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Artenschutz: Das Comeback des Iberischen Luchses

Der Iberische Luchs, eine der am stärksten gefährdeten Katzen der Welt, hat sich in Portugal in nur wenigen Jahren wieder vermehrt. Eine Reportage über eine überraschend erfolgreiche Auswilderungskampagne.
Iberischer Luchs sitzt in einem Wildpark auf dem Boden
Lange befürchteten Biologen, der Iberische Luchs könnte die erste Wildkatze sein, die seit Jahrtausenden in Europa ausstirbt.

Salão und Sidra kommen langsam aus ihren Transportkisten und setzen ihre Pfoten auf die warme Erde eines Ackers. Es ist ein sonniger Tag Anfang Mai und eine Menschenmenge von rund 75 Personen, darunter Regierungsbeamte, Schulkinder und Fernsehteams, beobachtet von der Ecke des brachliegenden Feldes aus, wie Salão in gemächlichem Tempo vorbeitrabt. Sidra folgt bald darauf mit höherer Geschwindigkeit. Die beiden jungen Iberischen Luchse – honigfarben mit schwarzen Flecken, Ohrbüscheln und kurzen, schwarz getuschten Schwänzen – verschwinden in einem Dickicht aus Sträuchern.

In dem Mosaik aus landwirtschaftlichen Flächen, Jagdgebieten und Buschland, das diesen Teil des Guadiana-Tals im nordöstlichen Teil der Algarve-Region im Süden Portugals kennzeichnet, hängt viel vom Schicksal von Salão und Sidra ab. Jahrzehntelang galt der Iberische Luchs (Lynx pardinus), auch Pardelluchs genannt, unter Naturschützern als eine der am stärksten gefährdeten Wildkatzen der Welt. Biologen befürchteten, dass er die erste Wildkatze sein könnte, die seit Jahrtausenden in Europa ausstirbt. Einst war er in weiten Teilen der Iberischen Halbinsel und in Teilen Südfrankreichs heimisch, doch Mitte der 2000er Jahre gab es nur noch einige verstreute Populationen, alle in Südspanien. Heute jedoch, fast acht Jahre nach dem Start einer sehr populären Auswilderungskampagne in Portugal und einer gleichzeitigen Aktion in Spanien, vermehrt sich der Iberische Luchs wieder. Auch Salão und Sidra bekamen auf diese Weise in Portugal eine neue Heimat.

Ein Iberischer Luchs aus einem Zuchtprogramm wird im Süden Portugals frei gelassen, um die Art vor dem Aussterben zu bewahren.

Salão und Sidra gehören zu den ersten Luchsen, die in der Algarve-Region ausgewildert werden. Die beiden kamen etwa ein Jahr zuvor in einer Zuchtanlage in Spanien zur Welt. Biologen, Naturschutzgruppen und Wildtierbehörden, die an diesem gemeinsamen Wiederansiedlungsprogramm beteiligt sind, hoffen, dass die zwei Katzen ihre Gene in die wachsende Population einbringen, die sich in diesem Tal in der Algarve etabliert hat. Bei einer Zählung im Jahr 2021 brachten hier 31 Weibchen insgesamt 70 neue Luchswelpen zur Welt. Nun streifen mindestens 1 400 Luchse über die gesamte Halbinsel. Obwohl die winzige Katze auf der Roten Liste der bedrohten Arten weiterhin als gefährdet geführt wird, vermeldet die International Union for the Conservation of Nature, die Populationsentwicklung sei»ansteigend«.

Dieser überraschende Erfolg des Programms bietet nicht nur Hoffnung für die Luchse, sondern auch für die Ökosysteme, auf welche die Tiere und viele weitere selten gewordene Arten angewiesen sind. Die jahrelangen Bemühungen, Landbesitzer und Jäger für die Ansiedlung des Luchses zu gewinnen, haben sich bezahlt gemacht. Jetzt steht die Chance viel besser, dass sich auch weitere Tiere wie etwa der Mönchsgeier (Aegypius monachus) oder der Iberischen Kaiseradler (Aquila adalberti), die zu den seltensten Raubvögeln der Welt gehören, wieder ansiedeln lassen.

Artenschutz braucht gute Beziehungen

Die Geschichte dieser bemerkenswerten Leistung des Artenschutzes ist letztlich eine Geschichte über die Bedeutung von Beziehungen: zwischen wilden Tieren, zwischen Menschen, aber auch zwischen Menschen und wilden Tieren. Und eine zentrale Rolle spielt dabei ein vollkommen anderes Tier, das man überall in der Algarve über Heideflächen, durch Olivenhaine und über Straßen hoppeln sieht: das Kaninchen. Doch der Reihe nach.

