ein. Die am schlimmsten betroffenen Gruppen sind immer noch die alten: Kinder, Frauen, alte Menschen, Ausländer, Alleinerziehende und Großfamilien. Die Studie ist auch online verfügbar.
In bisherigen Studien zur finanziellen Lage der Bevölkerung wurden Umfragedatensätze, zum Beispiel das SOEP (SozioOekonomisches Panel), als repräsentative Quellen benutzt. Nachteil dieser Quellen ist aber, daß sie aufgrund von kleinen Fallzahlen häufig zu wenige Informationen für sozialstrukturell oder regional differenzierte Analysen liefern. Die neue Studie "Armut in Nordrhein-Westfalen – Umfang und Struktur des Armutspotentials", die das ZEFIR (Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung der Ruhr-Universität Bochum) erstellte und vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport NRW finanziert wurde, umgeht dieses Problem durch die Kombination von Umfragedatensätzen mit anonymisierten Daten aus amtlichen Beständen, zum Beispiel dem Mikrozensus und der Sozialhilfestatistik. Bei diesem Vorgehen zeigte sich, wie auch ohne großen Aufwand die Nutzbarkeit dieser Quellen noch verbessert werden könnte. Die großen Vorteile der amtlichen Statistiken sind ihre großen Fallzahlen und die Aktualität der Angaben. Moderne Computertechnik ermöglichte den Forschern, die Datenflut von mehreren Millionen Datensätzen auszuwerten. Diese neue Art von Studien, in denen Umfrage- und Amtsdatensätze kombiniert werden, bieten sich durch ihre große Genauigkeit besonders für die politische Problemdiagnose und zur Wirkungskontrolle politischer Intervention an.

Zum Teil bestätigt die neue Untersuchung die Ergebnisse älterer Studien. Unverändert ist zum Beispiel, daß (Langzeit-) Arbeitslosigkeit Armut bedingt, daß Kinder von Armut besonders stark betroffen sind, und daß junge alleinerziehende Mütter eine der ärmsten Gruppen sind. Eine neue Erkenntnis findet sich in dem Aspekt der Kumulation benachteiligter Lebensformen und Lebenslagen: Hier stellt sich eine immer stärkere soziale Spaltung unserer Gesellschaft heraus. Soziale Bindungen, wie der traditionelle Familienzusammenhalt oder die Nachbarschaftshilfe, nehmen immer mehr ab. So sind zum Beispiel alleinerziehende Mütter oft isoliert und können daher nicht auf die Hilfe anderer bei der Kinderbetreuung bauen. Die Armut der Kinder, die seit einiger Zeit großes öffentliches Aufsehen erregt, fußt auf der Misere der Familien, beziehungsweise der "Restfamilien", die nach einer Trennung oder Scheidung übrigbleiben. Hier ist die staatliche Familienpolitik gefordert: Familie und Beruf sind kaum zu vereinbaren. Kinder- und Erziehungsgeld reichen offenbar nicht für ein Auskommen junger Familien. Alleinerziehende Mütter haben es besonders schwer: Auch ihnen mangelt es schon in den ersten Lebensmonaten des Kindes an Geld. Einrichtungen zur Betreuung kleiner Kinder gibt es kaum. Wenn das Kind alt genug ist, im Kindergarten betreut zu werden, scheitert dies oft an den Öffnungszeiten. Diese Situation ist seit den achtziger Jahren unverändert: 40 Prozent aller Kleinkinder berufstätiger Mütter in NRW werden von den Großeltern versorgt. Hier sind Kommunen und der Arbeitgeber zunehmend gefordert.

Am in den siebziger Jahren viel diskutierten Problem der Altersarmut hat sich nichts geändert, und auch Ausländer gehören nach wie vor zu den benachteiligten Gruppen, insbesondere diejenigen, in deren Kultur noch traditionelle Familienmodelle gelebt werden, wo zum Beispiel Kinderreichtum und Einverdienerhaushalte die Regel sind. Insgesamt werten die Wissenschaftler die Ergebnisse der Studie als ein Anzeichen für die Auflösung traditioneller Formen der Solidarität wie Familie, Ehe und Nachbarschaft. Außerdem ist eine Tendenz zur regionalen Polarisierung der Armut und sozialen Ungleichheit festzustellen: Großstädtische Regionen – allen voran das Ruhrgebiet – haben erheblich höhere Armutsquoten als ländliche Räume.

Schaubilder und Statistiken sind in der Studie, die im Internet heruntergeladen werden kann, vorhanden(http://www.ruhr-uni-bochum.de/zefir/).

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