Noch vor vier Jahrzehnten wussten nur wenige Menschen in Portugal von der Existenz des Iberischen Luchses. In den späten 1970er Jahren machte sich ein Student namens Luis Palma daran, den Luchs und seinen Lebensraum auf dem Berg Malcata in Zentralportugal, nahe der spanischen Grenze, zu erforschen. Seine Untersuchungen ergaben, dass Eukalyptus- und Douglasien-Papierplantagen den mediterranen Eichenwald und das immergrüne niedrige Gebüsch, die Macchia, verdrängten. Die Luchse, der Iberische Frosch und andere Arten brauchen aber diese Landschaften zum Überleben. Palma versuchte, mit dem ansässigen Papierhersteller über die Erhaltung des Lebensraums zu verhandeln, scheiterte jedoch. Bei seinem Kommilitonen Jorge Palmeirim, der damals seit Kurzem für eine Naturschutzgruppe namens Liga para a Protecção da Natureza (Liga für den Schutz der Natur, kurz LPN) arbeitete, stieß er hingegen auf offene Ohren. Gemeinsam konnten sie die Organisation für eine Kampagne zur Einrichtung eines Naturschutzgebiets im Malcata-Gebirge gewinnen.

Palmeirim, heute Biologe an der Universität Lissabon, erzählt, die Aktivisten hätten zu Beginn der Kampagne kaum etwas über die Luchse gewusst. Nur in wenigen ländlichen Gegenden wurden die Katzen bisweilen von Einheimischen gesichtet. Zu dieser Zeit war das Land eine junge Demokratie, die mit den Folgen eines diktatorischen Regimes zu kämpfen hatte. Darunter litt die Bildung der Bevölkerung und entsprechend blieb vor allem in ländlichen Gebieten die Analphabetenrate hoch. Hinzu kam, dass Informationen nicht so wie heute schnell die Runde machten, erinnert sich Palmeirim.

Dennoch war die Kampagne erfolgreich: Dank zahlreicher Unterschriften für die Schutzbemühungen stellten die lokalen Behörden im Jahr 1981 insgesamt 63 Quadratkilometer Luchshabitat als Naturreservat des Malcata-Gebirges zur Verfügung. »Dies war ein historischer Moment für den Naturschutz in Portugal«, erklärt Palmeirim. »Es war das erste Mal, dass ein Naturschutzthema an die breite Öffentlichkeit gebracht wurde.« Aber der Luchs hatte es weiterhin schwer: Neue Farmen, Eukalyptusplantagen, illegale Jagd, wachsende Städte und Zusammenstöße mit Fahrzeugen forderten ihren Tribut. Zwischen 1985 und 2001 schrumpfte das Verbreitungsgebiet des Luchses um 87 Prozent. Im Jahr 2002 gab es nur noch weniger als 200 Luchse in freier Wildbahn.

Rückgang der Kaninchen ist das Problem

Besonders besorgniserregend, so stellten Biologen bald fest, war der Mangel an Beutetieren. Der Iberische Luchs hat sich auf die Jagd nach Europäischen Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) spezialisiert, die mindestens 75 Prozent seiner Nahrung ausmachen. Aber auch diese Art war stark zurückgegangen. In den frühen 1950er Jahren starben die Europäischen Kaninchen massenhaft an der Krankheit Myxomatose. 1988 erreichte die hämorrhagische Viruserkrankung die Iberische Halbinsel und dezimierte die Kaninchenpopulationen in Spanien und Portugal immer weiter. Ohne ihre wichtigste Beute verhungerten die Iberischen Luchse nach und nach.

In der portugiesischen Kulturlandschaft, die häufig von Bauernhöfen (hier ein altes Gehöft) und kleinen Dörfern gekennzeichnet ist, gibt es eine große Artenvielfalt.

»Es gibt Orte, an denen es keine Kaninchen mehr gibt«, sagt Rita Martins, Biologin bei LPN, die sich seit Jahren für die Wiederansiedlung des Luchses und seiner Beutetiere einsetzt. »Es ist wirklich traurig und dramatisch, dass diese Populationen an dem Punkt angelangt sind.« Das liege nicht nur an den immer kleineren Lebensräumen der Tiere, sondern auch daran, dass Kaninchen bei Jägern sehr beliebt seien.

Der abgelegene Landstrich Portugals, der die nordöstliche Algarve und den östlichen Teil der angrenzenden Alentejo-Region umfasst, ist für die Kaninchenjagd eine der beliebtesten Gegenden des Landes. Dort kooperieren Landwirte mit Jagdorganisationen, die für Verwaltung und Pflege der Ländereien im Gegenzug darauf jagen dürfen. Doch je weiter die Kaninchenpopulationen zurückgingen, desto spärlicher wurden auch die Jagdmöglichkeiten.

Ein Großteil des Landes in Portugal ist in privatem Besitz. Als Naturschützer und von der Regierung beauftragte Biologen in den 2000er Jahren versuchten, den Luchs wieder anzusiedeln, wurde ihnen daher schnell klar: Der Erfolg ihrer Bemühungen hängt maßgeblich von der Bereitschaft der Farmer ab, die Tiere auf ihren Ländereien willkommen zu heißen.

Der Abschnitt des Guadiana-Tals, der sich durch den östlichen Alentejo schlängelt, sei ein günstiger Platz gewesen, um mit der Wiederansiedlung zu beginnen, sagt Pedro Sarmento. Er ist Biologe beim Institut für Naturschutz und Wälder, derjenigen Bundesbehörde in Portugal, die für die Wiederansiedlung gefährdeter Arten und die Verwaltung von Wäldern und Schutzgebieten zuständig ist. In dem Gebiet waren noch Reste des Lebensraums vorhanden, der sowohl Kaninchen als auch Luchse beherbergt. Zudem wurden dort auch einige der letzten wilden Luchse Portugals gesichtet.

Eine Kulturlandschaft mit großer biologischer Vielfalt

Die malerische Region ist durchdrungen von Geschichte und Tradition. Bauernhöfe, Steineichenwälder, Olivenbäume, Buschland, Schafweiden und gelegentliche Weinberge verteilen sich in der hügeligen Landschaft – so weit das Auge reicht. Hier und da tauchen kleine Dörfer aus weiß getünchten Steinen auf, deren Wege mit schwarz-weißem Pflaster gemustert sind, den Calçadas. Manche Dörfer sind von hohen Steinmauern umgeben, die noch aus vorherigen Jahrhunderten stammen, in denen Portugal Eindringlinge aus dem Osten und Süden abwehrte. »Auch wenn es sich um ein Gebiet mit großer biologischer Vielfalt handelt, ist es eine Kulturlandschaft«, sagt die Biologin Martins.

Die Populationen der Europäischen Kaninchen sind stark zurückgegangen. Da sich die Iberischen Luchse hauptsächlich von diesen Tieren ernähren, fanden sie immer weniger Nahrung und galten in Portugal bereits als ausgestorben.

Martins ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. An den Wochenenden lebt sie immer noch auf dem alten Gehöft ihrer Großmutter und hütet mit ihren Eltern ein paar Schafe, Schweine und Hühner. Daher kennt sie die Arbeit auf dem Land besser als die meisten anderen. Sie spricht leise und konzentriert und ist im Umgang mit der Sichel ebenso geschickt wie bei der Analyse von Bevölkerungsdaten. Als sie und ihre Kollegen anfingen, das Land zu bereisen und Gespräche zu führen, in der Hoffnung, Landwirte für die Verbesserung des Lebensraums für Luchse und Kaninchen zu gewinnen, war ihr etwas mulmig zu Mute. Einige der Ländereien waren seit Jahrhunderten im Besitz derselben Familien; sie wollte nicht den Eindruck erwecken, die Bauernfamilien hätten ihre Böden falsch bewirtschaftetet. Martins musste auch die Jäger überzeugen, von denen einige befürchteten, dass die Rückkehr der Luchse neue behördliche Beschränkungen mit sich bringen könnte – wie zum Beispiel das Verbot von Hunden für die Jagd auf Wildschweine, eine in Portugal beliebte Wildart.

In zahlreichen Gesprächen erklärten Martins und andere Luchsbefürworter die Vorteile, die die Anwesenheit der Katzen mit sich bringt. Sie würden beispielsweise die Rotfuchspopulationen eindämmen, was die Lämmer und Hühner der Landwirte schützen könnte und gleichzeitig die Kaninchenbestände erhöhen würde. Auch die Erhaltung eines Flächennetzes aus offenen Feldern und Sträuchern wie der Zistrose würde den Kaninchen zugutekommen, da sie gleichermaßen wie die Luchse auf diese Lebensräume angewiesen sind. Das alles würde die Jagdmöglichkeiten verbessern.

Luchse selbst reißen kaum Nutztiere und stellen auch keine Bedrohung für Menschen dar. Auf der anderen Seite der Grenze in Spanien lebten Landbesitzer bereits ohne Zwischenfälle mit Luchsen zusammen. Also organisierten portugiesische Biologen eine Tour für die Farmer des Alentejo in das Nachbarland. Nach ihrer Rückkehr zeigten diese sich den Katzen gegenüber deutlich aufgeschlossener. So wuchs die Anzahl an Einheimischen, die die Rückkehr des Luchses unterstützten – und das Ziel der Biologen rückte immer näher.

Die nötigen Tier waren bereits vorhanden: Beamte der Wildtierbehörde hatten ein 2003 in Spanien begonnenes Programm zur Aufzucht in Gefangenschaft ins Leben gerufen, das fast 200 Luchse für die Wiederansiedlung hervorgebracht hatte. Jetzt mussten sie nur noch Landschaften mit Kaninchen finden – und Wege, um deren Anzahl zu erhöhen.

Das Ökosystem des Kaninchens

Wie sich herausstellte, spielen Kaninchen in dem von Luchsen bevorzugten Ökosystem, einem Mosaik aus mediterranen Wald- und Strauchlandschaften, eine ausschlaggebende Rolle. Ihre Baue bieten Unterschlupf und Nistplätze für Tiere wie die Kreuzkröte (Epidalea calamita) und den Steinkauz (Athene noctua) und ihre Ausscheidungen verbreiten die Samen einheimischer Pflanzen. Neben dem Luchs sind Dutzende andere Arten auf Kaninchen als Nahrung angewiesen, darunter etwa der Iberische Kaiseradler.

2008 schlug eine Gruppe von Wissenschaftlern in einer Publikation vor: Da das Europäische Kaninchen für Teile der Iberischen Halbinsel – einen globalen Hotspot der Artenvielfalt – so wichtig ist, sollte man sie als »Ökosystem des Kaninchens« bezeichnen. Glücklicherweise haben sich die Kaninchen als äußerst anpassungsfähig erwiesen. So haben sie in den vergangenen Jahren zum Beispiel eine gewisse Resistenz gegen die Viren entwickelt, die ihren Bestand dezimiert haben.

In der Zwischenzeit haben Biologen der LPN und der Regierung Vereinbarungen mit Landbesitzern getroffen, um Luchse auf landwirtschaftlichen Flächen und Jagdrevieren mit guten Restpopulationen von Wildkaninchen wieder anzusiedeln. Außerdem haben sie dafür gesorgt, dass auf mehr als 364 Hektar kaninchenfreundliche Pflanzen gesät wurden, um den Lebensraum der Wildkaninchen zu verbessern. Zwischen 2012 und 2018 errichteten sie im Südosten Portugals zusätzlich mehr als 1200 künstliche Kaninchenbauten – Erdhügel und unterirdische Höhlen, die durch ein Loch an der Oberfläche zugänglich sind. Bis 2012 hatten sich die Kaninchenpopulationen bei einer Dichte von etwa vier Individuen pro Hektar stabilisiert – das entspricht dem Schwellenwert, den Luchspopulationen für eine erfolgreiche Fortpflanzung benötigen.

Auf dieser Grundlage bereiteten sich die Biologen darauf vor, den ersten in Gefangenschaft gezüchteten Iberischen Luchs in Portugal auszusetzen. Im Jahr 2015 bauten der Biologe Sarmento und sein Team auf einem Jagdgrundstück in der Nähe des Dorfes Sao João de Caldeireiros ein großes Eingewöhnungsgehege mit einem 2,5 Meter hohen Maschendrahtzaun. Dort hielten sie das Weibchen Jacarandá und das Männchen Katmandú, damit sie sich an ihre neue Umgebung gewöhnen konnten. Einige Wochen später ließen die Wissenschaftler das Paar frei. Es folgten weitere Auswilderungen in anderen Teilen des Alentejo, in der Regel einige pro Jahr. Tatsächlich begannen die Katzen, sich in freier Wildbahn zu vermehren – ein Zeichen dafür, dass sich die Kaninchenpopulationen wieder erholt hatten.

Bauern hoffen, auch von den Luchsen zu profitieren

João Madeira, ein Schaf- und Rinderzüchter in sechster Generation, gehörte zu denjenigen, die die Wildkatzen im Rahmen einer Vereinbarung mit den Biologen wieder auf seinem Land willkommen hießen. Die Motivation dafür sei sowohl emotional als auch zweckmäßig gewesen, sagt er: »Der Luchs war die am stärksten gefährdete Raubkatze der Welt, und so beschlossen wir, zur Lösung des Problems beizutragen.« Aber man müsse auch unbedingt Füchse und Mungos kontrollieren, die einen unersättlichen Appetit auf Lammfleisch haben, sagt er. »In Jahren, in denen es uns das nicht gelingt, verdoppelt sich die Sterblichkeitsrate der Schafe. Wir haben Hoffnung, dass der Luchs sie kontrolliert.«

»Der Luchs war die am stärksten gefährdete Raubkatze der Welt, und so beschlossen wir, zur Lösung des Problems beizutragen«João Madeira, Schaf- und Rinderzüchter in sechster Generation

Einige in anderen Gebieten wieder angesiedelte Luchse haben gelegentlich Damhirsche oder Hühner gerissen. Im Gegensatz zu anderen gefährdeten Raubtieren, wie zum Beispiel mexikanischen Wölfen im Südwesten der Vereinigten Staaten, tötet die portugiesische Regierung die Iberischen Luchse, die Nutztiere angreifen, in der Regel nicht. Stattdessen werden sie gefangen und eingesperrt – in ein »Luchsgefängnis«, wie Sarmento es bezeichnet. Dabei handelt es sich um dasselbe eingezäunte Gelände, das zur Eingewöhnung der ersten 2015 wieder angesiedelten Luchse verwendet wurde.

Madeira seinerseits hatte bislang keine Probleme mit den vier Luchsen, die auf seinem Land frei gelassen wurden. Er macht sich zwar Sorgen, dass die Katzen irgendwann seine Lämmer angreifen könnten, aber dieses Risiko gehe er ein, sagt er. »Wenn ich ein Raubtier habe, das hin und wieder ein Lamm frisst, ist das im Vergleich zu dem Schaden, den die Füchse anrichten, vielleicht keine so große Sache.« Letztes Jahr fand er zudem einen toten Fuchs in der Nähe eines Schafes; Biologen der Regierung bestätigten: Ein Luchs war der Täter.

Iberische Luchse spielen eine überraschend wichtige Rolle beim Schutz des Viehs, indem sie die Rotfuchspopulationen in Schach halten.

Jahrelang gab es auf seinen Ländereien entweder zu viele oder zu wenige Kaninchen, »aber jetzt ist es ausgeglichen«, sagt er – ein Fortschritt, den er der Rückkehr der Luchse zuschreibt. Nichtsdestoweniger sei es schwierig, die für solche Erfolge nötige Kaninchendichte aufrechtzuerhalten, sagt Martins. »Man muss viele Weiden anlegen – man braucht nicht nur eine gute Bewirtschaftung des Landes, sondern auch Investitionen und viel Glück.

Kaninchen fangen und woanders wieder ansiedeln

Weiter unten im Tal offenbart das Jagd- und Naturschutzgebiet Herdade da Contenda, das der Stadt Moura gehört, sowohl die Herausforderungen als auch die Vorteile des Wiederansiedlungsprojekts. Im Lauf der Jahre haben die Verwalter des Anwesens zwei Wildkaninchengehege mit künstlichen Höhlen, Gräsern und Sträuchern als Nahrung, oberirdischen Unterständen, Wasserstellen und Schutzzäunen zum Schutz vor Raubtieren angelegt. Wie an so vielen anderen Orten hatte eine Krankheit die lokale Kaninchenpopulation weitgehend ausgerottet.

Manager Pedro Rocha brauchte also mehr Kaninchen. Im Jahr 2020 fand er dann eine erstaunlich praktische Quelle: Unten an der Straße, beim Solarkraftwerk Amareleja, wimmelte es vor Kaninchen, die Höhlen in die weiche Erde unter den Stromkästen gruben und Drähte durchknabberten. Zwei Jahre später an einem sonnigen Maitag versammeln sich Rocha, Martins, David Delgado, der Tierarzt der LPN, sowie ein kleines Team von Kaninchenfängern um einen Kaninchenbau im Schatten eines der riesigen Solarmodule des Kraftwerks. Zwei Arbeiter breiten ein Netz über das Loch aus. Ein anderer greift in eine kleine Holzkiste, hebt ein Frettchen am Genick heraus und lässt es in das Loch gleiten. Von Natur aus tendieren Frettchen dazu, Kaninchen zu töten, doch dieses Exemplar wurde darauf trainiert, sie nur aus ihrem Bau zu verscheuchen.

Nach etwa 15 Minuten flüchtet das erste Kaninchen aus dem Bau und verfängt sich im Netz. Ein Arbeiter befreit es vorsichtig und übergibt es Martins, der es in einen Sack verfrachtet. Martins und Delgado bringen das Kaninchen zu einer behelfsmäßigen Tierarztstation auf der Heckklappe ihres weißen Pick-ups. »Es ist sehr wichtig, das Geschlecht und das Alter zu bestimmen und zu erfahren, ob sie aus der gleichen Familie stammen«, erklärt Martins. Denn eine Kaninchenpopulation müsse zu mindestens 60 Prozent aus Weibchen bestehen, um dem Verhältnis natürlicher Populationen zu entsprechen. Und Familien sollten zusammenbleiben, erklärt Martins, während sie das Tier zur Untersuchung an Delgado weiterreicht. Dieser untersucht das Tier auf Bisswunden vom Frettchen oder irgendwelche Anzeichen von Krankheiten und anderen Leiden. Schließlich packt er es zum Transport in eine Box mit mehreren Kammern.

Weil sich Europäische Kaninchen das ganze Jahr über vermehren, ist es schwierig vorherzusagen, wie viele Tiere sich im Bau befinden. Innerhalb mehrerer Stunden fängt das Team insgesamt 12 Kaninchen – sechs Männchen und sechs Weibchen –; jedes einzelne wird untersucht. Das Procedere ist sowohl für die Kaninchen als auch für die Tierpfleger stressig. Das Zeitfenster, in denen solche Fangaktionen stattfinden können, ist außerdem eng: Schon in ein paar Wochen wird es zu heiß dafür sein.

Rita Martins (links) und David Delgado packen ein gefangenes Kaninchen in einen Transportbehälter, um es an einen Auswilderungsort zu verfrachten.

Für heute ist das Unterfangen glücklicherweise fast zu Ende: Nachdem der Lastwagen beladen ist, macht sich das Team auf den Weg zur Herdade da Contenda. Dort angekommen, öffnen Delgado und die anderen behutsam eine Kammer nach der anderen, heben die zappelnden Kaninchen heraus und setzen sie in ein Gehege, wo sie im hohen Gras verschwinden. Sollte mit diesen zwölf Exemplaren und den in den künftigen Monaten geplanten Neuzugängen alles gut gehen, sind endlich die Voraussetzungen für die Auswilderung von Luchsen auf Contenda geschaffen, hofft man.

Mönchsgeier profitieren ebenfalls von den Auswilderungen des Luchses

Das deutlich größere Gehege der Mönchsgeier ist Delagados nächstes Ziel. Die imposanten Tiere zählen mit einer Flügelspannweite von fast drei Metern zu den größten Raubvögeln der Welt. In den vergangenen Jahrzehnten haben ihre Populationen starke Verluste erlitten, die zum Teil auf die Aufnahme von Schwermetallen wie Kadmium und Blei sowie tierärztlichen Antibiotika und anderen schädlichen Substanzen bei der Aasfütterung zurückzuführen sind. Im Jahr 1980 war in Portugal kein einziges Brutpaar mehr bekannt und die Vögel galten in dem Land als ausgestorben.

Auf Contenda wurden die Aasfresser von Rocha und seinen Vorgängern wieder angesiedelt. Wie die Luchse haben auch sie eine Vorliebe für Kaninchenfleisch – allerdings nur für das der Kadaver und nicht der lebenden Exemplare. Delgado steuert den Lkw über die engen kurvigen Feldwege des Anwesens bis zum Freigehege, das auf einer Anhöhe im Schatten von Steineichen und Pinien liegt. Er hält an, schnappt sich eine Tasche aus dem Laster und zieht sich rasch um. Diese Prozedur ist für alle vorgeschrieben, die sich hinter den Maschendrahtzaun begeben wollen. Auf die Art und Weise soll die Verbreitung der Geflügeltuberkulose verhindert werden.

Apropos: Eine andere Hygienevorschrift von der Europäischen Union aus dem Jahr 2002, mit der die bovine spongiforme Enzephalopathie (besser bekannt als Rinderwahnsinn) eingedämmt werden sollte, ist tatsächlich einer der Gründe, warum der Aasfresser um sein Überleben kämpft: Die Vorschrift verpflichtete Landwirte, die Kadaver – eine Hauptnahrungsquelle für verschiedene Geierarten – von ihren Feldern zu entfernen.

Um die Mönchsgeier der Herdade da Contenda zu unterstützen, lassen die Mitarbeiter daher Aas an einer Futterstelle im Gehege zurück. Die Vögel nutzen außerdem Nistplattformen, die Biologen der LPN und der Regierung hier in Contenda und in der Region errichtet haben. Jetzt kreist der Mönchsgeier wieder über dem portugiesischen Himmel, was teilweise auf die Rückkehr des Luchses zurückzuführen ist. Denn aufbauend auf der erfolgreichen Wiederansiedlung der Katzen und den Beziehungen, die mit Landbesitzern und Jagdverbänden geknüpft wurden, konnten Biologen der LPN und der Regierung zusätzliche Mittel der Europäischen Kommission gewinnen, um anderen Arten zu helfen, die auf dieselbe Landschaft angewiesen sind, darunter eben auch der Mönchsgeier.

»Wenn es uns gelingt, den Luchs zu schützen, dann haben wir es geschafft, einen Lebensraum zu sichern, den er mit zahlreichen anderen Arten teilt«Rita Martins, Biologin bei einer portugiesischen Naturschutzorganisation

Im Jahr 2019 stellte die portugiesische Regierung einen Schutzplan für diesen Vogel und andere Geierarten vor. Mit den Mitteln sollen unter anderem natürliche Lebensräume gesichert und neue Futterstellen und künstliche Nester errichtet werden. »Wenn es uns gelingt, den Luchs zu schützen, dann haben wir es geschafft, einen Lebensraum zu sichern, den er mit zahlreichen anderen Arten teilt – einschließlich bedrohter, von denen einige weniger charismatisch und bekannt sind und für die es schwieriger ist, Aufmerksamkeit und Finanzierung zu erhalten«, sagt Martins.

Ohne die Mitwirkung der Landbesitzer wären diese Erfolge des Naturschutzes niemals möglich gewesen, denkt sie. Es sei daher wichtig, solche praxisbezogenen Gemeinschaften mit den lokalen Gemeinden, den Landbesitzern und anderen Interessengruppen in der Region zu schaffen. Nur so könne man langfristig erreichen, dass die Ökosysteme wiederhergestellt werden und sich eine nachhaltigere Landschaft etabliert.

Die Nachkommen der ersten ausgewilderten Luchse sind in den Süden gewandert

In dem einsamen Café in dem winzigen Dorf Sao João de Caldeireiros, in der Nähe der ersten Luchsauswilderungsstation, begrüßt die Kellnerin den Biologen Sarmento wie einen alten Freund. Er und seine Gäste nehmen auf der Terrasse Platz und dürfen ihr Mittagessen bestellen, obwohl ein Schild besagt, dass hier nur Getränke serviert werden. Doch Sarmento ist seit 2014 ein regelmäßiger Gast – seit er zum ersten Mal das Jagdgebiet Herdade das Romeiras besuchte, um es für die Auswilderung von Jacarandá und Katmandú vorzubereiten.

Auf einem Hügel vom Parkplatz der Dorfkirche liegt eine steinerne Aussichtsplattform mit Informationstafeln zur Wiederansiedlung von Luchsen das Romeiras-Auswilderungsgebiet. Heutzutage finden sich die Nachkommen der beiden Luchse weit über dieses Gebiet hinaus. Die Tochter von Jacarandá war wahrscheinlich einer der ersten Luchse, die von hier im Alentejo nach Süden in die Algarve-Region vordrangen und dort eines der besten noch verbliebenen Kaninchengebiete der Region besiedelten. Das führte schließlich zur Auswilderung von Sidra und Salão im Mai 2022, damit sie den Genpool der Population erweitern.

Ein Iberisches Luchsweibchen wandert mit ihrem Jungtier umher – ein hoffnungsvolles Anzeichen dafür, dass die Wiederansiedlung funktioniert.

2022 hat Sarmentos Team fünf Luchse frei gelassen. Somit wurden seit Beginn des Programms im Jahr 2014 insgesamt 59 Luchse in Portugal angesiedelt. Wenn die aktuelle Finanzierung ausläuft, hat die EU bereits zugesagt, weitere Luchse zu schicken, sagt Sarmento. Heute, nach jahrelanger Arbeit zur Wiederherstellung des Lebensraums, ist die Montado-Mosaiklandschaft, die Kaninchen und Luchse des 21.  Jahrhunderts bevorzugen – offenes Weideland gemischt mit Sträuchern und Waldstücken – im gesamten Alentejo wieder weiter verbreitet. Und nun beginnen sich auch die Landbesitzer an der Algarve für die Wiederherstellung der Naturlandschaften und die Wiederansiedlung von Luchsen zu erwärmen.

Ein Symbol für den Artenschutz

Die Katzen haben sich letztlich als anpassungsfähiger erwiesen als erwartet: Eine 2016 durchgeführte Studie über Luchse in der spanischen Region Andújar-Cardeña ergab: Sie siedeln sich in Olivenbaumplantagen und anderen vom Menschen dominierten Landschaften an. Und das Wichtigste ist, dass die Lieblingsbeute des Iberischen Luchses, das Europäische Kaninchen, auf den Bauernhöfen und Jagdrevieren im Südosten Portugals immer zahlreicher wird. Weniger als ein Jahrzehnt nachdem Biologen befürchtet hatten, dass der Iberische Luchs für immer verloren sein würde, vermehren sich die Katzen erfolgreich; deshalb sind in einigen Gebieten keine weiteren Auswilderungen mehr nötig, um den Bestand zu vergrößern. Dort geht es heute darum, die sich erholenden Populationen miteinander zu verbinden.

Die Luchse sind in Portugal zu einem Symbol für den Erfolg des Naturschutzes geworden, der in politischen Kampagnen angepriesen wird und auf den die Bürger stolz sind. Das Tier wurde zu einer Touristenattraktion und einem beliebten Motiv für portugiesische Künstler – ein riesiger Luchs aus recyceltem Müll bewacht etwa das Hafenviertel von Lissabon.

Während des Mittagessens in dem Café kommt der Wildhüter des Romeiras-Geländes, Carlos Alberto Simaó, an Sarmentos Tisch. »Ich bin sehr stolz auf unseren Beitrag zum Erhalt des Luchses«, sagt Simaó. Und er schätze die Partnerschaft mit der Regierung und allen anderen Beteiligten. Er hätte zwar nicht erwartet, dass der Luchs noch andere Beutetiere als die reichlich vorhandenen Kaninchen in der Gegend reißen würde, aber das ändere nichts an seiner Unterstützung und der des Gutsbesitzers für das Projekt.

Dass die Erholung des Luchses gelang, ist auch deshalb überraschend, weil sich die Tiere nicht nur an veränderte Lebensräume anpassen mussten. Gleichzeitig wurden sie mit drei weiteren Herausforderungen konfrontiert: eine lang anhaltende, verheerende Dürre, Waldbrände und rekordverdächtige Hitzewellen. Dennoch hat Portugal Mitte Dezember sein Ziel von 30 fortpflanzungsfähigen Weibchen überschritten. Die letzte Zählung für 2022 ergab 32 – eine Zahl, von der Sarmento noch vor wenigen Jahren dachte, dass sie erst 2035 erreicht werden würde.

Auch Martins ist optimistisch, was die Zukunft der Iberischen Luchse anbelangt – und der Kaninchen, auf die sie angewiesen sind. »Beide Populationen sind gesund«, sagt sie. Und sie werden sogar noch gesünder werden, da Luchse kranke Kaninchen jagen, und so Krankheiten eindämmen, die die Kaninchen in der Vergangenheit ausgerottet haben. Im September waren alle zwölf Kaninchen, die im Mai in die Herdade da Contenda umgesiedelt wurden, noch am Leben. Die letzte Epidemie, von der Europäische Kaninchen in Portugal betroffen waren, ereignete sich 2014. Die Wiederansiedlung des Luchses wurde dadurch um ein Jahr verzögert. »Vielleicht wäre der Rückgang nicht so gravierend gewesen, wenn damals schon der Iberische Luchs und andere Raubtiere in ihrem natürlichen Lebensraum vorhanden gewesen wären«, sagt Martins: »Glückliche Populationen des Iberischen Luchses, glückliche Populationen des Wildkaninchens.«

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